Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Gesegnete Weihnachten

Nun neigt sich das Jahr wieder dem Ende zu.
In zwei Tagen ist Weihnachten, eine Woche später Silvester.



Es war ein gutes Jahr. Der Camino/die Via haben mich durch das Jahr begleitet.
Mit Vorbereitungen für die Via de la Plata und großer Freude bin ich in das Jahr gestartet. Die Vorfreude war groß, ebenso der Schreck nicht wie geplant starten zu können. Aber es hat so sollen sein - denke ich im Nachhinein.
Wäre ich eher gestartet, hätte ich so viele tolle Menschen nicht getroffen. Ich hätte andere Menschen kennengelernt, aber eben nicht diese.
Schnell hatte mich nach der Rückkehr der Alltag wieder, aber die Gedanken schweifen bis zum heutigen Tag auf die Via de la Plata zurück.
Das zweite Halbjahr nahm ich erst einmal etwas Abstand von dem Gedanken die Via im Folgejahr fortzusetzen, aber seit Oktober hat sich der Gedanke doch gefestigt die Via zu beenden.
Und so schließt das Jahr wie es begonnen hat: Ich plane, recherchiere und freue mich auf das kommende Jahr, auf die zweite Hälfte der Via de la Plata
Was das neue Jahr bringen wird? Ich weiß es nicht, aber ich freue mich darauf und bin offen für alle Begebenheiten.


Ich wünsche allen Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen gutes, gesundes neues Jahr.


Anne


Erste Vorbereitungen für die Via-2

13. Dezember 2010

Gestern Abend habe ich die ersten definitiven Schritte für den zweiten Teil der Via Plata getan und den Flug nach Madrid gebucht.
Am 11. April 2011 werde ich morgens um 6.50 Uhr mit dem Flieger von Düsseldorf über Kopenhagen nach Madrid fliegen. Über Kopenhagen hört sich für mich etwas eigenartig an, aber es war der Flug der sich am meisten angeboten hat, und zudem auch noch recht günstig war.
Lange schon weiß ich, dass ich die Via Plata fortsetzen möchte. Die Urlaubsplanung mit den Kollegen ist schwer angegangen und die Via schon so früh im Jahr zu beginnen war nicht mein Wunsch, aber anders war es nicht möglich 4 Wochen Urlaub zu bekommen.
Nachdem ich am Abend des 10. Aprils mit meinem Chor ein schönes Passionskonzert gesungen haben werde, werde ich in der Nacht den Zug nach Düsseldorf nehmen - oder vielleicht bringt mich jemand mit dem Auto.
Nach einem kurzen Zwischenstopp in Kopenhagen werde ich Madrid gegen 12.00 Uhr erreichen und dann den Bus nach Salamanca nehmen.
Wo ich in Salamanca übernachten werde, muss ich mir noch überlegen. Kann man in der Herberge Betten reservieren? Ich glaube es nicht, oder habe niemanden kennengelernt, der vorweg ein Bett reserviert hat.
Da es in der Altstadt viele Pensionen gibt und auch die Jugendherberge mitten in der Stadt liegt, werde ich mir zu einem späteren Zeitpunkt darüber Gedanken machen.
Der Anreisetag wird anstrengend werden, der Weg auch, aber ich freue mich den ersten Schritt Richtung Via-2 getan zu haben.

Santiago de Compostela - Heimreise

17. Mai 2010

In meinem Klosterbett habe ich himmlisch geschlafen. Nach dem Aufstehen genieße ich eine luxuriöse Dusche und begebe mich in den großen Speisesaal. Neben mir scheint nur noch eine italienische Reisegruppe da zu sein. Das Frühstück ist einfach, aber ausreichend. Die Tische sind mit Papiertischdecken gedeckt und ich sitze zwischen den Italienern. Ich verstehe nur wenig, aber es ist eine religiöse Reisegruppe, die im Kloster wohnt. Als die Italiener mitbekommen, dass ich eine Pilgerin bin, steht der neben mir sitzende Gast auf und erzählt seiner Reisegruppe, dass ich Pilgerin bin.
Was nun passiert, kommt mir eigenartig und befremdlich vor. Alle Teilnehmer der italienischen Gruppe stehen nacheinander auf um mich zu umarmen und zu küssen. Man erklärt mir, dass sie meine positive Energie auf sich selbst mit der Umarmung übertragen wollen. Die Italiener feiern nach dem Frühstück im Kloster die heilige Messe und man lädt mich ein teil zunehmen. Nachdem man mich nach meiner Konfession fragt und ich bekenne evangelisch zu sein, lädt man mich wieder von der Messe aus. Als Protestant darf ich an ihrer Messe nicht teilnehmen.
Da mir nicht viel Zeit für Santiago bleibt und ich um 14 Uhr zum Flughafen fahren muss gehe ich nach dem Frühstück aus der Klosterpforte und stehe nach 100 Metern vor der heiligen Pforte der Kathedrale. Morgens um 9 Uhr stehen nur wenige Besucher dort und so kann ich nach 15 Minuten Wartezeit die heilige Pforte betreten. Leider wird man auf einem vorgegebenen Weg zur Jakobus-Statue im Altar und in die Krypta geführt. Danach muss man die Kathedrale wieder verlassen. Möchte man die Kathedrale besichtigen, erfolgt dieses über einen anderen Eingang.
Ich schlender etwas durch die noch leere Altstadt und gehe um 10.30 Uhr zur Kathedrale zurück. Ich freue mich zu sehen, dass gerade eine Messe gefeiert wird. Kurz bevor der Botafumeiro in Bewegung gesetzt wird, komme ich hinzu. Ich setze mich hin und erlebe erstmals den Botafumeiro. Es ist beeindruckend, wie das riesige Weihrauchfass durch das Mittelschiff der Kirche geschwenkt wird. In der Kirche herrscht eine große Unruhe. Fotoapparate blitzen, Videokameras laufen - von Andächtigkeit ist rein gar nichts zu spüren.
 


 
Nach der Messe bleibe ich auf meinem Platz sitzen und warte den Beginn der Pilgermesse ab, die eine halbe Stunde später startet.
Die Pilgermesse ist voll, bis auf den letzten Platz. Überall stehen und sitzen Pilger und Touristen in den Gängen. Die Ordner versuchen die Gänge frei zu halten. Rucksäcke dürfen nicht mit in die Kathedrale gebracht werden. Vor zwei Jahren fand ich es toll, kurz vor dem Beginn der Pilgermesse in Santiago an zu kommen, und direkt mit Rucksack in die Pilgermesse zu gehen. Auf Grund des heiligen Jahres und der Menschenflut ist das nun nicht mehr gestattet. Schade, es war ein tolles Gefühl.
Nach der Messe setzte ich mich in eine Bar und genieße einen letzten Cafe con leche und ein Stück Torta de Santiago. Jetzt gegen Mittag ist es wieder unerträglich voll in der Stadt. Zu all den Pilgern und Touristen kommt noch eine Kundgebung für ??????? Mit Sprechchören, Fahnen, Lautsprechern etc. ziehen diese Menschen zusätzlich zu den vorhandenen Massen durch die Stadt.
Mir machen diese Menschenmassen keinen Spaß und so bin ich froh, mich mit meinem Rucksack auf den Weg zur Bushaltestelle machen zu können.
Ich wollte im heiligen Jahr unbedingt einmal nach Santiago, aber so wie ich es erlebt habe, werde ich in Zukunft unheilige Jahre vorziehen.




