Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Barcelos – Casa Fernanda
31. Mai 2022

Die Nacht in meinem kleinen zu dritt genutzten Vierbettzimmer war erholsam. Die zwei Gummimatratzen quietschten ordentlich aufeinander und ich habe länger gebraucht um zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen. Das Ehepaar in meinem Zimmer möchte morgen bis Ponte de Lima durchlaufen und hat sich den Wecker auf 5.30 Uhr gestellt. Laut Wettervorhersage soll es heute ab 10.00 Uhr regnen und sie wollen möglichst weit im Trockenen laufen.Eigentlich habe ich mir gedacht nach ihrem Aufbruch noch etwas liegen zu bleiben, aber ich lasse es auf mich zukommen. Im Vorfeld habe ich mir überlegt diese Etappe etwas abzukürzen, ich habe Angst, dass meine Beine keine 19 Kilometer bis zur Casa Fernanda durchhalten. Die letzten Tage liefen so gut, dass ich mir keine Gedanken um eine Abkürzung gemacht habe. Keine Ahnung wo und wann irgendwo ein Bus fahren könnte. Falls es zu viel werden wird, wird es eine Lösung geben.Den Tagebuchbericht zu dieser Etappe schreibe ich erst einen Tag später, da der Tag in der Casa Fernanda so ausgefüllt und schön war. Das ist relativ untypisch für mich – aber Stress mache ich mir nicht, auch wenn der Bericht so vielleicht etwas kürzer ausfällt.

Als der Wecker um 5.30 Uhr schellt stehe ich nicht direkt auf. Ich habe genug Zeit und döse noch etwas derweil sich meinen Mitbewohner für die Etappe fertig machen. Da ich nicht mehr einschlafe und der Himmel sehr grau und nach Regen aussieht, stehe ich dann doch schon auf und mache mich für den Tag fertig.



Auf dem Weg aus Barcelos heraus liegt keine Bar zwecks Frühstück mehr am Wegesrand und so laufe ich los und nur wenig später setzt der Regen ein. Erst geht es noch am Stadtrand lang, dann geht es ins Grüne. 



Die Wege heute sind nach wie vor aus Kopfsteinpflaster, aber auch viele Feld- und Waldwege. Da der Weg gut und ausreichend beschildert ist habe ich mich nicht viel mit der Streckenführung beschäftigt, geschweige denn, wie die Dörfer auf der Etappe heißen. Ich habe keine Ahnung wo ich bin, aber einen Kopf muss ich mir deshalb nicht machen.




Der Regen ist nicht sehr stark, dafür aber von Dauer, der Himmel sieht nicht nach Besserung aus. Pilger oder Einheimische sehe ich nur wenig und selten. Scheinbar führt das Wetter dazu, dass man lieber im Haus bleibt.Unter meinem ungeliebten Regenponcho bin ich bald mal wieder genau so nass, als wenn ich ihn nicht tragen würde. Wir werden einfach keine Freunde mehr, aber komplett ohne Regenschutz zu laufen ist auch nicht das Wahre.



Durch die Feuchtigkeit werden die Schnecken aus ihren Verstecken hervorgelockt und überall sieht man sie auf dem Weg oder am Wegesrand.



Beständig geht es leicht auf und ab und so unangenehm der Dauerregen ist, so schön sind die Eindrücke die dieser mit sich bringt. 




In der Ferne sehe ich eine kleine Kirche auf einem Hügel und wenn man eins auf allen Jakobswegen lernt, dann das: Siehst du eine Kirche, dann führt der Weg dort meist vorbei.



Ich stelle mich schon einmal seelisch darauf ein dampfend mit Poncho den Weg hoch zu steigen. Noch liegt die Kirche in der Ferne in den Wolken, aber je näher ich komme, desto höher steig ich in die Wolken und der Blick wird klarer.




Es hat was mystisches durch den Nebel zu laufen. Die Regentropfen auf den Gräsern und Sträuchern faszinieren mich immer wieder. Gerne nehme ich mir die Zeit mir die Tropfen genauer anzuschauen, alles spiegelt sich in ihnen.



An einigen Häusern kommt mir ein schwarzer Kater vor die Füße gesprungen und unweigerlich muss ich an meine Katzen denken. Der kleine schwarze Kater sieht aus wie mein Tommi, nur ist er nicht so gepflegt, dafür aber mindestens genau so anhänglich. Der Kater läuft mir um meine Beine und bringt mich damit fast zu Fall oder er spielt mit den Spitzen meiner Wanderstöcke. Ich kann dem kleinen Kerl nicht widerstehen und laufen kann ich mit ihm zwischen den Beinen auch nicht. Also nehme ich mir die Zeit und kraule ihn, was in vollen Zügen genossen wird. Katerchen wirft sich auf die Straße und dreht mir den Bauch zu. Wir spielen und genießen die gemeinsame Zeit. 



