Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Barcelos – Casa Fernanda
31. Mai 2022

Die Nacht in meinem kleinen zu dritt genutzten Vierbettzimmer war erholsam. Die zwei Gummimatratzen quietschten ordentlich aufeinander und ich habe länger gebraucht um zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen. Das Ehepaar in meinem Zimmer möchte morgen bis Ponte de Lima durchlaufen und hat sich den Wecker auf 5.30 Uhr gestellt. Laut Wettervorhersage soll es heute ab 10.00 Uhr regnen und sie wollen möglichst weit im Trockenen laufen.Eigentlich habe ich mir gedacht nach ihrem Aufbruch noch etwas liegen zu bleiben, aber ich lasse es auf mich zukommen. Im Vorfeld habe ich mir überlegt diese Etappe etwas abzukürzen, ich habe Angst, dass meine Beine keine 19 Kilometer bis zur Casa Fernanda durchhalten. Die letzten Tage liefen so gut, dass ich mir keine Gedanken um eine Abkürzung gemacht habe. Keine Ahnung wo und wann irgendwo ein Bus fahren könnte. Falls es zu viel werden wird, wird es eine Lösung geben.Den Tagebuchbericht zu dieser Etappe schreibe ich erst einen Tag später, da der Tag in der Casa Fernanda so ausgefüllt und schön war. Das ist relativ untypisch für mich – aber Stress mache ich mir nicht, auch wenn der Bericht so vielleicht etwas kürzer ausfällt.

Als der Wecker um 5.30 Uhr schellt stehe ich nicht direkt auf. Ich habe genug Zeit und döse noch etwas derweil sich meinen Mitbewohner für die Etappe fertig machen. Da ich nicht mehr einschlafe und der Himmel sehr grau und nach Regen aussieht, stehe ich dann doch schon auf und mache mich für den Tag fertig.



Auf dem Weg aus Barcelos heraus liegt keine Bar zwecks Frühstück mehr am Wegesrand und so laufe ich los und nur wenig später setzt der Regen ein. Erst geht es noch am Stadtrand lang, dann geht es ins Grüne. 



Die Wege heute sind nach wie vor aus Kopfsteinpflaster, aber auch viele Feld- und Waldwege. Da der Weg gut und ausreichend beschildert ist habe ich mich nicht viel mit der Streckenführung beschäftigt, geschweige denn, wie die Dörfer auf der Etappe heißen. Ich habe keine Ahnung wo ich bin, aber einen Kopf muss ich mir deshalb nicht machen.




Der Regen ist nicht sehr stark, dafür aber von Dauer, der Himmel sieht nicht nach Besserung aus. Pilger oder Einheimische sehe ich nur wenig und selten. Scheinbar führt das Wetter dazu, dass man lieber im Haus bleibt.Unter meinem ungeliebten Regenponcho bin ich bald mal wieder genau so nass, als wenn ich ihn nicht tragen würde. Wir werden einfach keine Freunde mehr, aber komplett ohne Regenschutz zu laufen ist auch nicht das Wahre.



Durch die Feuchtigkeit werden die Schnecken aus ihren Verstecken hervorgelockt und überall sieht man sie auf dem Weg oder am Wegesrand.



Beständig geht es leicht auf und ab und so unangenehm der Dauerregen ist, so schön sind die Eindrücke die dieser mit sich bringt. 




In der Ferne sehe ich eine kleine Kirche auf einem Hügel und wenn man eins auf allen Jakobswegen lernt, dann das: Siehst du eine Kirche, dann führt der Weg dort meist vorbei.



Ich stelle mich schon einmal seelisch darauf ein dampfend mit Poncho den Weg hoch zu steigen. Noch liegt die Kirche in der Ferne in den Wolken, aber je näher ich komme, desto höher steig ich in die Wolken und der Blick wird klarer.




Es hat was mystisches durch den Nebel zu laufen. Die Regentropfen auf den Gräsern und Sträuchern faszinieren mich immer wieder. Gerne nehme ich mir die Zeit mir die Tropfen genauer anzuschauen, alles spiegelt sich in ihnen.



An einigen Häusern kommt mir ein schwarzer Kater vor die Füße gesprungen und unweigerlich muss ich an meine Katzen denken. Der kleine schwarze Kater sieht aus wie mein Tommi, nur ist er nicht so gepflegt, dafür aber mindestens genau so anhänglich. Der Kater läuft mir um meine Beine und bringt mich damit fast zu Fall oder er spielt mit den Spitzen meiner Wanderstöcke. Ich kann dem kleinen Kerl nicht widerstehen und laufen kann ich mit ihm zwischen den Beinen auch nicht. Also nehme ich mir die Zeit und kraule ihn, was in vollen Zügen genossen wird. Katerchen wirft sich auf die Straße und dreht mir den Bauch zu. Wir spielen und genießen die gemeinsame Zeit. 



Anschließend sitzt er bei mir auf dem Arm und so laufe ich an den Häusern entlang. Zum Ende der kurzen Straße verabschiede ich mich von ihm, er begleitet mich noch einige Meter und verschwindet dann wieder.Am Rand des Feldweges stehen wunderschöne blaue Hortensien und ich genieße trotz der widrigen Umstände die Blicke über das Land. Alles ist grün, Hügel, Felder und Wälder in der Umgebung.




Irgendwann gab es irgendwo einen Wegweiser zu einer kleinen Bar abseits des Weges und ich genoss nach den vielen bereits gelaufenen Kilometern mein Frühstück. Endlich raus aus der Regenkleidung. In meinem kleinen Tagesrucksack habe ich immer ein kleines Handtuch und so zog ich während der Pause den Poncho auf links, trocknete ihn von innen ab und ließ ihn zum Trocknen in der Bar hängen. Mal wieder das übliche Frühstück, Nachrichten lesen, Beine hochlegen und einfach etwas ausruhen.

