Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Puente la Reina - Estella

2. Mai 2008
Mein 2. Wandertag
Nachdem ich in der ersten Nacht fast überhaupt nicht geschlafen habe, habe ich heute wunderbar geschlafen. Früh bin ich gestern Abend schlafen gegangen, aber die Wanderung hat mich ordentlich müde gemacht und super schlafen lassen.
Wir waren zu neunt in unserem Schlafzimmer und alle Pilger die nach mir in´s Bett gingen haben sich leise in´s Zimmer geschlichen und sich schlafen gelegt. Morgens, lag ich schon wach im Bett - da es gerade erst 6 Uhr war -  und plötzlich, wie von der Tarantel gestochen, stand der erste Mitschläfer auf. Eigentlich kein Problem, aber sofort setzte ein reges Treiben unter allen anderen inzwischen erwachten Zimmerbewohnern ein. Und so bin ich auch aufgestanden.
Ich muß erst einmal lernen, wie es so unter Pilgern zugeht. Die meisten Mitpilger haben einen  Erfahrungsvorsprung von den von mir nicht gelaufenen ersten drei Etappen.
Heute bin ich zu der Waschtechnik meiner Mitpilger übergegangen. Nach dem Aufstehen etwas Wasser in´s Gesicht und an die wichtigsten Körperstellen, Zähneputzen, Rucksack auf - und los.
Rudi und Heike sind wieder zeitgleich aufgebrochen.
Der Morgen ist wieder frisch und kühl, aber man kann sehen, dass es wieder ein schöner Tag wird.





Schnell bin ich aus Puente de la Reina raus. Hinter der Brücke, die aus der Stadt heraus führt, liegt noch eine dritte Pilgerherberge.  Der Sonnenaufgang ist wunderschön und ich genieße ihn. Dem Farbenspiel und die Beleuchtung der umliegenden Hügel und Berge kann ich stundenlang zusehen.
Nach kurzer Zeit treffe ich bei einem ersten Anstieg zwei ältere Damen, ca. 70 Jahre. Sie sind ganz begeistert vom Wandern und schon am Somportpass gestartet und durch den Schnee gelaufen. Ihre Einstellung ist toll und bewundernswert. Sie sagten: "Wir sind erst alt, wenn wir keine Interessen mehr haben und nur noch Fernseh gucken - bis dahin können wir durch die Welt wandern." Ihre Angehörigen wissen, dass sie in Spanien Urlaub machen. Wie sie den Urlaub verbringen haben sie nicht erzählt.
Ich bin nüchtern gestartet, was für mich kein Problem darstellt. Für den Notfall habe ich einige Müsliriegel im Rucksack, aber die sind wirklich für den Notfall. Das erste Dorf das ich durchquere hat nichts zu bieten. Es gibt keine Bar, keinen Bäcker etc. Also laufe ich gut gelaunt weiter. Die Sonne steigt langsam höher und es wird wärmer. Das nächste Dorf kann ich schon sehen, es liegt wunderschön zwischen den Feldern. Es wirkt so friedlich und beschaulich.





Kurz nachdem ich das Dorf betreten habe, liegt hinter einer Kurve ein kleiner Bäcker. Auf den wenigen Stühlen und der kleinen Mauer sitzen gut gelaunte Pilger und frühstücken. Da der Bäcker so klein ist, wird der Rucksack draußen auf der Straße abgesetzt und dort stehengelassen. Der Dorfladen ist klein, aber es gibt alles was das Pilgerherz begehrt. Etwas Brot, Croissants, Obst und einen Kaffee.