Anschließend sitzt er bei mir auf dem Arm und so laufe ich an den Häusern entlang. Zum Ende der kurzen Straße verabschiede ich mich von ihm, er begleitet mich noch einige Meter und verschwindet dann wieder.Am Rand des Feldweges stehen wunderschöne blaue Hortensien und ich genieße trotz der widrigen Umstände die Blicke über das Land. Alles ist grün, Hügel, Felder und Wälder in der Umgebung.




Irgendwann gab es irgendwo einen Wegweiser zu einer kleinen Bar abseits des Weges und ich genoss nach den vielen bereits gelaufenen Kilometern mein Frühstück. Endlich raus aus der Regenkleidung. In meinem kleinen Tagesrucksack habe ich immer ein kleines Handtuch und so zog ich während der Pause den Poncho auf links, trocknete ihn von innen ab und ließ ihn zum Trocknen in der Bar hängen. Mal wieder das übliche Frühstück, Nachrichten lesen, Beine hochlegen und einfach etwas ausruhen.

Komisch war, dass, obwohl es die erste Bar am oder neben dem Weg war, kein Pilger weit und breit zu sehen ist. Wo sind die denn heute alle? In den Bars trifft man eigentlich die Mitpilger weil sich alle über eine Pause und ein Frühstück freuen.

Zum Ende meiner Pause ist das Wetter etwas besser, der Himmel bleibt grau, aber es ist trocken. Und so ziehe ich guter Hoffnung weiter. Nach einiger Zeit komme ich zu einem Fluss mit einer historischen Brücke. Das Pflaster ist sehr grob und sehr rutschig, Geländer gibt es natürlich nicht. 



In solchen Momenten bekomme ich es immer mit der Angst zu tun. Was ist wenn ich hier stürze und mich verletzte. Mein schlechtes Gleichgewicht, gepaart mit den Gangstörungen machen solche Momente immer schwer. Aber es ist ein malerisches kleines Örtchen und wäre das Wetter schöner würde ich hier eine ausgiebige Pause einlegen und einfach die Umgebung genießen.




Es geht bergauf, der Weg teilt sich. Ein Pfeil geht geradeaus, der andere Pfeil biegt in die Seitenstraße ab und schon wieder setzt der Regen ein. Der Abzweig zur Seite führt zu der Kirche die ich im Vorfeld gesehen habe und ich denke, in der Kirche kannst du den Regen etwas aussetzen, aber die Kirche ist mal wieder geschlossen. 




Langsam schwinden meine Kräfte und ich weiß nicht, wo ich bin oder wie viele Kilometer noch vor mir liegen. Unter einem Abdach setze ich mich auf eine Stufe und packe den Reiseführer aus. Das Kirchlein ist im Reiseführer beschrieben und ich lese, dass es nicht mehr so weit sein kann, ca. 3 bis 4 Kilometer. Natürlich komme ich nach dem kleinen Umweg zur Kirche wieder auf die vorherige Straße und hier sehe ich heute nach langer Zeit das erste Mal wieder einen Pilger. Wir unterhalten uns kurz und er ich werde gefragt wann ich heute Morgen gestartet bin. Ich berichte von meinem frühen Aufbruch und mein Mitpilger ist erstaunt, ist er doch zwei Stunden nach mir gestartet. Dass ich keine Streckenrekorde aufstelle ist mir bewusst, aber ich bin stolz, diese Etappe bald geschafft zu haben.



Auf einem kleinen Betonsträßchen geht es weiter immer um die Kurven. Alles ist nass, ich kann die Schönheit der Natur nicht mehr genießen und bin völlig fertig. Ich werde immer langsamer und die letzten Kilometer ziehen sich in die Länge. Nirgends ein Hinweis auf die Casa Fernanda und plötzlich stehe ich vor ihr.



Das Haus liegt abseits vom Dorf und ich hätte es nicht so plötzlich erwartet. Ich trete durch die kleine Gartenpforte auf das Grundstück und mitten im Garten steht das langgestreckte Holzhaus, davor ein überdachter Sitzplatz mit Gartenküche, Sofas und Sesseln.

Meinen Rucksack sehe ich auch dort stehen und da die Herberge noch nicht geöffnet ist, setzte ich mich zu den vier wartenden Pilgern. Die Betreiberin der Herberge ist für ihr großes Herz gegenüber den Pilgern bekannt und wuselt durch das Haus und über die Terrasse und richtet alles her.

