Die Geschichte meines Jakobsweges

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Campiello - Berducedo + Dia-Show 2


15. Mai 2014
Campiello – Berducedo über Hospitales, 27,8km
Halleluja! Ich bin in Berducedo und habe die Hospitalroute, beginnend in Campiello in 10 Stunden (inklusive Pausen) bewältigt. Ich bin total glücklich die, wie alle sagen, schönste Etappe des Camino Primitivos bewältigt zu haben – auch wenn es sehr, sehr anstrengend war.

Ich habe es geschafft – und nur das zählt.   Der Nachmittag und Abend in Campiello waren unspektakulär. Ausruhen, Tagebuch, im Dorfladen den nötigen Proviant für morgen besorgen, erzählen und dann bin ich, wie immer und wie alle anderen auch, früh in meinen Schlafsack geschlüpft. Es ist kein Problem, dass die Herbergen um 22 Uhr schließen – jeder ist so erschöpft und müde, dass ab ca. 21 Uhr alle im Bett liegen. Die Nacht war gut und gegen 5 Uhr erwache ich. Auch wenn 5 Uhr früh klingt, ich habe um diese Uhrzeit schon fast 9 Stunden Schlaf hinter mir. Laut Aushang in der Herberge gibt es in der gegenüberliegenden Bar ab 7 Uhr Frühstück und so stehe ich, wie alle meine Mitpilger, um 6.30 Uhr auf, packe den Rucksack und begebe mich fünfzig Meter zurück auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dorfanfang und Dorfende sind nicht weit voneinander entfernt. Trotz der Ankündigung auf dem Schild oberhalb der Bar „25 Stunden täglich geöffnet“ ist die Bar verschlossen. Kein Licht brennt, nichts ist zu hören, und das Auto von Herminia steht auch noch nicht auf dem Parkplatz vor der Bar. So bleibt nichts anderes über, als abzuwarten. Gerade heute, wo es auf den nächsten 24 Kilometern keine Einkehrmöglichkeit gibt, und wo die härteste Etappe des Weges ansteht, ist es wichtig eine Kleinigkeit in den Magen zu bekommen. Nicht alle meine Mitpilger möchten die Hospitalroute laufen, einige laufen die Alternativroute über Pola Allande, die sich auf zwei Tagestouren aufteilen lässt, aber im zweiten Teil mehr Höhenmeter hat als die Hospitalroute. Kurz vor halb acht Uhr braust Herminia mit ihrem Wagen vor die Tür, lässt uns schon einmal hinein und fängt an zu brutzeln. Es gibt für jeden eine riesige Tasse seines Wunschgetränkes und dann kommt sie mit fettig triefenden, hochkalorinösen, gerösteten Brotscheiben aus ihrer Küche. Die Bagettscheiben wurden in reichlich Butter gebraten und Mund und Finger glänzen vor lauter Fett – aber lecker. Dazu Marmelade und ständig gibt es Nachschub. Irgendwann wird noch der typische Frühstückskuchen auf den Tisch gestellt. Ich nehme mir ein Stück Kuchen und packe es als Wegzehrung ein. Wenn ich jetzt noch mehr esse, komme ich den heutigen Anstieg unter Garantie nicht hinauf. Auch wenn 2,5Liter Wasser 2,5kg bedeuten, heute brauche ich sie bestimmt. Gut gelaunt, was der heutige Tag bringt, starte ich auf die ersten 3 Kilometer nach Borres. Lange habe ich gestern gegrübelt ob ich nicht doch noch diese wenigen Kilometer an die Etappe hängen soll um so die heute anstehende, anstrengende und weite Etappe zu verkürzen – aber ich habe es nicht getan. Ich hoffe, dass ich diese Entscheidung heute Abend nicht bereue. Das Wetter scheint, wie im Wetterbericht angekündigt, gut zu werden. Einige kleine Wölkchen sind am Himmel zu sehen, dazu Morgenrot. 


Nach wie vor kann ich mich jeden Tag an diesen schönen Blicken erfreuen. Auch wenn es morgens oft wolkig ist, sobald die Sonne aufsteigt, verschwinden die Wolken und es klart auf. Einige Wolken und nicht zu heiße Temperaturen schaden auf den heutigen Kilometern auf keinen Fall. Der Weg nach Borres läuft sich schnell und problemlos. Erst geht es über die Landstraße, die mich gestern auf den letzten Kilometern nach Campiello geführt hat, und dann geht es auf die typischen Feldwege. Bis lang geht es nur leicht auf und ab, keine Besonderheiten. 


