Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

die Welt ist so klein!

Jetzt habe ich so lange nichts geschrieben und nun nach nur zwei Tagen schon wieder ein neuer Eintrag.
Gestern habe ich eine Mail von meinem Pilgerfreund Alois bekommen. Alois, aus der Nähe von Augsburg, und ich haben uns an unserem ersten Tag auf der Via Plata in Guillena getroffen und dann bis Salamanca fast täglich.


Bis heute freue ich mich Alois kennengelernt zu haben. Er war "mein Engel" auf den 500 Kilometern bis Salamanca und wir stehen bis heute in Kontakt.
2011 bin ich die zweite Hälfte der Via Plata gepilgert und bin dabei viele Etappen gemeinsam mit Karin aus Wien gelaufen.


Wie der Zufall es nun so will, sind Alois und Karin sich bei einem Vortrag begegnet und haben festgestellt, dass sie beide mit der gleichen Anne gepilgert sind.
Die Welt ist so klein! Es gibt so viele Zufälle!

Liebe Anne,
Recht herzliche Grüße von der Karin aus Wien!
Jetzt muss ich Dir erzählen wie das gegangen ist. Mein Pilgerfreund Ernesto vom Camino Mozarabe hat in Wien einen Vortrag darüber gehalten. Dazu bin ich letzte Woche nach Wien gefahren. Dieser Ernesto ist noch ein Stück weiter gegangen als ich und hat ein Kreuz aufgenommen hinter dem “der” Betonwasserdurchlaß zu sehen war. Ich habe ihn gestoppt und gefragt ob da noch Anne und Alois draufsteht. War natürlich nicht. Das hat die Karin gehört und ist danach zu mir gekommen und hat mich gefragt ob die Anne Krankenschwester ist und aus Münster kommt.
Ja so klein ist die Welt oder Du bist halt überall bekannt!
...soweit einige Zeilen aus Alois` Mail


So nah und doch so fern - 2

Der Jakobsweg beschäftigt mich scheinbar weiterhin nach wie vor.
Heute Nacht war ich plötzlich auf dem Jakobsweg unterwegs. In meinem Traum passte absolut gar nichts zusammen, aber ich war definitiv auf dem Jakobsweg. Warum der Weg mich auf sehr schnellem und kurzem Weg direkt nach Kairo brachte, verstehe ich nicht - aber es war so.

Der Gedanke mich noch einmal auf den Weg zu begeben ist nach wie vor präsent, aber wirklich vorstellen, dass dieses einfach so problemlos geht wie bei den vorherigen Malen, kann ich mir nicht.
Vielleicht wäre es auch eine Möglichkeit mich als Hospitaliera zu bewerben, oder, oder...
Vorerst begnüge ich mich damit, direkt vor meiner Haustär dem Weg ein Stück weit zu folgen und mich an den Schildern zu erfreuen.

 
Der Winter ist im Anmarsch, es nachts sinken die Temperaturen langsam und der erste Advent steht kurz bevor.
Allen Lesern, die meinen Weg hier im Blog oder live verflolgt haben, wünsche ich eine gesegnete Adventszeit.

So nah und doch so fern

Lange habe ich nichts geschrieben, aber der Jakobsweg ist nach wie vor präsent.
Auch nach meinem Umzug wohne ich wieder in direkter Nähe zum Jakobsweg. Meine Gedanken schweifen so oft nach Spanien, der Weg ist so präsent und dennoch so fern.