Mit dem Bus bin ich schnell am Flughafen und checke ein. Ich bin erstaunt und überrascht, am Flughafen drei bekannte Gesichter zu sehen. Drei österreichische Freunde treffe ich zufällig. Hier in meinem Tagebuch habe ich sie nie erwähnt, weil es immer nur flüchtige Treffen waren. Aber Christian und Rosi mit Ehemann habe ich in Aleda del Cano, Aldanueva de Camino und in Fuenteroble de Salvatierra getroffen. Die drei haben sich in Salamanca ein Auto geliehen und sind Samstag nach Santiago gefahren. Heute fliegen sie, wie ich, über Palma Mallorca, nach Hause. Ein letzter Abschied von Via-Bekannten. Ein Abschied, mit dem ich in Santiago nicht gerechnet habe.
Die Rückreise wird mir genau so erschwert wie die Anreise. Bis Palma de Mallorca läuft alles planmäßig.
In Palma hat der Anschlussflieger nach Münster etliche Verspätung. Irgendwann sitzen wir im Flieger und bekommen keine Startfreigabe, da der Luftraum überfüllt ist. Als wir nach über einer Stunde die Freigabe zum Start bekommen, stellt sich heraus, dass es einen technischen Defekt im Cockpit gibt. Wir müssen zurück vom Flugfeld an unser Terminal um einen Techniker an Bord zu lassen. Es dauert wieder eine ganze Zeit, dann kommt der Techniker und nach einer weitern Wartezeit wird bekannt gegeben, dass das Flugzeug nicht flugfähig ist und nicht kurzfristig repariert werden kann. Wir bleiben im Flugzeug, derweil Air Berlin sich Gedanken macht, wie es weiter geht. Nach drei Stunden im Flugzeug dürfen wir alle wieder aussteigen. Es kann kein Flugzeug kurzfristig als Ersatz bereitgestellt werden. Um 22 Uhr wäre mein Flug planmäßig in Münster gelandet, inzwischen ist es 1 Uhr, am nächsten Tag. Mit mehreren Bussen werden wir in ein Hotel gefahren, dass wir gegen 2 Uhr erreichen. Todmüde lege ich mich in mein Bett.
Ich möchte nach Hause - ich habe keine frische Kleidung mehr, komme mir stinkig vor und habe keine Gelegenheit meine Wäsche zu waschen. Santiago de Compostela habe ich erst abends erreicht, und es blieb keinen Zeit zum Wäsche waschen. Es war kalt und spät am Abend, so dass die Kleidung nicht mehr getrocknet wäre. Jetzt ist es 2 Uhr in der Nacht, und bis zum Abholen aus dem Hotel um 6 Uhr trocknet die Wäsche auch nicht mehr. Also muss ich alles so tragen und hoffen, dass die anderen Fluggäste es nicht merken. Alle haben große, schicke Koffer dabei - nur ich habe einen kleinen Rucksack und nun keine Wechselkleidung mehr.
Um 6 Uhr morgens werden wir wieder zum Flughafen gebracht. Noch ist es unklar, wie wir nach Hause kommen. Es ist im Gespräch uns auf Restplätze in anderen Maschinen umzubuchen. Familien mit Kleinkindern und alte, kranke Passagiere sollen die wenigen freien Plätze nach Münster bekommen. Alle anderen Fluggäste sollen über Köln oder Düsseldorf nach Hause gebracht werden. Diese Maschinen würden aber erst gegen Mittag fliegen. Super, es ist 6.30 Uhr in der Frühe, und wir können voraussichtlich erst mittags fliegen und müssen dann noch mit Bussen nach Münster gebracht werden.
Plötzlich um 9 Uhr gibt es neue Anweisungen für unseren Flug. Ein Flugzeug wird zusätzlich eingesetzt und so können wir alle direkt mit 15 Stunden Verspätung heim fliegen.
Am Flughafen werde ich von meiner Familie abgeholt. Es war eine wunderbare Reise, aber jetzt bin ich froh wieder zu Hause zu sein und meine Erlebnisse teilen zu können.

Salamanca - Santiago de Compostela + Dia-Show8

16. Mai 2010

Morgens werde ich von lauten Gesängen vor meinem Jugendherbergszimmer wach. Erstaunt blicke ich auf die Straße und sehe eine Prozession vorbei ziehen.
Langsam stehe ich auf, packe meinen Rucksack und verlasse nach einem selbst zubereiteten Frühstück mein Zimmer um mir noch etwas Salamanca anzuschauen. Weit komme ich wieder nicht. Wenn ich im Bett liege fühle ich mich ganz fit und beim Laufen merke ich wieder sehr schnell, dass ich noch absolut unfit bin.
So mache ich eine letzte Sitzbesichtigung der Stadt aus einem Kaffee heraus.
Gegen Mittag mache ich mich ein letztes Mal auf den Weg zur Jugendherberge und hole meinen Rucksack.
Man hat mir drei Bushaltestellen genannt, wo ein Bus zum Busbahnhof fährt und an allen drei Haltestellen, ist der Bus nicht ausgeschildert. Die Bewohner Salamancas scheinen sich auch nicht wirklich auszukennen und jeder schickt mich irgendwohin. Ich bin frühzeitig aufgebrochen - zum Glück - und so gehe ich langsam zu Fuß zum Busbahnhof, mit dem Bus wäre ich wohl nie angekommen.
Am Busbahnhof angekommen habe ich noch eine Menge Zeit und setze mich in die Sonne und lasse im Geiste meine Reise Revue passieren. Es war eine wunderbare Zeit auf der Via de la Plata und ich freue mich irgendwann wieder zu kommen.
Vor meinem Aufbruch zum zweiten Camino habe ich oft gezweifelt und mir die Frage gestellt, ob ein zweiter Weg - nach einem so überwältigenden ersten - nicht automatisch eine Enttäuschung werden muss.
Nein, ein zweiter Weg muss keine Enttäuschung werden. Die Wege sind so unterschiedlich, die Erlebnisse, die Menschen und Begegnungen - alles ist einmalig.
Ich bin mir sicher, dass auch die zweite Hälfte der Via de la Plata ganz anders werden wird, als die erste - und das ist gut so. Jeder Weg ist einmalig und jeder Schritt ist lohnenswert gegangen zu werden.
Um 15 Uhr steige ich in den Bus Richtung Santiago de Compostela. Der Bus fährt die Strecke des Weges, die noch vor mir liegt. Nicht alle, aber viele Ortschaften auf den 500 Kilometern kommen mir aus meinem Reiseführer bekannt vor. Auf den ersten Kilometern bis Zamora sehe ich immer wieder Pilger am Straßenrand. Nicht viele, aber einige.
Es ist schön zu sehen, was für Landschaften mich irgendwann - wenn ich wieder komme - erwarten. Die schneebedeckten Berge faszinieren mich, die Ebenen dazwischen auch. Der Weg durch Galicien wird wieder hügelig werden und auf und ab führen. Es ist schön die Landschaft zu betrachten, und auch "erschreckend" die Länge des Weges zu spüren. Die 6-stündige Busfahrt zeigt mir wie weit der Weg noch ist - aber auch wie weit ich schon gelaufen bin. Salamanca ist nur die Halbzeit auf der Via de la Plata.
Alle zwei Stunden macht der Bus eine 20-minütige Pause und um 21 Uhr bin ich in Santiago de Compostela.
Nicht zu Fuß, aber ich bin wieder in Santiago. Vom Bus aus konnte ich kurz den Monte de Gozo erkennen und auf den letzten Kilometern bin ich ganz kribbelig. Diese Strecke kenne ich schon. Hier bin ich vor zwei Jahren zu Fuß in die Stadt gelaufen.
Vom Bahnhof laufe ich direkt zur Kathedrale.
Auch wenn ich Santiago nicht zu Fuß erreicht habe, ist es mir wichtig für die zurück gelegte Distanz in der Kathedrale "Danke" zu sagen.
Die Kathedrale strahlt in der leuchtenden Abendsonne. Die Temperaturen sind wieder nach oben geklettert und es ist deutlich wärmer als am Vortag. So habe ich die Kathedrale vor zwei Jahren nicht erlebt. Im Mai 2008 hat es nur geregnet und der Himmel war wolkenverhangen. Nun leuchten die Steine und ich freue mich über diesen Anblick, auch wenn das Gefühl hier zu sein, ganz anders ist, als vor zwei Jahren.
Es macht einen großen Unterschied, ob ich nach all den Anstrengungen zu Fuß ankomme, oder mit dem Bus vorfahre. Auch ich bin weit gelaufen, aber das Gefühl ist ganz anders. Und dennoch ist es ein schöner Abschluss.