Die drei Kilometer bis Borres sind sehr schnell gelaufen und ich bin erstaunt, dass am Dorfende von Borres eine Bar zu finden ist. Laut meinem allwissenden Buch gibt es in Borres keine Bar und keine Möglichkeit irgendetwas essbares zu finden, aber in den Jahren, seit dem das Büchlein auf dem Markt erschienen ist, hat sich bereits einiges geändert. Auch wenn ich nach dem guten und reichhaltigen Frühstück keinen Appetit oder Durst habe, kehre ich kurz in die Bar ein. Ein WC am Wegesrand ist immer gut und außerdem fülle ich meine nicht mehr volle Wasserflasche auf. Ich bin dazu übergegangen, in den Bars darum zu bitten, meine Wasserflasche unter den Wasserhahn halten zu dürfen. Oftmals schmeckt das Wasser in Spanien nur nach Chlor und Schwimmbad, aber scheinbar gibt es in den Bars einen Filter, der diesen Geschmack neutralisiert, entfernt oder… Generell habe ich das Gefühl, dass das Wasser in Asturien weniger nach Chlor schmeckt als in den anderen spanischen Gegenden, die ich kenne. Hinter Borres geht es gleich auf einem Forstweg steil aufwärts, entlang an einem Waldrand. 



Nach 1,6 anstrengenden, ansteigenden Kilometern erreiche ich die entscheidende Weggabelung. Entweder über Hospitales auf direktem Weg nach Berducedo, oder die Alternative über Pola Allande. Für mich war immer klar, dass ich die Route über Hospitales laufen möchte, auch wenn ich sehr viel Respekt vor der Strecke habe. Die eindrucksvollste Etappe des Weges möchte ich mir nicht entgehen lassen und ich sage mir immer wieder: Es ist nicht der Mount Everest! Entschlossen, nachdem ich einen kleinen Stein auf den Wegweiser gelegt habe, als Symbol für meine Gebete und zurückgelassenen Probleme, starte ich den Weg über die Berge. 


Anfangs geht es auf einem kleinen, schmalen Trampelpfad durch den Walt. Der Weg trifft auf einen Feldweg und anschließend kurz vor dem letzten Dorf bevor es steil wird, auf eine Landstraße auf der ich La Mortera erreiche. Hinter La Mortera geht es anschließend kontinuierlich mehr oder weniger Steil auf eine Piste hinauf in die Berge. Für mich gibt es ab hier kein zurück mehr. Bin ich erst einmal beim Anstieg muss ich dadurch. Ich fühle mich gut, ich freue mich auf die Natur und so stapfe ich tapfer aufwärts. Immer wieder bleibe ich stehen um durchzuatmen und meinen Puls zu bremsen, dann geht es langsam weiter. Schritt für Schritt, so wie bei Beppo der Straßenkehrer in Michael Endes Buch Momo. Geht man langsam und kontinuierlich Schritt für Schritt und atmet regelmäßig wundert man sich irgendwann wie weit die Strecke ist, die man zurückgelegt hat. 



Die Vegetation ändert sich mit den Höhenmetern. Aus dem Blätterwald, wird ein Nadelwald und dann werden auch die Nadelgehölze weniger. Die Wolken lichten sich und am Horizont werden wieder die schneebedeckten Berge und die umliegenden grünen Hügel und Berge sichtbar. Immer wieder ein Naturschauspiel. Dazu lila leuchtende Heide und gelber Ginster. Ich kann mich immer wiederholen und sagen: Ich erfreue mich jeden Tag an dieser wunderschönen Schöpfung. 



