Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Castro - Fonsagrada/Padron + Dia-Show 3



Auch wenn es mir gesundheitlich momentan überhaupt nicht gut geht und meine Seuche mich mal wieder ärgert und die vielen Medikamente schlauchen, versuche ich mal meinen Bericht vom Primitivo fortzusetzen. Der MS-Schub geht momentan stark auf die Bewegung der Augen, aber das Schauen auf einen festen Punkt wie den PC ist noch das Leichteste an der Sache. Alle Gegenstände in meiner Umgebung flimmern und wackeln von rechts nach links, dann also einen Festpunkt wie den PC und Erinnerungen notieren und sich an dem schönen Erlebten freuen.


17. Mai 2014
Castro – Fonsagrada/Padron, 21 Kilomter

Heute kommt mein Gruß am Ende des Tages aus Padron, einem Ortsteil oder einem winzigen Dorf hinter oder von Fonsagrada. Kilometertechnisch ist die Hälfte des Weges geschafft und es ist gut so, ich bin heute so kaputt und geschlaucht, die Kilometer der vorherigen zwei Tage über Hospitales und der Ab- und Aufstieg nach Grandas de Salime sitzen mir in den Knochen und jeder Schritt des heutigen Tages fühlte sich anstrengend an.
 Die Nacht in der schönen Herberge von Castro war sehr erholsam, auch wenn ich längere Zeit benötigte um in den Schlaf zu kommen. Meine Hüfte, die Beine und die Zehen machen sich in Ruhe bemerkbar, tun weh und fühlen sich unruhig an. Wenn man relativ zeitig schlafen geht, ist man auch relativ früh am Tag wach, aber ausgeschlafen und erholt. Irgendwann ist es genug mit Nachtruhe und unweigerlich wird man vom neuen Tag angezogen und möchte starten. 


Da es aber viele Kilometer bis zur ersten Frühstückmöglichkeit sind (in Asturien gibt es keine Bar mehr, erst wieder in Galizien) nutzen wir alle die Möglichkeit gemeinsam ein Frühstück in der tollen Jugendherberge von Castro zu genießen. Bei kühlen Temperaturen stehen wir in der Dämmerung vor der Bar, sitzen auf den Mauern, laufen vor der Bar auf und ab, jeder so wie er möchte. Jeder beginnt den Tag anders, ausschlafen bis zum „letzten“ Moment, oder ruhig den Tag beginnen. Die Dämmerung setzt nach wie vor gegen 7 Uhr am Morgen ein, um 7.30 Uhr gibt es Frühstück und dann ist es hell genug zum Start und dann wird es auch langsam wärmer werden. 


Das Frühstück ist ähnlich wie überall, aber sehr lecker. In der Jugendherberge wird frisch gekocht und selbst hergestellt und so gibt es eine leckere selbst gekochte Marmelade zu Brot, Kaffee und Saft. Jeder isst in seinem eigenen Tempo, bezahlt wurde schon am Vortag, und nach und nach machen wir uns alle auf den Weg. Auch wenn das Frühstück zeitgleich begonnen wurde, und wir alle relativ zeitnah starten zieht sich die Truppe bald wieder auseinander und wir verlieren uns aus den Augen – so wie jeden Tag. Hinter dem Dorf biegt der Weg, wie schon so häufig, in einen schönen Hohlweg ab, der um diese Zeit noch im Schatten liegt. 




Beim Laufen wird einem aber immer schnell warm und am Himmel sieht man, dass es wieder ein wunderschöner Tag werden wird. Der Hohlweg führt auf Wiesenwege durch Baumbestandene Wege, führt an einigen kleinen Kapellen vorbei und in ein Dorf hinein. Hinter dem Dorf geht es auf eine Straße und auch wenn ich meinen Pilgerwegweiser nicht sehe (existiert er???) weiß ich, dass ich richtig bin, denn die Straßenbeschilderung der Autofahrer zeigt eindeutig Fonsagrada an.


 Also folge ich auf einer kurzen Strecke der wenig befahrenen Autostraße und treffe irgendwann 
wieder auf meinen gelben Pfeil.


