Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Heimreise


25. Mai 2014

Santiago de Compostela

Ich bin in Santiago de Compostela – ich habe es wirklich geschafft! Mit einem riesigen Glücksgefühl erwache ich am Morgen nach meiner Ankunft am Ziel. Nach wie vor fühle ich mich erschöpft und ausgelaugt und so bleibe ich – in der Annahme es sei noch früh am Tag, denn draußen ist es noch nicht ganz hell und bedeckt – im Bett liegen. 


Als ich mich Richtung Nachtschränkchen umdrehe wird mir im Liegen schwindelig und ich bleibe in Seitlage ruhig liegen bis sich der Schwindel in mir beruhigt hat. Der Blick auf mein Handy verrät mir, dass es überhaupt nicht mehr früh ist – es ist fast 10 Uhr am Vormittag - solange habe ich noch nie in meinem ganzen Leben geschlafen. Das gemeinsame Frühstück mit meinen noch in Santiago weilenden Mitpilgern kann ich knicken. Wir waren locker für 9.30 Uhr verabredet um uns dann nach einer netten Frühstückslokalität umzuschauen. Eine Handynummer habe ich nicht, und so kann ich mich nicht abmelden und verabschieden – aber so ist es nun einmal. Es ist wie auf dem Weg, man trifft sich und man verliert sich wieder aus den Augen. Von den allermeisten Mitpilgern sieht und hört man nie wieder etwas, aber man ist sich immer bewusst, dass es eine Gemeinschaft auf Zeit ist. Einzig und allein zu meinem Pilgerfreund Alois, den ich 2010 auf der Via Plata kennen gelernt habe, besteht nach wie vor ein loser Kontakt. Nicht regelmäßig, aber immer wieder schreiben wir uns und erzählen von unserem Leben und unseren neuen Plänen. 
Als ich aufstehen möchte und mich auf die Bettkante setze wird mir wieder sehr schwindelig. Der Spiegel an der gegenüber liegenden Wand wackelt vor meinen Augen eine ganze Weile von rechts nach links und wieder zurück. Ist es die Erschöpfung vom Weg, die mich so lange hat schlafen lassen und die mir nun diese Symptome bereitet? Hängt es mit meiner Grunderkrankung zusammen, ist es der Kreislauf oder mal wieder ein Innenohrproblem, dass mir Lagerungsschwindel bereitet?! Ich weiß es nicht, aber irgendwann wird der Schwankschwindel in meinem Kopf und Augen besser und so stehe ich auf und bereite mich auf den Tag vor. Auch wenn es bald schon Mittag ist, ich habe noch 11 Stunden vor mir in denen ich Santiago und die Stimmung genießen kann. In meiner Pension gibt es kein Frühstück und so betrete ich auf der Gegenseite der Straße eine kleine Bar und frühstücke so, wie ich es in den letzten 14 Tagen auch getan habe. 




Mein Zimmer ist bezahlt, es steht mir für heute noch zur Verfügung und gegen 22.15 Uhr muss ich zum Busbahnhof aufbrechen um meine Heimreise anzutreten. Auch wenn ich spät aufgestanden bin, mein erster Weg führt direkt zur Kathedrale und ich suche mir einen schönen Sitzplatz in der bereits vollen Kirche – dabei ist noch eine Stunde bis zum Beginn der Messe.



Die Kathedrale wird immer voller und mit Beginn des Gottesdienstes ist jeder Quadratzentimeter gefüllt. Wohin man schaut, strahlende Gesichter. Heute kann ich die Messe, die immer gleich abläuft, richtig genießen. Auch wenn ich gestern Mittag bereits körperlich am Ziel war, innerlich war ich noch nicht da. Ich habe Glück und zum dritten Mal sehe ich wie der Botafumeiro geschwungen wird. Ich habe bereits etliche Fotos von diesem Spektakel gemacht und so zücke ich dieses Mal keinen Fotoapparat und schaue einfach nur zu. Überall blitzen die Kameras und nach wie vor ist es beeindruckend, wie das riesige Weihrauchfass durch das Mittelschiff der Kirche schwingt. Nach dem Gottesdienst reihe ich mich in die Schlange in den Hauptaltar ein und umarme die Skulptur des Santiagos und steige anschließend zur Krypta hinab. Ich bin so froh mich auf den Weg gemacht zu haben, es versucht zu haben. Ich hätte damit Leben können, wenn ich nicht angekommen wäre, aber zu wissen: Ich habe es wirklich geschafft ist ein tolles Gefühl. 


