Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Sevilla - Guillena

24. April 2010
Mein 1. Wandertag

Heute ist der große Tag gekommen und ich werde die ersten Kilometer der Via Plata laufen.


Die Nacht war durchwachsen. Eigentlich habe ich gut geschlafen, bis auf eine Unterbrechung morgens um 3 Uhr.
Plötzlich, um 3 Uhr morgens, stürmen lautstark drei Frauen mit Koffern in mein Zimmer. Scheinbar hat eine von ihnen das zweite Bett im Zimmer für eine Nacht gemietet. Sämtliche Lampen im Zimmer werden angestellt und die Damen beginnen sich im Bad und unter der Dusche fein zu machen. Nach circa einer Stunde verlassen sie gestylt und in Flamenco-Kleidern das Zimmer. Die Koffer bleiben zurück und ich schlafe noch für 2 weitere Stunden. Wahrscheinlich gehen die drei jungen Damen zu einer Party oder sie feiern die Feria, das große, 14tägige Frühlingsfest in Sevilla.
Um 6 Uhr stehe ich auf, dusche und ziehe mich an. Der Rucksack ist schnell gepackt. In der Pension frühstücke ich noch kurz, und dann kann mich nichts mehr halten. Um 7 Uhr starte ich auf den Weg. Es ist noch dunkel und schwül-warm. Vorbei an der Kathedrale führt der Weg aus der Altstadt hinaus über die Brücke des Rio Guadalquivir in das Triana-Viertel. Es dämmert, aber die Wegweiser sind gut zu sehen. Je heller es wird, desto nebeliger wird es.

 
 
Der Weg führt hinaus an den Seitenarm eines Kanals und an ihm entlang. Der Weg führt über feuchte Wiesen auf einen feuchten, lehmigen Weg. Mit jedem Schritt werden die Schuhe schwerer. Der Lehm klebt überall und lässt sich in den feuchten Wiesen und an Baumstämmen nicht abstreifen. Der Nebel verhindert den Blick auf das Expo-Gelände, das irgendwo auf der gegenüberliegenden Kanalseite liegen soll. Trotz des Nebels macht das Laufen sehr großen Spaß. Endlich bin ich unterwegs, auf dem Weg!

 
 
Ich passiere eine Brücke und laufe geradeaus weiter. Vor dem Brückenpfeiler steht ein großes Pferd mit einem Fohlen. Ein Wegweiser scheint mir nicht ganz eindeutig zu sein und ich packe meinen Reiseführer aus.
Im Reiseführer steht: "Sie unterqueren eine Autobahn, nach 400 Metern eine Bahntrasse". Just in dem Moment als ich im Reiseführer lese, sehe ich eine Bahn den Weg überqueren und denke: "Diesen Zug hat der liebe Gott geschickt" und laufe in Richtung der Eisenbahnunterführung. Für meinen Geschmack hat der Autor des Reiseführers etwas untertrieben mit seinen 400 Metern bis zur Eisenbahntrasse. Es ist ein ganzes Stück. Über die fehlenden gelben Wegweiser mache ich mir zu diesem Zeitpunkt keine Gedanken, da der Weg nur geradeaus führt und es keine abbiegenden Straßen gibt. Hinter der Unterführung unter der Bahntrasse geht es immer weiter geradeaus. So langsam fange ich an zu zweifeln. Da ich in der umgebenden Orangenplantage Stimmen höre laufe ich weiter um nach dem Weg zu fragen. In dem Meer von Orangenbäumen kann ich keine Plantagenarbeiter finden. Es kommt mir alles seltsam vor und so biege ich in einen Feldweg ab, da ein Bauernhaus zu sehen ist. Am Hof angekommen frage ich nach der Via de la Plata und werde den Weg zurückgeschickt. Zurück an der Autobahnunterführung sehe ich direkt den gelben Wegweiser. Dort wo vorher Pferd und Fohlen gestanden haben ist nun ein nicht zu übersehender Wegweiser. Das fängt ja gut an. Gleich am ersten Tag habe ich mich geschätzte 5 Kilometer verlaufen - nur weil zwei große Tiere im Weg standen. Ich glaube, dass das eine meiner Lernaufgaben auf dem Weg sein wird. Überwindung von Angst. Überwinde dich und gehe einfach ohne Angst an großen Pferden, Kühen und Hunden vorbei. Respektiere sie, und gehe einfach weiter.