Das Laufen fühlt sich heute bei jedem Schritt anstrengend an. Anstrengender als an den vorherigen Tagen und wie immer führt der Weg bergauf. Eigentlich nicht verwunderlich, denn in der Ferne auf dem Berg sehe ich Windräder. Routiniert wie ich inzwischen bin, kann ich mir denken, was das zu bedeuten hat. 


Eigentlich sieht es nicht steil aus, aber es fühlt sich steil an und die Steigung nimmt kein Ende. Ich überquere eine Straße, marschiere durch ein Holztor und folge einem schmalen Steinweg aufwärts. Meine Mitpilger sind zügiger unterwegs, überholen mich von hinten schwungvoll und verschwinden vor der nächsten Kurve.




Ich hingegen laufe einige Schritte, kurze Pause, laufe, pausiere und schleiche so die Anhöhe zu den Windrädern hoch. Nach relativ kurzer, aber gefühlt langer Zeit, erreiche ich den Windpark um festzustellen, dass das nur der Beginn eines Windparkes – oder noch nicht der Windpark auf der Höhe ist – und setze meinen Weg fort. 



Da der Weg so schön in der Sonne liegt, neben dem Weg eine schöne sitzgerechte „Anhöhe“ zum Pausieren lockt, setze ich mich zwischen Heide und sonstiges Grün und beende die Pause direkt wieder, denn ich sitze in einem stacheligem Gestrüpp, dass sehr schön grün, weich und einladend aussieht, es aber nicht ist. Also weiter. Von der Kühle des Morgens ist längst nichts mehr zu merken, meine Betriebstemperatur habe ich längstens erreicht. Immer weiter geht es aufwärts, der Weg ist schön, aber so ganz kann ich es nicht genießen. 



Meine Zehen tun mir, so wie jeden Tag, weh und machen das Laufen so nicht einfacher. Auch die langsamste, erschöpfstete Schnecke erreicht irgendwann ihr „Teilziel“ und ich erreiche die Anhöhe des Windparks. 




Nach einem Halleluja geht es vorbei an den Windrädern und wieder hinab in die nächste Ebene, das nächste Tal, auf jeden Fall nicht aufwärts. Urplötzlich ändert sich der Charakter des Weges und von der vorher reichlich vorhandenen Heide sieht man fast nichts mehr. Durch einen grünen Wald geht es abwärts. Auf der linken Seite des Weges sieht man eine kleine schwarze Steinplatte, davor einen schmalen Steinstrich und nachdem ich diese Steinlinie überschritten habe bin ich nicht mehr in der Provinz Asturien sondern in Galizien, der Provinz meines großen Zieles Santiago de Compostela. 




Das wichtigste in diesem Moment ist aber, dass alle Pilger wissen, dass es von diese Ort nicht mehr weit bis zu ersten galizischen Bar und damit dem wichtigsten des Weges ist: einer Bar zum Pausieren und Kaffeetrinken. Der grüne Waldweg führt abwärts auf eine Straße zu, an der ein einziges weißes Haus zu sehen ist, davor einige Steinbänke mit Rucksäcken und Pilgern. Auch ich erreiche die Bar, werde freudig begrüßt, setze den Rucksack ab und freue mich dieses Mal nicht in stacheliger Natur zum Sitzen zu kommen. Bei einer großen Tasse Milchkaffee, meiner Pausenbanane und 1,5 Liter Wasser wird es in der Sonne schnell wieder kühl und man spürt, dass die Wärme von einem selber ausgeht. In der Bar herrscht – wie immer – ein reges kommen und gehen. Derweil ich mich erhole brechen einige Mitpilger schon wieder auf und als ich erholt zum Aufbruch bin, kommen einige weitere Mitpilger an. Es ist immer schön sich zu sehen, erwartet zu werden und dann in aller Ruhe und eigenem Tempo seinen Weg fortzusetzen. Hinter der Bar geht es wieder auf eine Piste, die nun wieder durch die typische Heide- und Ginsterlandschaft führt.




