Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Angueiras - Vila do Conde

 

28. Mai 2022, Angueiras - Vila do Conde


Ich habe wesentlich besser als gedacht in meiner kleinen Hütte geschlafen. Das Fenster weit geöffnet wurde es mit der Zeit doch wesentlich kühler und ich bin froh nicht nur meinen Seidenschlafsack dabei zu haben. Als ich fröstelig werde, lege ich den offenen Schlafsack über mich und schlafe tief und fest. Um 7.00 weckt mich mein Wecker.

Das Leben auf dem Camino ist so viel unkomplizierter trotz aller Anstrengungen als der „normale“ Alltag wo man zu funktionieren hat. Einmal muss ich in der Nacht raus und ich laufe nur in Shirt und Schlüpfer über den dunklen Platz zum WC, im normalen Leben undenkbar, hier ganz normal.


Ich bin noch nicht optimal auf das Wandern mit Tagesrucksack eingestellt.

Hätte ich gestern Blasenpflaster, Schmerzmedikamente oder meine Erste-Hilfe-Ausrüstung benötigt, sie wäre nicht zur Stelle gewesen. Für heute habe ich umgepackt. Mein kleiner Faltrucksack ist für größere, schwerere Inhalte nur suboptimal. Die mit der Kordel verschließbare Öffnung ist total umständlich, die Innentasche mit dem Portemonnaie noch blöder zu erreichen, aber einen anderen Tagesrucksack habe ich nicht dabei und werde ich auch nicht kaufen. Falls der Transport des großen Rucksacks mal nicht klappt hätte ich sonst noch mehr/schwerer zu schleppen.


Auch muss ich daran denken, meine Medikamente vor dem Aufbruch zu nehmen. Normalerweise nehme ich sie zum Frühstück, aber da ist der Rucksack schon auf Tour und nicht mehr bei mir. Alles Kleinkram, aber wichtig für mich.

Bevor ich aufbreche denke ich, dass ich diesen kleinen Campingplatz gerne noch einmal besuchen würde. Ich habe mich hier sehr wohlgefühlt in der Ruhe der Natur.

Ich gebe meinen Rucksack wie vereinbart um 8.00 Uhr an der Rezeption ab und mache mich in meinen neuen türkis-ozeangrünen Wanderschuhen auf den Weg. Nur kurz anprobierte, uneingelaufene Schuhe auf einer Fernwanderung bergen ein großes Risiko für Blasen und sonstige Fußprobleme. Die nächsten Tag werden zeigen, ob ich auf die Schnelle eine gute Wahl getroffen habe, aber ich bin froh Schuhe zu haben und laufen zu können.


Ohne Frühstück starte ich auf den Weg, ich hoffe in ca. 3km Entfernung, in Vila de Cha, eine Bar zu finden in der ich frühstücken kann.

Der Weg über die Holzbohlen ist heute wesentlich schöner als gestern. Der Weg führt durch Dünenlandschaften abseits der Straße, es ist grüner und es gibt Schatten. Ich fühle mich so glücklich auf dem Weg zu sein. Allein für den gestrigen Tag und die wenigen Meter heute hat sich die Reise schon gelohnt.



Mit jedem weiteren Schritt kann ich mir immer weniger vorstellen „normalen“ Urlaub zu machen, falls es mit dem Camino nicht klappen sollte.

Das Wasser steht wesentlich tiefer als gestern, ich kann viele Steine am Strand sehen die gestern unter dem Wasser verborgen waren. Entweder kommt die Flut oder die Ebbe hat eingesetzt. Schwimmer und Wellenreiter, so wie gestern, sind nicht zu sehen. Immer mal wieder sehe ich ein Ehepaar aus Hamburg, dass gestern am Tisch neben mir zu Abend gegessen hat. Mal laufen sie vor mir, mal laufen sie hinter mir, aber über lange Zeit sind wir in Sichtweite zueinander. Viel hatten wir uns gestern Abend und auch heute nicht zu sagen, aber wir grüßen, wünschen einen guten Weg und das war es. Irgendwann sehe ich sie nicht mehr. Vielleicht haben sie in Vila de Cha eine Bar in einer Seitenstraße gesehen. Vila de Cha ist ein farbenfrohes kleines Örtchen in dem es stark nach Fisch riecht, und ich komme auch an einer Fischfabrik vorbei. 


Eigentlich müsste es eine Essensmöglichkeit geben, da es hier auch eine Herberge gibt, aber ich finde sie nicht und erkundige mich auch nicht danach. Der Weg heute ist nur 10km und vor mir liegen noch 7km, da werde ich irgendwo was finden.

Dass ich heute so wenig Pilger sehe liegt sicherlich daran, dass ich relativ „spät“ in Angueiras gestartet bin. Als ich aufbrach waren alle Hütten neben mir verlassen und die Pilger die in der vorherigen Stadt, Matosinhos, geschlafen haben sind noch nicht da. Ich mag die Einsamkeit und Ruhe und vermisse rein gar nichts. Mir reicht es auf dem Weg zu sein.

An einer steinernen Anhöhe die ich aufgrund meines Gleichgewichtes nicht komplett hoch klettere mache ich eine kurze Pause und genieße den Blick auf das Meer. Kurz nach mir erreichen diese „Anhöhe“ zwei Damen. Wir kommen ins Gespräch und sie erzählen mir, dass sie aus den USA, aus Kentucky kommen, die eine Wanderin ist mit einem Deutschen verheiratet. So eine weite Anreise, aber die Jakobswege sind international bekannt und auch auf meinen vorherigen Wegen habe ich häufiger Amerikaner aus Nord- und Südamerika getroffen.


Meine neuen Schuhe laufen sich bislang problemlos. Scheinbar eine gute Wahl auf die Schnelle, ich hoffe es bleibt so.

