Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Muxia - Santiago - Heimreise

8. Mai 2011
Muxia – Santiago de Compostela – Münster

Nach meiner letzten Nacht in einer Pilgerherberge stehe ich morgens auf und packe meinen Rucksack, nur steht mir heute kein Wandertag bevor.
Schon gestern Abend war es eine ganz andere Atmosphäre in der Herberge. Für fast alle ist der Weg hier beendet. Die meisten meiner Mitpilger sind über Finisterra nach Muxia gelaufen, einige wenige laufen heute noch von Muxia nach Finisterra, aber für die Meisten geht es nach Hause.
Abends habe ich noch kurzfristig überlegt ein zweites Mal zum Kap zu laufen. In der kleinen Kirche am Meer soll es eine Abendmesse geben. Es wäre ein schöner Abschluss, aber es gewittert, es stürmt und regnet so stark, dass ich mich nicht mehr hinausbegebe. Nur ein mutiger Franzose macht sich noch einmal auf den Weg, kommt aber nach kurzer Zeit zurück – die Messe fällt aufgrund von Schlechtwetter aus.
Kurz vor dem Schlafengehen stelle ich fest, dass mein kleines Portemonaie mit dem Tagesgeld aus meiner Hosentasche heraus gefallen sein muss. Der Reisverschluss ist offen – das Portemonaie weg. Zum Glück enthält diese Geldbörse nur das Tagesgeld, keine Ausweise, Papiere, Geldkarten. Ich nehme es gelassen hin, es waren nur 8 Euro drin, schaue aber sicherheitshalber noch einmal durch den Aufenthaltsraum und erkundige mich beim Hospitaliero ob ein Geldbeutel gefunden wurde. Nein! Nun ja, ich mache mich für die wenigen Euros nicht verrückt – vielleicht habe ich es beim Einkaufen oder sonst wo verloren. Gerade als ich im Bett liege und eingeschlafen bin, werde ich vom Hospitaliero geweckt und bekomme mein Portemonaie zurück – es lag in einer Sesselritze. Alle Sessel und Sofas auf denen ich gesessen habe, hatte ich durchgeschaut und auseinander genommen, aber scheinbar habe ich auf mehr Sesseln gesessen als ich mich erinnern konnte.
Alles findet sich auf dem Camino – immer gibt es eine Lösung oder es wendet sich zum Guten. Das ist das Phänomen Jakobsweg.
Um 7 Uhr machen wir uns auf den kurzen Weg von der Herberge zur Bushaltestelle.
Wer hätte nach dem gestrigen Unwetter am Abend damit gerechnet einen klaren Himmel am Morgen zu sehen? Wir stehen am Meer und warten auf unseren Bus. Als ich den Wunsch äußere, dass es ein toller Abschluss wäre noch einen Sonnenaufgang zu sehen, werde ich belächelt. Kurze Zeit später steigt aus dem Meer die Sonne auf. Alles schimmert orange-golden und es ist ein würdiger Abschied.



Muxia ist der perfekte Abschluss meines Weges. Gestern Morgen das Unwetter, das Aufklaren und die Ankunft bei Sonnenschein am Atlantik. Der Atlantik, türkis-blau, in der Sonne leuchtend. Der Gang zum Kap im Sturm, die Brandung, die Gischt und das tobende Meer. Und nun ein Abschied im goldenen Sonnenaufgang. Alles passt zusammen.


Der Bus kommt pünktlich und aus dem Bus erkenne ich einige Wege und Orte die ich durchlaufen habe.
Nach zwei Stunden bin ich wieder in Santiago de Compostela. Karin macht sich auf den Weg zu ihrem Hostal, ich laufe zur Kathedrale und bekomme das Ende einer Sonntagsmesse mit. Ich genieße das Ende der Messe mitzubekommen.



Der Botafumeiro hängt an seinem Platz, wird aber heute nicht geschwungen. Plötzlich setzt sich Karin neben mich, aber ich sage ihr, dass ich die letzten Stunden für mich verbringen möchte. Nach der Messe bringe ich meine Pilgerreise zum Ende. Ich reihe ich in die Schlange am Altar ein und steige die Treppen zur Statue des Jakobus empor, umarme ihn und danke mich ein weiteres Mal für die gelungene Pilgerschaft. Anschließend führt mich mein Weg in die Krypta hinab.