Am Hang entlang führt der Weg mich Schritt für Schritt aufwärts. Auf einer Weide tollen vier Pferde umher uns sind die pure Lebensenergie und Lebensfreude. Ich kann schon ahnen wohin mich der Weg heute noch führen wird, aber sicher bin ich mir nicht. Schmale Wege sind immer wieder in der Ferne zu sehen und ich frage mich: Welcher Weg ist meiner!? Inzwischen ist der Himmel blau mit einigen kleinen Wölkchen, die Sonne strahlt, dazu der frische Wind. Aufgrund des Windes empfinde ich die Sonne als nicht so stark, aber sie knallt ordentlich und regelmäßig creme ich mich mit Sonnenmilch ein. Die Haut auf der Nase und der Stirn pellt sich bereits. Nachdem ich die erste Hochebene erreiche setze ich mich auf die grüne Wiese und erhole mich etwas. Dabei schaue ich auf den vor mir liegenden Weg und den zurückgelegten Weg. 




Die Blicke in´s Tal sind ganz unterschiedlich. Auf der Seite vor mir voll mit Geröll, auf der Seite hinter mir grün und leuchtend. Ich bleibe hier nicht lang sitzen, denn ich weiß, dass es nicht mehr weit bis zur ersten Ruine eines Pilgerhospitales ist. Dieses ehemalige Pilgerhospital gibt dem heutigen Wegabschnitt seinen Namen – Ruta Hospitales. Von der ehemaligen Pilgerunterkunft ist nicht mehr viel zu sehen, aber ich treffe dort etliche pausierende Pilger. Gabriel mit seiner Hündin Gitan, Francesca, Uruzu, der spanische Pilger dessen Namen mir entfallen ist, und noch einige Gesichter. Zufällig stellen wir fest, dass von den hier pausierenden Pilgern die meisten türkis-blau tragen und so entsteht das Foto der „Azul-Peregrinos“ – die blauen Pilger. 



Von Gabriel aus der französischen Schweiz, der aber auch deutsch spricht, erfahre ich, dass er in Monpellier  gestartet ist und seitdem läuft. In der Schweiz lag zum Zeitpunkt seines Aufbruchs noch zuviel Schnee. Ursprünglich ist er alleine gestartet, aber irgendwann ist ihm eine Hündin auf dem Weg begegnet und sie läuft seitdem mit ihm. Die Rottweiler-Mix-Hündin hat Gabriel in sein Herz geschlossen, bevor auch er sie in sein Herz schloss und seitdem sind sie ein Team. Gabriel kann seit dem nicht mehr in Herbergen übernachten oder nur ohne Hund und so schläft Gitan notfalls hinter der Herberge im Zelt. Gitan ist einfach nur lieb, herzlich und oftmals müde und faul, aber sie lässt sich nicht beirren und läuft mit. Zwischendurch genießt sie die Pausen und erfreut alle Pilger mit ihrem netten Charakter. Hinter der Hospitalruine kann man schon ahnen, wo es gleich weiter geht. Man sieht einen steilen Geröllweg den Berg hinaufführen und einen flachen Weg den Berg umrunden. 


Und wie es nicht anders kann: Es geht brutal steil auf einem unwegsamen Weg hinauf. Ich lasse mich freiwillig von meinen Mitpilgern überholen. Auf diesem Anstieg brauche ich meine ganze Konzentration um nicht zu stürzen und um hinaufzukommen. Der Blick zurück zeigt, wie steil der zurückgelegte Abschnitt ist, aber ich bin noch längst nicht oben. Nach diesem Anstieg komme ich irgendwann wieder auf eine schöne grüne Lichtung, setze mich hin und lehne mich an einen hölzernen Wegweiser. Beim Aufstieg kommt es mir so warm vor, sobald ich in der Sonne auf der Erde sitze wird es schnell kalt. 




Der Wind pfeift, ich kühle aus und brauche dringend wieder Bewegung um wieder warm zu werden. Warm bin ich schnell wieder, denn der nächste Anstieg lässt nicht lange auf sich warten. Noch bin ich nicht oben, und niemand weiß, wo wirklich der höchste Punkt erreicht ist – nur so ungefähr. Meine männlichen Mitpilger die zum Teil einen Höhenmesser dabei haben kommen alle zu leicht unterschiedlichen Messergebnissen – aber im Prinzip ist es auch egal wo der höchste Punkt erreicht ist, denn es geht immer wieder auf und ab. Am Himmel sehe ich drei Adler kreisen, schaffe es aber nicht wirklich gut, diesen zu fotografieren. Sie drehen ihre Runden hoch über mir und sind so schnell, dass die Kamera sich nicht schnell genug scharf stellen kann. Aber den Anblick dieser majestätischen Vögel ist wunderbar.