An der Autobahnbrücke biege ich auf den richtigen Weg ab und hier gibt es nun wirklich nach geschätzten 400 Metern eine Bahntrasse. Diese Trasse habe ich aber vorhin noch nicht sehen können, da es noch nebelig war und kein voll beleuchteter Zug vorbeigefahren ist.
Unter der Bahntrasse stehen etliche Campingwagen, davor sitzend einige Zigeuner. Sie rufen mich und wollen mir eine Jakobsmuschel verkaufen. Da ich schon eine habe, lehne ich ab und gehe Richtung Santiponce.
In Santiponce frühstücke ich in einer Bar und genieße mein Bocadillo con Jamon und einen Caffee con leche.
Von hier aus ist es nicht mehr weit zum römischen Ausgrabungsort Italica. Inzwischen scheint eine heiße Sonne vom strahlend blauen Himmel. Beinahe wäre in an Italica vorbeigelaufen, bemerke aber rechtzeitig, dass die kleine abbiegende Einfahrt in die Ausgrabungsstelle hineinführt. An der Pforte von Italica bekomme ich einen Stempel für die Credencial und kann meinen Rucksack abgeben.
Italica ist wunderschön hergerichtet. Es gibt etliche Grundmauern von Häusern, römische Säulen und ein römisches Theater zu sehen.




Alles ist liebevoll hergerichtet. Die Bepflanzung und Vegetation ist wunderschön. Im römischen Theater treffe ich einen älteren Mann. Er erklärt auf englisch einem anderen Touristen etwas aus dieser Ausgrabungsstelle. Ich nehme an, da dieser erklärende Mann nur einen kleinen Rucksack hat, dass er ein Tourist ist.



Seinen Erklärungen höre ich lauschend zu und begebe mich dann wieder auf den Weg.
Der Weg aus Santiponce heraus wirkt etwas verwirrend. Zwar führen viele Wege nach Santiago, aber welche Richtung soll man bei einer solchen Ausschilderung nehmen?



Ich schaue mich etwas in der Umgebung um und finde den nächsten Wegweiser. Der Weg führt aus der Stadt hinaus auf eine lange gerade Wegstrecke durch die Felder.



Ich werde von einigen Radpilgern überholt, ansonsten sehe ich nach wie vor keine Pilger. Schwalben umfliegen mich und begleiten mich ein langes Wegstück.
Im Frühjahr hat es viel und stark geregnet und irgendwo auf dieser geraden Strecke werde ich auf die Furt von Guillena treffen. Kürzlich habe ich ein aktuelles Foto von der Stelle gesehen und ein Auto stand bis zum Dach im Wasser. Bei starkem Regen wird ebenfalls zu einem Umweg geraten. Noch ist die Furt nicht zu sehen, aber in einigen Kilometern Entfernung sieht man ein grünes Band die Felder durchqueren. Ich nehme an, dass hinter den Bäumen die Furt liegt.



Nach einigen Kilometern auf dem geraden Weg stehe ich vor der Furt. Wie tief das Wasser in ihr ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber das Wasser sieht so brackig aus, dass ich mir nicht die Hose ausziehen mag um hindurch zu waten. Ich suche nach der im Pilgerführer beschriebenen Stelle um die Furt kletternd zu überqueren.