 
Ich bin froh, nicht auf Zimmersuche gehen zu müssen. Alois hatte Recht, es ist gut, wenn man bei spätabendlicher Ankunft schon ein Zimmer hat. Danke, dass du mir ein Bett im neben der Kathedrale liegenden Kloster, reserviert hast.
Ich gehe die wenigen Stufen von der Kathedrale wieder zum Kloster San Martin de Pinario hinauf und melde mich beim Pförtner. Er nimmt mir meinen Rucksack ab - den kann ich doch wirklich alleine tragen - und bringt mich durch die langen Gänge in mein Zimmer. Das Zimmer ist mit wenigen Möbeln schön eingerichtet und ich habe ein riesiges Bett und ein eigenes Badezimmer für mich.
Da ich mich wesentlich fitter fühle als am Morgen, stelle ich meinen Rucksack ab, und drehe noch eine Runde durch die Altstadt.
Es ist einfach nur voll. Überall hängen Leuchtreklamen zum heiligen Jahr, und ich komme mir ähnlich vor, wie auf dem Jahrmarkt. Menschenmassen schieben durch die schmalen Gassen und es wirkt so gar nicht "heilig".
Da ich direkt neben der Kathedrale wohne, gehe ich noch einmal dort hin und betrachte sie im Dunkeln, danach gehe ich zu meiner Herberge und lege mich hin.





Dia-Show8:
Galisteo - Salamanca und Santiago de Compostela

Salamanca

15. Mai 2010

Die Nacht war so einigermaßen okay. Als ich wach werde fühle ich mich immer noch total schlapp und matschig, aber besser als gestern Abend.
Ein letztes Mal gehe ich mit Neil und Iris frühstücken, danach verabschieden wir uns voneinander. Ich finde es schade, die Beiden ziehen zu lassen, aber das gehört zum Weg. Man trifft sich, läuft ein Stück gemeinsam,  lernt sich dabei kennen, und irgendwann trennen sich die Wege wieder.
Allein die wenigen Meter bis zur Bar haben mich geschafft. Meine Beine zittern und nach dem Frühstück und der Verabschiedung gehe ich zur Herberge zurück. Ich bin die einzige Pilgerin die da ist.
Gestern habe ich in der Wartezeit bis zum Widereinlass in die Herberge, für die zweite Nacht ein Hostalzimmer gebucht. Jetzt wo ich krank bin, könnte ich auch in der Herberge bleiben, aber ich entschließe mich zum Hostal zu gehen. Dort habe ich meine Ruhe und muss kein schlechtes Gewissen haben, meine Mitpilger auf dem engen Raum anzustecken. Keiner hat gezeigt, dass er Angst vor einer Ansteckung hat, aber ich fühle mich mit dem Gedanken wohler.
Von der Herberge aus rufe ich meine Arbeitskollegen im Krankenhaus an um zu fragen welches Antibiotikum Sinn macht. Auf dem Weg zum Hostal gehe ich an einer Apotheke vorbei und frage nach dem Medikament. Ich bin auf alles eingerichtet, Erklärungen, Diskussionen, Rezept per Fax - aber ohne Fragen von Seiten der Apotheke bekomme ich ein in Deutschland rezeptpflichtiges Medikament ausgehändigt. Ich bin etwas erstaunt, aber auch erleichtert dass es so einfach zu bekommen ist.
Ich gehe zu meinem nicht weit entfernten Hostal und bin entsetzt, als ich höre, dass es doch kein freies Zimmer gibt. Was nun? Die Herberge hat wieder bis zum Nachmittag geschlossen - wo soll ich nun bleiben?
Ich frage nach dem Weg zur Jugendherberge, nehme mir ein Einzelzimmer und lege mich wieder hin.
Mittags bekomme ich einen Anruf von Alois und wir treffen uns am Muschelhaus.




Nun  gehen ein wirklich letztes Mal gemeinsam Essen und verabschieden uns zum Dritten und letzten Mal.
Schon in Merida und in Caceres haben wir uns von einander verabschiedet. Alois lief etwas andere Etappen als ich, aber ich habe immer gewusst, ich war mir immer zu 100% sicher, ihn wieder zu sehen. Nun ist der endgültige Abschied gekommen.
Ich freue mich Alois getroffen zu haben. Alois, der doppelt so alt ist wie ich - aber es war einen tolle Weggemeinschaft und der Altersunterschied spielte nie eine Rolle.
Alois ist für mich der Engel des Weges, der von Gott gesandt wurde. Wir sind uns vom ersten bis zum letzten Tag regelmäßig begegnet. Alle anderen Pilger kamen und gingen, aber Alois war immer da.
Nach einer Siesta fühle ich mich erstmals wieder besser und ich stehe auf um mir die Altstadt anzusehen.
Ich gehe von der Kathedrale den Weg zurück um auf die Gegenseite des Flusses zu kommen.
Der Blick von der Römerbrücke auf Salamanca ist bekannt und ich genieße zum Abschied diesen Blick. Die Sonne ist wieder hervorgekommen und lässt alles leuchten.




Auf der Brücke treffe ich auch Kelly ein letztes Mal. Wir unterhalten uns noch kurz und verabschieden uns dann. Kelly habe ich erst in Grimaldo getroffen. Ich kenne sie erst seit 6 Tagen und dennoch kommt es mir viel länger vor.



Früh gehe ich schlafen, nachdem ich mir noch eine neue Credencial besorgt habe. Leider habe ich nicht das allermeiste von Salamanca gesehen, aber ich bin mir sicher, dass ich wiederkommen werde.
Schon vor dem Start auf die Via habe ich mir Salamanca als Ziel gesetzt. Ich habe mein Ziel erreicht, aber Salamanca ist nur die Halbzeit auf der Via de la Plata. Auf meiner Credencial sind noch etliche offene Felder, aber der Weg ist zu weit um alle Stempel in eine Credencial zu bekommen. Aber ich bin mir sicher, dass ich die leeren Credencialfelder noch füllen werde. Wann? Es wird sich ergeben. Morgen nehme ich den Bus nach Santiago de Compostela und übermorgen fliege ich nach Hause.