Um 13 Uhr bin ich mit meinen Mitpilgern in einem Nähe der Kathedrale verabredet. Karin fliegt erst am Donnerstag nach Hause, Eugen und Regina morgen am Montag, Hannes mit Ehefrau und ich fliegen am späten Nachmittag nach Hause.
Bevor ich zu unserem Treffpunkt gehe eile ich durch die Altstadt – ich muss endlich einige Postkarten schreiben. Es ist gar nicht so einfach in der kurzen Zeit Postkarten und Briefmarken zu bekommen, geschrieben werden müssen die Karten auch noch – vielleicht hätte ich mich eher darum kümmern sollen (in Muxia habe ich nachmittags keine Karten gefunden). Der Kartentext fällt äußerst kurz und knapp aus und auf jeder Karte steht das Gleiche – eigentich nicht mein Stil.



Danach geht es zum Treffpunkt, es ist ein schöner Abschluss. Endlich kann mir Hannes seine Frau vorstellen, er hat mir unterwegs oft von seiner Familie erzählt. Eugen und Regina wohnen im gleichen Hotel wie ich im Jahr zuvor, Reginas Tendinitis hat sich schon gebessert, aber beschwerdefrei ist sie auch jetzt noch nicht.
Um 14 Uhr verabschieden wir uns alle voneinander. Der Abschied fällt kurz und knapp aus und ich bin froh, dass wir es nicht in die Länge ziehen. Abschiede gehören dazu, aber ich mag sie nicht.
Ich laufe zur Bushaltestelle und steige in den Bus der mich nach Hause bringt. Am Flughafen sehe ich Hannes und Ehefrau noch einmal kurz – sie fliegen nur wenige Minuten nach mir ab.


Das Einchecken klappt problemlos, wieder nehme ich meinen Rucksack als Handgepäck mit. Der Abflug lässt auf sich warten, mein Flieger hat reichlich Verspätung und es ist schon fast voraussehbar, dass ich Probleme mit meinem Anschlussflieger auf Mallorca bekommen werde. Mit 70 Minuten Verspätung starten wir vom Flughafen Santiago. Aus der Luft kann ich noch ein letztes Mal ein Stück meines Weges erkennen – die große Brückenbaustelle in Ponte Ulla. 45 Minuten vor der Landung in Palma werde ich im Flugzeug ausgerufen und ahne schon worum es geht. Das Bordpersonal teilt mir mit, dass ich meinen Flug nach Dortmund verpassen werde, und nach der Landung auf Informationen vom Personal warten muss. Es war voraussehbar, dass der Anschlussflieger nicht auf mich wartet.
Schon aus der Luft versucht das Bordpersonal für mich einen Ersatzflug zu organisieren, genaues kann man aber erst nach der Landung regeln.


Am Ausgang werde ich vom Bodenpersonal in Empfang genommen. Man erklärt mir, dass ich nach Düsseldorf fliegen werde und der Flieger sofort starten wird – mein Gepäck würde nicht mitkommen, aber wenn ich renne, bekomme ich den Flug noch. Das mit dem Gepäck ist kein Problem, zum Glück habe ich meinen Rucksack nicht aufgegeben und mehr Gepäck habe ich nicht dabei. Das Bodenpersonal rennt vor mir her um auf schnellstem und kürzestem Weg zum Anschlussflieger zu kommen. Die Stewardessen beim Bording wissen nichts von mir, ich stehe nicht auf der Passagierliste, und müssen erst Rücksprache mit Air Berlin halten.
Die kurze Klärungsphase nutze ich dazu, schnell auf das nächste WC zu rennen und eine sms an meine Familie zu senden, dass sie nicht nach Dortmund fahren müssen – ich lande in Düsseldorf.
Schnell hinein in den Flieger, Gepäck verstauen, anschnallen und los geht es.



Mitten in der Nacht lande ich in Düsseldorf und wer steht am Ausgang: meine Eltern!
Ich freue mich, dass sie mitten in der Nacht noch den weiteren Weg nach Düsseldorf gefahren sind – damit habe ich nicht gerechnet. Da ich vom Flugpersonal informiert wurde, dass ich mit einem Taxifahrer nach Dortmund gebracht werde, mag ich nicht einfach in das Auto meiner Eltern steigen und losfahren. Ich wende mich an die Info von Air Berlin, dort steht schon ein Taxifahrer mit meinem Namen auf einem Zettel und ich kläre den Sachverhalt auf und fahre mit meiner Familie nach Hause. Spannung bis zum letzten Augenblick!