Ich bin froh, meine Wege gegangen zu sein. Wie oft wurde ich damals gefragt: Warum ausgerechnet jetzt? Und nie hatte ich eine Antwort auf diese Frage. Jetzt im Nachhinein ist die Antwort ganz leicht. Wer weiß, ob ich es später irgendwann einmal schaffe den Weg zu laufen, ob ich es dann noch kann.
Nach wie vor steht mein Plan meinen 40. Geburtstag auf dem Weg zu feiern. Aber die Zweifel, ob ich das kann, ob ich den Strapazen gewachsen bin, sind meinerseits sehr groß.
Eigentlich bin ich mir sicher, dass ich den Strapazen nicht gewachsen bin. Meine Beine fühlen sich so müde an, die MS-bedingte chronische Erschöpfung - auch Fatigue-Syndrom genannt - hat mich voll im Griff. Im Augenblick fühlt sich einfach alles anstrengend an und ich bin einfach nur müde und erschöpft. Ein bis zwei Tage die Woche gibt es dennoch den medikamentösen Durchhänger nach der Spritzentherapie - wie soll man so einen Weg bewältigen.
Wahrscheinlich muss ich meine Ansprüche zurückschrauben, darf nicht so große Anforderungen an mich stellen und muss mich mit dem zufriedengeben, was geht. Aber die Trauer, über das was nicht mehr klappt darf auch sein und um so größer ist die Zufriedenheit darüber, dass ich meinen Weg schon gegangen bin. Es ist die Erinnerung an diese schönen Zeiten auf dem Weg, das Glücksgefühl, dass mich trägt, wenn ich mich nicht so gut fühle.
Es bleibt mir nichts als abwarten und planen. Der Urlaub im Juni für einen eventuellen Weg geht klar und dann werde ich es wissen. Entweder es geht oder es geht nicht. Den Camino primitvo zu gehen, mit all seinen Höhenmetern, wäre wohl zum jetzigen Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt, aber der Camino Francés mit seinen vielen Möglichkeitenn, sollte irgendwie machbar sein. Ich darf dann nur nicht vergleichen - was und wie war das 2008 und wie ist es nun im Jahr 2013.



Diese Woche war ich mit Paulchem einem waschechtem spanischen Hund, auf dem Jakobsweg unterwegs. Es war Zufall, dass wir bei unserem Spaziergang diesen Weg gekreuzt haben, aber gerade dann, wenn es Zufall ist, freue ich mich um so mehr. Es war schön und es hat Spaß gemacht für eine kurze Zeit auf dem Weg zu sein, auch wenn man Spaziergang und Pilgerei nicht vergleichen kann. Aber gerade dann kommt die Hoffnung zurück, irgendwann mal wieder unterwegs zu sein.

...kein Abschied vom Camino

September 2012

Inzwischen bin ich seit fast drei Monaten von meinem abgebrochenen Camino zurück.
Ich habe mir auf dem Weg immer wieder Gedanken gemacht, ob dieser Weg wohl mein letzter Camino war. Das Laufen war anstrengend, der chronische Muskelkater - den ich auch im Alltag in den Beinen habe - hat geschlaucht.
Aber der Gedanke mich noch einmal, so wie ich es mir immer vorgenommen habe, auf den Weg zu machen, ist nach wie vor präsent. Vielleicht ist es verrückt, aber meinen 40. Geburtstag möchte ich auf dem Weg verbringen. Vorgenommen habe ich mir immer den Primitivo, vielleicht ist dieser Weg mit seinen vielen Höhenmetern zu anstrengend, aber die Bilder faszinieren mich. Kurzentschlossen habe ich mir den Reiseführer zum Primitivo besorgt um genaue Recherchen im Vorfeld führen zu können. Für den Fall das es auf dem Weg warm oder heiß wäre, bräuchte ich einen Kühlschrank oder Tiefkühlfächer um Eiselemente zur Kühlung meiner Spritzen zu haben. Wie weit sind die Herbergen auseinander, wie sind die Wegbeschaffenheiten, wie das Umfeld.
Vielleicht führt es mich auch noch einmal auf den Camino Francés. Das was ich mir nach meinem ersten Camino 2008 nicht vorstellen konnte, ist inzwischen für mich durchaus denkbar. Es muss ja nicht der komplette Camino sein, aber die Strecke von Leon oder Astorga nach Santiago hat mir damals sehr gut gefallen.