Links vom Weg sieht man mehrere Trampelpfade in das Baumgestrüpp abzweigen. Mehrere Stellen schaue ich mir an und entscheide mich dann für eine Stelle, an der viele Bäume im Wasser liegen. Zwischen den Bäumen ist ein Seil gespannt.
Ich setze meinen Rucksack ab, ziehe meine Schuhe aus, packe meinen Fotoapparat nach oben in den Rucksack und balanciere erst einmal ohne Rucksack los um das Seil zu testen. Das Seil hat für meinen Geschmack viel zu viel Spielraum. Ich balanciere zurück, knote das Seil ab und ziehe es stramm. Nachdem ich es neu verknotet habe, scheint mir alles so gut wie möglich vorbereitet zu sein. Rucksack wieder auf, Schuhe um den Hals hängen und los! Den Bach überquere ich ohne Probleme und freue mich auf der anderen Seite angekommen zu sein. Ich stehe am Rand eines Ackers und nach wenigen Schritten versinke ich fast bis zu den Knien im Lehm. Meine Crocs die ich für die Überquerung angezogen habe, bleiben im Lehm stecken und ich muss sie herausziehen. Barfuss kämpfe ich mich auf den Weg zurück. Die Furt sieht so unscheinbar aus und macht doch so große Probleme. Was machen die Radfahrer an dieser Stelle? Mein letztes Wasser benutze ich zur Reinigung meiner Füße und dann geht es weiter. Guillena ist schon in der Ferne zu erkennen.


Es ist richtig heiß geworden, und ich habe kein Wasser mehr. Einen kleinen Bach gilt es noch zu durchqueren und dann bin ich am Stadtrand von Guillena. In Guillena gibt es keine richtige Herberge, eher eine Notunterkunft am Sportplatz. Bis vor einem Jahr konnte man dort nur auf Sportmatten schlafen, nun soll es dort einige Etagenbetten geben. Die Unterkunft liegt am Weg und ich bekomme einen Schreck als ich das Etablissement betrete. Der Raum mit den Etagenbetten ist abgesperrt und wird nicht geöffnet. In einem baufälligen Raum mit Bauschutt liegen einigen Pappen und zwei dreckige Matten zur Übernachtung auf dem Boden. Es stinkt, es gibt nur kaputte Klotüren und keine Tür zur Dusche. In diesem Chaos sitzt eine französisch sprechende Pilgerin namens Mireille und scheint auch etwas entsetzt über den Zustand. Mehrfach gehe ich hinein und hinaus, wieder hinein und heraus und entschließe mich nach einem Hotel oder einer Pension zu suchen. Ich bin anspruchslos und bescheiden, aber bevor ich in diesem Dreck schlafe, schlafe ich lieber mit meiner Isomatte unter freiem Himmel.



Von mehreren Spaniern lasse ich mir den Weg zum Hotel erklären. Als ich dort ankomme und nach einem Zimmer frage, erfahre ich, dass alle Zimmer belegt sind. Ich bin entsetzt - was nun?
Eine Kellnerin erzählt mir, dass es vielleicht doch eine Möglichkeit geben könnte. Ein Pilger wohnt alleine in einem Doppelzimmer. Sie fragt den Pilger, ob ich das andere Bett haben dürfte und das erste Wunder des Weges geschieht. Ich darf mir das Zimmer mit dem fremden Herren teilen. Man stellt mir Alois vor. Alois ist der vermeintliche Tourist der in Italica anderen Touristen etwas auf englisch erklärte. Ich bin froh und dankbar.
In der Hotelbar lasse ich meine Credencial stempeln und bekomme ein Essen. In dem Hotel wohnen noch etliche andere Pilger. Gemeinsam mit einem italienischen Radpilger namens Antonio, mit Inge-Johanna aus Amsterdam und Alois aus Augsburg verbringen wir einen netten Abend und lernen uns kennen.


Der erste Tag war nicht ganz problemlos. Ich habe mich um ca. 5 Kilometer verlaufen, aber ich habe mein Etappenziel erreicht.

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