Kurz nachdem ich Vila de Cha hinter mir gelassen habe liegt an meinem Holzbohlenweg eine Strandbar. Sie sieht geschlossen und von außen dunkel aus, aber da ich jemanden im Gebäude gehe suche ich den Eingang auf der Rückseite und Frage ob es Frühstück gibt. Der Mann legt den Besen weg und begibt sich hinter den Tresen. Mein bestelltes Frühstück habe ich mir etwas anders vorgestellt, aber egal. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich mit der portugiesischen Sprache nicht auseinandergesetzt habe, vielleicht liegt es auch daran, dass sie offiziell noch geschlossen haben – ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Ich bekomme zwei Scheibe Toastbrot ohne Butter und Belag und eine Tasse Kaffee. Gut gelaunt setze ich mich mit meinem Frühstück auf die Strandterrasse in die Sonne. Man merkt schon jetzt gegen 9.30 Uhr dass es heute wieder sehr heiß werden wird, schon jetzt ist es warm, meinen Sonnenhut habe ich heute im Tagesrucksack.


 Nachdem andere Personen die nicht als Pilger erkennbar sind mich auf der Terrasse beim Kaffee sehen wird es schnell voller. Noch immer wuselt der Barbetreiber mit Besen, Staubsauger und Wischlappen um uns herum. Zeitweise muss ich die Füße zum Fegen hochheben, bei der nächsten Runde muss ich Tasse und Teller anheben damit der Tisch gewischt werden kann. Mich bringt das nicht aus der Ruhe, ich genieße einfach mein trockenes Toastbrot. Wenn ich es in den Kaffee stippe kann man es ganz gut schlucken. Danach geht es irgendwann weiter. Ich habe Zeit, meine heutige Etappe ist kürzer als gestern – vielleicht zu kurz? Vielleicht ist es aber auch gut, dass ich meine Unterkunft vorgebucht habe, so werde ich nicht gleich zu Beginn übermütig und überlaste mich. Ich werde austesten was geht, was mir gut tut und was ich meinem Körper abverlangen kann. Mein Körper, meine Beine und Füße werden mir zeigen was möglich ist. Meiner Meinung nach ist das Wichtigste die mentale Einstellung zum Weg. Ich möchte diesen Weg unbedingt gehen und wenn Kopf und Herz den Weg gehen wollen müssen die Füße mit.


Von Beginn der heutigen Etappe kann ich mein Ziel vor mir sehen, oder ich gehe davon aus, dass die Stadt am Horizont Vila do Conde ist. Alles andere würde mich wundern.

Der Weg läuft weiter über Holzstege, mal direkt am Rand des Strandes, mal abseits durch die flachen Dünen. 



Und dann kommt das was ich gar nicht mag. Der Holzsteg ist total versandet. Im feinen Sand kann ich so schlecht laufen, das Gleichgewicht ist so schwer zu halten wenn der Sand bei jedem Schritt unter den Schuhen verrutscht. Zum Glück wird der Weg durchgängig rechts und links von einem einfachen Geländer aus Seilen zwischen Holzpfosten gesäumt. Mit einer Hand halte ich mich am Seil fest, die andere Hand ist fest am Wanderstock und trotzdem ist das Vorankommen mühselig, gefühlt ein Schritt vor, zwei zurück. Irgendwann ist der Weg so hoch versandet, dass auch der Handlauf im Sand verschwunden ist. Der zweite Wandertag und ich stehe vor meiner ersten Herausforderung. Wie komme ich da aufrecht laufend durch ohne hinzufallen? Zwar tut das Fallen im weichen Sand nicht weh, aber ich möchte nicht schon heute hinfallen, es reicht, dass der feine Sand in die Schuhe rieselt. Sandkörner rieseln erfahrungsgemäß auch nach Wochen noch aus den Schuhen und Sandkörner sind ein großes Risiko für Blasenbildung. Ich versuche durch den Sand vorwärts zu kommen und dann kommt meine „Rettung“ von hinten. 




Ein Pärchen kommt von hinten, deutlich als Pilger zu erkennen und ich frage ob ich mich einhaken darf. Der Blick ist im ersten Moment irritiert, ich erkläre meine Situation und dann laufen wir zusammen durch den Sand. Ein fester Arm auf der einen Seite, meinen Stock auf der anderen Seite und so kämpfen wir uns langsam durch den Sand. Da schon zu sehen ist, dass ganz bald danach die nächste versandete Strecke kommt laufen wir gemeinsam weiter und noch einmal gemeinsam durch den Sand. Es ist schön Hilfe zu bekommen und es fiel mir nicht schwer um Hilfe zu bitten. Ich laufe noch eine kurze Weile danach mit den Dänen weiter, danach gehen wir alle in unserem eigenen Tempo weiter. Nach meiner Ankunft am Tagesziel sehe ich das Pärchen noch einmal am Fluss sitzen, winken uns lachend zu, danach sehe ich sie auf meinem Weg nicht wieder. Ich gehe davon aus, dass sie längere Etappen machen als ich – aber das ist der Weg. Man trifft sich, läuft ein Stück gemeinsam und verliert sich wieder aus den Augen. Aber auch diese kurzen Bekanntschaften sind sehr schön und ich bin dankbar um diese kurze gemeinsame Zeit. Engel kommen immer dann wenn man sie braucht. Es gibt sie, in welcher Gestalt auch immer.