Fuenteroble - Guijuello - Salamanca

14. Mai 2010

Nach einer zweiten Nacht in Fuenteroble de Salvatierra fühle ich mich fit genug, um gemeinsam mit Veronika und Klaus die 6 Kilometer in das benachbarte Städtchen - Guijuelleo - zu laufen.
Die Temperaturen sind recht kühl und die sechs Kilometer sind nicht weit, aber angeschlagen wie ich bin, sind sie recht anstrengend - dabei geht es nur über eine ebene kleine Straße. Den Busbahnhof in Guijuello finden wir auch relativ schnell. Klaus ist mit einem Stadtplan ausgerüstet und ich laufe ihm einfach hinterher.
Am Busbahnhof warten wir in der dazugehörigen verrauchten Bar auf die Abfahrtszeit unseres Busses.
Der Bus fährt uns in einer dreiviertel Stunde nach Salamanca. Schon von weitem sieht man die Kulisse der Altstadt und ich bin traurig, diese beiden Wegetappen nicht gegangen zu sein, aber es hätte nicht geklappt, ich bin viel zu schlapp.
Klaus führt uns auf einem Umweg vom Busbahnhof durch die Altstadt zur Herberge. Er ist so stolz uns die Stadt zu zeigen, die er schon kennt, aber mich interessiert das gerade herzlich wenig, ich möchte nur ein Bett in der Herberge und mich hin legen.
Als wir die Altstadt durchqueren scheinen wir eine Touristenattraktion zu sein. Einige Asiaten beklatschen uns und machen Fotos von uns. Ausgerechnet heute, wo wir keinen Meter zu Fuß gelaufen sind!
Die Herberge hat noch geschlossen. Vor der Herberge stelle ich meinen Rucksack ab und setze mich auf ihn. Der Steinboden ist viel zu kalt zum Sitzen und so mache ich es mir auf meinem Gepäck bequem. Wir sind die ersten Pilger des Tages, aber geöffnet wird erst um 12 Uhr und dann auch nur für eine Stunde.
Um 12 Uhr kann ich einchecken, meinen Rucksack abstellen und ein Bett belegen, aber duschen etc. ist um diese Uhrzeit verboten. Um 13 Uhr müssen wir alle für drei Stunden die Herberge wieder verlassen. Ich setze mich in ein Kaffee und warte darauf dass es Nachmittag wird. Zusammen mit Franz trinke ich einen Kaffee - Danke für die Einladung - und begebe mich dann zur Herberge zurück.
Ich ziehe mich um, wasche meine Wäsche, dusche und setze mich in den schönen großen Eingangsraum und trinke einen heißen Tee.
Ich merke wie das Fieber immer höher steigt und irgendwann kann ich nicht mehr.
Ich lege mich mit allen Klamotten in meinen Schlafsack, Wolldecke drüber und friere bei einem ordentlichen Schüttelfrost.
Neil der weiß, dass ich nicht fit bin, schaut nach mir und kommt kurze Zeit später mit den beiden Hospitalieras wieder.
Ich bin inzwischen so weit, dass ich einsehe, dass ich einen Arzt brauche. Die Hospitaliera sagt mir, dass sie für mich einen Arzt anrufen wird. Dass sie die Ambulanz anruft, weiß ich nicht. Kurze Zeit später fährt eine Ambulanz mit Blaulicht, aber glücklicher Weise ohne Martinshorn vor die Herberge und vier Sanitäter kommen zu mir. Obwohl mir so kalt ist, habe ich über 39 Grad Fieber und ich fahre mit den Sanitätern gemeinsam für eine Untersuchung in´s Krankenhaus. Die deutsche Hospitaliera fährt mit und ich bin froh darüber. Sie kann für mich dolmetschen.
Die Sache mit dem Krankenwagen ist mir sehr peinlich, aber ich kann es nicht ändern. Nach der kurzen Untersuchung im Krankenhaus, die mir nichts bringt - ich weiß, dass ich eine Grippe habe - darf ich wieder nach Hause. Temperatur und Blutdruck wurden kontrolliert, ein Blick in den Hals und das war es. Die Empfehlung: Paracetamol gegen das Fieber. Dass ich das schon seit 2 Tagen genommen habe, spielt keine Rolle.
Zurück in der Herberge lege ich mich in mein Bett und versuche zu schlafen. Alle sind total lieb und die Buschtrommeln haben die Neuigkeit auch zu Alois weiter getragen. Ich liege im Bett und jetzt ist mir sehr heiß. Ich decke meinen Schlafsack auf und meine lieben Mitpilger werfen noch Wolldecken auf mich oder schlagen meinen Schlafsack wieder zu. Alle wollen helfen. Es ist nicht schön, in der Fremde krank zu sein, aber es ist überwältigend die Hilfe und Anteilnahme der Mitpilger zu erfahren.

Fuenteroble de Salvatierra

13. Mai 2010
Ein Pausentag

In der Nacht werde ich immer wieder wach und ich weiß - auch ohne Fieberthermometer - dass ich Fieber habe. Als die allgemeine Aufbruchstimmung einsetzt stehe ich nur kurz auf, um die Hospitalieros um eine zweite Übernachtung zu bitten. Natürlich ist es kein Problem. Ich bin krank und selbstverständlich darf ich bleiben. Ich frühstücke mit meinen lieben Pilgerfreunden und verabschiede mich von ihnen. Ich hoffe, morgen weiterlaufen zu können. Vielleicht treffe ich sie in Salamanca noch einmal wieder, denn viele wollen in Salamanca einen Pausentag einlegen um die schöne Stadt zu besichtigen.
Nach dem Frühstück liege ich ganz alleine in dem Schlafsaal und kann meine Tränen nicht zurück halten. Jetzt bin ich kurz vor meinem Ziel und fühle mich richtig schlecht.


Alle Hospitalieros sind total lieb zu mir. Mir wird Tee und heiße Zitrone an´s Bett gebracht, zusätzliche Decken werden auf mich gelegt und obwohl noch kein Pilger erwartet wird, wird zu diesen morgendlichen Stunden der Holzofen geheizt, der über Nacht ausgegangen ist. Mittags werde ich bei Don Blas zum Mittagessen eingeladen. Er setzt mich direkt vor den heißen Kamin, aber die Hitze ist auch nichts für meinen Kreislauf. Ab Mittag kommen die ersten Pilger des heutigen Tages an, auch Klaus und Veronika sind dabei. Inzwischen fühle ich mich etwas besser, wenn auch schlapp und beschließe morgen mit Klaus und Veronika nach Guijuello zu laufen um von dort in den Bus nach Salamanca zu steigen.
Die Gesundheit steht an erster Stelle. Das ist immer Punkt 1 für mich auf der Pilgerreise. Gestern war ich schon unvernünftig genug und bin 33 Kilometer gelaufen, obwohl es mir nicht gut ging.
Guijuello liegt nicht auf der Via Plata, sondern 6 Kilometer abseits. Aber Fuenteroble ist so klein, dass hier nur einmal wöchentlich ein Bus hält. Guijuello ist etwas größer und hat einen Busbahnhof.
Wenn ich dann morgen in Salamanca bin, bin ich wieder in meinem Zeitplan und treffe alle anderen Pilger wieder, die zu Fuß morgen in Salamanca eintreffen müssten.

Banos de Montemayor - Fuenteroble de Salvatierra


12. Mai 2010
Mein 19. Wandertag

Ich habe furchtbar schlecht geschlafen. Mein Hals kratzt und ich habe das Gefühl, dass die Lunge zu läuft. Da ich so entsetzlich gefroren habe, habe ich mitten in der Nacht meinen Pullover zusätzlich angezogen. Ich fühle mich überhaupt nicht wohl, aber ich kann es mir auch nicht vorstellen, alleine in Banos de Montemayor zurück zu bleiben.
Mit Aloys und Kelly mache ich mich morgens um 7 Uhr gemeinsam auf den Weg. Es geht aufwärts, hinauf in die Berge. Es ist kalt, grau, nebelig und zeitweise regnet es.
Kurz hinter Banos de Montemayor überschreite ich die Grenze nach Kastilien und Leon.

 

Immer wieder fängt es an zu regnen und so ziehe ich das dritte Mal auf dieser Reise meinen Regenponcho an. Ich spüre, dass ich nicht fit bin. Mit Poncho ist es zu warm, ohne zu nass und zu kalt. Und dennoch laufe ich mit meinen beiden Pilgerfreunden weiter.


Nach einigen Kilometern kommt ein kleines Dorf - Calzada de Bejar. Im Dorf scheint es keine Bar zu geben und wir haben noch nicht gefrühstückt. Aus einem Haus am Wegesrand erschallt ein Ruf.
Iris steht im Hauseingang der Herberge und ruft uns zum Frühstück herein. Auch sie ist heute Morgen in Banos de Montemayor gestartet. Die Herberge ist sehr schön und ich hätte kein Problem zu bleiben, aber es ist erst 9.30 Uhr am Morgen. Da ich mich nicht wohl fühle, kann ich mir durchaus vorstellen, hier zu bleiben, aber nach dem Frühstück fühle ich mich wieder besser. In der Herberge prasselt ein Kaminfeuer und wir sitzen frühstückend um das Feuer und die Hospitaliera versorgt uns liebevoll mit allem was wir möchten. Da mein langärmeliges T-Shirt gestern bei den kalten Temperaturen nach der Wäsche nicht mehr getrocknet ist, hänge ich es vor den Kamin und nach kurzer Zeit kann ich es warm und trocken anziehen - was bei den heutigen Temperaturen auch notwendig ist.
Alois weiß, dass ich mich nicht wohl fühle, dabei versuche ich es zu verstecken - aber er hat mich gut genug kennen gelernt in den fast drei Wochen. Während des Frühstückes sagt Alois mir, dass er mich nicht ohne Unterkunft nach Santiago fahren lässt. Da mein Bus von Salamanca erst abends in Santiago ankommt, hat er Sorge, dass ich aufgrund des heiligen Jahres zu später Stunde kein Bett mehr bekomme.
In seinem Handy hat er einige Telefonnummern gespeichert und so ruft er für mich im neben der Kathedrale gelegenen Kloster San Martin an und reserviert mir ein Bett. Lieber Alois, Danke für alles was du für mich tust!!!
Gestärkt und mich besser fühlend begeben wir uns wieder auf den Weg. Das Wasser steht teilweise recht hoch in den Wiesen und meine Schuhe zeigen mal wieder, dass sie keine Goretex-Membran haben.