Es ist merklich ebener als zuvor und die Stadt Fonsagrada ist am Horizont zu sehen. Ich überquere eine Straße, auf der die Entfernung nach Fonsagrada für die Autofahrer mit 10 Kilometern angegeben wird. Mein Weg zieht sich in die Länge, auch wenn 10 Kilometer gar nicht wirklich weit sind, und gefühlt zwei Stunden später (ich bin immer ohne Armbanduhr unterwegs und völlig ahnungslos wie spät es ist) erreiche ich die gleiche Straße wieder und das Straßenschild zeigt immer noch eine Entfernung von 9 Kilometer an. Ausgerechnet heute, wo ich so erschöpft bin. Nun führt mich mein Weg, parallel zur Straße durch einen breiten Grünstreifen getrennt, den gleichen Weg wie die Autofahrer zum Zielort. 




Wenige Meter von einer Straßenkreuzung entfernt gibt es eine zweite Pausenmöglichkeit. Auch wenn die vorherige Bar noch nicht so weit entfernt ist nutze ich die Gelegenheit für eine weiter kurze Auszeit und eine Toilettenpause. Endlich mal ein ordentliches WC im richtigen Moment. Als ich ankomme verlassen Anastasja und Andreas das gemütliche Restaurant und ich strecke meine Beine aus.




Nach einer erholsamen Pause treffe ich Andreas wieder. Mein junger, fitter und schneller Mitpilger sitzt erschöpft am Straßenrand auf einem Stein und ist körperlich fertig. Ihn quält ein starker Hüftschmerz und auch er ist froh, seinen Weg nicht allein fortsetzen zu müssen. Seine flotten Mitpilger hat er heute ziehen lassen und so schleichen wir in meinem Tempo nach Fonsagrada – was ihm und seinen Schmerzen aber sehr gut bekommt und ich freue mich über die Gesellschaft, auch wenn wir viel schweigend nebeneinander her laufen. Wie es immer so will, liegt das Tagesziel auf einer Anhöhe und der letzte Aufstieg hat es noch einmal in sich und natürlich gibt es bei diesem Aufstieg in die Stadt keinen Schatten.




Fonsagrada ist kein wirklich schöner Ort, aber es ist eine Stadt. In Fonsagrada decken wir uns mit einigen Lebensmitteln ein, weil die Herberge von Padron einen Kilometer hinter der Ortschaft liegt und es dort nichts zu kaufen gibt – und natürlich liegt Padron die Straße hinab, so dass man im Nachhinein die Straße wieder bergauf laufen müsste.
In einem Laden erstehe ich Obst und Joghurt, leider gibt es kein frisches Brot. Bevor wir die Ortschaft verlassen kommen wir an die Plaza wo der Markt gerade schließt und die Betreiber dabei sind alle Lebensmittel wieder in ihre Autos zu verstauen. Wir können nur ein großes Brot kaufen und so teilen wir es in zwei Teile und jeder ist zufrieden. Andreas bleibt in einer Kurve kurz vor Padron auf einer Bank am Straßenrand sitzen, um die letzten Reserven für die letzten 500 Meter zu bündeln. Er hat starke Schmerzen, ich bin total erschöpft, möchte aber nur mein Ziel erreichen und ein Bett haben. Leider reißt auf den letzten Metern das dünne Tütchen aus dem Dorfladen und mein Tageseinkauf rollt die Straße hinab. Die angedatschten Pfirsiche kommen in meinen Sonnenhut, den geplatzten Joghurt trage ich in der Hand zu Herberge . Egal wie es aussieht, ich freue mich auf meine Zwischenmahlzeit oder mein Abendbrot oder was auch immer. Wie spät ist es – wahrscheinlich geht es auf 15 Uhr zu. An einer Kurve liegt die Herberge in einem alten Haus, aber es ist nett und ich bin mit jeder Unterkunft zufrieden, Hauptsache am Tagesziel. 


Nach einer kurzen Erholungsphase, einer ausgiebigen Dusche, Wasser und Obst bin ich wieder erstaunlich fit. 


Wir sitzen draußen auf der Wiese, ruhen uns aus, lesen mal wieder im Reiseführer, quatschen und warten auf unsere Wäsche in der Waschmaschine. Gegen Abend bin ich wieder so fit, dass ich tatsächlich noch einmal den Berg hinauf laufe und eine kurze Runde durch Fonsagrada drehe.