Mal sehen, was sich mit der Zeit ergibt. Was nächstes Jahr im Sommer ist, kann weder ich noch sonst jemand im Vorfeld wissen, aber es ist gut Pläne zu haben.
Also, mein Blog ist scheinbar noch nicht zu Ende und auch nicht der Weg den ich in meinen Gedanken gehe. Aber jetzt steht erst einmal mein Umzug in eine neue Wohnung an...

spontane Heimreise


27. Juni 2012, später Vormittag
Islares – Bilbao – Münster

Nach dem kleinen, aber dennoch Kraft gebenden Frühstück laufe ich gemütlich zur Bushaltestelle. Als ich dort ankomme, stehen schon sehr viele Menschen an der Haltestelle – in wenigen Minuten kommt der Bus nach Castro Urdiales. Warum nicht nach Castro Urdiales? Gestern hat mir dieser Ort so gut gefallen, und eigentlich ist es schade, dass ich den schönen Strand und das gute Wetter nicht zum ausgiebigen Baden benutzt habe. Also gut, ich fahre erst einmal nach Castro Urdiales, der nächste Bus nach Laredo oder Liendo wird nicht so bald kommen.
In einem winzigen, aber sehr vollen und überhitzen Bus, fahre ich stehend nach Castro Urdiales. Als ich an der Stierkampfarena aussteige, sehe ich wo ich gestern einen Abzweig verpasst habe. Zufällig steht auf genau gegenüber von meinem aus Islares ankommenden Bus der Bus nach Bilbao.


Es ist glühend heiß und so langsam weiß ich, warum ich nach Castro Urdiales zurückgefahren bin. Ich werde hier, jetzt und sofort meinen Camino beenden. Ich habe immer gewusst, dass ich momentan dieser Strapaze nicht gewachsen bin. Ich habe es immer gewusst dass ich es dieses Jahr nicht schaffen werde, es war nur eine Frage der Zeit bis ich es mir selbst eingestehe und zugebe.
Dass ich bereits heute aufhören würde, habe ich heute Morgen, trotz aller körperlicher Beschwerden nicht geahnt. Die Entscheidung fühlt sich gut und richtig an und die spontane Entscheidung fällt mir ganz leicht – ich überlege gar nicht länger, denke nicht weiter nach. Ich steige in den Bus nach Bilbao ein und nur fünf Minuten später fahre ich mit dem Bus die Strecke zurück, die ich in den letzten zwei Tagen zu Fuß bewältigt habe. Ich verschwende keinen Gedanken mehr daran, dass ich einfach noch einige Tage Kultur- und Badeurlaub machen könnte. Ich möchte einfach nur nach Hause.
Als ich in Bilbao aus dem Bus steige ist es glühend heiß, die Hitze schlaucht und um so glücklicher bin ich, als ich sehe, dass nur zwei Bussteige entfernt der Flughafen-Bus steht. Auch hier steige ich ein und es geht direkt los. Wenn das kein Zeichen ist! Drei Busse stehen zufällig und ungeplant immer gerade an der richtigen Stelle – es hat so sollen sein!
Das erste Mal seit Tagen fühle ich mich total gut und beschwingt und weiß, dass alles was ich so gerade tue richtig ist. Ich verschwende keinen Gedanken mehr daran, weiter zu laufen.
Ich bin nicht gescheitert, ich habe es versucht – und ich habe es auch geschafft – nur nicht die ganze Strecke. Aber wie man immer wieder hört und liest: Die Strecke des Küstenweges durch das Baskenland ist der schönste und auch schwierigste Teil des Camino del Nortes und diesen Weg habe ich geschafft. Es war nicht leicht, schmerzfrei schon gar nicht, aber ich habe ihn geschafft!
Am Flughafen klappere ich alle Fluggesellschaften ab und kann einen Flug für den Nachmittag buchen. Der Flug ist nicht wirklich günstig, aber wenn ich mich hier in Bilbao noch für einige Tage in ein Hotel einquartiere um auf einen billigeren Flug zu warten, werden die Gesamtkosten auch nicht günstiger.
Vom Flughafen aus melde ich mich kurz mit einer sms bei meiner Familie, die etwas überrascht, aber nicht unglücklich über diese Entscheidung ist. Die Stunden am Flughafen vergehen relativ schnell. Als erstes ziehe ich meine Wanderschuhe aus und laufe nur noch im meinen Crocs umher. So hässlich wie die Dinger sind, so bequem sind sie auch.
Von Bilbao geht es über Palma mit einigem Aufenthalt nach Düsseldorf. Leider dauert die Gepäckausgabe in Düsseldorf sehr lange und so verpasse ich den letzten Zug nach Münster. Ich erkundige mich nach einem Hotel in Flughafennähe, weil ich einfach nur müde und kaputt bin, aber die Preise lassen mich schnell wieder erwachen. Nein, Danke! Dadurch dass ich bis zum nächsten Zug noch Zeit habe, kann ich noch das Elfmeterschießen der Europa Meisterschaft von Portugal und
Spanien in einer Flughafenkneipe anschauen. Spanien gewinnt und der Jubel ist riesengroß von allen Reisenden.