 
 

Bei dem nass-kalten Wetter bin ich froh, dass die Bäche heute auf großen Steinblöcken zu durchqueren sind und ich nicht barfuss ohne Hose hindurch waten muss. Immer wieder ziehe ich mich an und aus, das Laufen fällt mir zunehmend schwerer und ich merke, dass ich krank werde. Aber ob ich nun umdrehe oder zur nächsten Herberge weiter laufe, tut sich kilometermäßig nichts mehr. Also laufe ich weiter. Ich habe das Gefühl, dass Alois und Kelly meinetwegen etwas langsamer laufen und ich bin froh nicht alleine zu sein. Ich habe doch heute morgen schon gespürt, dass ich mich nicht wohl fühle. Warum tue ich mich immer so schwer, auf meine innere Stimme zu hören? Ich kann mir bislang noch nicht vorstellen, dass ich zwei Tage vor meinem Ziel - Salamanca - aufgeben muss und hoffe darauf, dass morgen alles wieder in Ordnung ist - aber eigentlich kenne ich mich viel zu gut und weiß, dass es keinen Sinn macht krank durch die Gegend zu laufen.




 
In Valverde de Valdelacasa überrascht uns der nächste große Regenguss und so nutzen wir die Gelegenheit in der Dorfbar den Regen auszusitzen. Bei einem Kaffee wärmen wir uns wieder auf. In dieser kleinen Dorfbar muss sich jeder durchlaufende Pilger in ein Buch eintragen und stolz zeigt uns der Barbetreiber, wie viele Pilger er schon bewirtet hat.
Die Tür der Bar öffnet sich und ein Fahrradpilger tritt herein. Er hört, dass ich Anne heiße, und spricht mich darauf an, ob ich eventuell die Anne aus dem Pilgerforum bin, die zur Zeit auf der Via unterwegs ist. Ich muss lachen. Ja, das bin ich! Franz und ich hatten im Pilgerforum im Internet voneinander gelesen. Die Welt ist so klein und das Internet macht durchsichtig. Vor meinem Start habe ich in der Liste der Pilger 2010 nachgeschaut, ob jemand zeitgleich mit mir startet. Aber auf nach mir startende Fahrradpilger habe ich nicht geachtet, auch wenn diese mich zwangsläufig in der Zeit überholen werden. Ich bin bisher auch noch nie auf die Idee gekommen zu fragen, ob jemand im Pilgerforum gewesen ist.
Wir müssen lachen und als der Regen aufhört laufen Aloys, Kelly und ich weiter und Franz macht ein Foto von uns dreien.



Die letzten 8 Kilometer bis Fuenteroble de Salvatierra ziehen sich ganz schön in die Länge, ich möchte für heute nur noch ankommen. Und irgendwann - es kommt mir wie eine Ewigkeit vor - sehe ich Fuenteroble de Salvatierra etwas unterhalb vor uns liegen. Ich bin nur erleichtert, ich habe es geschafft.
Fuenteroble de Salvatierra ist ein "Muss" für jeden Pilger auf der Via de la Plata.
Don Blas nimmt auf seinen Pilgerreisen immer einen Farbtopf mit und malt die gelben Wegweiser auf den Weg. Die Herberge ist groß und hat viele Betten, aber es gibt keine Heizung. Ein einziger Schlafsaal hat einen Holzofen, alle anderen Räume bleiben kalt. Ich bekomme zum Glück ein Bett im Holzofenzimmer. Iris ist schon da, Kelly und Alois übernachten hier auch. Neil, Christian, Antonio und Germain - alles sind wieder beisammen. Eigentlich will Alois nicht in der Herberge schlafen, da es keine Bettwäsche und Handtücher gibt, aber er bekommt keine andere Unterkunft und so bleibt er. Jedes Bett hat eine Wolldecke und so hat er etwas zum zudecken.
Im Büro von Don Blas brennt ein Kaminfeuer und wir dürfen uns in diesem Raum aufhalten. Es gibt mehrere nette Hospitalieros und sie versorgen uns mit den Überresten vom Mittagessen. Sie haben so viel für die Herbergseltern und den Pater gekocht, dass noch etliche mit dem Mittagessen versorgt werden.
Inzwischen ist meine Stimme ganz verschwunden - meine Hoffnung morgen weiter zu laufen schwindet zunehmend, und dennoch studiere ich die Etappe für den nächsten Tag.
Der Abend klingt mit einer schönen Pilgermesse, in einer sehr kalten Kirche aus.
Hätte mir heute morgen jemand gesagt, dass ich heute 33 Kilometer laufe, ich hätte es nicht geglaubt.

Oliva de Plascencia - Aldanueva del Camino + Banos de Montemayor

11. Mai 2010
Mein 18. Wandertag

Ich habe hervorragend geschlafen. Zeitweise wurde ich kurz wach, von den quietschenden Holzbalken der urigen Albergue.
Das Frühstück steht heute wieder zur Selbstversorgung bereit. Die Hospitaliera kommt am frühen morgen nicht und so stellt der erste Aufsteher des Tages schon einmal die Kaffeemaschine an. Als wir die Packung mit dem Toastbrot öffnen müssen wir feststellen, dass es verschimmelt ist. Das Brot lebt und ist nicht zu essen. So bleibt uns nur die Möglichkeit Kaffee zu trinken. Einige wenige Muffins finden wir im Küchenschrank, aber sonst nichts. Leider gibt es in Oliva de Plascencia keinen Supermarkt und keine früh öffnende Bar und so laufe ich um 6.45 Uhr Richtung Arco de Caparra los.
Zurück zum Weg sind es ca. 5 Kilometer, aber nicht über die Schnellstraße, sondern über eine schöne Piste.
 



Heute werde ich das Wahrzeichen der Extremdadura, den Arco de Caparra, durchschreiten. Seit dem ersten Meter in der Extremadura begleitet dieser römische Triumphbogen mich auf den steinernen Wegweisern.
Der Sonnenaufgang ist wieder wunderschön. Gold-orange leuchtet der Himmel, bevor die Sonne über die Berge schaut. Die Berge kommen immer näher und werden größer und höher.
Ich werde von einem Auto überholt und einige meiner Mitpilger düsen an mir vorbei. Sie lassen sich zum Arco de Caparra fahren und laufen von dort aus weiter. Auf der Via wird das Abkürzen einiger Etappen viel lockerer gesehen, als auf dem Camino. Der Weg führt viel seltener über Straßen, aber wenn, läuft keiner sie gerne. Und so wird zeitweise der Bus, das Taxi oder wie wir gestern - der Autostop - zum Umgehen der Straßen genutzt.
Da mich der Zubringer zum Camino über eine schöne Piste führt, und ich es liebe im Sonnenaufgang zu laufen, war es für mich heute morgen keine Option mich bringen zu lassen.
Der Weg führt durch riesige Stierzuchtweiden, aber die edlen Tiere befinden sich hinter starken Zäunen jenseits des Weges. Einige wenige Stiere sind sehr neugierig und gucken interessiert über den Zaun.


Rechts und links des Weges liegen mehrere Seen und in der noch kalten Luft dampft das warme Wasser.
Wenige Meter bevor ich den Arco de Caparra erreiche, sehe ich ihn erstmals. Dieser Triumphbogen steht einsam und alleine mitten in der Landschaft. Ein römischer Meilenstein ist noch zu sehen. Weiter Ausgrabungen werden vorgenommen, Grundrisse von Häusern etc, sind zu sehen, aber leider eingerüstet.
Schade, dass meine Mitpilger die mit dem Auto hier her gefahren sind, nicht mehr hier sind. Über ein Erinnerungsfoto mit ihnen am Triumphbogen hätte ich mich gefreut.