Ich streife noch kurz durch die vielen Souvenirläden, kaufe einige Postkarten und setze mich auf eine Portion typisch galizischer Pimientos Padron in eine Bar. Derweil ich die köstlichen kleinen grünen Paprikas verzehre, schreibe ich meine Urlaubspost. Nachdem ich diese in einen Briefkasten gesteckt habe, gehe ich zu meinem Zimmer und lege mich eine Weile hin. Draußen regnet es aus vollen Kübeln und ich habe keine Lust, durch den Regen zu laufen. 



Es ist gut das Zimmer noch zu haben, denn ich fühle mich nicht wirklich wohl. War die Reise doch zu viel für mich? Habe ich mir zuviel zugemutet? Die zweite Woche auf dem Primitivo ist mir schwer gefallen. Ist es nur die Anstrengung, bekomme ich einen Infekt, oder einen Schub? Ich weiß es nicht und mir bleibt nichts als abwarten und es so zu nehmen wie es kommt.




Nachdem ich mich etwas erholt habe, begebe ich mich wieder in die Stadt. Ganz in der Nähe der Kathedrale befindet sich die Kirche der Franziskaner-Mönche. Die Franziskaner feiern dieses Jahr ihr 800jähriges Bestehen in Santiago und zu jedem 100jährigen Bestehen wird auch in diesem Kloster eine Compostela ausgefüllt.



In der großen Klosterkirche bin ich fast ganz alleine. Die Sakristei steht auf und in dieser befindet sich ein Mönch, der sich sehr darüber freut, dass ich um eine Compostela bitte. Mit meinem bruckstückhaften  Spanisch berichte ich, dass ich in einem Krankenhaus der Franziskaner arbeite. Er versteht mich sehr gut und wir „erzählen“ noch etwas. Mit einem Segen verabschiedet er mich. Es ist ein ganz anderes und wunderschönes Gefühl hier eine Sonder-Compostela ausgefüllt zu bekommen. 
Im Pilgerbüro steht man lange Schlange und dann wird schnell ein Zettel von einem Block ausgefüllt, einem in die Hand gedrückt, bezahlen, und das war es. Im Vergleich dazu ist es hier sehr ruhig, würdig und persönlich, einfach schön. Mit meiner zweiten Compostela gehe ich wieder in die Altstadt zurück. 


An der Kathedrale treffe ich Lydia, die ich erstmals in Lugo traf und die dort ihren Weg auf dem Primitivo begann. Gemeinsam gehen wir noch einen Kaffee und ein Stück Kuchen essen. Derweil wir uns unterhalten stellen wir fest, dass wir beide heute im gleichen Bus nach Bilbao sitzen werden. Wissend, dass wir uns abends noch einmal treffen, verabschieden wir uns. Im Park neben der Altstadt ist Kirmes und das Riesenrad war schon von der Kathedrale aus zu sehen. Ich denke mir, dass man aus der Höhe schöne Fotos machen kann und steige ein. Der Blick von oben über die Stadt ist toll, aber das ist auch das Einzige. 


Irgendwas stimmt mit mir nicht. Die Fahrt im Riesenrad bekommt mir überhaupt nicht und schon wieder ist mir schwindelig und schummerig. Normalerweise ist das Riesenrad das einzige Karussell, das ich problemlos vertrage – aber heute scheinbar nicht. Froh, mein Zimmer noch zu haben schleiche ich zu meiner Pension und ruhe mich noch etwas aus und schreibe Tagebuch. Es ist gut, dass mein Weg hier und heute zu Ende ist. Mein Tagebuch hat nur noch eine halbe freie Seite und mein Kugelschreiber gibt am Ende des Berichtes seinen Geist auf. Im Dunkeln gehe ich gegen 22 Uhr zum Busbahnhof, dankbar meinen Weg gelaufen zu sein, und dankbar vorzeitig heim fliegen zu können.

Die Rückreise wird der absolute Horror. Bereits 10 Minuten nach der Abfahrt wird mir von jetzt auf glück übel und ich muss mich übergeben. Sehr froh darüber bin ich, kurz vor der Abfahrt beschlossen zu haben, meinen Schlafsack mit in den Bus zu nehmen. Mein Schlafsack ist in einer wasserdichten Hülle verpackt und diese Hülle muss ich wohl oder übel zum Übergeben nutzen. Das Erbrechen kommt so plötzlich, dass ich es nicht bis zur Bordtoilette schaffe. Niemand achtet auf meine Eskapaden, alle gucken dezent zur Seite und mir ist das ganze sehr unangenehm. Noch häufig übergebe ich mich auf der fast 10stündigen Busfahrt. Gehört das Erbrechen unter die Kategorie Reiseübelkeit, oder steht es im Zusammenhang mit den Kreislaufbeschwerden und dem starken Schwindel, der ich heute immer wieder überkommen hat? Ich rede mir das ganze schön. Es soll wohl die Erschöpfung im allgemeinen sein, die dazu führt, dass ich scheinbar nicht so ganz fit bin.