Bald danach erreiche ich den Stadtrand von Vila do Conde. An einem Meeresarm entlang laufe ich nun landeinwärts, weg vom Meer und erstmals fühlt es sie für mich richtig wie Camino an. Ich weiß nicht, was hinter der nächsten Straßenbiegung liegt, wo der Weg lang führt. Bislang konnte ich von Beginn an sehen wo mein Weg lang läuft, Vila do Conde konnte ich schon am gestrigen Tag sehen, nur wusste ich da noch nicht, dass das was ich sehe mein zweites Tagesziel ist. Ich überquere den Fluss, die Kirche die etwas rechts von mir liegt, liegt anders als gedacht, nicht am Weg. Normalerweise nimmt der Weg jede Kirche mit. Die zwei Damen aus Kentucky überholen mich am Stadteingang und auch sie treffe ich auf meinem weiteren Weg nicht mehr.

Hinter der Brücke am Stadteingang liegt eine schöne kleine Grünanlage.




 Ich setze mich in den Schatten und mache eine kurze Pause, trinke etwas Wasser und esse meine Nektarine. Auf einem Hügel oberhalb von mir sehe ich ein imposantes Gebäude und lese in meinem Reiseführer, dass es sich um ein altes Klostergebäude handelt. Ich gehe die Straße zum Konvent hoch und sehe, dass am Konvent das Aquädukt beginnt an dem ich morgen vier Kilometer entlang laufen werde. Leider wird das Kloster momentan renoviert und ich kann es samt Kirche nicht besichtigen. 


Auf dem Weg in die Innenstadt komme ich an einem Markt vorbei. Ich fülle meinen Obstvorrat mit Kirschen und Pfirsich auf, setze mich in eine Bar und trinke einen Kaffee, lese über die morige Etappe in meinem Reiseführer und lasse mir ganz viel Zeit. Es ist noch früh am Tag, ich habe mein Bett in der Jugendherberge vorgebucht und diese öffnet erst in einer Stunde.

Neben dem Marktplatz sehe ich die öffentliche Herberge und es würde mich schon reizen in den normalen Herbergen zu übernachten, aber das geht aufgrund meines Rucksacktransportes nicht. Öffentliche Herbergen nehmen keine Rucksäcke an und für mich ist es absolut verständlich, dass diese Unterkünfte an die vergeben werden, die erschöpft mit Rucksack dort ankommen. Durch den Rucksacktransport bin ich an private Alberguen, Hostels, Pensionen, Hotels etc. gebunden. Aber auch ohne Rucksacktransport bin ich auf meinen bisherigen Wegen öfter in privaten Herbergen gewesen. Ich bin mit mir im Reinen, meinen Rucksack dieses Mal nicht selbst zu tragen. Ich weiß nicht, wie ich mit Rucksack durch den Sand gekommen wäre – auch so waren diese Passagen schwer zu koordinieren.

Den Weg zur Jugendherberge finde ich nicht auf Anhieb, sie ist nicht ausgeschildert und ich stelle mein Navi an. Inzwischen ist es glühend heiß und ich bin froh angekommen zu sein und aus der Sonne herauszukommen.




Die Jugendherberge habe ich telefonisch gebucht und habe auch zwecks Rucksackanlieferung im Vorfeld mit ihnen telefoniert. Mein Gepäck sehe ich an der Rezeption stehen, aber von meiner telefonischen Reservierung weiß niemand etwas. Es gäbe eine Reservierung für eine Anne Mac Le….. aus Deutschland, aber so heiße ich nicht. Die Jugendherberge hat nur wenige Betten, aber ich habe Glück, es gibt noch ein Frauenbett. 


Was auch immer bei der Reservierung schief gegangen ist, egal – ich habe ein schönes Zimmer mit 3 Etagenbetten und nehme mir das Bett am Fenster. Den ganzen Tag warte ich, dass meine Mitbewohner erscheinen aber bis zum Abend kommt keiner mehr und ich bin nicht Böse über mein Einzelzimmer. Wieder das übliche Vorgehen, Bett herrichten, Duschen, Waschen, Pause. Die JH liegt nicht weit vom Strand entfernt und so gehe ich dorthin und genieße die Atmosphäre. Der Strand fällt steil ab, die Brandung knallt mit Macht auf den Strand. Einmal mit den Füßen ins Wasser denke ich mir. Auch wenn es etliche Menschen am Strand und im Wasser gibt, die Brandung haut mich trotz Wanderstöcken fast um, die kurzen Hosenbeine sind direkt nass, sehr erfrischend. Ich habe Mühe den steilen Strand wieder hochzukommen und werde schon manchmal zwecks meiner Fortbewegung fragend/erstaunt angeguckt. Mein Laufstil im Strand ist etwas speziell, aber egal. Ich beschließe zum Sonnenuntergang wieder zu kommen. Den Rest des Tages setze ich mich in den Schatten einer Grünanlage oder liege auf meinem Bett. Die Sonne knallt, lange kann ich nicht in ihr sein. Ob meine kleine Tube Sonnencreme reicht?

Gegen 20.30 Uhr gehe ich wieder zum Strand, Joghurt und Obst für eine kleine Abendmahlzeit dabei und setze mich am Strand auf eine Mauer. Der Himmel ist klar, keine Wolke, keine Dunstschicht über dem Meer. Die Sonne geht langsam unter, das Farbspiel ist wunderschön und ich bin einfach nur glücklich, froh und dankbar für alles was ich erlebe. Ich bin so froh, mich noch einmal auf den Weg gemacht zu haben. Auch wenn ich in zwei Tagen eine Strecke zurückgelegt habe die ich sonst an einem Tag gelaufen bin, das ist mir so egal, es spielt keine Rolle für mich. Schritt für Schritt vorwärts, mehr möchte ich gar nicht.


Nachdem die Sonne im Meer versunken ist, gehe ich die kurze Strecke zur JH zurück. Noch immer bin ich alleine. Ich stelle mich auf eine ruhige Nacht ein, aber weit gefehlt. Auf meinem Flur gibt es eine Horde junger Menschen (Klassenfahrt?) und diese genießen den Abend, rennen umher, laute Musik, Türenknallen. Irgendwann schlafe ich trotz der Geräuschkulisse ein und erwache erst am nächsten Morgen, gut ausgeruht, vom Wecker.