Der Zug hat leider Verspätung und so zieht sich die Wartezeit noch um eine weitere halbe Stunde heraus. Morgens um 5 Uhr bin ich endlich nach einem langen Tag wieder zurück in Münster. Erst einmal ausschlafen in meinem Bett und dann werde ich sehen, welche Überraschungen mein Resturlaub daheim noch für mich bereithält.

Es war keine falsche Entscheidung mich auf den Weg zu machen, aber es war auch die richtige Entscheidung den Weg zu beenden. Ich habe es keine Minute bereut und ich erfreue mich an dem zurückgelegten Weg.
Ob ich mich noch einmal auf den Weg mache? Pilgere ich den Camino del Norte vielleicht irgendwann noch zu Ende?
Die Zeit wird es zeigen, es wird sich – wie so fast alles im Leben – ergeben, und wie es sein wird, es wird kommen wie es kommen muss.

Islares - El Pontarron del Guriezo - Islares


27. Juni 2012
Islares – El Pontarron del Guriezo – Islares
Die Nacht auf dem mit etwas Schaumstoff belegten Holz war fürchterlich.
Habe ich geschlafen? Ich weiß es nicht - wahrscheinlich, aber ich fühle mich total gerädert. Um 6 Uhr kramt die Schweizerin schon in ihren Sachen und so quäle ich mich aus meinem nur 10cm über dem Boden gelegenen Bett. Mir tut restlos alles weh. Taten zuvor nur die Füße aufgrund multipler Blasen und der Reizungen in den Zehen, im Vorfuß und den Fersen weh kommt nun der Sonnenbrand an den Unterschenkeln und ein blockiertes ISG hinzu. Ich weiß kaum, wie ich die wenigen Treppenstufen vor der Herberge herunterkommen soll.
Auch heute wird es wieder ein heißer Tag werden. Noch liegen die mich umgebenden Berge im Dunst, aber es ist schon zu spüren – es wird richtig heiß.



Ich verlasse die Herberge und laufe den Wegweisern nach. Ich hoffe, in den etwas weiter entfernten Bars, die gestern erst sehr spät am Abend Speisen zubereiteten, ein Frühstück zu bekommen. Heute bin ich eindeutig zu früh, die Bar hat noch geschlossen, aber es macht mir nichts aus, denn in 4-5 Kilometern soll es etwas zu essen geben. Der Weg führt mich über eine Betonstraße meist leicht abwärts. Das Meer zieht sich hier in einem Meeresarm tief in´s Land hinein. Auf der Gegenseite kann ich ein Dorf sehen, es sieht ganz nah aus – und doch ist es weit entfernt. Der Meeresarm muss auf kompletter Länge umrundet werden.


Die Autos preschen an mir vorbei und mehr als einmal habe ich Sorge, dass man mich schlicht übersehen könnte – da kann mein Rucksack noch so orange sein. Ich folge der Straße und komme zum Abzweig nach Liendo. Da ich Appetit und Frühstückshunger habe, entschließe ich mich der Straße auf einem weiteren Kilometer in´s Dorf zu folgen. Diesen Kilometer nehme ich gerne auf mich, aber die nächsten 14 Kilometer ohne Mahlzeit schaffe ich nicht. Das Dörfchen ist winzig klein und als ich die Bar erreiche stelle ich fest, dass auch diese geschlossen ist. Keine Chance auf ein Frühstück, sie öffnet erst in mehreren Stunden.