Komisch war, dass, obwohl es die erste Bar am oder neben dem Weg war, kein Pilger weit und breit zu sehen ist. Wo sind die denn heute alle? In den Bars trifft man eigentlich die Mitpilger weil sich alle über eine Pause und ein Frühstück freuen.

Zum Ende meiner Pause ist das Wetter etwas besser, der Himmel bleibt grau, aber es ist trocken. Und so ziehe ich guter Hoffnung weiter. Nach einiger Zeit komme ich zu einem Fluss mit einer historischen Brücke. Das Pflaster ist sehr grob und sehr rutschig, Geländer gibt es natürlich nicht. 



In solchen Momenten bekomme ich es immer mit der Angst zu tun. Was ist wenn ich hier stürze und mich verletzte. Mein schlechtes Gleichgewicht, gepaart mit den Gangstörungen machen solche Momente immer schwer. Aber es ist ein malerisches kleines Örtchen und wäre das Wetter schöner würde ich hier eine ausgiebige Pause einlegen und einfach die Umgebung genießen.




Es geht bergauf, der Weg teilt sich. Ein Pfeil geht geradeaus, der andere Pfeil biegt in die Seitenstraße ab und schon wieder setzt der Regen ein. Der Abzweig zur Seite führt zu der Kirche die ich im Vorfeld gesehen habe und ich denke, in der Kirche kannst du den Regen etwas aussetzen, aber die Kirche ist mal wieder geschlossen. 




Langsam schwinden meine Kräfte und ich weiß nicht, wo ich bin oder wie viele Kilometer noch vor mir liegen. Unter einem Abdach setze ich mich auf eine Stufe und packe den Reiseführer aus. Das Kirchlein ist im Reiseführer beschrieben und ich lese, dass es nicht mehr so weit sein kann, ca. 3 bis 4 Kilometer. Natürlich komme ich nach dem kleinen Umweg zur Kirche wieder auf die vorherige Straße und hier sehe ich heute nach langer Zeit das erste Mal wieder einen Pilger. Wir unterhalten uns kurz und er ich werde gefragt wann ich heute Morgen gestartet bin. Ich berichte von meinem frühen Aufbruch und mein Mitpilger ist erstaunt, ist er doch zwei Stunden nach mir gestartet. Dass ich keine Streckenrekorde aufstelle ist mir bewusst, aber ich bin stolz, diese Etappe bald geschafft zu haben.



Auf einem kleinen Betonsträßchen geht es weiter immer um die Kurven. Alles ist nass, ich kann die Schönheit der Natur nicht mehr genießen und bin völlig fertig. Ich werde immer langsamer und die letzten Kilometer ziehen sich in die Länge. Nirgends ein Hinweis auf die Casa Fernanda und plötzlich stehe ich vor ihr.



Das Haus liegt abseits vom Dorf und ich hätte es nicht so plötzlich erwartet. Ich trete durch die kleine Gartenpforte auf das Grundstück und mitten im Garten steht das langgestreckte Holzhaus, davor ein überdachter Sitzplatz mit Gartenküche, Sofas und Sesseln.

Meinen Rucksack sehe ich auch dort stehen und da die Herberge noch nicht geöffnet ist, setzte ich mich zu den vier wartenden Pilgern. Die Betreiberin der Herberge ist für ihr großes Herz gegenüber den Pilgern bekannt und wuselt durch das Haus und über die Terrasse und richtet alles her.

Zwischendurch kommt sie zu uns und erzählt, dass die letzten Pilger morgens spät ihr Haus verlassen haben und sie daher spät dran ist. Nach einiger Zeit können wir in das Haus gehen, nachdem sie sieht, dass ich nicht soo gut laufen kann, trägt sie mir meinen Rucksack in das Häuschen. Zehn Einzelbetten, immer zwei in einer Koje, zwei kleine Badezimmer.

Schnell unter die Dusche und danach etwas ruhen. Das Waschen fällt heute aus, da die Kleidung nie und nimmer trocknen würde. Plötzlich ruft Fernanda uns auf die Gartenterasse und es gibt Nudeln mit Bolognese für alle die möchten. Zwei junge Frauen die ich auch am Vortag schon gesehen habe kommen in die Herberge und bekommen die letzten beiden Betten. Ich werde sie von jetzt an immer wieder treffen und wir kommen zeitgleich in Santiago an. Es ist ein lustiges Trüppchen was gemeinsam für diesen Tag zusammen ist. Vier Iren, die beiden Mädels aus Deutschland und ich weiß schon gar nicht mehr, woher wie alle kamen. Auf keinem Camino zuvor wurde so oft gefragt: Ist das dein erster Weg? Warum ist das hier eine viel größere Frage als sonst zuvor, oder ist es mir sonst nicht aufgefallen? Nicht nur ich bin Wiederholungstäter, aber es gibt auf sehr viele Pilger die mit dem Portugues starten. Der Portugues ist mit seinen 250 Kilometern nicht so lang, die Höhenmeter sind relativ milde, kein Vergleich mit dem viel kürzeren Camino Ingles oder der Primitivo.

Ohne Bewegung wird mir in der Feuchtigkeit schnell kalt und ich kuschele mich in meinen Schlafsack, zwischendurch hole ich mir bei Fernanda einen heißen Tee in ihrer Küche.

Fernanda steht schon wieder am Herd und plötzlich gibt es als Zwischensnack Fischbällchen.