Zwischendurch kommt sie zu uns und erzählt, dass die letzten Pilger morgens spät ihr Haus verlassen haben und sie daher spät dran ist. Nach einiger Zeit können wir in das Haus gehen, nachdem sie sieht, dass ich nicht soo gut laufen kann, trägt sie mir meinen Rucksack in das Häuschen. Zehn Einzelbetten, immer zwei in einer Koje, zwei kleine Badezimmer.

Schnell unter die Dusche und danach etwas ruhen. Das Waschen fällt heute aus, da die Kleidung nie und nimmer trocknen würde. Plötzlich ruft Fernanda uns auf die Gartenterasse und es gibt Nudeln mit Bolognese für alle die möchten. Zwei junge Frauen die ich auch am Vortag schon gesehen habe kommen in die Herberge und bekommen die letzten beiden Betten. Ich werde sie von jetzt an immer wieder treffen und wir kommen zeitgleich in Santiago an. Es ist ein lustiges Trüppchen was gemeinsam für diesen Tag zusammen ist. Vier Iren, die beiden Mädels aus Deutschland und ich weiß schon gar nicht mehr, woher wie alle kamen. Auf keinem Camino zuvor wurde so oft gefragt: Ist das dein erster Weg? Warum ist das hier eine viel größere Frage als sonst zuvor, oder ist es mir sonst nicht aufgefallen? Nicht nur ich bin Wiederholungstäter, aber es gibt auf sehr viele Pilger die mit dem Portugues starten. Der Portugues ist mit seinen 250 Kilometern nicht so lang, die Höhenmeter sind relativ milde, kein Vergleich mit dem viel kürzeren Camino Ingles oder der Primitivo.

Ohne Bewegung wird mir in der Feuchtigkeit schnell kalt und ich kuschele mich in meinen Schlafsack, zwischendurch hole ich mir bei Fernanda einen heißen Tee in ihrer Küche.

Fernanda steht schon wieder am Herd und plötzlich gibt es als Zwischensnack Fischbällchen.

Bislang habe ich meinen Obulus noch nicht gezahlt, und sie möchte auch noch kein Geld. Bezahlt wird, wenn man morgens das Haus verlässt. Vor Fernandas Haus liegen zwei Katzen auf einem Fußabtreter, aber sie legen keinen großen Wert auf meine Gesellschaft. Aber da wo Katzen sind muss man sich wohlfühlen. Wir erzählen viel, lachen und fühlen uns an diesem besonderen Ort sehr wohl. Irgendwann wird zum Abendessen geläutet und schon wieder hat unsere Gastgeberin gekocht.

In ihrer großen Wohnküche ist es schön warm und wir nehmen alle gemeinsam am Tisch Platz.

Fernanda hält eine große Ansprache auf Jakobus, den Weg, uns Pilger und das Leben. Es gibt Trinksprüche, jeder erzählt woher er kommt und dann gibt es das nächste große Mahl. Diese Frau und ihr Mann leben für uns Pilger und es erfüllt sie mit großer Freude.

Ein Gang nach dem anderen wird aufgefahren. Es beginnt mit einer heißen Gemüsesuppe, dann gibt es zu in Butter geschwenkten Kartoffeln Kohlgemüse, Kirchererbsen, Bohnen und Hühnchen mit Salat. Das Gemüse ist überwiegend aus ihrem eigenen Garten und es schmeckt himmlisch.

Zum Nachtisch gibt es Orangen vom eigenen Baum und auch wenn sie optisch nicht so schön aussehen, es sind die besten Orangen die ich je gegessen habe. Direkt vom Baum auf den Tisch. So süß, so aromatisch und saftig – einfach lecker. Danach gibt es verschiedene Sorten Portwein mit Keksen. Wir sitzen sehr lange am Tisch und es ist ein wunderschöner Abend den ich nicht vergessen werde. Diese Herzlichkeit… Das ist das, was man auf so einem Weg braucht. Die Menschen, die den Weg zu einem unvergesslichem Erlebnis machen. Frühstück gibt es morgen Früh um 7.30 Uhr und wir wären nicht auf der Flucht sondern auf dem Camino und so bittet Sie uns alle nicht vorher zu starten. Wir sollen den Weg genießen und nicht rennen.

Nach und nach verabschieden wir uns alle in unsere Betten und ich bin erstaunt, wie ruhig es mit 10 Personen in einem Raum sein kann. Niemand schnarrcht und als ich nachts kurz wach werde höre ich nichts aus unserem Raum, nur das sachte Prasseln des Regens auf dem Dach unseres Gartenhäuschens.