Rionegro del Puente – Asturianos
26,1 Kilometer
Beim Erwachen höre ich direkt, auch ohne Blick nach draußen, es schüttet. Die Behauptung es regnet ist stark untertrieben, das Wasser fällt in Massen vom Himmel.
Obwohl ich bei diesem starken Regen noch nicht starten möchte, bereite ich alles für den neuen Wandertag vor. Meinen Regenponcho packe ich erst gar nicht ein, ich werde ihn heute definitiv brauchen. In der Bar jenseits der Plaza sehe ich trotz des frühen Morgens schon Licht brennen und beschließe den Tag zur Abwechslung mal mit einem Frühstück zu beginnen. Schnell füllt sich die Bar, jeder hofft darauf, dass sich das Wetter wenigstens etwas bessert und der Regen weniger wird. Unter Beobachtung der Wolken und der Regenfront frühstücke ich in aller Ruhe und mache mich anschließend auf den Weg. Der Regenintensität hat etwas abgenommen, dass es trocken ist kann man nicht behaupten.
Schnell führt der Weg aus Rionegro del Puente heraus und führt in einen Wiesenweg. Die Wiese sieht sehr sumpfig aus, aber mutig mache ich mich auf an die Durchquerung eines einzigen großen Tümpels.
An solchen Regentagen bin ich froh um meine Schuhauswahl. Meine alten, neu besohlten Goretex-Wanderschuhe erfüllen ihren Zweck. Hoch steht das Wasser auf dem Weg, aber meine Füße bleiben trocken. Mit meinen Lederwanderschuhen hätte ich ruckzuck nasse Füße gehabt. Spritzend überholen mich einige Radpilgern. Auch ihnen ist macht das Passieren der Wasserlöcher einige Schwierigkeiten. Der Untergrund ist aufgeweicht, das Rad versinkt im Schlamm. Ich versuche die Wasserlöcher zu umlaufen, aber es wird immer schwieriger. Auch wenn ich nicht gerne auf der Straße laufe, entscheide ich mich zwecks der Situation auf die nur ca. 150 Meter entfernte Nationalstraße auszuweichen. An einem zur Straße abzweigenden Feldweg folge ich diesem und befinde mich kurze Zeit später auf dem Seitenstreifen der N525. Auch hier regnet es – wie nicht anders zu erwarten – , aber auf dem Beton läuft das Wasser ab. 5 ereignislose Kilometer später bin ich am Ortsrand von Mombuey. Mombuey hat eine kleine Herberge, aber trotz des Sauwetters ist Mombuey keine Option für mich. Es ist erst 10 Uhr am Morgen, die Herberge ist noch geschlossen und ist laut Aussagen erfahrener Via-Pilger nicht empfehlenswert und stark verwanzt. Die Kirche von Mombuey ist mir von vielen Bildern bekannt. Die Proportionen des auffälligen Kirchturms passen nicht optimal zum Rest der Kirche.
Ich möchte mir die Kirche ansehen, aber sie ist – wie nicht anders zu erwarten – geschlossen. Unter dem Vordach der Kirche überdenke ich eine kurze Weile meine Situation: im Regen weiterlaufen, oder doch schon morgens um 10 Uhr die Etappe beenden? Ich habe einen ungefähren Zeitplan für meine Via erstellt. Etwas Flexibilität ist möglich, es wäre möglich an einigen Tagen eine Kurzetappe zu laufen, eventuell schaffe ich es dann aber nicht mehr bis zum Atlantik. Mombuey reizt mich als Etappenort nicht und ich beschließe weiter nach Asturianos zu laufen. Asturianos wurde mir vom Herbergsvater Domingo in Santa Croya de Tera empfohlen, hat aber nur 6 Betten. Was mache ich, wenn die kleine Herberge belegt ist? Gibt es die Möglichkeit eines Hostals in Asturianos? Ich weiß es nicht, entschließe mich aber dazu, es zu wagen. Asturianos ist im Pilgerführer nicht als Etappenort erwähnt, aber die kleine Herberge ist noch neu und unbekannt. Falls sie besetzt ist, muss ich mir Gedanken machen, was noch möglich wäre, aber erst einmal laufe ich weiter. Leider komme ich auf dem Weg aus Mombuey heraus an keiner Bar mehr vorbei. Zurücklaufen möchte ich nicht und so trete ich mutig in den weiter fallenden Regen hinaus. Eine Schotterpiste läuft hinter einem mit Bäumen bewachsenem Grünstreifen parallel zur Straße. An einigen Stellen steht die Piste komplett unter Wasser, es bleibt keine Möglichkeit auszuweichen, also am Rand der Pfütze durchwaten. Obwohl es so feucht ist, bin ich bestens gelaunt und summe vor mich hin.
Ein Kinderlied aus dem Kindergarten kommt mir kurzfristig in den Sinn: Liebe, liebe Sonne, komme ein bisschen runter, lass den Regen oben…. Die Bäume und Büsche am Wegesrand sind durchgehend mit Flechten bewachsen, angeblich ein Zeichen für die gute Qualität der Luft. Ob diese Theorie richtig ist, weiß ich nicht, aber es bietet sich ein eigentümliches Landschaftsbild. Die Landschaft erinnert mich an das schottische Hochland, dass ich auf dem Westhighlandway durchwandert habe. Die Piste mündet in eine Baustelle, ein Umweg ist ausgeschildert, die Fußabdrücke der vor mir laufenden Pilger im Schlamm deutlich zu erkennen. Bedeutet eine Umleitung auch gleichzeitig einen Umweg?