Es war ein wunderbarer Weg. Bereichernd, eindrucksvoll und völlig anders als meine beiden vorherigen Wege. Jeder Weg ist einzigartig und lässt sich nicht vergleichen.
Es war anstrengend und gleichzeitig wohltuend und entspannend.
Der Weg hat mir gut getan.

Bedanken möchte ich mich bei allen die den Weg ermöglicht haben.
Danke für die Aufnahme in die Herbergen,
Danke für ein Lächeln auf dem Weg,
Danke für die guten Wünsche,
Danke für die vielen Hilfen,
Danke für die Verköstigungen (besonders die private Verköstigung in Campobecerros und Osseira)
Danke für die vielen Gespräche und Begegnungen.


Auch wenn mir nun erst einmal meine Füße wehtun, bin ich mir sicher, dass ich irgendwann wieder auf einen Jakobsweg starten werde. Wann und welcher Weg wird sich zeigen - zur Zeit tendiere ich zum Küstenweg, oder doch der Primitivo oder, oder, oder...  
Es wird sich ergeben.
Jeder Schritt war es wert gegangen zu werden.

Olveiroa - Muxia + Dia-Show

7. Mai 2011 Olveiroa – Muxia
ca. 35 Kilometer, evtl. auch 2-3 km mehr

Schon abends bei meinem Rundgang durch das Dorf habe ich die Wolken aufkommen sehen. Als ich am frühen Morgen erwache, höre ich bereits den Regen auf das Dach prasseln, schlafe aber, darauf hoffend dass es beim Aufstehen trocken ist, noch einmal für eine Stunde ein.
Der erste Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass meine Hoffnung nicht eingetreten ist – es plästert.
Karin liegt in Etagenbett neben mir und versucht mich zu einer Taxifahrt zu überreden. Aber heute, an meinem letzten Wandertag, steige ich unter Garantie nicht in ein Taxi – hätte es auf den fast 600 Kilometern zuvor aber auch nicht getan.
Wenn es heute regnet, dann regnet es, aber ich werde den Atlantik laufend erreichen, notfalls nass bis auf die Knochen.
Um den Regen noch etwas abzuwarten gehen wir mit etlichen Pilgern frühstücken. Selten zuvor hatten die Bars in den kleinen Dörfern morgens um 7 Uhr bereits auf, aber hier in Olveiroa hat die Bar geöffnet. Ca. 30 Minuten verbringen wir frühstückend und siehe da: Der Regen hat aufgehört, der Himmel ist nach wie vor tief grau verhangen.


Über ein kleines Sträßchen verlassen wir das Dorf und wieder geht es auf Schotterwegen aufwärts durch die Granitberge. Die Wolken lassen nichts Gutes erahnen, aber zur Zeit ist es trocken. Wie ich es nicht anders erwartet habe, läuft Karin vor mir. Auf und ab geht es, die Windräder auf den Bergen zu meiner Seite sind verhüllt von Nebel und Wolken.


Kurz vor Hospital, ich habe es nicht anders erwartet aber doch erhofft, beginnt es zu regnen. Es regnet nicht nur, es schüttet. Massen von Wasser fallen innerhalb kürzester Zeit vom Himmel, aber glücklicher Weise sind es nur noch ca. 400 Meter bis zur Bar in Hospital.


In der Bar stehen diverse Rucksäcke, Regenjacken und Umhänge hängen überall, und die Luft im Inneren ist feucht. Froh, fast zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, mache ich nach nur 5 Kilometern meine zweite Pause. Die Barbesitzerin macht heute morgen ein sehr, sehr gutes Geschäft. Die nächste Bar, egal ob auf dem Weg nach Finisterra oder Muxia ist über 20 Kilometer entfernt. Nach zwei Tassen Milchkaffee und einem Glas frischgepressten Orangensaft hört es wieder auf zu regnen. In der Zwischenzeit war meine Mitpilgerin nicht untätig und hat sich nach einem Taxi erkundigt. Hospital wird nicht von den Taxiunternehmen angefahren, die nächste Möglichkeit eine Fahrgelegenheit zu bekommen ist in Cea. So bleibt uns allen nur eins über: Laufen, so wie ich es vorhabe. Ich bin nicht aus Zucker und heute an meinem letzten Wandertag ist es mir egal.