Porto - Angueiras

27. Mai 2022, Porto - Angueiras

Ich bin in Angueiras, meine erste geplante Etappe ist geschafft!


Gestern morgen konnte ich mir noch nicht vorstellen, abends zu verreisen.                     Es fühlte sich surreal an, nicht vorstellbar, dass ich am nächsten Tag zu einer 250km langen Wanderung starte. Ich das Moppelchen, untrainiert und humpelig, gehbehindert und koordinationsgestört.

Alles war gepackt, aber der Weg ganz nah und doch so fern.

Schwer gefallen ist es mir meine Kleinen alleine zu lassen. Kater Tommi hat gespürt, dass etwas im Busch ist.


 Ylvie war entspannt und ich habe nicht gemerkt, dass sie etwas ahnt. 

 

Aber sie sind gut versorgt. Morgens füttert mein Nachbar aus dem Haus der die beiden kennt und abends kommen meine Katzensitter zwecks abendlicher Fütterung, Kuscheln, Spielen, Balkonauslauf und Katzenklo. Ich glaube nicht, dass sie sich in einer Katzenpension besser fühlen würden. Aber so lange habe ich sie noch nie alleine gelassen.

Der Flughafen in Dortmund war schnell mit dem Zug erreicht und schon bei meiner Ankunft war klar, dass mein Flug 25min Verspätung hat. Aber da ich einen Nonstop-Flug nach Porto gebucht habe ist das kein Problem. Ich erinnere mich an andere Flüge zum Camino wo ich schon beim Start des ersten Fliegers wusste, dass ich meinen Anschluss nicht bekomme. Also kein Problem, ich bin nur etwas später am Ankunftsort. Aus 25min wurden 45min, aber außer meiner großen Müdigkeit kein Problem. Der Flug war überwiegend ruhig, ich döste zeitweilig und schnell waren die 2,5h Flugzeit herum. Die Dämmerung über den Wolken, das Farbspiel des Himmels war wunderschön anzuschauen. Der Rucksack kam auf dem Gepäckband sehr schnell und kurze Zeit später stand ich vor dem Flughafengebäude.

Mit Google suchte ich mir den Weg zum Hostel in 1.2km Nähe und fand es problemlos und schnell. Angst um Mitternacht durch eine fremde Stadt, noch dazu am dunklen Stadtrand, zu laufen hatte ich nicht. Auch um diese Uhrzeit war es noch warm, kein bisschen Abkühlung, kein Hauch von Wind. Bald war ich in dem Hostel, die Luft in meinem Schlafraum zum Schneiden, alle Fenster zu, und das mir zugesagte untere Etagenbett war auch belegt. Der Lichtschalter war nicht neben der Tür, ich konnte ihn nicht finden und so tastete ich mich vorsichtig durch den Raum. Da ich keinen Lärm machen wollte und keine Lust hatte im Dunklen im Rucksack zu kramen, legte ich mich in voller Montur auf mein Bett. Ist mein Bett bezogen, wie sieht es aus – ist es ordentlich? Ich konnte es nicht sehen, war hundemüde und in dem Moment war es mir auch egal. Lediglich frische Luft hätte ich mir gewünscht. Tastend fand ich am Bettende ein Laken und breitete es irgendwie unter mir aus. Einen Deckenbezug fand ich nicht und da mir so warm war, war mir die Decke auch egal. Durch Fühlen hatte ich eine Steckdose in Bettnähe gefunden und stellte mein strombetriebenes Schlafgerät an den Rand vom Bett. Mit der Zeit wurde mir kalt und ich zog meine Jacke zusätzlich an. Geschlafen habe ich in dieser Nacht nicht, aber ich konnte ruhen.,

Früh stand ich auf, duschte in einem nicht sehr ansehnlichen Bad, nahm meine bereitgestellte Frühstückstüte und verabschiedete mich nach einem netten Gespräch mit einem deutschen Pilger der seinen Weg am Vortag beendet hatte und machte mich auf den Weg. Meinen Rucksack ließ ich im Hostel zurück mit der leichten Sorge, dass es mit dem Rucksacktransport nicht klappt. Die Buchung des Rucksacktransportes fand ich etwas schwierig, da ich viele meiner gebuchten Unterkünfte nicht in der Liste von Caminofacil gefunden habe. Die Firma hat eine Mail mit allen Etappen und Unterkünften von mir bekommen und sie schrieben mir, sie hätten alles geregelt. Bezahlt habe ich noch nichts – ich hoffe, meinen Rucksack am ersten Etappenort vorzufinden. 

Bin ich ein Pilger, wenn ich mein Gepäck transportieren lasse und wenn ich meine Unterkünfte vorher buche? In einigen Foren wird dieses Thema immer wieder diskutiert. Wer ist ein Pilger, wer nicht? Ich fühle mich als Pilger, auch wenn ich nur mit leichtem Tagesrucksack pilger und auch wenn ich nicht in den öffentlichen Alberguen schlafen kann. Rucksacktransporte werden nur zu privaten Alberguen, Hostels, Hotels etc. tansportiert. Ich glaube, nein - ich weiß - dass mir das Laufen auch ohne Gepäck wesentlich schwerer fällt als gesunden Pilgern mit Rucksack. Ca. 2700 Kilometer bin ich auf meinen früheren Caminos mit Gepäck gelaufen. Egal was andere denken, ich laufe nur für mich, ich muss niemandem etwas beweisen, und als was ich mich fühle, kann nur ich sagen.

Ich hätte direkt von meinem Hostel aus auf den Weg starten können.