Da mir auf der Via Plata auch schon mal auf ein lautes Klopfen geöffnet wurde – und ich habe das Gefühl es ist jemand im Raum – klopfe ich mehrfach laut an. Aber nichts, ich werde nicht gehört oder wenn doch, wird mir nicht geöffnet. Genervt setze ich mich in den Schatten auf einen der vor der Bar stehenden Stühle. Als ob mein Reiseführer Rat wissen könnte, packe ich ihn mal wieder aus und lese nach, wohin mich der Weg nun führen wird. Das pilgernde Mutter-Kind-Geschwader läuft an mir vorbei – sie möchten heute die Alternativroute laufen, die durch diesen Ort führt. Ich grüße kurz und entscheide mich ganz spontan mit dem Bus nach Islares zurück zu fahren. Was ich dort will, ist mir noch nicht ganz klar. Was mir in der nächsten halben Stunde aber ganz klar wird ist, dass es in diesem Kaff noch Stunden dauern kann bis ein Bus fährt. Die Einheimischen weisen mich auf einen Bus am späten Vormittag hin. Da ich mich momentan total schlapp und reich an Schmerzen fühle und nicht stundenlang in diesem trostlosen Straßendorf verweilen möchte, entschließe ich mich nach Islares zurückzulaufen. Ich drehe nach der Pause vor der geschlossenen Bar einfach um und laufe die 5 Kilometer auf der Straße zurück, die ich vorhin erst gekommen bin.



Ich treffe niemanden bis zur Ortschaft, aber in Islares kommt mir Peter entgegen, der zeitgleich mit mir ein Pobena übernachtet hat. Er versteht nicht wohin ich möchte und was ich vorhabe, lässt mich dann aber mit einem "Buen Camino" und alles Gute meines Weges ziehen. Inzwischen hat in Islares die Strandbar geöffnet  und ich kehre hungrig für ein Frühstück ein.
Nach einem starken Kaffee und zwei Scheiben Toast mit Marmelade frage ich mich mal wieder: Was möchte ich denn in Islares machen? Eine weitere Nacht in der wenig einladenden Herberge? Soll ich einen Tag Pause machen und mit dem Bus in den nächsten Etappenort fahren? Wie lange halten mein Körper und meine Füße diese Strapazen bei der Hitze noch aus? Auf einem Thermometer werden jetzt um 10.00 Uhr morgens schon 35 Grad Celsius angezeigt. Wie lange bin ich bereit die täglichen Fußschmerzen auszuhalten? Was hat es mit meinem morgendlich tauben linken Fuß auf sich? Schade ich mir vielleicht, wenn ich alles bis zum „geht nicht mehr“ ausreize?
Während ich so in der Bar vor mich hin sinniere überlege ich mir erst einmal den noch fehlenden Kilometer bis zur Bushaltestelle zu laufen – dann werde ich sehen, was es für Möglichkeiten gibt.

Pobena - Castro Urdiales - Islares

26. Juni 2012
Pobena – Castro Urdiales – Islares

Nach einer im Tiefschlaf verbrachten, traumlosen Nacht wache im um 6 Uhr total fertig und gerädert auf. Obwohl ich prima geschlafen habe fühle ich mich total geschlaucht. Unsere Hospitaliera Alliende hat zu 7 Uhr ein kleines Frühstück angekündigt und da ich nicht mehr liegen kann, stehe ich schon einmal auf. Die Luft draußen vor der Tür ist sommerlich warm und gleichzeitig erfrischend. In einem kleinen Herbergsraum mit vielen Pilgern gleichzeitig, wobei die meisten Pilger am liebsten ohne Frischluft nächtigen, ist die Luft morgens kaum zum Aushalten. Solange man den Raum nicht verlässt mag es noch gehen, aber wenn man wieder reinkommt, fällt man fast rückwärts aus der Tür. Im Garten sitzend bleibe ich nicht lange allein.


Ich genieße den Blick auf das Umland – alles liegt noch im morgendlichen Dunst. Um 7 Uhr gibt es, wie angekündigt, ein kleines Frühstück. Heißes Wasser mit Kaffeepulver oder Tee und Milch, Baguette und Marmelade. Wie immer und üblich in Spanien, aber heute sitzen wir in großer gemeinsamer Runde mit allen, die früh aufbrechen am Tisch.