So laufe ich weiter durch feuchte Wiesen und Weiden. Etliche Wasserläufe sind heute wieder zu durch- und überqueren, aber sie stellen kein Hindernis dar. In den meisten Bächen liegen Steine, so dass ich problemlos auf den Steinen das Wasser überqueren kann. Die vielen Pilger, die diesen Weg schon gelaufen sind, haben dafür gesorgt, dass die Bäche meist kein Problem darstellen. Es kann kein Zufall sein, dass immer da wo der Weg den Wasserlauf kreuzt, Steine, zum Teil wirklich große, im Wasser liegen.
Die Berge kommen unaufhaltsam näher. Von der Piste werde ich wieder auf eine Straße geführt, die scheinbar endlos geradeaus führt - immer Richtung Berge. In der Wiese neben der Straße ist ein Trampelpfad, aber die Wiesen stehen so unter Wasser, dass man dort fast nicht laufen kann. Jos und Boy haben mich eingeholt und laufen immer in Sichtweite zu mir.


 
Boy liest immer wieder in seinem niederländischen Reiseführer und sagt, dass wir jeden Moment am Etappenziel sind. Nach meinem Reiseführer haben wir, im Höchstfall, die Hälfte der heutigen Strecke geschafft. Aber egal, wo wir auf der Wanderkarte auch sind, solange kein Ort erreicht ist, sind wir nicht da und wir laufen weiter.
Warum habe ich gestern nur meine letzte Banane verschenkt. Neil, der Südafrikaner wird immer unleidlich, wenn er Hunger hat. Großzügig habe ich ihm mein leztes Stück Obst geschenkt. Hätte ich gewußt, dass ich heute kein Frühstück bekomme, obwohl es geplant war, hätte ich sie nicht abgegeben. Aber es bringt nichts, der Banane hinterher zu weinen. Neil hat es gut geschmeckt und ich muß die fast 30 Kilometer nüchtern hinter mich bringen. Vor Aldanueva del Camino kommt keine Ortschaft.
Am Wegesrand kann ich einen Storch mit seinen Jungtieren beobachten. Es gibt hier in der Extremadura so viele von diesen schönen Vögeln.


Der Weg führt durch einen größeren Bach, da aber eine Brücke in der Nähe ist, laufe ich den kleinen Umweg und überquere so das Gewässer.
Im Augenblick bin ich echt geschafft und kaputt und frage mich das erste Mal seit 18 Tagen, was ich hier gerade mache. Wozu quäle ich mich so? Nie ist mir der Gedanke bisher auf der Via gekommen. Auch wenn es zeitweise lange Etappen waren und mir meine Knochen gut weh getan haben, habe ich diese Frage nie gestellt. Heute kommt sie mir in den Kopf. Ich möchte endlich im Ort sein!
Antonio und Germain überholen mich und wie Jos und Boy bleiben sie ständig in Sichtweite.
Der Weg führt hinauf in die Berge. Am Bergrand kann ich zwei Dörfer liegen sehen und frage mich, welches davon das Tagesziel ist. Aber keines der beiden Dörfer scheint Aldanueva zu sein. Bevor wir die Orte erreichen biegt der Weg in eine andere Richtung ab. Die Landschaft ist wunderschön, aber ich bin kaputt und kann nicht mehr. Ich kann den schönen Rundblick nicht so genießen wie ich es eigentlich möchte.



Noch wenige Kilometer und wir sind in Aldanueva del Camino. An der Herberge laufen wir vorbei, schauen aber kurz hinein. Da der Weg morgen von Aldanueva del Camino nach Banos de Montemayor 10 Kilometer auf der Schnellstraße verläuft, haben wir uns alle entschlossen, den Bus um 16 Uhr nach Banos de Montemayor zu nehmen. Alleine wäre ich nicht auf die Idee gekommen den Bus zu nehmen, aber da alle lieben Pilgerfreunde den Bus nehmen, werde ich nachher mitfahren. Es sind nur noch drei Tagesetappen bis Salamanca, und auf meinen letzten Kilometern möchte ich meine Freunde nicht mehr hergeben.
Iris und Kelly sitzen schon in der Sonne auf der Plaza. Neben der Plaza gibt es einen kleinen Laden und auch ich begebe mich als erstes dort hin. Nach fast 30 Kilometern nüchtern, endlich Frühstücken oder eigentlich Mittag essen. Mit einem Stück Baguette, Joghurt, Obst, Thunfisch und etwas Schokolade fülle ich meinem Rucksack wieder auf. Ich bin so hungrig und kaputt - ich kann für heute nicht mehr.
Gestärkt geht es mir bald besser. Wir lassen unsere Rucksäcke auf er Plaza zurück und wandern zur nächsten Bar. Neil ist inzwischen auch angekommen und so sitzen wir Kaffee trinkend in netter Runde zusammen und warten auf die Abfahrtszeit vom Bus.


 

Alois, den ich seit Tagen nicht mehr gesehen habe, hat sich per sms gemeldet. Er ist in Banos de Montemayor und so werde ich ihn nachher wieder treffen. Die Hospitaliera von Oliva de Plascencia erzählte, dass die Herberge von Banos de Montemayor geschlossen ist (die Aussage hat sich als falsch erwiesen) und so reserviert Alois mir ein Bett in seiner Unterkunft und holt mich am Bus ab.

Grimaldo - Galisteo - Oliva de Plascencia

9. Mai 2011
Mein 16. Wandertag

Der erste Blick nach dem Aufstehen, noch bevor ich in´s Bad gehe, ist der Blick auf die Straße. Die Straße ist noch feucht, aber es ist zur Zeit trocken. Gut gelaunt, bereite ich alles für den Aufbruch zur heutigen Etappe vor. Die Besitzerin der Bar hält Wort und öffnet, obwohl es Sonntag ist, für uns gegen 7 Uhr die Bar. Auf der Etappe bis Galisteo liegt kein Dorf, alle Vorräte haben wir gestern gemeinschaftlich aufgegessen, und so ist es gut, dass wir ein Frühstück bekommen.
Lange halte ich mich nicht in der Bar auf. Ich traue den Wolken draußen nicht, und möchte während der trockenen Phase schon möglichst weit kommen. Ich bin mir sicher, heute werde ich nass, heute kann ich dem Regen nicht entkommen. Der Blick nach rechts läßt nichts Gutes hoffen, der Blick nach links sieht etwas freundlicher aus, aber auch nur etwas. An den Bergen hängen die Wolken fest.



Der Weg schlängelt sich auf einem fußbreiten Weg durch die nassen Wiesen. Schon nach kurzer Zeit spüre ich , dass meine Lederschuhe dem Wasser nicht Stand halten können. Sie sind gut gewachst und imprägniert, aber die feuchten Wiesen, bringen die Schuhe an ihre Grenzen. So bequem meine Schuhe auch sind, in diesem Moment wünsche ich mir meine abgelaufenen Gortetex-Wanderschuhe zurück.
Aber Jammern bringt nichts, es muß weitergehen.

 


 
Der Weg schlängelt sich einen Berg hinauf, in der Nähe höre ich die Glocken einer Schafherde und ich erschrecke mich zu Tode, als plötzlich im hohen Bogen vier riesige Hunde über die Mauer die Schafherde verlassen und mich wild anknurren und bellen. Ich bin total erschrocken und kann nur hoffen, dass nichts passiert. Schon lange habe ich niemanden mehr getroffen. Ich weiß, dass Antonio und Germain irgendwo hinter mir sind, aber dass hilft mir nicht im Geringsten etwas. Da ich keine Zeit mehr habe einen Stein aufzuheben, nehme ich damit ich mich sicherer fühle schon einmal meine Trillerpfeife in den Mund. Die Hunde bellen und knurren, lassen mich dann aber in Ruhe und rennen auf die Schafweide zurück.
Müsst ihr mir denn immer so einen Schreck einjagen?
Im Tal vor mir sehe ich einen etwas größeren Fluss. Ich gehe fest davon aus, dass sich irgendwo auf dem nächsten Kilometer eine Brücke zeigen wird, aber ich warte und warte... Es geht merklich abwärts, aber eine Brücke scheint es nicht zu geben.