Bei der Ankunft zeigte ein Thermometer in der Sonne 18 Grad an, gefühlt waren es aber mindestens 40 Grad in mir drin. Es war anstrengend und schön, und morgen ist ein neuer Tag. Auch wenn meine Mitpilger morgen alle 31 Kilometer bis Castroverde laufen möchten, ich werde es nicht tun. Ich habe genug Zeit und 23 Kilometer sind nach dem heutigen Tag auch genug. Morgen geht es nach Cadavo Baleira und dann werde ich einen Pausentag mit nur 8 Kilometern einlegen. Die Achtkilometer-Etappe passt mir eigentlich nicht in den Kram, für so eine kurze Strecke bin ich noch nie gestartet, aber 30 oder 31 Kilometer widersprechen mir momentan ganz arg. Ich werde es auf mich zukommen lassen, kurzfristig entscheiden, aber eigentlich bin ich mir sehr bewusst, dass mein Körper diese Pause benötigt.


Dia-Show 3:  Castro - Lugo




Diashow 1 - 4

Bald geht es mit Berichten von meinem Primitivo weiter. Momentan fehlt gerade die Zeit alles aufzurschreiben.
Dafür schon mal eine erste Diashow meiner Reise.

                                     Anreise, Oviedo - Campiello


                                     Campiello - Castro


                                      Castro - Lugo


                                     Lugo - Santiago de Compostela


Berducedo - Grandas de Salime - Castro


16. Mai 2014

Berducedo – Grandas de Salime – Castro, 24,6 Kilometer



wandererDie Nacht in dem Schaukelbett war wesentlich besser als erwartet. Ich war so kaputt, dass mir alles egal war und schnell tief und fest geschlafen habe -  nachdem unsere Partytruppe in ihren Betten lag. Selbstverständlich bleiben auch in dieser lauen Nacht die Fenster verriegelt und die Luft ist zum Schneiden, was man aber erst so richtig spürt, wenn man den Schlafraum einmal kurzfristig verlassen hat. Ich erwache als es bereits dämmert und kurze Zeit später klingelt ein Handywecker und der allgemeine Aufbruch beginnt. Ursula nennt das tägliche Phänomen der ankommenden und verschwindenden Pilgerwelle in der Herberge Tsunami-Symptomatik. Innerhalb kürzester Zeit überschwemmen die ankommenden Pilger die Herberge und ebenso schnell wie die Herberge sich nachmittags füllt, entschwinden wir morgens alle wieder, bevor sich das Schauspiel am nächsten Tag wiederholt. Die Bar in Berducedo öffnet erst um 7.30 Uhr und so treffe ich viele bekannte Gesichter vor und in der Bar, die auf ein Frühstück warten. 


Leider ist das Frühstück magerer als erwartet. Man sagte uns zwar am Vorabend, dass die Bar ab 7.30 Uhr Frühstück anbietet, aber leider gibt es nur abgepackte kleine Madeleinas oder eingeschweißte Schokocroissants zum obligatorischen Kaffee. Umso mehr freue ich mich auf die erste Bar am Wegesrand die nach ca. 14 Kilometern direkt am Wegesrand liegen soll. Hoffentlich gibt es diese noch, denn sonst ist der Weg zum Frühstück noch 5 Kilometer weiter und 19 Kilometer, steil ab- und aufwärts sind ohne etwas Gescheites im Magen doch recht weit. Derweil ich Berducedo verlasse, denke ich über den gestrigen Tag und das gute Gefühl die Hospitalroute geschafft zu haben nach. Ich war so stolz als ich die ersten kleinen Häuser von Berducedo gesehen habe. Beim Einlauf in´s Dorf hätte ich gestern gerne die Nationalhymne oder wenigstens eine Trompetenfanfare hören wollen. Es war so ein tolles Gefühl die anstrengendste  Etappe auf diesem Weg geschafft zu haben. Seit Tagen warte ich auf einen gewaltigen Muskelkater, aber dieser hat sich bis heute nicht gemeldet. Während ich auf die Öffnung der Bar gewartet habe, war der Vollmond noch am Himmel zu sehen. Nun, 25 Minuten später, steigt die Sonne am Himmel empor und es ist klar, dass es wieder einen wunderschönen Tag geben wird. 