Bislang habe ich meinen Obulus noch nicht gezahlt, und sie möchte auch noch kein Geld. Bezahlt wird, wenn man morgens das Haus verlässt. Vor Fernandas Haus liegen zwei Katzen auf einem Fußabtreter, aber sie legen keinen großen Wert auf meine Gesellschaft. Aber da wo Katzen sind muss man sich wohlfühlen. Wir erzählen viel, lachen und fühlen uns an diesem besonderen Ort sehr wohl. Irgendwann wird zum Abendessen geläutet und schon wieder hat unsere Gastgeberin gekocht.

In ihrer großen Wohnküche ist es schön warm und wir nehmen alle gemeinsam am Tisch Platz.

Fernanda hält eine große Ansprache auf Jakobus, den Weg, uns Pilger und das Leben. Es gibt Trinksprüche, jeder erzählt woher er kommt und dann gibt es das nächste große Mahl. Diese Frau und ihr Mann leben für uns Pilger und es erfüllt sie mit großer Freude.

Ein Gang nach dem anderen wird aufgefahren. Es beginnt mit einer heißen Gemüsesuppe, dann gibt es zu in Butter geschwenkten Kartoffeln Kohlgemüse, Kirchererbsen, Bohnen und Hühnchen mit Salat. Das Gemüse ist überwiegend aus ihrem eigenen Garten und es schmeckt himmlisch.

Zum Nachtisch gibt es Orangen vom eigenen Baum und auch wenn sie optisch nicht so schön aussehen, es sind die besten Orangen die ich je gegessen habe. Direkt vom Baum auf den Tisch. So süß, so aromatisch und saftig – einfach lecker. Danach gibt es verschiedene Sorten Portwein mit Keksen. Wir sitzen sehr lange am Tisch und es ist ein wunderschöner Abend den ich nicht vergessen werde. Diese Herzlichkeit… Das ist das, was man auf so einem Weg braucht. Die Menschen, die den Weg zu einem unvergesslichem Erlebnis machen. Frühstück gibt es morgen Früh um 7.30 Uhr und wir wären nicht auf der Flucht sondern auf dem Camino und so bittet Sie uns alle nicht vorher zu starten. Wir sollen den Weg genießen und nicht rennen.

Nach und nach verabschieden wir uns alle in unsere Betten und ich bin erstaunt, wie ruhig es mit 10 Personen in einem Raum sein kann. Niemand schnarrcht und als ich nachts kurz wach werde höre ich nichts aus unserem Raum, nur das sachte Prasseln des Regens auf dem Dach unseres Gartenhäuschens.



30. Mai 2023

Rates- Barcelos

In der Herberge von Rates habe ich mich sehr wohl gefühlt. Sie ist alt, die Sanitäranlagen nicht wirklich in gutem Zustand, aber geprägt von Atmosphäre, lieben Menschen und ganz viel Engagement.

Die Hospitalieros waren einfach lieb und nett und waren bemüht es jedem Einzelnen gut und recht zu machen. Dass sich Christina abends noch kurz hat blicken lassen hat mich sehr gefreut. Optisch konnte ich sie im Dunkeln, nur beleuchtet durch den Schein ihres Feuerzeugs nicht wahrnehmen, aber es ist ein gutes Gefühl, für die Zeit meiner Reise einen Ansprechpartner zu haben.

Erwartungsgemäß war die erste Nacht in der Herberge nicht so erholsam wie die Nächte zuvor, aber für ein Zimmer mit 16 Betten war es relativ ruhig. Ungewohnt war es, auf einer quietschigen Gummimatratze zu schlafen. Da mein Rucksack transportiert wird, und es auf einige wenige Gramm nicht ankommt, habe ich meinen Seidenschlafsack dabei. In dem Mehrbettzimmer mit dem kleinen Fenster ist es stickig und warm, und ich bin froh, den Seidenschlafsack an den Bettenden auf der Matratze festgebunden zu haben. So kann ich den Schlafsack lose über mich legen und klebe nicht auf dem Gummi.

Aus Hygienegründen ist die Gummimatratze sicherlich sinnvoll, komfortabel ist es aber ohne Bettlaken nicht und wer schleppt schon ein Bettlaken über den Jakobsweg.

Ich weiß nicht mehr wann die Nacht zu Ende war, aber zeitig erwachten die ersten Mitpilger und das Zimmer leerte sich schnell.

Auf meinen früheren Wegen hat es mich morgens in der allgemeinen Aufbruchstimmung auch nicht im Bett gehalten, aber ich habe Zeit und gleichzeitig können nicht alle in das Bad. Ich döse noch etwas, beobachte die Aufbruchsstimmung und als das Zimmer sich leert stehe ich als letzte auf. Es ist noch immer früh, noch vor 7 Uhr. Der Wirt der gegenüberliegenden Herberge hat mir gestern gesagt, dass er ab 7 Uhr da ist, auch wenn er erst ab 8.00 Uhr öffnet und ich könne meinen Rucksack dann bei ihm abgeben. Ich sitze vor der Bar, es ist schon 7.45 Uhr und der Wirt ist noch immer nicht da. Ich weiß nicht, wie oft ich darauf angesprochen werde, dass die Bar erst um 8.00 Uhr öffnet. Ja ich weiß, aber ich bin laufe ohne Rucksack und möchte ihn hier abgeben zwecks Abholung. Verständnis erwarte ich nicht und das Gefühl von Akzeptanz sehe ich bei niemandem.

Der Himmel ist grau, für heute ist Regen angesagt, laut Vorhersage ab 16.00 Uhr, aber der Blick nach oben passt gefühlt nicht zur Ankündigung.

Auf der Suche nach dem Hospitaliero treffe ich ihn als er gerade im Pyjama aus seinem Zimmer kommt. Er verspricht mir, meinen Rucksack in der Bar abzugeben und ich mache mich beschwingt und erleichtert auf den Weg.