Mein Brot essend sitze ich auf der Mauer und es macht Spaß die ankommenden Pilger zu beobachten. So sah ich vor einigen Minuten auch noch aus. Nichtsahnend läuft man um die Kurve und die Pilgeraugen beginnen zu strahlen. Endlich Frühstück nach ca. 8km Wegstrecke.
Gestärkt laufe ich weiter. Ich bin so gut gelaunt, so gelassen und weiß, dass ich gerade genau das mache, was ich mir erträumt habe. Nachdenken tue ich zur Zeit nicht. Vielleicht kommt das noch. Eher habe ich das Gefühl, dass mein Kopf einfach nur leer ist. Ich genieße die Natur. Ich laufe durch frische, grüne Felder, berausche mich an der Natur und freue mich über jede kleine Blume am Wegesrand. Der Mohn beginnt zu blühen, Ginster steht überall gelb-leuchtend am Wegesrand.
Morgens war es recht kühl beim Start, inzwischen ist es schön warm und mein langärmeliges T-Shirt habe ich schon lange ausgezogen, die Sonnencreme habe ich griffbereit in ein oberes Fach des Rucksackes gepackt.
Beim Wandern ergeben sich immer wieder kurze, nette Gespräche mit den Mitpilgern. Einige Gesichter erkenne ich aus der Herberge oder von der vorherigen Etappe wieder.
Ivana habe ich heute noch nicht gesehen. Sie hat in einer anderen Herberge übernachtet. Wir haben uns nicht verabredet. Der Weg wird sich ergeben. Entweder treffen wir uns wieder oder nicht - dann hat es so sollen sein.
Mittags treffe ich schon recht zeitig in Estella ein. In Puente la Reina habe ich einen Hinweis auf eine neue Herberge gelesen und so steuer ich diese an. Rudi und Heike laufen immer in Sichtweite zu mir. Die neue Herberge liegt etwas abseits vom Weg, ist aber leicht zu finden. Der Bauzaun steht noch, die Hofeinfahrt zur Eingangstür ist durch einen Bauwagen versperrt. Zwei Hospitalieras heißen uns herzlich willkommen. Sie sind wirklich lieb. Offiziel haben sie noch nicht geöffnet, erst um 14 Uhr, aber wir dürfen unsere Rucksäcke abstellen und uns ein Bett aussuchen. Dann begebe ich mich in das Städtchen um später wieder zu kommen.
Auch hier herrscht ein reges Treiben in den engen Gassen. Die Spanier sind so voller Leben, so laut und wuselig.
Etliche Kirchen gibt es, aber leider sind die meisten geschlossen. Die wenigen Kirchen die geöffnet sind, sind sehr dunkel. Es gibt kaum Fenster. Das Kirchenlicht wird über einen Münzapparat geregelt. Wirft man 1 Euro in den Münzapparat leuchten einige Lampen für wenige Minuten.
Am Marktplatz erlebe ich noch das Ende einer Messe mit. Auch wenn ich kein Spanisch kann, erkenne ich doch viele Teile der Liturgie wieder. Nach der Messe trinke ich in der Sonne meinen ersten richtigen Caffee con leche.
Beim Zapatero besorge ich Fersenkissen für meine Trekkingsandalen - so sind sie noch bequemer.
Zurück in der Albergue starte ich mal wieder meine Großwäsche. Da die neue Herberge noch nicht über Leinen oder Wäscheständer verfügt hänge ich meine Wäsche einfach an den Bauzaun. Egal ob der staubig ist oder nicht - die Wäsche muß trocknen und der Bauzaun liegt direkt in der Sonne.



Nach einem gemeinsamen Abendessen in der Bar klingt der Tag sehr nett in der Herberge aus. Wir sitzen auf Hockern, Bänken und Behelfsmöbeln vor dem Haus und erzählen. Kochen war leider noch nicht möglích. In der neu eröffneten Herberge gibt es noch kein Geschirr. Ein lustiger Venezianer, Sergio, ist noch dazugestoßen. Ihm macht das Wandern keinen Spaß und damit er weiterläuft, schickt er seinen Rucksack im Taxi voraus und er muß bis dorthin laufen, wo sein Rucksack ist. Lustig ist außerdem noch, dass Sergio Münster kennt, besser gesagt, das Schuhgeschäft "Zum Norde". Er ist ein italienischer Schuhhändler und beliefert dieses Schuhhaus. Und solche Menschen lerne ich mitten in der spanischen Pampa kennen. Die Welt ist so klein. Zwei Pilgerinnen einer schwedischen Wandergruppe schlafen heute nacht ebenfalls in der Herberge. Sie sind ganz dreist mit dem Taxi vorgefahren und haben behauptet, reserviert zu haben - schließlich haben sie den Rucksack mit dem Transport schon zur Herberge voraus geschickt. Betten in Herbergen kann man nicht vorausbuchen, auch die frühe Ankunft eines Rucksackes per Taxi zählt nicht als Ankunft des Pilgers. Die beiden Schwedinnen haben das Bett nur bekommen, weil es noch frei war. Das Taxi wurde scheinbar übersehen.
Bein Ausziehen der Wanderschuhe habe ich festgestellt, dass ich am Fuß überall rote, nicht-juckende Pusteln habe. Sind das Wanzenbisse von denen man immer wieder hört und liest? Wie sehen die aus?
Ich weiß es nicht, und möchte es auch nicht wissen.

Obwohl ich unter Fremden in der Fremde bin, fühl ich mich heimisch.

1 Kommentar:

  1. Danke für deinen Bericht - wirklich wunderschön geschrieben! Ich habe das alles noch vor mir und genieße deine Zeilen sehr, jeden Tag lese ich ein kleines Stück bei dir.

    Alles Liebe!
    Sahiba Kaur

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