In einigen Tagen soll das Wetter umschlagen, aber bis dahin werde ich die Sonne und die sich dadurch ergebenden, wunderschönen Blicke genießen. Ich laufe auf der Landstraße, die in einem großen Halbkreis am Rand des Tales vorbei führt. Häufig wechsele ich die Straßenseite, da die Kurven nicht überschaubar sind und es auf dem knappen Seitenrand keine Ausweichmöglichkeit gibt – für den Fall das ein Auto kommen sollte. Glücklicherweise ist die Straße wenig befahren. In der Ferne vor mir läuft Ursula, die ihr eigenes Frühsück mit sich führt und wahrscheinlich damit im Vorteil ist. Ich umrunde im Halbkreis das Tal und erreihe nah 4km La Mesa. 



La Mesa ist ein kleines Dorf, hat nach wie vor keine Einkehrmöglichkeit, aber einen riesigen Windpark auf dem Berg oberhalb des Dorfes. Eigentlich war es nicht anders zu erwarten, aber ich habe es im Stillen erhofft, der Windpark muss zu Fuß erklommen werden. Es geht eine steile Straße hinauf, die nur wenig Schatten bietet. Der schweißtreibende Anstieg ist anstrengend und lässt die Sonne noch wärmer erscheinen als sie ist. Auf jedem kleinen Schattenplatz bleibe nicht nur ich stehen und pausiere kurz und nutze die Zeit zurück auf das Tal und den zurückgelegten Weg zu gucken. Nun sehe ich die Straße, die ich vor einiger Zeit gekommen bin, auf der gegenüberliegenden Seite liegen. 



Der Anstieg will nicht enden und zieht sich in die Länge. Immer wenn ich denke, jetzt bin ich gleich oben, sieht man, dass es hinter der Kurve weiter aufwärts geht. Aber auch der steile Anstieg nimmt irgendwann ein Ende und beim Blick in´s Buch stelle ich fest, dass der Anstieg nur 1,5 Kilometer lang war, aber er fühlte sich wesentlih weiter an. Auf der Höhe angekommen fülle ich meinen Flüssigkeitshaushalt auf, dann geht es direkt weiter. Meine großen Wasserflaschen kann ich nicht im Laufen aus den Seitenfächern meines Rucksackes bekommen, dazu muss ich stehen bleiben und den Rucksack abnehmen, oder ich bitte einen vorbeikommenden Mitpilger mir die Flasche zu reichen. 



Auf der Höhe geht es abseits der Landstraße weiter und ich erreiche das Dörfchen Buspol mit seiner kleinen Kapelle, die ich von vielen Bildern kenne. Am Camino Francés findet man in jedem noch so kleinen Dorf imposante Bauwerke. Hier stehen überall winzigste Kapellen am Wegesrand. 



Kurz hinter Buspol führt der Weg durch Wiesen bevor er zu einem steil abfallenden Trampelpfad und Waldweg wird. Von hier oben kann ich zum ersten Mal mein Tagesziel auf der gegenüberliegenden Seite des Berges sehen und auch den viele hundert Meter unter mir liegenden Stausee. Innerhalb von ca. 7km fällt der Weg nun um 800 Höhenmeter steil ab. Grandas de Salime ist auf der gegenüberliegenden Bergseite zu sehen.