Mein Gefühl sagt mir, dass ich dem Regen davon laufen oder zuvor kommen muss.

Bis zum Dorfende sind es nur wenige Meter und schnell bin ich auf der Landstraße und aus dem Dorf raus. Schon gestern fiel mir auf, dass die enge Dorfstraße aus Kopfsteinpflaster als Rennstrecke fungiert. Den ganzen Nachmittag und auch in der Nacht rasten wiederholt total verdreckte Jeeps im Affentempo durch das Dorf. Diese Jeeps begegnen mir auch heute noch auf den ersten Kilometern hinter Rates. Auf dem engen Landsträßchen, ohne Fußweg, muss man höllisch aufpassen. Man hört nur einen näher kommenden Krach und dann muss man auf den Seitenstreifen springen. Sicher ist sicher, die Kurven sind nicht überschaubar.


   



Auch wenn der Himmel grau ist, ist die Beleuchtung sehr schön. Über schöne Feldwege geht es immer leicht auf und ab. Gründe Felder, sandige Feldwege, Bäume, kleine Mauern und immer wieder einige Blumen. Die Mauern sind heute wesentlich ansprechender, gemütlicher und passen besser in das Landschaftsbild. Sie sind aus Feldsteinen und säumen in niedriger Höhe den Weg und die Felder ein.




 Es sind nicht mehr die hohen, „gefängnisartigen“ Mauern wie gestern. Sie passen in das Landschaftsbild und wirken gemütlich. Die Fingerhüte und die wild blühenden weißen Blumen runden das Bild ab. An einer Stelle ist eine Mauer zusammengebrochen/umgefallen und die Steine liegen neben dem Weg. Mir ist spontan danach und ich mache das was ich auf früheren Wegen häufig gesehen habe. Mitten auf den Weg, der nicht zu verfehlen ist, lege ich einen Wegweiser aus den Mauersteinen. Warum nicht? Auch wenn der Himmel nicht heller wird, bin ich nicht auf der Flucht, ich genieße den Weg und nehme mir die Zeit dass zu tun, wonach mir ist.



 

Ich schlendere vor mich hin, Pilger sehe ich nicht, sie sind alle vor mir aufgebrochen – aber ich bin nicht einsam. Meine Gedanken gehen zu meinen Pilgerfreunden die in Gedanken mit mir gehen und meinen Weg verfolgen. Seit meinem ersten Jakobsweg 2008 hat sich ein toller Freundeskreis entwickelt – unsere Wege verbinden uns. Einige laufen noch immer munter über die verschiedenen Jakobswege oder andere Wanderwege, einige können aus gesundheitlichen Gründen sich nicht mehr auf Pilgerschaft machen und einige haben ihre Pilgerreise im irdischen schon beendet.

Alois, mein Pilgerfreund von der Via Plata, schwebt über dem Weg genau wie Klaus und Hermann.Klaus wurde auf dem Kopfkissen mit Pilgersymbolen, dass ich ihm genäht habe, beerdigt. Sein Pilgerhut, die Wanderschuhe, Rucksack und Stock standen mit auf dem Friedhof.Solange jemand an einen denkt, ist man nicht tot.

So vor mich hin sinnend und die Natur genießend komme ich an einem schönen Rastplatz vorbei. Eingesäumt ist dieser von einer Mauer die mit bepflanzten Schuhen umgeben ist. Des weiteren liegen bemalte Steine und Steinmännchen auf der Mauer. Dazu bunte Fähnchen und ein Gebetskasten mit einem kitschigen Marienbild.




Nicht, dass es reicht, dass ich auf dem steinigen Weg oftmals genau schauen muss wo ich hintrete um nicht zu stürzen, auch dieser Rastplatz ist aus holperigen Betonsteinen betoniert.

Wäre das Wetter etwas schöner, hätte ich mich wahrscheinlich hingesetzt, aber noch ist mir nicht nach Pause und ich freue mich auf die erste Bar am Wegesrand – wann und wo auch immer sie kommt. Kurze Zeit später treffe ich auf den ersten Monolithen mit Kilometerstandanzeige. Es sind noch 209 Kilometer nach Santiago. Ich bin heute auf meiner vierten Etappe und habe gerade mal 40 Kilometer gelaufen, aber egal – ich bin unterwegs und bis zum heutigen Etappenziel sind es noch etliche Kilometer.

Auf den Monolithen lege ich einen Stein ab. Ich mag diesen Gedanken mit den Steinen seine Sorgen, aber auch Wünsche abzulegen. Diese Steinmännchen sind so charakteristisch für die Jakobswege.



Der Feldweg biegt auf eine Landstraße ab und an einem Laternenmasten hängt das Hinweisschild auf die nächste Bar. Eigentlich würde der Weg nach einigen Metern wieder von der Straße abbiegen, aber ich folge gerne den 150 Metern auf der Straße.

Ich setze mich draußen unter das Vordach und treffe auf einige Mitpilger deren Gesichter ich aus der Herberge in Rates kenne. Ihre Namen kenne ich nicht – aber wir grüßen uns.

Das belegte Brötchen ist nicht wirklich lecker, es ist trocken mit etwas Käse und Kochschinken belegt, aber es tut gut und eine Pause ist immer gut, außerdem mit Kaffee rutscht auch ein trockenes Brötchen. Meine Mitpilger hätte ich viel weiter vor mir erwartet, aber wer sagt denn, dass alle über den Weg rennen müssen? Vielleicht haben sie auch ihre Pause ausgedehnt, oder ich bin doch nicht so langsam. Ich bekomme mit, dass überlegt wird, ob man über eine gegenüberliegende Seitenstraße wieder auf den Weg kommt, oder ob man die 150 Meter zum Weg zurückläuft.