Nachdem es draußen nahezu wieder trocken ist, zumindest was das Wasser von oben angeht, machen wir uns wieder auf den Weg – Günther ist auch wieder dabei. Hoch und runter folgen wir der Straße und kommen zur Straßenkreuzung Finisterra – Muxia.



Wir biegen nach rechts ab und folgen der Straße nach Muxia. Der Himmel sieht nicht sehr viel versprechend aus, der starke Wind bläst dicke graue Wolken vor sich her. Auf Schotterwegen laufe ich durch Euktalyptuswälder, Karin und Günther sind wieder aus meinem Blickfeld entschwunden und ich bin froh, mir in Hopital ein Bocadillo besorgt zu haben. Meine österreichische Mitpilgerin wollte mich davon abhalten – sie hat noch Müsliriegel – aber was bringen mir ihre Müsliriegel, wenn sie außerhalb meines Blickfelds läuft und ich nicht weiß wo sie ist?!



Passend, ich erreiche gerade den Ort Dumbria, setzt der nächste Starkregenfall ein. Die nächste am Weg gelegene Bar des Ortes nutze ich für eine Regenpause – und wen treffe ich in der Bar? Karin und Günther! Es geht mal wieder um das Thema Taxi, vielleicht gibt es eine Busverbindung?! Ich habe keine Lust mehr auf das Thema und erkläre meine Einstellung ein weiteres Mal. Niemand braucht auf mich und meinen Laufwunsch Rücksicht nehmen, aber ich laufe – alle anderen können sich fahrend fortbewegen ohne dass ich ihnen Vorwürfe machen werde. Als der Regen weniger wird – es regnet aber immer noch leicht – mache ich mich wieder auf den Weg, komme aber nicht weit, denn der nächste Starkregen setzt ein.
In einem Waschhäuschen am Straßenrand pausieren wir eine weiter Viertelstunde, bis der Regen endgültig aufhört. Danach geht es weiter.


Karin und Günther entschwinden in flottem Tempo, ich treffe sie erst acht Kilometer vor Muxia wieder. Ich laufe in meinem Tempo durch viele Eutkalyptus- und Kiefernwälder, Dörfer und Weiler. Ebenso wie die Landschaft und auch der Himmel sich verändert, so ändert sich auch die Wegbeschaffenheit. Über betonierte Straßen, matschige Feldwege, und steinige Waldwege näher ich mich meinem Ziel.



Die Kilometerangaben können irgendwie nicht passen. Die Kilometerangaben auf den Wegweisern werden nicht weniger. Ich laufe 10 Minuten und entnehme den Wegweisern, dass ich 100 Meter gelaufen sein soll. Verstehen tue ich es nicht, allein die Kilometerangaben bis Dumbria weichen stark von den Angaben in meinem Infoheft ab. Ich laufe und laufe und merke die Kilometer vom Vortag in meinen Knochen.
Am Horizont lässt sich ein kleiner blauer Streifen Himmel erkennen – ich hoffe, vielleicht ändert sich das Wetter am Meer. Und tatsächlich: Mit jedem Schritt den ich mich dem Atlantik nähere, wird der blaue Streifen am Horizont größer, und plötzlich laufe ich unter blauem Himmel.



Kleine weiße Wolken sind am Himmel zu sehen, aber es sind eindeutig keine Regenwolken. Gut gelaunt, alles stimmt irgendwie, erreiche ich ein kleines Dörfchen. Da ich mich gefühls- und zeittechnisch der 30 Kilometermarke nähere, mache ich eine Pause in einer winzigen Bar. Froh, dass ich ein Bocadillo im Rucksack habe – in der Bar gibt es nur Getränke – pausiere ich. Ich habe einen riesigen Hunger – und der Karin mit ihren Müsliriegeln habe ich seit Stunden nicht mehr gesehen. Da ich es noch nie erlebt habe, dass irgendeine Bar geschimpft hat, wenn man etwas Eigenes auspackt, esse ich mein Bocadillo Francaise. Da es inzwischen richtig schön ist, trage ich meinen Stuhl vor die Bar und setze mich genießend in die Sonne.