Der Weg durch den schönen Kiefernwald lässt sich gut laufen, aber mit der Zeit wird das steile abwärts gehen sehr anstrengend. Bei jedem Schritt bremst man mit Knie und Hüfte den Schritt ab. Zum Glück tun mir meiner Gelenke nicht weh, nur der olle Vorfuß meldet sich regelmäßig zu Wort und zeigt, dass er auch noch vorhanden ist. Alberto, unserem spanischen Polizisten, geht es beim Abstieg, und generell seit zwei Tagen, lauftechnisch überhaupt nicht gut. Zu seinen diversen Blasen hat sich ein schmerzhaftes Muskel- und Sehnenproblem eingestellt. Verbissen kämpft er sich den Weg hinunter, stöhnt bei fast jedem Schritt und sein Gesicht ist schmerzverzehrt. Aber momentan gibt es kein zurück. Den steilen Weg in der Gegenrichtung wird er nicht schaffen und die Straße im Tal ist inzwischen näher als der vorherige Ort. Also heißt es Zähne zusammenbeißen und langsam, Schritt für Schritt weiterlaufen. Ich genieße den warmen Duft des Kiefernwaldes und pausiere auf einem schönen Stein in der Sonne. Über mir höre ich die Kiefernzapfen aufplatzen. Sie knistern leise vor sich hin.




Durch die Bäume schimmert der leuchtende See und einen ersten Blick auf das große Stauwerk konnte ich schon erhaschen. Nach dem steilen Abstieg führt der Waldweg oberhalb des Sees an ihm entlang. Auch wenn wir schon etliche Höhenmeter bewältigt haben, der See liegt immer noch ein ganzes Stück unter uns. Bevor der Weg endgültig zum See hinabführt, führt er erst einmal wieder leiht aufwärts, aber ich komme gut voran. Da Alberto Begleitung von einem Portugiesen hat und er keine Hilfe in Form eines stabilisierenden Verbandes oder eines Schmerzmittels wollte, bin ich weitergelaufen. Die Beiden kann ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr hinter mir sehen. Noch einmal führt der Weg steil auf einem schmalen Trampelpfad in Serpentinen hinab und ich stehe auf der kleinen Straße die zur Staumauer führt und auf der Gegenseite des Berges wieder hinauf nach Grandas de Salime.




Vor der Staumauer setze ich mich auf eine kleine Mauer und begutachte meinen Fuß. Es fühlt sich an, als ob unter dem linken Ballen eine Blase entsteht, aber es ist nichts zu sehen. Auch wenn nichts zu sehen ist, klebe ich prophylaktisch ein Blasenpflaster auf die Stelle. Schaden tut es mit Sicherheit nicht, und es wäre schade sie umsonst übe 300 Kilometer mit mir geführt zu haben. Ich überquere die gewaltige Staumauer. Auf dem rechten Berghang ist graue, hässliche Gebäude aus Zeiten Castros zu sehen, als er noch weitere Baumaßnahmen an dieser Stelle geplant hatte. Das Wasser schimmert in der strahlenden Sonne blau-grün und ich freue mich über das Hinweisschild zur Bar. 




Noch einen Kilometer den Berg hinauf, dann gibt es endlich ein richtiges Frühstück. So anstrengend der Abstieg war, so leicht läuft es sich nun auf der Straße aufwärts. Nach mehreren Kurven ist das Hotel erreicht in dem es auch eine Bar gibt. Ich bestelle mir ein Bocadillo mit Tortilla belegt und eine große Tasse Kaffee, setze mich auf die Terrasse über dem See in den Schatten und genieße meine Pause. Die Schuhe stehen neben mir auf dem Boden, die Beine auf einem zweiten Hocker. Was habe ich es gut und was geht es mir gut!