Meine Mitpilger biegen in die gegenüberliegende Straße ein und bald verliere ich sie aus den Augen.

Ich laufe die 150 Meter bis zur Weggabelung zurück und biege auf den Feldweg ab, so wie ausgeschildert und kurze Zeit später habe ich die Gewissheit – ich hätte meinen Mitpilgern folgen können (ich habe es mir gedacht), aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. An den Steinmauern stehen Rosen, Callas, und andere bunte Blumen und ich erfreue mich einfach an den Farben, die auch bei grauen Himmel leuchten. 




Es ist nicht kalt, nur eben bedeckt. Irgendwann komme ich auf eine eigentlich kleine, kurvige Straße – natürlich ohne Seitenstreifen – und die Autos rasen wie bekloppt um die Kurven. Am Straßenrand ist auch kein Platz zur Seite auszuweichen. Also folge ich dieser engen Straße, immer mit der Angst, dass ich mit meinem Rechtsdrall stolpere und einem Auto direkt vor die Nase falle. In dieser Situation fühle ich mich nicht sonderlich wohl. Für einige Meter geht es auf einem Grünstreifen durch einen Acker und ich denke, okay – Straße beendet, nur um nach wenigen Metern wieder auf der Straße zu landen. Wieder treffe ich auf eine Bar am Straßenrand, ich benötige keine Pause, aber ich möchte meinen Wasservorrat auffüllen und so betrete ich diese Bar. Ich freue mich über ein liebevoll gestalteten Tresen mit Jakobsfigur und es es liegt ein Gästebuch aus. Diese Gästebücher, die mir besonders auf der Via Plata aufgefallen sind, mag ich sehr gerne. Ich stöbere etwas in diesem Buch und lass auch einen Rückblick auf meinen bisherigen Weg dort zurück.




Nicht viel später komme ich zu einer Stelle auf der es zwei Wegalternativen gibt. Die kürzere Aternative nach Barcelos führt weiter am Straßenrand entlang, bleibt aber ungefähr in der gleichen Höhe ohne große Steigungen. Die Alternativroute führt von der Hauptstraße auf ein kleines Sträßchen, aufwärts zu einem kirchlichen Heiligtum und einer weiteren Kirche mit 2,9km Umweg.

Auch wenn ich die Regenwolken im Blick habe und mir sicher bin, dem Regen nicht zu entkommen, entscheide ich mich für den Aufstieg und Umweg. Endlich weg von dieser blöden Straße. Ich nehme an, dass die Straße heute ähnlich zu der gestern war, wäre ich nicht die Alternative nach Rates gelaufen.

So mache ich mich auf den Weg bergauf. Eine Kurve nach der anderen, umgeben von Wald.





Mir wird ordentlich warm, aber kalt war mir auch vorher nicht, und steige Schritt für Schritt die Straße hinauf. Immer wieder kann ich einen Blick durch die Bäume in das Tal werfen.

Irgendwann sehe ich die Kirche, umgeben von einem großen ansteigendem unter Bäumen liegenden Rastplatz, vielen Parkplätzen und ganz viel Platz.




Ich genieße den Blick in das Tal und gehe einmal um das Gelände herum. Die Kirche ist sehr kitschig – aber typisch für Portugal. Auf der großen Aussichtterasse setze ich mich eine Weile hin und genieße meinen Apfel. Gerne hätte ich an dieser Kirche einen Stempel für meine Credencial, aber es gibt keine Stempelstelle und die Bar auf dem Gelände ist geschlossen. 






Bei meiner Ankunft an dieser Kirche habe ich irgendwo den gelben Pfeil gesehen, finde ihn aber spontan nicht wieder. An der abwärts führenden Straße die ich gekommen bin ist ein gelbes Kreuz, ein eindeutiges Zeichen, dass der Weg hier nicht her führt. Und so laufe ich noch eine Runde um die Kirche und finde meinen Wegweiser. Auf einer moosigen Treppe mit hohen Stufen geht es abwärts und ausgerechnet jetzt fängt es an zu regnen. Vorsichtig, durch meine Stöcke gesichert, steige ich unsicher die Treppen hinunter. Was, wenn mir hier irgendwas passiert? Ich habe schon lange niemanden getroffen. Mir ist nach Heulen zu Mute, ich habe Angst vor meiner eigenen Courage. Was denke ich mir dabei, einen solchen Weg zu gehen? Was mache ich hier gerade. Durch den Regen wird der steile Weg schlüpfriger, dazu Blätter und viele sich unter meinen Tritten bewegende Steine. Wahrscheinlich hätte ich auch die einzige Straße in das Tal abwärts nehmen können. Mein Gefühl sagt mir, dass ich auf meinem Weg die Kurven zwischen den Straßen abkürze.




Der Weg ist schön, Wald, Moos, alles grün mit sandig-steinigen Wegen und Treppen und ich kann überhaupt nicht genießen. Unter meinem Regencape schwitze ich und fühle mich genauso feucht, wie ohne Cape. Für eine gewisse Zeit bin ich fertig mit mir und der Welt. Aber ich habe jetzt keine Alternative, also weiter langsam hinunter. Schritt für Schritt und irgendwann ist es geschafft. Der steil abfallende Weg geht in eine betonierte Straße über und führt immer noch steil hinab, aber ich sehe ein Dorf unter mir und habe es kurze Zeit später geschafft.




Auch wenn es noch 5-6km bis Barcelos sind fühle ich mich erleichtert und auch der Regen lässt wieder nach. Über einen Bürgersteig geht es durch das Dorf und dann wieder auf einen Feldweg – und ich sehe nach langer Zeit wieder Pilger vor mir. Die letzten 5km laufen sich leicht. Erst komme ich in den Stadtteil Barcelinos, dann geht es über einen Flussbrücke und ich bin in Barcelos.