Es ist eine große, gemütlich, entspannte Runde und wir alle freuen uns auf den sommerlichen Wandertag der fast komplett am Meer entlang führt.  Heute gibt es zwei Wegvarianten, die offizielle und eine sehr schöne Abkürzung. Kann man die Abkürzung finden, reichen die Informationen aus dem Reiseführer, gibt es womöglich Wegweiser? Niemand weiß es, aber ich möchte diese Variante ausprobieren. Die offizielle Route führt durch das Hinterland, die Alternative zwei Kilometer über den Seitenstreifen einer Straße, aber dann nur durch´s Grüne.
Nach dem Frühstück verabschiede ich mich von Luna. Sie wird den Vormittag heute noch am Strand und im Meer verbringen und am frühen Nachmittag nach Bilbao zurückfahren oder alternativ laufen. Für sie ist es nur wichtig abends in Bilbao zu sein, da ihr Flieger am darauf folgenden Tag in aller Frühe abhebt. Wir tauschen noch schnell unsere Email-Adressen, umarmen uns noch schnell, wünschen alles Gute, dann gehe ich. Diese Abschiede gehören zum Weg.
Man lernt Pilger kennen, man begleitet sich ein Stück weit, und verabschiedet sich wieder. Bei einigen Pilgern weiß man einfach nicht, wo sie geblieben sind – man trifft sie nicht wieder. Eddie humpelt schlimm – er ist am Abend noch einmal am Strand gewesen und ist in eine Glasscherbe geschnitten und hat sich eine tiefe Schnittwunde  unter dem Vorfuß zugezogen. Er ist sich noch nicht sicher, ob er heute laufen kann – oder wie weit er mit der Verletzung kommen wird. Ich denke ein Tag Auszeit wäre auf jeden Fall für den Fuß gut.
Von der Herberge laufe ich den schon bekannten Weg zum Strand und biege kurz vorher auf den Uferweg ab. Der Uferweg ist wunderschön und läuft immer direkt oberhalb der Küste lang. Schaue ich nach vorne sehe ich ein strahlend blaues Meer, schaue ich zurück sehe ich alles im Gegenlicht.




Sie Sonne spiegelt sich im Meer, die Berge liegen im Dunst und ich kann sehen, von wo ich gestern gekommen bin. Über dem Meer liegt ein sanfter Dunstschleier, aber schon jetzt kann man spüren, dass es ein heißer Tag wird. Wie so häufig am Morgen wird mein Fuß nach einiger Zeit wieder taub. Ich ziehe mal wieder den Schuh aus und laufe mit nur einem Schuh etwas hin und her und wackele mit dem Fuß bis das Gefühl zurück ist.



Ich werde von einem kleinen Vogel begleitet. Der Vogel sitzt ständig auf dem Geländer und schaut mir interessiert zu, komme ich näher fliegt er ein Stück weiter. Er scheint nicht so ängstlich zu sein, wie alle anderen Vögel bisher. Die meisten Vögel fliegen spätestens dann weg, wenn mein Objektiv ausfährt. Das Geräusch vom Zoom mögen sie scheinbar nicht leiden. Bei diesem Vögelchen ist es ganz anders. Es schaut mich immer an, singt mir etwas vor und ist überaus neugierig und fotogen. Mir gelingen zwei schöne Fotos, die mich sehr erfreuen.



Die Blicke auf den Ozean sind immer wieder wunderschön. Teils sanft abfallende grüne Wiesen, dann wieder zerklüftete Buchten, einzelne Bäume, dazwischen Blumen und einfach sehr viel grün. Grün ist die Farbe die auf diesem Weg absolut dominant ist.




Nach einigen Kilometern führt der Weg etwas in´s Land hinein und abwärts zu einem kleinen Dorf. Hier gilt es nun zu entscheiden: Laufe ich den ausgeschilderten Originalweg oder traue ich mich an die Alternative, in der Hoffnung sie auch zu finden. Ich traue mich und mache mich auf den Alternativweg.


Ich habe etwas „Angst“ vor der Wegbeschreibung aus de Pilgerfüher: 2km die Straße bergauf, 800 Meter abwärts, … nach 1,4 km eine Rechtskurve, nach 800 Metern eine Linkskurve – hier verlassen sie die Straße auf einen  Weg… etc. Reicht mein Gespür um die besagten Meter einzuschätzen, ist es vielleicht alles ganz leicht und eindeutig oder gibt es evtl. gelbe Wegweiser?