 
Wie nicht anders zu erwarten, stehe ich kurze Zeit später vor dem Fluss. Da es kurz vor der Überquerungsstelle ein Stauwehr gegeben hat, ist der Fluss an der zu passierenden Stelle nicht ganz so groß wie zuvor, aber das Wasser steht mindestens bis zur Hüfte. Links scheint eine Steinmauer durch das Wasser zu führen, aber auch diese ist überschwemmt.


Ich ziehe meine Schuhe, Strümpfe und Hose aus und versuche über die unter Wasser liegende Steinmauer zu balancieren. Ich habe immer das Gefühl, dass mein Gleichgewichtssinn total schlecht ist, vielleicht ist es auch nur die "Angst" mit Rucksack und allem was ich dabei habe schwimmen zu gehen. Das Wasser ist eiskalt, aber ich schaffe es den Fluss zu überqueren. Hinter mir stehen Antonio und Germain an der anderen Flussseite und schauen sich an, wie ich unsicher über die Steine balanciere. Sie sind wesentlich schneller als ich beim Überqueren und überholen mich lachend, derweil ich mich abtrockne und wieder anziehe.
Obwohl das Wasser eiskalt war, fühlen sich meine Füße glühend heiß an. Noch hat es bis auf wenige Tropfen nicht geregnet. Übe die Hälfte des Weges der heutigen Etappe habe ich schon trocken geschafft.
Hinter dem Fluss überquere ich eine Straße, folge ihr kurz und biege wieder in die nächste Piste nach links ab. Der Weg führt an Kuhweiden entlang und ist mehr als matschig. Wesentlich matschiger, als auf den schmalen Feld- und Wiesenwegen. Bei jedem Schritt quatscht es unter den Stiefeln und das Laufen wird anstrengend, da der Weg auch leicht bergauf führt. Ich habe das Gefühl bei jedem Schritt, zurück zu rutschen.



Kurz bevor ich Galisteo erreiche, erwischt mich der Regen doch noch. Der Himmel öffnet seine Schleusen und es schüttet. Ich versuche mein Tempo etwas zu beschleunigen, aber obwohl ich Galisteo schon einmal erblicken konnte, führt der Weg im Halbkreis um die Stadt herum, bevor ich mein Ziel erreiche.
Galisteo ist komplett von einer Stadtmauer, die aus Flusssteinen gebaut wurde, umgeben. Ich laufe außerhalb der Stadtmauer an ihr vorbei und erreiche so die Herberge. Christian, Germain und Antonio sind direkt in die nächste Bar gegangen, ich möchte erst zur Herberge.
Die Herberge liegt am Stadtrand, kurz bevor der Weg die Stadt wieder verlässt. Zur Abwechslung gibt es keine Etagenbetten. Alles einzelne Betten die auf mehrere Zimmer verteilt sind. Neal, den ich seit Caceres nicht mehr gesehen habe, ist auch da. Mit Iris gehe ich gemeinsam in die Bar um eine Kleinigkeit zu essen. Abendessen gibt es in der Wohnung der Herbergsmutter. Sie kocht für uns. Da heute Sonntag ist, hat kein Geschäft geöffnet.
Nach einer Tortilla mit Salat gehen wir wieder zur Herberge. Es hat wieder aufgehört zu regnen und einige Sonnenstrahlen zeigen sich. Da die Kleidung verschlammt und dreckig ist, muss ich waschen. Ich hoffe, dass alles bis morgen trocknet. Es gibt keinen Herbergsgarten und so stellen Iris und ich die Wäscheständer vor die Herberge mitten auf die Straße und setzen uns daneben. Mit der wandernden Sonne tragen wir Wäscheständer und Schuhe weiter. An der Herberge gibt es 7 Katzen und einen kleinen lustigen Hund. Ich habe viel Spaß damit. Da wir neben dem Wäscheständer mitten auf der Straße sitzen, gesellen sich die Katzen hinzu und wollen spielen und die Sonne genießen.


Noch eine allein reisend junge Schweizerin kommt hinzu. Der Satz von Eberhard, dass die Via ein "Männerweg" sei, amüsiert mich. Die Männer sind in dieser Herberge eindeutig in der Minderheit. Aber diese Äußerung habe ich von keinem anderen Mann zu hören bekommen. Wir ergänzen und helfen uns gegenseitig, genau wie auf dem Camino. Die Etappen sind härter, da sie durch die Städte und Dörfer vorgegeben sind, aber die Via ist genau so gut für Frauen zu schaffen, wie für Männer. Jeder kann Beschwerden und Probleme bekommen, das Geschlecht spielt dabei keine Rolle.
Gegen Abend sehe ich mir noch die Stadtmauer und die aus der Stadt herausführende Römerbrücke an.
Die Stufen zur Stadtmauer sind steil, uneben und sehr hoch - natürlich gibt es kein Treppengeländer.
In Deutschland wäre so etwas baupolizeilich verboten, aber hier ist es erlaubt. Ich klettere die Stufen der Mauer hoch und frage mich schon beim hinaufsteigen, wie ich dort wieder hinunter kommen soll. Der Blick über das Land ist schön.







- der Abstieg weniger. Ich setzte mich ganz stumpf auf die Stufen und rutsche sitzend wieder zur Straße runter. Kelly und Joell lachen sich schlapp, aber mir ist es so sicherer.


Die römische Brücke ist mal wieder ein wunderschönes Bauwerk, aber sonst gibt es in Galisteo nicht viel zu sehen. Der Abend klingt mit einem netten Abendessen bei der Hospitaliera aus. Sie hat wirklich lecker gekocht und versucht uns zu verwöhnen.


10. Mai 2010
Mein 17. Wandertag
 
Nach einer ruhigen Nacht, trotz laut quietschender Betten, schaue ich als erstes zur Haustür hinaus. Wie ist das Wetter? Ist es bewölkt, trocken oder vielleicht sonnig? Die tief hängenden Regenwolken vom Vortag haben sich verzogen, so wie es abends schon zu erkennen war. Ein weiterer schöner Tag steht bevor.
Auf dem Weg aus Galisteo heraus, liegt keine Bar. Die Herberge liegt direkt am Stadtrand. Da schon in 5 Kilometern die nächste Ortschaft zu erwarten ist, starte ich direkt auf den Weg. Vor mir in Sichtweite läuft Iris. Der Himmel leuchtet mal wieder in allen Orangetönen und die Sonne zeigt wieder ihr Wunderwerk Sonnenaufgang.
 