Die Herberge hat laut Pilgerführer noch nicht geöffnet und so setze ich mich mit einem Kaffee in eine Bar. Ich lege meine Beine hoch, quatsche etwas mit den Pilgern und mache mich auf den Weg zur privaten Albergue von Barcelos. Irgendwie sind die Herbergen für mich auf diesem Weg schwerer zu finden, oder nicht immer so gut ausgeschildert. Ich laufe durch das Städtchen und biege irgendwo in eine Seitenstraße ab und finde meine Herberge. Der Eingangsbereich sieht urig aus, mein Rucksack steht in der Nähe des Einganges und kurze Zeit später checke ich ein. Nach mir kommen noch einige Pilger auf der Suche nach einem Bett, aber die Herberge ist ausgebucht.

Ich bekomme ein Etagenbett in einem relativ dunklem Schlafsaal, wieder die gewohnten Gummimatratzen. Es ist gemütlich und die Etappe vier ist trotz einiger Schwierigkeiten geschafft.Zufällig sehe ich hinter einer offenen Tür ein kleines Vierbettzimmer und frage, ob ich dorthin umziehen könnte. Nein, das Zimmer ist für ältere und gebrechliche Pilger reserviert.Ich weise auf mein Handicap hin und darf umziehen. Nach mir kommt noch ein älteres, aber fittes Ehepaar und wir dürfen und wir übernachten in diesem Raum zu dritt. Komischerweise schlafen oben im Saal Pilger auf einer Matratze auf der Erde.Ich dusche, wasche meine Wäsche, ruhe mich etwas aus und mache mich, nachdem der nächste Schauer vorbei ist, auf den Weg in das Städtchen. Ich schaue mir die runde Kirche mit den weiß-blauen Fliesen an, laufe ziellos noch etwas umher und schreibe dann bei einem Kaffee in einer Bar mein Tagebuch.




Im Alltag schreibe ich nie Tagebuch, aber auf meinen Wegen war es mir immer wichtig meine Gedanken und meinen Weg zu beschreiben. Es hat sich auf den vielen Wegen zu einer schönen Routine entwickelt die ich immer genieße. Beim Schreiben sinniere ich über den Weg und meine Gedanken, über die vielen schönen Eindrücke.



Die Wege sind ganz tief in meinem Inneren verankert. Sie sind mir ein Bedürfnis, machen so viel Positives mit mir. Das Gefühl für den Weg wird immer bleiben, aber die vielen kleinen und kurzen Gedanken möchte ich nicht vergessen.

Überdacht im Innenhof der Herberge gibt es noch einige nette Gespräche, irgendwann kommt eine große italienische Fahrradgruppe und wir müssen den kleinen überdachten Innenhof räumen, weil die Fahrräder dort geparkt werden.

Wie üblich für den Weg liege ich zeitig im Bett. Heute brauche ich lange zum Einschlafen, die Gummimatratzen und Bettgestelle quietschen, ich höre noch Stimmen vor dem Fenster, aber irgendwann schlafe ich müde, erschöpft und glücklich ein.


Vila do Condes - Rates
29.05.2022

Um 6.30 Uhr werde ich von meinem Wecker geweckt. So laut wie die Nacht am Abend war und so schwer ich in den Schlaf gekommen bin - ich habe bestens geschlafen und fühle mich ausgeschlafen.
Motiviert den Weg zu gehen bin ich sowieso.
Ich ziehe mich in aller Ruhe an, wissend, dass ich viel und ausreichend Zeit habe. Routiniert, so wie ich es von meinen früheren Reisen kenne, packe ich meine Rucksäcke. Alles was ich evtl. während der Wanderung benötigen könnte ist in meinem Tagesrucksack, alles andere geht in das Hauptgepäck.
Im Eingangsbereich der Jugendherberge steht mein Frühstücksbeutel. Diesen tausche ich gegen meinen Trekkingrucksack. Immer noch leicht skeptisch ob der Transport klappt mache ich mich auf meine heutige Etappe.


Im Vorfeld habe ich mir viele Gedanken um die heutige Etappe gemacht. Im Reiseführer ist eine Strecke beschrieben die in allen Kommentaren als hässlich, laut und gefährlich beschrieben ist. 
Gehe ich die 13 Kilometer an der Straße lang und habe eine gute Beschilderung, oder mache ich mich auf die schönere, in etwa gleichweite, aber nicht beschilderte Strecke?
Im Internet habe ich im Vorfeld recherchiert und bin auf die Alternative über Beiritz gestoßen. Kartenmaterial habe ich bei meinen Recherchen gefunden, aber die Wegbeschreibung war sehr grob und ungenau. Ich habe die Alternativroute in Googlemaps übertragen, aber sie lässt sich hier nicht abrufen - das habe ich gestern in der Jugendherberge ausprobiert.
Furchtlos begebe ich mich auf die Alternativroute, der Anfang ist ganz leicht zu finden. 
Der Weg beginnt an dem großen Aquädukt und folgt auf den ersten Kilometern diesem nicht übersehbaren Bauwerk. 



Es wird schon klappen und notfalls kann man fragen. 
Heute ist mein Tag der Rosen, sie blühen überall am Wegesrand, wild oder in den vielen Gärten.


Der Himmel ist bedeckt und grau, aber es ist trocken und warm.