Ich bin froh, als ich in Bilbao ankomme, aber vor mir liegen noch etliche Stunden bis zum Abflug. In Bilbao strahlt die Sonne und außerhalb des Busses geht es mir wieder relativ gut. Von meiner Schlafsackhülle habe ich mich direkt am Busbahnhof getrennt. Hier verabschiede ich mich auch von Lydia. 
Überrascht bin ich, als ich plötzlich von einem Pilger angesprochen werde: „Hallo Anne!“ Ich bin sehr überrascht und überlege woher ich diesen Pilger kenne. Da ich gerade absolut ahnungslos bin, wohin mit dem Gesicht frage ich einfach, woher wir uns kennen. Irgendwie habe ich das Gesicht schon mal gesehen, aber wo nur? Tobias klärt mich schnell auf und mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Wir kennen uns aus dem Pilgerforum im Internet und von unseren Pilgertreffen in Bocholt. Tobi ist vorhin in Bilbao angekommen und er startet von hier aus auf den Camino Invierno. Da er seinen Anschlussbus bekommen muss, fällt unser Treffen kurz aus. Tobias hat schon von unserer gemeinsamen Pilgerfreundin Klaudia erfahren, dass ich in Santiago angekommen bin. Dass wir uns nun hier so spontan getroffen haben ist Zufall, aber schön.

Ich wünsche Tobias einen „Buen Camino“ und steige in die Straßenbahn Richtung Guggenheim-Museum. Auch wenn ich dieses Museum bereits kenne möchte ich es besuchen. 




Um lange in der Ausstellung zu bleiben fehlt mir die Zeit, aber das Gebäude ist einfach beeindruckend und imposant. 


Nach einer ganzen Weile am Museum laufe ich in die Innenstadt, laufe zur Kathedrale, schlendere durch die Altstadt, setze mich in eine Bar und schnell ist die Zeit in Bilbao für mich vorbei. 




Ich steige in den Flughafenbus und checke an meinem Schalter ein. Meinen Rucksack gebe ich dieses Mal auf, mitsamt meinen Wanderstöcken. Leider habe ich keinen Direktflug bekommen. Von Bilbao fliege ich nach Palma, habe dort wieder Aufenthalt und begebe ich zu meinem Weiterflug. Lange, sehr lange sitzen wir in einer halbvollen Maschine und nichts passiert. Es stellt sich raus, das es bei Air Berlin einen Computercrash gegeben hat und viele Passagiere nicht einchecken konnten, weil es keine Daten zu Person und Flügen gibt. Es herrscht das absolute Chaos, jeder der eincheckt und in den Flieger steigt, wird auf einer handschriftlichen Liste abgehakt – es dauert ewig. Schon bevor wir abfliegen ist mir klar, dass ich so auch den letzten Zug nach Münster verpassen werde. Wie immer: der Flughafen auf Palma de Mallorca und ich harmonieren nicht miteinander. Noch nie bin ich ohne Probleme über Palma geflogen. Aber auch das Warten im Flugzeug hat irgendwann ein Ende und wir heben ab. Froh bin ich, als ich in Düsseldorf aus dem Flieger steige, denn mein Magen hat bei Start und Landung beider Flüge arg rebelliert. Mit festem Boden unter meinen Füßen geht es mir wieder besser. Am Bahnhof teilt mir ein Mitpassagier mit, dass es angeblich kein Problem sei um diese Uhrzeit nach Münster zu fahren. Da der besagter Zug fast zeitgleich einfährt, glaube ich ihm und springe in den Zug. Prinzipiell gibt es Züge, die in der Nacht verkehren, aber nicht an jedem Wochentag und so stehe ich nach einer Weile in Essen auf dem Bahnsteig und komme nicht weiter. Die Wartezeit auf dem Essener Hauptbahnhof vergeht dennoch relativ schnell. Auf diesem Bahnhof hat in der Nacht ein Café geöffnet und so verbringe ich mit einem Kaffee und meinem Handy die Zeit. Irgendwann steige ich in den Zug auf den ich auch am Düsseldorfer Flughafen hätte warten können und fahre nach Hause. Sonntagabend gegen 23 Uhr bin ich in Santiago gestartet und nun, um 5 Uhr am Dienstagmorgen bin ich zurück in Münster. Mein Nachbar holt mich vom Bahnhof ab.

Ich bin froh meinen Weg gegangen zu sein, aber es ist schön wieder daheim zu sein. Am Nachmittag werde ich Tom und Ylvie aus der Katzenpension abholen, aber bis dahin werde ich erst einmal ausschlafen.

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