Ich werde es nicht erfahren und biege in die neue Piste ab. Heute führt der Weg durch viele kleine Dörfer. Durch die Reihenfolge der aufeinander folgenden Dörfer weiß ich jeder Zeit wie viele Kilometer ich schon gelaufen bin und wie viele Kilometer noch folgen. Während eines starken Regengusses erreiche ich ein winziges, zerfallenes Dorf und überlege kurz zu bleiben. In diesem Ort gibt es eine Notunterkunft, aber weit und breit gibt es keine Möglichkeit Lebensmittel zu besorgen, eine Bar gibt es nicht. Am Ortsrand komme ich mit einem Einheimischen in´s Gespräch. Immer wieder stelle ich fest, dass die Bevölkerung erstaunt ist, mich alleine pilgernd zu treffen. Bei meinen männlichen Pilgerkollegen fragt keiner, ob sie alleine sind, bei mir als Frau ist es ein immer wiederkehrender Gesprächsstoff. Der Wolken am Himmel scheinen etwas kleiner zu werden, der Regen wird dünner und setzt minutenlang aus. In meinem Regenponcho ist es mir viel zu warm, die Stauungswärme setzt sich als Schwitzwasser auf der Innenseite des Ponchos ab, aber ohne laufen ist nicht möglich. In San Salvador finde ich vor einer Scheune am Straßenrand einen kleinen überdachten Treppenabsatz und nutze diese windgeschützte, trockene Stelle für eine Mittagspause. Passend zur Pause lässt sich die Sonne blicken und taucht die umgebende Natur in ein strahlendes Licht. In diesem Licht wirken auch die Wolken malerisch und schön, obwohl sie dunkel sind und weiteren Regen bringen werden.
Viel Auswahl zum Mittagessen bleibt mir nicht. Ich esse meine Banane, etwas Schokolade und trinke Wasser dazu. Mehr gibt es nicht. Auch nach der Pause ist es weiterhin trocken. Frohgelaunt setze ich meinen Weg fort. Den Poncho ziehe ich aus und lasse ihn zum Trocknen über meinem Rucksack hängen. Gut, dass es zur Zeit trocken ist! Der Weg führt die Piste hinab durch eine wunderschöne Busch- und Strauchlandschaft.
Die Bäume am Weg sind überwachsen mit Flechten, einige wenige Vögel singen und verbreiten ein gutes Gefühl. Froh bin ich ohne Poncho laufen zu können, denn nach dem Abstieg in ein kleines Tal führt der Weg wieder den Berg hinauf. Niemals möchte ich eine Bergwanderung im Regenponcho machen! Beim Aufstieg wird es einem noch wärmer, der Poncho wäre noch nasser von innen, als er sowieso schon ist. Ich erreiche Entrepenas und weiß, es sind nur noch 4 Kilometer bis Asturianos. Immer wieder schweifen meine Gedanken zu den kleinen Herberge ab. Bekomme ich ein Bett? Ich habe in Rionegro del Puente niemanden getroffen, der Asturianos als nächstes Ziel angegeben hat, getroffen habe ich heute auch noch niemanden, aber wissen kann man es nicht. Ich denke, dass niemand nach nur 10 Kilometern in Mombuey, Stopp gemacht hat. 5 Kilometer hinter Asturianos gibt es ein Hostal, aber keine Herberge in Palacios: wird Palacios als Übernachtungsort angesteuert? Es bringt nichts, dass ich mir viele Gedanken mache, ich muss weiter laufen. Immer wieder fängt es an zu regnen, aber der Regen ist vergleichsweise harmlos zum Vormittag. Der Weg wird immer matschiger und führt über Viehwege.
Matsch und Hinterlassenschaften der Weidetiere vermengen sich zu einem Brei. Ich will nicht wissen durch was ich gerade wate. Die Schuhe sehen schlimm aus, ich werde sie nachher reinigen müssen, dazu bleiben mir nur meine Hände, eine Schuhbürste habe ich nicht dabei. Der Weg führt durch den Ort hindurch, am Ortsende gibt es eine große Turnhalle.
In einem Nebeneingang der Turnhalle ist eine Bar und die Herberge untergebracht. Erstaunt stelle ich fest, dass ich die erste Pilgerin des Tages bin, außer mir ist niemand da. Der Schlafraum ist einfach mit 3 Etagenbetten und einer kleinen Standheizung. Das Badezimmer ist groß und die Dusche hat einen vollen Wasserstrahl und heiße Temperaturen. Ich genieße das Duschbad, bei meiner Ankunft sahen sowohl ich als auch meine Kleidung fürchterlich aus. Draußen ist es kalt und feucht, bekomme ich meine Kleidung nach der dringend nötigen Wäsche wieder trocken? Ich riskiere es, ich bin alleine und hänge meine Kleidung nach der Wäsche auf die Heizung. Meine Schuhe stelle ich nach ausgiebiger Reinigung direkt daneben und begebe mich in die Bar auf einen Kaffee. In der Bar ist es zugig und freudig sehe ich, dass sich die Tür öffnet – auch Wolfgang ist da! Dabei wollte er sich eventuelle ein Hostal in Mombuey gönnen um abends irgendein wichtiges Fußballspiel zu sehen. Abends kommt noch ein dritter Pilger hinzu, die anderen Betten bleiben leer. Damit habe ich nicht gerechnet. In Rionegro del Puente waren so viele Pilger, wo sind die denn jetzt schon wieder geblieben? Zu dritt lassen wir den Abend ruhig in der Herberge und der Bar ausklingen. Es gibt nichts zu tun, als sich zu erholen. Da Wolfgang in traditionell chinesischer Medizin Erfahrungen hat und in Indien lebt, machen wir gemeinsam eine Nasenmeditation um uns vor Erkältungen zu schützen. Ich werde sehen, ob es was bringt, aber Schaden kann es unter Garantie nicht.