Der Flughafen liegt näher an der ersten Stadt auf dem Weg als an Porto und schon hier findet man gelbe Wegweiser. Ich habe das Bedürfnis vorab die Kathedrale in Porto zu besuchen, auch wenn ich eingeplant habe, von Porto die Tram, den Bus oder was auch immer Richtung Matosinhos zu nehmen.

Mit der Metro bin ich in ca. 25min in der Innenstadt und habe noch Zeit bevor die Kathedrale öffnet. So setze ich mich in eine Bar am Wegesrand und trinke einen ersten portugiesischen Kaffee, es werden noch viele folgen. In der Bar erkundige ich mich wie ich am leichtesten Richtung Matosinhos komme.


Gesunde und fitte Pilger laufen den Weg oftmals in 12 Tagen, einige auch in 10 oder weniger Tagen, aber aufgrund meiner gesundheitlichen Probleme habe ich mir vorher viele Gedanken zur Streckenplanung gemacht. Eigentlich möchte ich nicht mehr als 15km am Tag laufen, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ich es schaffe, weiter als diese Strecke zu laufen. Da meine Urlaubstage fest sind, der Rückflug gebucht ist, habe ich mich in meiner Planung auf 15 Wandertage festgelegt. Um am ersten Tag nicht über meine Kräfte zu gehen, ist die Fahrt mit der Bahn fest eingeplant.

Vor der Kathedrale von Porto sehe ich etliche Pilger, sowohl Rad- als auch Fußpilger. Die ersten Wegzeichen sind auch vorhanden, entweder zum Küstenweg „Camino del Costa“ oder zum Inlandsweg, dem „Camino central“. 

 

Da der Camino central auf den ersten zwei Etappen nur Hauptstraße und hässlich sein soll, mache ich es so, wie fast alle hier. Die ersten zwei Tage laufe ich entlang der Küste, und dann biege ich auf den Weg ins Land ab.

Schon an der Kathedrale stelle ich fest, dass ich es nicht gewohnt bin ohne meinen Rucksack zu laufen. Meine Credencial, der Pilgerausweis, ist in meinem großen Rucksack und nicht in meinem Tagesrucksack. So besorge ich mir im Pilgerbüro der Kathedrale eine neue Credencial und den ersten Stempel. Die Kathedrale ist leider noch geschlossen und ich kann sie nicht besichtigen. Ich werde dieses auf meinem Rückweg nachholen. Nach dem Stempel gehe ich zur Bushaltestelle und fahre die ersten Kilometer und kürze somit den Weg etwas ab. 

 

Während der Busfahrt sehe ich Pilger die am Rio Douro entlang laufen und mich juckt es in den Füßen. Ich möchte endlich loslaufen. Nachdem der Rio Douro in den Atlantik mündet und ich den Strand und den Ozean sehe hält mich nichts mehr im Bus. Ich steige 2km vor Matosinhos aus und starte voller Freude und mir ganz viel Glücksgefühlen im Bauch auf den Weg. Auf einer breiten Strandpromenade neben der Straße laufe ich los. 

 

Ich genieße den Blick nach links auf das Meer. Schon jetzt gegen 10.00 Uhr ist es sehr warm, ein leichter Wind weht.

 

Der Blick nach rechts und geradeaus ist weniger schön. Es gibt sehr viel hässliche Industrie- und Hafenanlagen.

Nach kurzer Strecke komme ich an ein Fort und beschließe es mir anzuschauen. An meinem Wanderstock habe ich ein Klettband mit einer FFPII-Maske befestigt. Beim Betreten des Forts ziehe ich automatisch meine Maske an und werde direkt darauf hingewiesen, dass diese nicht notwendig ist. In Portugal sind fast alle Corona-Maßnahmen eingestellt. Ich mache deutlich, dass ich meine Maske tragen möchte und laufe durch das Fort. Nach meinem kurzen Rundgang hole ich mir einen Stempel am Eingang und laufe gut gelaunt weiter. 




 

Nicht nur ich bin mit kleinem Gepäck unterwegs. Ich sehe sehr viele Touristen mit kleinem Gepäck, einige haben eine Muschel am Rucksack. Sind das alles Pilger, oder sind das Touristen. Ich vermag es nicht zu sagen.

Es wird immer heißer und weit und breit gibt es keinen Schatten. Von der Strandpromenade geht es auf den beschriebenen Holzbohlenweg. Über Kilometer geht es immer auf dem Holzbohlenweg, es gibt wenig Abwechslung, nur die Industrieanlagen wechseln und begleiten mich gefühlt sehr lange, eine Industrieanlage stinkt fürchterlich. Es hat nichts mit den malerischen Videos auf Youtube gemein. Diese haben den Weg und den Blick auf das Meer gezeigt, nicht aber das was sich rechts von mir befindet.

Nach ca. 5km schlappt plötzlich mein linker Schuh und als ich nach unten schaue sehe ich, dass meine Schuhsohle nur noch vorne an der Schuhspitze klebt, ansonsten hat sie sich komplett gelöst. 

 

Das beginnt ja gut, was soll ich nun machen? Mit der Sohle die nur noch an einem Zipfel hängt kann ich nicht laufen und so reiße ich sie von der Schuhspitze los. Was mache ich nun? Ohne die Sohle ist das linke Bein „kürzer“, zudem habe ich ein großes Loch in dem dünnen Restleder.

Ich spreche einige Einheimische an die mir versichern, dass es hier nirgends einen Schuster oder ein Schuhgeschäft gibt. Jetzt ist guter Rat teuer, was soll ich machen? In meiner Not gehe ich zur Straße die nicht weit entfernt ist und vor meinen Augen fährt ein Bus nach Porto ab. Im Schatten der Bushaltestelle warte ich auf den nächsten Bus. Porto ist eine Großstadt, da werde ich Schuhe kaufen können – aber für heute habe ich kein Bett vorgebucht, da es auf dem Campingplatz in Angueiras immer einen Bettplatz gäbe. Fahre ich jetzt zurück, komme spät in Angueiras an und stehe vielleicht doch ohne Bettplatz dar? Finde ich in Porto, ohne dass ich mich auskenne, ein Schuhgeschäft mit Wanderschuhen?