Ich bin nicht alleine in der Bar. Nastasja aus Russland, ein weiterer Bayer dessen Name ich nicht weiß und der gemeinsam mit einer kanadischen Freundin unterwegs ist sind schon da. Das bayrisch-kanadische Pärchen ist spontan auf den Camino Primitivo gewechselt, nachdem es ihnen auf dem Camino de Levante nicht gefallen hat und es ausschließlich regnete. Da sie keine Literatur zum Weg haben, leihe ich ihnen während der ausgiebigen Pause meinen Pilgerführer, damit sie wissen wie es weiter geht und nach wie vielen Kilometern sie Unterkunftsmöglichkeiten finden. Alberto und sein portugiesischen Pilgerkumpel treffen ein, als ich kurz davor bin, die Bar wieder zu verlassen. Alberto, der sich bis hier hin gequält hat, lässt sich ein Taxi bestellen. Mit seinen starken Schmerzen kann er auf keinen Fall den Weg zu Fuß den Berg hinauf schaffen.                                                                  Schon seit Tagesbeginn hadere ich mit mir wie weit ich gehen soll. Grandas de Salime oder vielleicht doch Castro, 6 Kilometer weiter? Ich habe mir oft und viele Gedanken gemacht zwecks der vielen Höhenmeter. Aber der erste Kilometer hinter der Staumauer auf der Landstraße aufwärts lief sich wunderbar und leicht. Ich habe die Steigung kaum gespürt, einzig es ist sehr warm in Windschatten der Bäume. Da ich mich so gut fühle bitte ich Alberto, bevor ich meinen Weg fortsetze, für mich in der kleinen Jugendherberge von Castro anzurufen. Tatsächlich gibt es ein freies Bett, und Alberto lässt es für mich reservieren. Das bayrisch-kanadische Freundespärchen schließt sich der Bettenreservierung an und so werden wir uns spätestens am Abend in der Jugendherberrge wieder treffen. Laut meiner gelben Bibel ist der Weg von Grandas de Salime nach Castro einfach und unkompliziert und für einen netten Abendspaziergang geeignet. Nun, da ich weiß, dass ich nun definitiv ein Bett habe, habe ich auch Zeit ganz gemütlich meinen Weg zu gehen. So schnell wie ich den Berg zur Staumauer hinab gestiegen bin, geht es auch wieder in die Höhe. Komisch, dass ich den Anstieg kaum merke, im Buch sieht er so steil aus wie der Abstieg. Zur Seite und nach hinten ergeben sich immer wieder wunderschöne Blicke auf den See.




Das Wasser glitzert und lädt geradezu zum Schwimmen ein. Es ist erstaunlich wie schnell ich wieder an Höhe gewinne. Mich überholt ein junges lettisches Pärchen und ich stelle mal wieder fest, dass mir auf diesem Weg ständig die Namen meiner Mitpilger entfallen. Ausnahmslos alle die ich treffe, sind nett – aber es ergeben sich keine tiefgründigen Gespräche. Man sieht sich kurz und verliert sich wieder aus den Augen. In den Herbergen hat man Kontakt zu einander, aber diejenigen, die nicht die gleichen Etappen laufen und die man nur selten sieht, rauschen im Kopf so an mir vorbei, dass mir die Namen schnell wieder entfallen. Erstmals habe ich das lettische Pärchen in Bodenaya gesehen und seitdem nicht wieder. Typisch Camino, man trifft sich, läuft ein kurzes Stück miteinander, verliert sich, trifft sich wieder um sich dann wieder aus den Augen zu verlieren. Die Landstraße zieht sich über etliche Kilometer den Hang hinauf bevor sie nach links in einen Wald abbiegt. Auf der Straße ist Grandas de Salime ebenfalls ausgeschildert. Der Weg durch den Wald ist 500 Meter kürzer und sicher schöner und so biege ich in den Wald ab. 




Ich möchte gerne ganz schnell Grandas de Salime erreihen. Nicht weil ich nicht mehr kann, sondern weil meine Wasserflasche fast leer und es unheimlich heiß ist. Auf dem Weg "verdunstet" das Wasser in den Flaschen. Der Wasserbedarf ist so hoch, dass 1,5 Liter zwischen zwei Dörfern kaum reichen. Heute morgen bin ich mit drei Litern gestartet, die nun inzwischen fast weg sind. Wenn ich mitgedacht hätte, hätte ich meine Wasserflasche im Hotel am See aufgefüllt oder eine neue gekauft, ich habe es aber nicht getan – warum auch immer! Der Weg durch das Wäldchen führt natürlich – wie könnte es anders sein – steil an, wenn auch nur über eine kurze Zeit. Danach geht es auf schmalen Pfaden durch einen wilden grünen Wald nach Grandas de Salime.