Über die besagte Straße geht es auf einem schmalen Seitenstreifen bergauf, dabei ergeben sich immer wieder schöne Blicke auf das Meer mit seinen vielen Buchten, auch Castro Urdiales ist in der Ferne schon zu sehen.




Ich stelle fest, dass es nicht viele, aber genügend gelbe Wegweiser gibt. Nachdem ich die Straße abwärts gelaufen bin, kann ich den Stand von Minono unterhalb liegen sehen und finde auch die Piste die mich steil nach unten führt.



Am Strand von Minono treffe ich die Schweizer Edda, die ich gestern erstmals traf, beim Baden. Antonio und Mario, zwei weitere Italiener, kommen gerade auch aus dem Meer. Ein Bad in dieser Bucht ist sehr verlockend, aber ich habe Angst vor dem anschließenden Sand in den Schuhen. Auch wenn man sich nach dem Bad noch so gut reinigt und abtrocknet, irgendwo bleiben immer Sandkörner zurück. Durch den Sand würden meine sowieso schon vorhandenen Blasen noch weiter gereizt oder noch weitere kämen hinzu. Wasser quillt zudem die Haut auf und macht sie anfällig für Reizungen und Scheuerstellen. So setze ich mich nur kurz auf die Bank, trinke Wasser, creme mich ein weiteres Mal mit Sonnencreme ein und laufe weiter. Am Ende der Bucht ist die Wegführung nicht eindeutig – es gibt zweierlei Wegweiser.



Welcher ist nun richtig? Noch ehe ich es mir genauer überlegen kann oder meinen Reiseführer ausgepackt habe, kommt ein Einheimischer hilfreich auf mich zu und schickt mich auf den steil bergauf führenden Weg. Der Weg führt steil bergan und kommt auf einem Wiesenhang oberhalb der Bucht heraus. Die weitere Wegführung ist nicht eindeutig, der Wiesenweg verliert sich irgendwo im Grün. Laut meinem Reiseführer soll es über die Wiese zu einer Straße gehen, aber ein weiterer Einheimischer der mit seinem Hund herumtollt schickt mich immer an der Küste lang über die Wiese, die irgendwann wieder auf einen Weg führen soll.




Irgendwann stoße ich wieder auf einen als solchen und auch gekennzeichneten Trampelpfad. Castro Urdiales kann man in großer Entfernung liegen sehen, im Zoom vom Fotoapparat sieht es schon ganz nah aus. Über die Wiese komme ich zu einer Schotterpiste und einigen wenigen Häusern, aber bald verläuft sich der Weg wieder im Grünen.




Laut Reiseführer soll es immer am Hang entlang der Küste langgehen und so stapfe ich mutig weiter. In einiger Entfernung vor mir sehe ich die Italiener, so falsch kann ich nicht sein, stoße aber bald wieder auf einen Wegweiser, auch wenn der zugehörige Weg fast nicht zu erkennen ist. Durch einige dichte Gebüsche und dann wieder gut sichtbare Wiesenwege geht es aufwärts.




Hinter einer Bergkuppe und einer Wegbiegung liegt Castro Urdiales plötzlich fast vor mir. Ich klettere einen steilen Abhang hinunter, freue mich dabei über meine Stöcke, denen ich aber nicht immer traue und erreiche kurze Zeit später den Stadtrand von Castro Urdiales. Der Strand liegt wunderschön vor mir, hinter der Bucht die Altstadt mit der Kirche und seiner Festung.



Ich umrunde den Strand auf der Promenade, genieße das Flair auf der Promenade und setze mich in eine Bar. Es ist noch nicht sehr spät am Tag und ich ziehe meinen Reiseführer zu Rat. Während eines erfrischenden Getränkes und einem Stück Tortilla komme ich zum Entschluss spontan noch 8km zu laufen. Schon einmal ist dieser Plan gescheitert und Castro Urdiales ist wirklich hübsch, aber ich fühle mich gut und strategisch macht es für die nächsten Etappen Sinn die 8 Kilometer nach Islares anzuhängen. Es ist eine spontane Entscheidung und ich hoffe, dass ich diesen Entschluss nicht schon nach wenigen Metern wieder bereue.
Es ist tierisch heiß, aber ich beschließe weiter zu gehen. Vorher lasse ich mir in der Touristeninformation noch einen Stempel in die Credencial geben, als Beweis, dass ich hier war. Auf einer engen Straße führt der Weg durch das Städtchen wieder hinaus.