Da es bis zum nächsten Bus nach Porto fast eine Stunde dauert beschließe ich auf dem Holzbohlenweg weiter zum heutigen Etappenort zu laufen. Auf dem Holzsteg läuft es sich auch mit Loch im Schuh gut. Nach meiner Ankunft auf dem Campingplatz, wenn ich mein Bett habe, werde ich mich nach einem Schuhgeschäft erkundigen.

Inzwischen ist es glühend heiß, die Sonne knallt, die Haut brennt trotz reichlich Sonnencreme. Zufällig habe ich mein Handtuch, das morgens noch nass war, im Tagesrucksack. An dem Holzsteg stehen an jedem Strandabschnitt Duschen. Egal wie blöd es aussieht: ich halte mein Handtuch unter das Wasser und hänge es mir um meine Schultern. Die Kühle tut gut, der Körper kann etwas runter kühlen, was eine Wohltat in der Hitze. 


 

Unter einem kleinen Baum gibt es eine kleine Bank die schon besetzt ist. Ich hocke mich in den wenigen Schatten auf den Boden neben der Bank. Mit Händen und Füßen erklärt man mir, dass ich mich auf die Bank setzen soll und dass man mir einen Platz freimachen möchte. Die drei Pilger auf der Bank kommen aus Italien und ich zeige ihnen meinen kaputten Schuh. Einer der drei Pilger packt Panzertape aus und umwickelt mir damit meinen Schuh. Die ganze Aktion wird gefilmt und fotografiert und wissend ein gutes Werk getan zu haben zieht die Schar von dannen. Ob ich sie auf dem Weg noch einmal treffe oder sehe?

Irgendwann erreiche ich so Angueiras und folge den Straßenschildern ca.500 Meter bergauf in den Ort. An der Rezeption des Campingplatzes finde ich meinen Rucksack.

Ich bekomme ein kleines Mobilheim unter einer Pinie – oder doch eine Kiefer?

Mein Mobilheim riecht ziemlich nach warmen Kundstoff, aber egal. Ich stelle Holztisch und Stuhl vor meine Hütte, klappe das „Sofa“ aus und richte meinen Schlafplatz her. Danach wird geduscht, die Wäsche gewaschen und ich frage an der Rezeption nach einem Schuhgeschäft. Die portugiesische Sprache verstehe ich überhaupt nicht, englisch wird leidlich verstanden. Aber mit Händen und Füßen und meines Schuhes versteht man mein Anliegen. Ich habe Glück, in einigen Kilometern Entfernung (in Matosinhos – dort wo ich meine Schuhsohle verlor) gibt es einen Decathlon. Da es keinen Bus dorthin gibt ruft man mir ein Taxi und wenig später bin ich auf dem Weg neue Schuhe zu kaufen. Eine Beratung gibt es nicht, die Schuhe sind zusammengebunden und so kann ich nicht wirklich testen wie es sich in den Schuhen läuft wenn man normal geht. Ich nehme ein Paar Wanderschuhe die auf die Schnelle einen guten Eindruck machen und fahre zurück. Den Rest des Tages sitze ich im Schatten unter meiner Pinie, schreibe Tagebuch und genieße am ersten Tagesziel zu sein. 

  

Von meiner Unterkunft aus kann ich das Meer sehen. Ich höre in der Ruhe das Meer rauschen, die Brandung knallt hier mit Wucht auf den Strand, aber ich höre auch den Fluglärm. Aber ich höre über mir auch ein leieses Knistern in den Pinienzapfen derweil sie sich langsam öffnen.Den Sonnenuntergang an diesem schönen Tag genieße ich sehr. Ich stehe am Rand des Campingplatzes, unterhalte mich sehr nett mit einem niederländischen Pilger und schaue auf das Farbspektakel bis die Sonne im Meer verschwunden ist. 



 

Danach suche ich mal wieder meine Hütte. Bis auf leichte Farbunterschiede sieht eine Hütte aus wie die andere. Schon jetzt ist es ganz ruhig, vor den anderen Pilgerhütten sieht man niemanden mehr. Ich lege mich auf mein Bett, das Fenster weit geöffnet und höre dem Meeresrauschen zu derweil ich einschlafe. Zwischendurch hört man ein kurzes "Klack" wenn Pinienzapfen auf das Dach meiner Hütte fallen.

Bis auf das Problem mit den Schuhen das im Nachhinein kein Problem war und der Hitze hat sich die Etappe gut gelaufen. Ich hatte keine Schwierigkeiten, der Rucksack hat sein Ziel erreicht. Ich sehe den nächsten Etappe optimistisch entgegen.

Morgen früh habe ich Zeit. Meinen Rucksack kann ich ab 8.00 Uhr an der Rezeption abgeben und mir stehen nur 10 Kilometer bevor.

 

...nur noch eine Woche

 19. Mai 2022

Heute in einer Woche starte ich auf den Camino Portugues.

Lange hat mich dieser Weg nicht gerufen, aber je länger meine MS fortschreitet, desto mehr habe das Bedürfnes diesen Weg noch in Angriff nehmen zu wollen.

Wann, wenn nicht jetzt? Besser wird die Erkrankung nicht - ich kann froh sein, wenn sie nur langsam schlechter wird oder das Fortschreiten stagniert.

Wie wird es wortwörtlich "laufen"?  Ich lasse mich durch meine Probleme nicht aufhalten. Ich werde spüren wie mein Körper auf die Herausforderung reagiert.