Anschließend mache ich mich auf den letzten Abschnitt. Bis Muxia sollen es noch ca. 10 Kilometer sein. Bei herrlichem Sonnenschein und blauen Himmel laufe ich durch Wiesenwege. Die Franzosen, die ich seit Tagen regelmäßig treffe, laufen wieder vor mir. ´



Es geht einen letzten steilen Anstieg hinauf, dann geht es auf der Höhe geradeaus weiter und dann fällt der Weg steil ab. Die ganze Zeit warte ich darauf, den Atlantik endlich sehen zu können – es kann nicht mehr weit sein. Und endlich: ist da nicht ein leichtes blaues Schimmern zwischen den Bäumen zu sehen? Noch bin ich mir nicht ganz sicher, aber nur wenige Schritte weiß ich: Ich habe es geschafft, auch wenn es laut Wegweisern immer noch 8 Kilometer sein sollen.



Es ist so ein tolles berauschendes Gefühl! Ich bin noch nicht am Ziel, in Muxia – aber ich fühle mich angekommen. Der Blick auf den Ozean berührt mich wesentlich mehr, als der Anblick der Kathedrale. 2008 hatte ich dieses Glücksgefühl als ich in Santiago vor der Kathedrale stand, dieses Jahr nicht – aber das jetzige Gefühl ist unbeschreiblich. Ich jubele und singe und würde mich so freuen, jetzt meine Lieben hier zu haben. Es ist unbeschreiblich. Wo die Franzosen hinter mir wieder geblieben sind – gerne würde ich mich mit ihnen gemeinsam freuen – weiß ich nicht. Ich sitze eine kurze Weile am Berghang mit Blick auf den Ozean und warte auf die Franzosen, aber da sie nicht erscheinen laufe ich alleine beschwingt weiter.



Wieder geht es hinauf und ich verliere den Atlantik aus den Augen. Der Wind rauscht, ich kann das Meer hören, aber nicht sehen. Auf und ab geht es über kleine Sträßchen und überrascht bin ich plötzlich meinen Namen zu hören. Karin und Günther tauchen hinter mir auf. Sie sind überrascht, dass ich vor ihnen bin, aber die Frage wo sie und ich waren ist schnell und einfach geklärt. Ich habe im letzten Dorf Pause in der ersten Bar gemacht. Karin und Günther waren so hungrig, dass sie sich scheinbar nicht mit einem Müsliriegel zufrieden gegeben haben und sind zu einer anderen Bar gelaufen in der sie auf mich gewartet haben. Da die zweite Bar nicht am Wegesrand lag und ich auch nicht nach einer anderen Bar gesucht habe, und meine Pause kürzer war, habe ich den Vorsprung herausgelaufen. Ein letztes Mal versucht Karin mich von meinen Plänen abzubringen. Zwar ist es sonnig und trocken, aber die Kilometerangaben für Autos auf den Straßen zeigen einen 2 Kilometer kürzeren Weg nach Muxia als die Kilometersteine an und Karin möchte nach dieser langen Etappe auf kürzestem Weg an´s Ziel gelangen. Ich ermuntere sie auf der viel befahrenen Autostraße zu laufen, sage ihr aber, dass es nach 600 oder 1100 Kilometern nun wirklich nicht mehr auf 2 Kilometer mehr oder weniger ankommt.



Über einen steilen Wiesenweg geht es ein letztes Mal bergauf, ein Schlenker zu einer abseits liegenden Kirche gibt es auch noch.




 Danach geht es durch einen Kiefernwald mit Blick auf den Atlantik abwärts. Kurze Zeit später stehen wir an der großen Bucht von Muxia, laufen am Strand entlang Richtung Stadt und passieren das Stadtschild von Muxia. Es ist geschafft! Es ist ein Hochgefühl und es ist schön, dass ich nicht alleine bin. Am Ortsschild machen wir ein Erinnerungsfoto.