Ich habe so einen Durst, mag die Flasche aber noch nicht ganz austrinken, wer weiß was alles noch auf den letzten Metern geschieht. An den ersten Häusern angekommen, nehme ich den letzten Schluck und laufe in das Dörfchen. Wie jedes Dorf, oder Kleinststädtchen ist Grandas nicht groß und nach wenigen Metern erreiche ich die zentrale Plaza mit Bar, Kirche und dem benötigten Geldautomaten, den ich schon seit etlichen Dörfern suche. Am Geldautomaten fülle ich mein Portemonnaie, in der Bar meinen Flüssigkeitsverlust auf. 





Ich habe Zeit, genieße für kurze Zeit das Städtchen, das ursprünglich unten im Tal lag, dort wo heute der große Stausee in der Sonne glitzert. Ich begebe mich auf den, wie es im Buch beschrieben wird, netten Abendspaziergang nach Castro, auch wenn es erst Nachmittag ist. Über diverse Wiesenwege verlasse ich Grandas de Salime. Der Weg ist nun erstaunlich flach und eben und wunderbar leicht zu gehen. Schnell komme ich vorwärts. 




Wie so häufig auf dem Weg sehe ich im letzten Moment den Wegweiser und kann so noch rechtzeitig auf dem schmalen Trampelpfad in der Wiese nach links abbiegen. Gedankenverloren gehe ich oft über den Weg, schaue vor mich auf den Pfad um nicht zu stolpern und immer dort, wo man nicht damit rechnet biegt der Weg plötzlich und unerwartet ab – und komischer Weise hebe ich immer in dem Moment den Kopf, sehe den ausschlaggebenden Hinweis und erreiche so mein Ziel. 


Die Jugendherberge von Castro liegt in einem wunderschönen Natursteinhaus, zu Beginn des Dorfes. Vor dem Haus sitzt schon Alberto, der sich mit dem Taxi hat hierher bringen lassen, Andreas, einige bekannte spanische Gesichter und erstmals auch wieder das niederländische Ehepaar mit denen ich in Escamplero meine erste Nacht in der Herberge verbracht habe. Man trifft und verliert sich, das immer gültige Gesetz des Caminos. Viele spanische Jungenherbergen lassen sich nicht mit den deutschen Jugendherbergen vergleichen. Die Herbergen sind klein und oftmals wunderschön – nicht die Massenunterkunft wie in Deutschland, zumindest nicht in den kleinen Dörfern. Die 16 Betten verteilen sich auf vier Zimmer mit Dusche und Bad. Froh bin ich um den starken Wind, denn so kann auch bei relativ später Ankunft die Wäsche noch in der Sonne trocknen. Tommy und Gotthard, meine beiden Engel vom Vortag, erreichen Castro noch später als ich. Inzwischen ist der Herberge komplett belegt und sie weichen in ein Casa rural aus, essen aber abends mit uns in der Jugendherberge, weil es keine andere Einkehrmöglichkeit gibt. Nicht weit weg, hinter dem Tal mit dem Stausee kann ich die Windräder sehen, an denen ich heute Morgen vorbeigelaufen bin. Die Entfernung nach Berducedo ist, wenn man die Luftlinie rechnet, nicht weit, aber die Höhenmeter und die vielen Serpentinen haben die Kilometer gemacht. 


Wir sitzen bis zum Abend draußen in der Sonne, aber im Wind wird es schnellr kalt. Also noch eine zweite Kleiderschicht anziehen und das schöne Wetter genießen. Das Menue am Abend ist das schmackhafteste Menue des ganzen Weges. Frisch zubereitet, Gemüse, zartes Fleisch mit einer leckeren würzigen Sauce, mit ganz vielen Kräutern. Eine sehr leckere Gemüsesuppe mit Spinat, Erbsen, Sesam, Zimt und ich weiß nicht was – richtig gut, lecker und Bio. Was es zum Nachtisch gab ist mir jetzt schon entfallen, aber es war lecker – ich glaube es war irgendetwas mit einer Puddingcreme, nett angemacht. Vom Stausee sieht man in der Dämmerung Wolken aufsteigen. 



Es war mal wieder ein wunderschöner Tag, auch wenn der Abstieg bis zum See steil und dadurch anstrengend war. Der Weg macht stramme Waden, gute Oberschenkelmuskeln und einen knackigen Hintern.