Schritt für Schritt, langsam vorwärts - soweit die Füße laufen. 

Wichtig ist die Einstellung im Kopf, das der Weg unbedingt gelaufen werden möchte und die innere Haltung stimmt. 

Meine zwei Testläufe über 10-12km auf dem Ludgerusweg von und nach Billerbeck haben mit meinen Wanderstöcken gut geklappt. 







 

Heute in 2 Wochen geht es los

Heute in 2 Wochen starte ich auf den Camino Portugues. Irgendwie ist alles und nix organisiert. Die Etappen stehen, mit dem Rucksacktransport stehe ich in Verbindungen, mit einigen Herbergen, der Rucksackinhalt ist überwiegend gepackt. Und dennoch habe ich das Gefühl: nix ist organisiert. Dass ich nicht gesund und leichtfüßig unterwegs bin weiß ich, aber ich habe das Laufen auch nicht trainiert. Einerseits war ich durch Corona 3 Wochen raus aus dem Alltag. Meine Coronateste waren über drei Wochen positiv. Aufgrund Quarantäne war ich im Haus. Aber ich kann nicht alles auf Corona schieben. Ich freue mich auf den Weg, aber hier kann ich mich nicht aufraffen und weite Etappen laufen. Die Etappe von Vila do Conde nach Rates soll auf dem beschilderten Weg nicht schön sein. Ich habe alternativ die Route am Aquädukt entlang gefunden. Kartenmaterial fand ich passend dazu online und damit ich nicht ständig auf die Karte gucken muss (wer weiß, ob Feldwege beschildert sind), habe ich die Route in google.maps eingepflegt und kann mir den Weg nun ansagen lassen und muss nicht ständig das Handy in der Hand halten. Ich weiß nicht, wie es auf dem Weg laufen wird, aber ich freue mich und ich freue mich neue Landschaften kennen zu lernen. Corona ist für mich, auch nach der Infektion noch ein Thema. Erst war ich drei Wochen durchgehend positiv und auch die PCR zeigte, dass meine Viruslast noch hoch ist. Jetzt ist es so, dass die PCR wieder gut ist, ich bin definitiv nicht mehr ansteckend, aber meine Schnellteste sind nach wie vor überwiegend positiv. Die Schnelltest im Dienst sind durchgehend positiv, die Teste in der Teststelle negativ. Das Gesundheitsamt erklärte mir, dass es durch meine Immunmedikamente dazu kommen kann, dass harmlose, deaktivierte Restbestandteile des Virus, im Blut erhalten bleiben können. Diese Restbestände machen nichts, aber führen dazu, dass Test positiv bleiben können. Momentan wird in Portugal nicht kontrolliert, auf Nachfrage reicht der Impfnachweis. Aber was ist, wenn spontan durch Situationsänderungen, die Regelungen geändert werden? Okay, irgendwo werde ich eine PCR-Teststelle finden. Ich möchte nicht, in einem Quarantänehotel eingebunkert werden aufgrund eines falsch positiven Testes. Es bleibt spannend. Um diese Zeit in zwei Wochen müsste ich gerade gelandet sein, und morgen in zwei Wochen starte ich in Porto. Einen Gruß von Anne
Mein Traum vom Camino Portugues, eine Schnapsidee, gewagte Idee, totaler Irrsinn oder eine Möglichkeit? Wer wagt kann verlieren, wer nichts wagt hat schon verloren. Man kann mehr als man denkt, man ist stärker als man denkt. Aufgeben ist keine Option, wenigstens probieren. Seit meinem ersten Camino, dem Camino Frances sind inzwischen 14 Jahre vergangen, vor 11 Jahren beendete ich die Via Plata und den Camino Finisterre. Und auch nach diesen vielen zu Fuß zurückgelegten Kilometern hatte ich noch nicht genug vom Pilgern. Diese Reisen waren das Beste was ich je erlebt habe. Nie wieder habe ich mich so gut, so frei und losgelöst vom Alltag gefühlt. Auf der Via Plata zeigten sich rückblickend 2010 schon erste Krankheitszeichen. Zwar kam ich schnell vorwärts, konnte lange Etappen laufen, aber das Überqueren von Bächen auf Steinen fiel mir schwer. Aller liefen leichtfüßig über die „Pseudobrücken“, nur ich wackelte dabei und zog es vor meine Schuhe und Hose auszuziehen um die Bäche direkt zu durchschreiten. Auch wunderte ich mich, dass der linke Arm immer angewinkelt und fest war, aber das war es auch. Im Mai 2012 kam meine MS-Diagnose. Im ersten Moment war ich erleichtert, denn ich spürte schon lange, dass was nicht richtig ist, nur meine Ärzte schoben alles auf meine Psyche. Vier Wochen nach der Diagnose, bevor ich mit der medikamentösen Therapie anfing, flog ich spontan nach San Sebastian und lief 320 Kilometer auf dem Camino del Norte. Dieser Weg war der einzige Weg, den ich von jetzt auf gleich beendete. Es war nicht „mein“ Weg, ich habe ihn nicht langfristig geplant und wirklich gewollt. Es war eher eine Flucht von mir und der Diagnose, ich wollte mir beweisen, dass das Leben ganz normal weiter geht. Aber nichts war mehr so wie vorher. Auch war der „del Norte“ nicht mein Weg. Ende Juni war es sehr heiß, die Unterkünfte waren übervoll, ich hatte Schmerzen im Fuß und als eine Bar am Wegesrand geschlossen hatte in der ich frühstücken wollte und ein Bus an der Bushaltestelle in der Nähe stand, bin ich einfach eingestiegen und zurück gefahren. Noch am gleichen Tag war ich wieder zu Hause und es hat sich absolut richtig