Ich folge dem Aquädukt und sehe an den Abzweigungen immer mal wieder ältere, verwitterte Pfeile und schöpfe Hoffnung, dass mich die Wegweiser nach Rates führen. 
Ich kann mich gut an eine Situation auf meinen früheren Pilgerreisen erinnern, wo ich einmal einem "falschen" gelben Pfeil gefolgt bin und nach kurzer Zeit stand ich alleine auf einer Landstraße. Warum nur ich auf den "falschen" Wegweiser der zu einem Muschelmuseum führte, herein fiel, konnte ich mir damals nicht erklären.
Einige Zeit später stoße ich auf einen frischen Pfeil, dabei ein Aufkleber der auf eine Facebookseite der Portuguesfreunde hinwies - die diese Alternativroute beschrieben haben. Jetzt bin ich mir sicher, dass ich mir um die Wegesführung nach Rates keine Sorgen machen muss. 


Der Stadtrand ist unspektakulär, aber besser als entlang der Schnellstraße.
In Richtung Beiritz verlässt mich das Aquädukt, ich sehe es nicht mehr - aber es taucht später noch einmal auf.


Warum bauen die Portugiesen überall so viele hohe Mauern. Häufig sind die kleinen Straßen rechts und links von hohen Mauern umgeben. Sind das alles Steine die aus den umgebenen Äckern entfernt wurden? Was machen diese vielen Mauern für einen Sinn?



Mit der Zeit sehne ich mich nach einer Bar. Jetzt einen Frühstückskaffee mit einem Brot wäre echt toll. Zwar habe ich mein Frühstückspaket aus der Jugendherberge, aber die Brötchen sind so pappig und nach der Schokomilch im Tetrapak ist mir auch nicht zumute. 
Kurze Zeit später sehe ich eine Bar am Wegesrand und mache dort meine erste Pause. 
Wäre ich auf dem ausgeschilderten Weg, würde ich jetzt auf Mitpilger treffen, aber ich bin alleine unter Einheimischen.


Ich genieße mein Frühstück und freue mich unterwegs zu sein. Bislang waren die Etappen kurz und übersichtlich, aber alles klappt besser als gehofft. 
Das Laufen mit 2 Wanderstöcken ist sooo viel leichter als das freihändige Laufen im Alltag. Ich stolpere weniger, der Oberkörper ist viel stabiler und schwankt weniger.
Mit der öffentlichen Herberge in Rates stand ich im Vorfeld in Verbindung. Diese Herberge ist eine der wenigen von denen ich ein Email und Telefonnummer gefunden habe.
Von dieser Herberge und den Herbergseltern habe ich auf meine Anfrage, ob ich auch ohne Rucksack willkommen bin eine Antwort bekommen. Im Vorfeld habe ich meine Beweggründe, weshalb ich ohne Rucksack pilgere geschildert und bekam die Antwort, dass Pilger mit bersonderen Bedürfnissen jederzeit willkommen sind. Generell durfte ich mit allen Fragen mich vor meiner Reise an die Hospitaliera Christina wenden. Es ist ein gutes Gefühl, einen Ansprechpartner vor Ort zu haben - gerade, weil ich die Sprache nicht kann.

Nach meiner Frühstückspause gehe ich schnurstracks in die falsche Straße und werde sofort zurückgepfiffen und auf die falsche Richtung hingewiesen. Ich war mir absolut sicher, aus dieser Straße gekommen zu sein - aber so leicht kann man sich irren. Die örtliche Kirche ist geschlossen. 
Für meinen Geschmack ist es etwas viel Kitsch, ein Kreuz, umwickelt mit einer Lichterkette, die verschlossene Eingangstür ist auch mit einer Lichterkette umkränzt.
Ich denke an meine verstrobenen Pilgerfreunde Alois, Hermann und Klaus. 
Aber nicht nur sie trage ich auf dieser Reise bei mir. So viele liebe Menschen sind gedanklich bei mir und dieses Wissen gibt mir viel Kraft. 
Hinter Beiritz geht es kurzfristig über einen Waldweg, endlich weg vom vielen Kopfsteinpflaster und Beton der mich bis hier geführt hat. 

Auf Steinstraßen habe ich stets die Gummipuffer an meinen Wanderstöcken, das ewige metallische Klackern der Stöcke mag ich nicht. Jetzt komme ich erstmals in den Wald und ich entferne die Gummipuffer, damit die Stöcke im Waldboden bessern Halt haben.
Leider hat sich diese Aktion nicht gelohnt, denn schon hinter der nächsten Kurve verläuft der Weg wieder auf dem üblichen Kopfsteinpflaster - und wieder ist die Straße von hohen Mauern umgeben, die keine freie Sicht auf den dahinter liegenden Wald frei gibt. Auch wenn ich nur die Baumwipfel der umgebenden Eukalyptuswälder sehe, ich kann sie riechen.
Mit der Zunahme der Wolken wird es mit der Zeit schwül, aber es kühlt sich etwas ab - aber es ist angenehm zu laufen. Laut Wettervorhersage soll es ab morgen regnen. 
Da ich viel Zeit habe für die 14 Kilometer bis Rates nutze ich eine weitere Bar für eine kleine Pause. 
Mit einem frischen Orangensaft sitze ich draußen vor der Bar, checke Nachrichten im Handy, lege meine Beine hoch und genieße.
Nach der Pause passiert genau das Gleiche wie nach meiner ersten Pause, nur sagt mir dieses Mal niemand, dass ich den Weg in die falsche Richtung fortgesetzt habe. Habe ich einen Wegweiser übersehen, hat es diesen nicht gegeben oder bin ich so unaufmerksam, dass ich mir nicht merken kann, aus welcher der Straßen an der Kreuzung ich gekommen bin. Vielleicht wollte mir das laut hupende Auto und die winkenden Personen darin mich darauf hinweisen, dass ich falsch laufe. Vielleicht? Ich habe das Hupen einfach als freundlichen Gruß genommen. Falsch abgebogen kann ich nicht sein auf den letzten Metern, da es keinen Abzweig gab. 