Beim Verlassen des Städtchens müssen wir etwas nach dem Weg suchen und ich frage meinen Reiseführer um Rat. Aufgrund des Straßenbaus ist der Weg nicht eindeutig zu erkennen oder entspricht nicht der Beschreibung im Reiseführer, aber es gibt nur einen möglichen Weg und das nächste Dorf ist auf den Straßenschildern ausgeschildert. Ich folge der Landstraße und laufe 5 lange ereignislose Kilometer auf dem Seitenstreifen. Warum stören mich auf der Via Plata die Straßenkilometer so viel mehr als auf dem Camino? Auf den vielen inzwischen zurückgelegten Kilometern bin ich im Ganzen viel, viel weniger auf Straßen gelaufen als auf dem Camino und trotzdem stören mich die Straßen hier viel mehr. Vielleicht liegt es daran, dass die Straßenkilometer wirklich die Ausnahme sind. Die Straßen sind ungefährlich, klein und wenig befahren und dennoch mag ich das Betonlaufen nicht.
Nach fünf ereignislosen Kilometern auf der Straße erreichen Iris und ich das erste Dorf. Wir suchen nach einer Bar, aber in diesem Straßendorf scheint es keine Bar zu geben und so bleibt uns nichts andres, als unseren Weg fort zusetzten. Es sind noch 5 Kilometer bis Carcaboso, einer etwas größeren Stadt. Groß nicht im wirklichen Sinn, aber größer als etliche kleine Dörfer am Straßenrand. Am Wegesrand stehen blühende Pappeln, die Samen fliegen weiß wie Schnee durch die Gegend. Auf dem Camino habe ich vor zwei Jahren unglücklicher Weise einen winzigen Pappelsamen eingeatmet. Ich habe nach Luft gerungen, gehustet und gehustet und bekam kaum Luft. Froh bin ich, als ich den Pappelweg problemlos gemeistert habe.
Nach insgesamt 10 Kilometern erreichen wir Carcaboso und steuern eine kleine Hotelbar an. Hier genießen wir unser Frühstück. Nach dem Frühstück trennen Iris und ich uns. Iris läuft direkt weiter, ich gehe erst noch zum Supermarkt Wasser kaufen. Auf den nächsten 20 Kilometern ist kein Brunnen und ich benötige dringend Wasser. 3 Liter habe ich täglich dabei. Auf Grund der sommerlich warmen Temperaturen komme ich nicht mit weniger hin und es gibt nur die 0,5 oder die 1,5 Liter Flaschen.
Hinter Carcaboso geht der Weg wieder in eine Piste über, hinaus auf das Land. Es dominieren wieder die Farben grün und blau.

 




Der Weg führt durch feuchte Wiesen, aber meine frisch gewachsten Schuhe scheinen das Wasser abhalten zu können. Die Schuhe fühlten sich heute Morgen kalt und nicht komplett von innen getrocknet an, aber jetzt spüre ich die Kälte, die der Schuh morgens beim Anziehen abgegeben hat, nicht mehr.
Plötzlich steht wieder ein wild bellender Hund vor mir. Routiniert gehe ich an ihm vorbei. Wo die Hunde immer so plötzlich herkommen, frage ich mich. Aber das ist ein Geheimnis des Weges. Pilger und große Tiere stehen plötzlich und unerwartet vor mir. Ich sehe sie nie kommen, aber plötzlich sind sie da.
Die Sonne steigt immer höher und es ist wieder ein herrlicher Weg.




 
Auf schmalen Trampelpfaden zieht sich der Weg durch baumbewachsene Wiesen.
Auf diesen schmalen Wegen werde ich wieder von Radpilgern überholt. Auch die Radpilger tauchen wie aus dem Nichts aus. Um nicht zu erschrecken, mögen sie nicht klingeln und so hört man nur einen Moment vor dem Überholmanöver die Erde unter den Reifen knirschen und sie schießen an mir vorbei. Mir wäre das frühzeitige Klingeln lieber, dann könnte ich noch zur Seite ausweichen, aber so kommen sie häufig sehr plötzlich.




Auf einem Stein in der Sonne an einem Wasserlauf sitzend treffe ich Iris wieder. Da in einigen Metern Stiere auf dem Weg stehen, mag sie nicht alleine weiterlaufen. Ich setze mich eine Weile zu ihr und genieße die kurze Pause und dann gehen wir gemeinsam weiter. Die Tiere auf dem Weg sind wirklich imposant, außerdem sind in der Herde etliche Jungtiere. Einen Moment überlegen wir, ggf. über die Mauer am Wegesrand zu klettern um auf der Gegenseite der Mauer die Herde zu umgehen, aber auch dort steht eine genauso riesige Kuhherde. Es bleibt nichts über als mutig weiter zu gehen. Wir umgehen die Herde so gut als möglich, aber weit ausweichen können wir nicht, da der Platz durch eine angrenzende Mauer begrenzt ist.
Erfolgreich durchschreiten wir auch diese Herde und setzen den Weg gemeinsam fort.



In der Ferne liegen Berge und es werden immer mehr, teilweise ist Schnee auf ihnen zu sehen. Es sind die ersten Anzeichen, dass wir uns dem kastilischem Scheidegebirge nähern. Dieses Gebirge ist die Wetterscheide in Spanien. Südlich herrscht wärmeres Wetter, nördlich kühlere Temperaturen.
Irgendwo zwischen den Bergen wird sich eine Lücke nach Salamanca auftun, aber der Weg wird Richtung Salamanca in die Höhe führen.
Hinter einer blumenbewachsenen Wiese kreuzt unser Weg eine viel befahrene Schnellstraße. Da ich heute schon 25 Kilometer gelaufen bin, und der nächste Ort auf dem direkten Weg weitere 20 Kilometer entfernt ist, mache ich einen Abstecher nach Oliva de Plascencia. Oliva de Plascencia liegt ca. 6 Kilometer abseits vom Weg, aber zwischen Carcaboso und Aldanueva del Camino liegen 41 Kilometer. Viele Pilger unterteilen diese 41 Kilometer und übernachten abseits des Weges in einer Herberge, die als eine der schönsten des Weges beschrieben wird. Die Schnellstraße ist stark befahren und wir wechseln aus Sicherheitsgründen auf die linke Straßenseite. Iris kommt auf die Idee, dass wir die Schnellstraße durch Trampen abkürzen könnten. Ich bin noch nie in meinem Leben getrampt und wäre alleine nicht auf die Idee gekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass - wenn wir von der linken Straßenseite winken - ein Autofahrer anhalten wird.
Da es nur einen schmalen Seitenstreifen gibt, ist ein Anhalten kaum möglich ohne den weiteren Verkehr zu behindern. Wir beschließen die Straße in Angriff zu nehmen und laufen los. An übersichtlichen Stellen mit Haltemöglichkeit machen wir uns bei den Autofahrern bemerkbar. Nach ca. 3 Kilometern auf der Straße hält tatsächlich ein Auto an. Der Autofahrer hat in seinem kleinen Transporter aber nur einen freien Sitz. Weder Iris noch ich mögen alleine in das Auto einsteigen, aber plötzlich bietet er uns an, beide auf dem einen Sitz mitzunehmen. Für nur noch 3 Kilometer lohnt das Ganze eigentlich nicht, finde ich - aber wir steigen ein. Iris sitzt auf meinem Schoß, eine Anschnallmöglichkeit gibt es nicht und nach wenigen Minuten sind wir schon in Oliva de Plascencia. Die Herberge ist noch geschlossen. Da in meinem Reiseführer mehrere Möglichkeiten angegeben werden, um den Schlüssel zu bekommen mache ich mich auf die Suche. Die angegebene Telefonnummer mag ich nicht anrufen. Ich kann ein Bett auf spanisch bestellen, aber die Antwort würde ich am Telefon nicht verstehen.
Die Hospitaliera hat uns selbst bei der Suche entdeckt und begleitet uns zur Albegue. Sie schließt auf und lässt uns herein. Die Herberge ist urig. Holzbalken unter der Decke, Badezimmer unter der Dachschräge, dass man nicht überall aufrecht stehen kann, aber total gemütlich. Neil, Kelly, Klaus und Veronika, Antonio, Germain, Jos und Boy treffen auch nach und nach ein. Man kennt sich und es ist eine nette Runde. Gemeinsam gehen wir in der Bar ein kleines Mittagessen einnehmen. Der Dorfladen hat bereits um 12 Uhr geschlossen und so gibt es auch hier keine Einkaufsmöglichkeit. Abendessen wird von der Hospitaliera zubereitet, das Frühstück wird für morgen früh zur selbständigen Bereitung zurecht gestellt.
Es ist ein netter Nachmittag, das Abendessen ist für den Preis recht einfach und nur lauwarm, aber okay.
Der Abend klingt in netter Runde aus. Als wir schlafen gehen, merkt Neil, dass Wasser aus der Decke in sein Bett tropft. Über seinem Bett befindet sich das Badezimmer. Der große starke Neil, nimmt das ganze Etagenbett, mitsamt Kelly die schon in ihrem Bett schläft und trägt es an eine andere Stelle des Raumes. Wer trägt denn mal eben ein Bett mitsamt Person durch die Gegend? Neil ist immer für Überraschungen gut.