Ich weiß nicht, ob ich irgendwo eine Abzweigung übersehen habe, oder ob der Weg zwischenzeitlich geändert wurde, aber er passt nicht mit der Wegbeschreibung meines allwissenden Buches zusammen. Bundesstraße und Autobahn laufen parallel nebeneinander her und auch die Autos auf der Bundesstraße düsen in einem irren Tempo an mir vorbei. Wohl und sicher fühle ich mich bei der Aktion nicht, aber umkehren kommt für mich nicht in Frage und Islares ist schließlich auf den Straßenschildern ausgeschildert.




Irgendwann kann ich durch einen Autobahntunnel in ein Dorf abbiegen und dort treffe ich wieder aus meine gelben Wegweiser. Der Weg führt weiter parallel zur Autobahn, aber nun über eine wenig befahrene Landstraße. Über die Landstraße werde ich durch mehrere kleine Dörfer weiter bergauf geführt, irgendwann komme ich wieder auf einen schmalen, steinigen Feld-, Wald- und Wiesenweg. Diese schmalen und unebenen Dinge sind einfach nicht mein Ding.




Ich merke schon seit einigen Kilometern dass ich an meine Grenze komme. Ich kann nicht mehr, ich schleppe mich so voran, stolpere viel  und einen Sonnenbrand habe ich trotz vieler Sonnencremepausen auch. Die Rückseite meiner Unterschenkel sind in der Sonne verbrannt. Ich wünsche mir einfach nur anzukommen.




So gut die Kilometer bis Castro Urdiales waren, so strapaziös sind diese letzten Kilometer vor Islares. Über einen weiteren Wiesenweg oberhalb der Küste werde ich weitergeleitet und ich warte darauf Islares endlich sehen zu können.




Hinter einer Kurve und einem Wäldchen kann ich den Ort endlich sehen, aber die letzten Meter auf der Landstraße ziehen sich in die Länge.




Als ich vor der Herberge stehe ist diese geschlossen, da aber eine Telefonnummer an der Herberge hängt rufe ich direkt an. Nur wenig später wird mir von innen geöffnet. Die Herberge ist klein und es gibt dreigeschossige Etagenbetten. Dünne Schaumstoffmatten auf Sperrholzbrettern. Die Duschen sind schon des längeren nicht mehr geputzt worden, aber dass ist mir reichlich egal. Ich dusche mich, wasche meine Wäsche und ruhe mich aus.


Welch ein Unterschied zu gestern. In Pobena wurden wir alle herzlich willkommen geheißen, die Hospitaliera kümmerte sich um alle und strahlte eine herzliche Atmosphäre aus. Unser heutiger Hospitaliero liegt die ganze Zeit auf einem freien Bett und telefoniert. Telefoniert er nicht hört er sehr laut Radio oder schläft. Durch ankommende neue Pilger scheint er sich eher gestört zu fühlen - dann lieber kein Hospitaliero wie so oft auf der Via Plata.
Später setzte ich mich in den Schatten vor der Herberge. Dort sitzen eine Mutter mit ihrer Tochter, die sich spontan auf den Weg gemacht haben. Dass sie nicht lange geplant haben, sieht man an ihren riesigen Rucksäcken und den schweren Jeanshosen. Wir unterhalten uns nett, dann erkunde ich die Gegend. Über einen Naturpfad soll man zum Meer kommen, aber ich laufe und laufe, komme aber an keinen Strand. Der Weg ist wundervoll, aber meine Crocs sind dafür nicht geeignet.




Ein Abendessen zu finden gestaltet sich auch recht schwierig, da alle Einkehrmöglichkeiten weit von der Herberge entfernt sind und nicht vor 21 Uhr servieren. Irgendwo bekomme ich ein trockenes Croissant und begnüge mich damit für den Abend. Mir graut es vor der Nacht auf den Schaumstoffmatten – wirklich bequem sind sie nicht, außerdem riecht es im Schlafzimmer sehr muffig, aber die Jungs haben schon wieder das Fenster geschlossen.