Mich wundert, dass ich keinen Wegweiser sehen, aber wozu auch, die Straße ist von Mauern flankiert, einen verpassten Abzweig kann ich ausschließen. 
Nachdem im ersten Teil des Weges unerwarteter Weise Wegweiser zu finden waren,  sehe ich keine mehr - aber ich komme auch nicht auf die Idee zurückzugehen um mich der Richtigkeit zu vergewissern. Nach einiger Zeit stehe ich an einer Schnellstraße und es stellt sich die Frage: rechts oder links? Da es niemanden gibt den ich fragen könnte und nur die Autos an mir vorbei rasen, befrage ich Google und der schickt mich nach links. Ist das die berüchtigte Schnellstraße die von allen Pilgern beschimpft wird, oder ist das irgendeine Schnellstraße. Egal, ich weiß es nicht und wenn es die "richtige" Straße wäre, würde ich wieder auf gelbe Pfeile stoßen. Bergauf folge ich der Straße, schön ist es nicht, aber in den Wiesen stehen viele blühende Fingerhüte an denen ich mich erfreue. 
Zwischendurch schaue ich auf mein Handy ob ich auch wirklich richtig bin, eine von mir erwartete Straße will nicht kommen. Aber irgendwann sehe ich mehrere Radfahrer und hinter ihnen ein Schild: 2000 Meter bis Rates. Erfreut mache ich mich auf die letzten 2 Kilometer den Berg hinab. Das Sträßchen führt malerisch durch den Wald bergab und jetzt ist der Weg auch wieder ausgeschildert. 



Und obwohl ich mich jetzt wieder auf dem richtigen Weg weiß, verpasse ich die Herberge und finde sie nicht. Gegenüber von einer Bar ist im Ort ein Haus, an dessen Eingang die Pilgermuschel hängt. Ich fotografiere die Muschel und raffe nicht, dass sich hinter dieser Tür die noch nicht geöffnete Herberge befindet. 




Ich laufe weiter bergauf und bin kurz darauf außerhalb des Ortes, was nicht richtig sein kann. Ich laufe zurück und verstehe erst jetzt, dass ich die noch geschlossene Herberge fotografiert habe. Bis zur Öffnung ist noch etwas mehr als eine Stunde Zeit. Da es in diesem Dorf nichts spektakuläres zu sehen gibt, setze ich mich zum dritten Mal heute in eine Bar und schon bald bin ich nicht mehr die einzige Pilgerin. Von meinem Platz aus sehe ich, dass die Herbergstür kurz geöffnet wird und wer hineingeht. 
Ich beschließe an der Eingangstür zu klopfen und werde hinein gelassen. Die Herberge ist schon sehr in die Jahre gekommen, aber sie ist gemütlich mit dem großen Innenhof und den Bänken.
An der Rezeption weiß man von meinem Kommen, Christina die Hospitaliera mit der ich im Vorfeld Kontakt hatte, ist aber nicht da. Ich bekomme ein Bett in einem dunklen Raum im Erdgeschoss. Die Matratzen sind mit Kunststoff bezogen und noch bin ich alleine. Erschrocken stelle ich fest, dass mein Rucksack nicht geliefert wurde. Vielleicht liegt es daran, dass die Herberge morgens noch zu hatte, vielleicht liegt es daran, dass es eine öffentliche Herberge ist. Was nun?


Per Whatsapp nehme ich Kontakt zu Caminofacil auf und schnell bekomme ich eine Antwort. 
Die Herberge war noch geschlossen und mein Rucksack steht in der Bar am Ende des Dorfes. 
Da das Dorf sehr klein ist, finde ich die Bar schnell, hole meinen Rucksack ab und richte mich in meinem Zimmer ein.

Heute bin ich erstmals in einer Herberge und nicht im Hostel oder auf dem Campingplatz. Als erstes wird nach der Ankunft der Schlafsack auf dem Bett ausgebreitet. Damit zeigt man, dass das Bett belegt ist. Danach geht es es die tägliche Handwäsche. Es ist während der ersten Tageshälfte abgekühlt und die Wäsche benötigt ihre Zeit um zu trocknen. Im Laufe des Nachmittages füllt sich die Herberge und es ist schön, nicht alleine zu sein. Wir sitzen im Innenhof auf den Bänken und tauschen uns aus. 
Ich lerne Mandy aus Kanada und Paul aus den Niederlanden kennen und wir lachen viel und haben gemeinsam Spaß. Schon lange habe ich nicht mehr so viel gelacht derweil wir uns über Gott, die Welt und den Weg unterhalten. 
Wie immer fühle ich mich unter meinen Mitpilgern einfach nur gut und wohl - man ist so schnell miteinander verbunden. Dieses Gefühl hatte ich die letzten zwei Tage nicht. Gemeinsam gehen wir abends essen.

Abends, ich liege schon im Bett und es ist bereits dunkel, da öffnet sich die Zimmertür und ich höre meinen Namen. Es ist Christina, die Hospitaliera. Mit einem Feuerzeug kniet sie sich vor mein Bett, erkundigt sich, ob es mir gut geht und ob ich etwas brauche. Im Feuerschein unterhalten wir uns kurz und sie sagt mir Hilfe für den gesamten Weg zu. Falls es mir gesundheitlich schlecht gehen sollte, falls irgendwas wäre: sie bleibt meine Ansprechpartnerin während des Weges. 
Es ist toll, dass eine fremde Person sich um mich "sorgt" und für den Fall des Falles für mich da ist, übersetzt, abholt....
Die Menschen, die sich um uns Pilger kümmern, und auch wir Pilger - wir sind ein besonderer Menschenschlag und es ist gut zu wissen, dass es so viele und tolle Engel am Wegesrand gibt.


Es ist toll zu sehen, von wo überall von der Welt hier schon übernachtet haben.