Wie schon so oft und fast nicht anders zu erwarten ist auch heute die Herberge das letzte Gebäude an einer steil aufwärts führenden Straße. Ich muss lachen, wie sollte es auch anders sein: bis zum Ende, immer geht es aufwärts!
In der Herberge checke ich ein, bekomme meinen letzten Stempel in die fast volle Credencial und erhalte, wie in Santiago de Compostela, eine Pilgerurkunde.


Nachdem ich ein letztes Mal mein Bett belegt habe, gehe ich duschen und ziehe mich frisch an. Heute wasche ich zur Abwechslung mal nicht. Morgen bin ich wieder zu Hause und dann kommt alles in die Waschmaschine, außerdem ist der Himmel in der kurzen Zeit in der Herberge wieder zugezogen. Draußen ist alles, wie heute morgen, grau und grau. Wie kann das Wetter nur so schnell wechseln? Morgens Nebel, stärkster Regen und Sturm, dann plötzlich warme Sonne und klarer Himmel und nun wieder alles grau in grau – der nächste Regen kommt bestimmt.
Nachdem ich von der Herberge den Berg wieder hinunter gestiegen bin, setzt der nächste Regenguss ein. Wie heute inzwischen schon drei Mal, sitze ich den Schauer in einer Bar aus. Ich habe mein Tagebuch dabei und schreibe meinen letzten, oder vielleicht vorletzten Bericht des Weges. Danach ist es wieder trocken und ich mache mich auf den Weg zum Kap.
Ich laufe alleine, Karin möchte nicht an´s Kap – sie war vor einigen Jahren schon dort – aber erst dort, an der Kirche, bin ich am Ende der Welt angekommen.
Die Kirche liegt am Kap, direkt am Meer. Die Brandung bricht sich an den Felsen.



Hinter einer Kurve sehe ich die kleine Kirche. Als ich die Kirche erreiche, fängt es richtig an zu regnen. Um den Regen auszuweichen setze ich mich in die Kirche und danke für die problemlos gelaufenen Kilometer. Dass die Füße, die Muskeln und Knochen weh tun gehört dazu, aber ansonsten gab es erstmals kein Problem auf dem Weg – alles lief problemfrei.
Die Kirche ist schlicht, aber was für mich zuviel des Guten ist, ist ein blinkendes Schild auf dem Altar. In orangen Licht flackert auf dem Altar eine Lampe: Tranquillo – Ruhe!!!
Nachdem es wieder trocken ist, begebe ich mich wieder in den Sturm hinaus. Es windet heftig, aber ich genieße die Gischt und das Brandungsrauschen. Der graue Himmel über dem Ozean, das Licht – gleichzeitig dunkel und leuchtend. Aber es ist perfekt.



Vor der Kirche treffe ich einen Pilger den ich in der Herberge erstmals kurz getroffen habe und wir tauschen uns aus. Wir wissen, die heutige Begegnung wird unser einziges Treffen bleiben, es ist kurz, aber sehr nett. Er erzählt mir, dass er unter der Dusche das „Laudate omnes gentes“ aus Taizee angestimmt hätte und er doch tatsächlich aus einer anderen Dusche eine Antwort bekommen hätte, und der Gesang dann zweistimmig weiter gegangen wäre. Die Frauenstimme hat die Melodie gesungen, er die Bass-Stimme. Oft hat der mit mir redende Pilger unter der Dusche gesungen, aber singd geantwortet hat ihm niemand auf den 900 Kilometern.
Ich muss lachen: Das war ich! Ich habe in der Dusche in den Lobgesang eingestimmt. Wir lachen, es ist schön, dass wir uns noch kurz persönlich kennengelernt haben – dabei weiß ich nicht mal den Namen meines Gesprächpartners. Am Kap machen wir noch das Ankunftsfoto, dann verabschieden wir uns.


Am Kap steige ich im Sturm noch den Berg zum Gipfelkreuz hinauf. Der Wind bläst gewaltig und kurzweilig frage ich mich, was ich da gerade mache – aber der Blick ist berauschend. Ich stehe oberhalb des Kaps, kann auf die Bucht von Muxia, das Städtchen und über das Kap sehen – den Abstieg werde ich auch bei Sturm und Regen noch schaffen.



Ich fühle mich angekommen, ich habe es geschafft!!!
Ich bin am Ziel!




Dia-Show: Santiago de Compostela - Muxia