angefühlt. Mein Herz war nicht mit auf dem Weg gewesen. Den Camino Primitivo habe ich mir aus vollem Herzen gewünscht und wollte ihn schon anlässlich meines 40. Geburtstages gehen, aber die Reha und der schwerste Schub den ich bis heute hatte kam dazwischen. Es war ein tolles Gefühl, diesen anspruchsvollen Weg im Jahr 2014 nach der schweren Zeit im Vorfeld zu laufen. Es ging und ich habe es geschafft. Danach habe ich eigentlich das Thema Jakobsweg für mich abgeschlossen. Wie soll ich halbwegs vernünftig einen Jakobsweg gehen, wenn ich körperlich viele kleine Baustellen habe. Und auch wenn ich im Herzen immer Pilger bin und bleibe, das Thema lässt mich bis heute nicht los. Unerwartet und ungeplant bin ich 2019 den Camino Inles gelaufen. Eigentlich wollte ich mit einer Freundin Urlaub in Spanien machen, aber sie wurde krank und ich hatte keine Lust alleine in einem kleinen Fischerdorf an der spanischen Küste zu sein. Der Weg von Ferrol nach Santiago ist nur ca. 113 Kilometer kurz, aber es war mein schwerster Weg. Viele Höhenmeter, nicht immer bekam ich aufgrund meiner Langsamkeit ein Bett, Fußschmerzen bei jedem Schritt wegen einem chronischen Fersensporn. Aber wieder bin ich angekommen. Sowohl in der ersten Kapelle in Santiago, als auch vor der Kathedrale, habe ich Rotz und Wasser geheult. Es war so anstrengend, ich habe mich echt gequält, aber es hat sich gelohnt. Viele Eindrücke von dem Weg habe ich heute nicht in mir. Es Überwiegen die Bilder von Schmerzen, hohen Bergen, keinen tiefgreifenden Gesprächen, keine starken bleibenden Eindrücke. Seit dem war das Thema Pilgern für mich abgehakt. Die Erkrankung schreitet voran, ich habe (wenn ich sie auch nicht immer nutze) Schienen für beide Unterschenkel, ich mache mir Gedanken wann der richtige Zeitpunkt ist mir einen Rollator zuzulegen, ich stolper gerne, fallen nicht ausgeschlossen, ich leide unter Spastik und neuropathischen Schmerzen, irgendwas tut immer weh, musste aus aus meinem laufenden Beruf raus und genau jetzt denke ich über einen neuen Weg nach. Der Camino Portugues hat mich in all den Jahren nie gereizt, ich wollte diesen Weg nie laufen. Und schon seit letztem Jahr denke ich immer wieder daran, es noch einmal zu versuchen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Die MS wird nicht besser werden, aus dem schubförmigen Verlauf bin ich raus, ich bin sekundär progredient. Für diese Verlaufsform gibt es keine (oder seit kurzem die ersten) Medikamente. Zu erst kaufte ich mir nur den Reiseführer, einfach mal durchblättern. Und ganz plötzlich buchte ich im März meine Flüge nach Porto. Ich war ganz euphorisch, und ging danach direkt an die Etappenplanung. Hier sind mir 2 Kilometer immer schon grenzwertig viel, und nun will ich 240Kilometer laufen? Nach wie vor weiß ich nicht wie ich das machen soll. Aber es soll irgendwie hoffentlich gehen. Es wird ein ganz, ganz anderer Camino als alle anderen zuvor. Es wird eine Auseinandersetzung mit mir und meiner Krankheit. Auch wenn ich es schaffen sollte die geplanten Etappen zu laufen, wird mir bei jedem Schritt bewusst sein, dass es nicht mehr so ist wie früher. Den Rucksack werde ich transportieren lassen – ich stehe mit zwei Transportunternehmen in Kontakt. Alle Herbergen sind vorgebucht (bis auf 2 die mir noch fehlen). Mein Beatmungsgerät kommt mir, ich benötige es um mich nachts ausreichend erholen zu können. Das Gerät ist nicht schwer, aber da der Rucksack transportiert wird, kommt es nicht auf ein Gramm an. Erst heute war ich wieder so gerührt über die Hilfe die mir auf dem Weg entgegengebracht wird. In Rates gibt es keine private Albergue zum Vorbuchen. Ich habe die Herberge angemailt, und man hat mir am gleichen Tag schon geantwortet. Es gibt eine deutsche Hospitaliera, Volunteer, mit der ich Kontakt aufgenommen habe. Man hat mir ein Bett zugesagt was unüblich ist in öffentlichen Herbergen, aber besondere Pilger benötigen besondere Bedingungen. Heute Abend chatten wir war, um zu schauen, ob ich sonst irgendwo bei Hilfe gebrauche. Auch die Albergue in Briallos hat mir geantwortet, dass ich mir keine Sorgen machen müsste. Es gäbe in Galicien immer Betten für beeinträchtigte Pilger, ich müsste mich vorher nicht melden. Aber damit ich mich entspannter auf den Weg machen könnte, würden sie für mich auch noch Kontakt mit den folgenden Herbergen aufnehmen. Ich freue mich auf den Weg und habe auch ganz viele Zweifel in mir. Aber wenn ich den Weg nicht in nächster Zeit in Angriff nehme mache ich es nicht mehr, bzw. kann ich es irgendwann wirklich nicht mehr. Auch im Pilgerforum wurden mir nette Hilfen angeboten, von Begleitung bis Fahrradetappen. Aber darauf kann ich mich nicht einlassen. Es ist nicht meine Art mit fremden Menschen gemeinsam zu laufen. Wenn es sich durch Gespräche und langsames Kennenlernen auf dem Weg passiert, dann ist das was Anderes. Aber dennoch fand ich dieses Angebot nett.