Irgendwann, ich habe für mich beschlossen, dass dieses schöne Plätzchen der höchste Punkt des Weges ist, setze ich mich mal wieder kurz hin um die Aussicht und mein Glücksgefühl zu genießen. Gerne möchte ich meinen Lieben mitteilen wo ich bin, aber es gibt keine Verbindung. Wenn hier etwas passieren sollte, besteht nicht einmal die Möglichkeit telefonisch Hilfe zu ordern. 




Mein Weg führt mich an einer weiteren Ruine vorbei. Ich bin in Fonfaraón, oder dort wo einmal Fonfaraón lag. Die alten Ruinen geben mir einen kleinen Anhaltspunkt wo ich mich auf der heutigen Route befinde. Die Hälfte der heutigen Strecke ist geschafft, 14,2 Kilometer liegen noch hinter mir. 




Wie ich später feststelle, waren diese ersten Kilometer zum großen Teil wesentlich einfacher zu laufen, als der weitere Weg und der Abstieg, auch wenn es nun oftmals hinab geht. An den Blicken in die Umgebung kann ich mich immer wieder berauschen und bin sehr erstaunt hier oben ein Auto zu sehen. Ich weiß nicht wie es das Auto hier hinauf geschafft hat und möchte es auch nicht wissen. Auf diesen steinigen Wegen würde ich kein Auto fahren wollen.


Von nun an beginnt der Abstieg, der mich genau so sehr in´s Schwitzen bringt, wie der Aufstieg. Der Abstieg ist wesentlich beschwerlicher als der Aufstieg. Die wunderschönen Naturwege führen mich über den Bergrücken hinunter. Rechts und links des Weges, oder zum Teil auch mittig auf dem Weg wächst lila leuchtende Heide. Kühe stehen mitten auf dem Weg und in der näheren Umgebung des Weges und stören sich nicht an dem starken Wind.




Es ist wie in einem Windkanal. An einem bestimmten Punkt setzte der Wind von jetzt auf gleich ein und bläst seit dem unaufhörlich. Der starke Wind erschwert den Abstieg zusätzlich. Erschöpft kämpfe ich mit den gerölligen Wegen und dem Wind. Das Laufen erscheint mir unter diesen Bedingungen sehr schwer und ich kämpfe mit dem Gleichgewicht. Mein Laufstil scheint nicht ganz unauffällig zu sein. Wie aus dem Nichts tauchen meine zwei bayrischen Mitpilger Tom und Gotthard auf. Sie sehen, dass ich nicht wie eine Gazelle den Berg hinabklettere und bleiben in meiner Nähe. Hinter den Ruinen von Valparaiso wird der Abstieg für mich halbwegs „kriminell“.




Zeitweise denke ich, dass ich diesen steilen Berg auf dem Geröllweg nicht heile hinunter komme, trotz meiner Wanderstöcke die mir helfen das Gleichgewicht zu halten. Zwar führen die Wege in direkter Nähe zum Hang oder sind so gefährlich, dass Absturzgefahr besteht, aber schwierig ist der Weg dennoch zu laufen und sämtliche Mitpilger können sich abends genau an die Stelle erinnern, an der ich mit mir hadere und mir erstmals auf dem Weg die Frage stelle: Was tue ich mir gerade an und warum?!. Hinter dem Puerto del Palo führt der Weg innerhalb von kürzester Zeit um 250 Höhenmeter steil herab. Das Geröll, die vielen kleinen Steine, rutschen unter den Füßen mit den Berg hinab und ich finde keinen sicheren Halt. Wenn man auf dem Weg einen Engel braucht, kommt auch einer. So ist das bisher auf allen meinen Jakobswegen gewesen und ich bin froh, diesen Abstieg gemeinsam mit meinen beiden Bayern zu bewältigen. Ohne mich wären sie den Berg wesentlich schneller vorwärts gekommen, aber sie bleiben in meiner Nähe und geben mir das Gefühl der Sicherheit. Das Wissen hier nicht allein zu sein, führt dazu dass ich mich in gewisser Weise beschützt“ fühle und so komme auch ich den steilsten Abschnitt des Bergweges hinunter. An diese Stelle wäre ich auch dann vorbei gekommen, wenn ich die Alternative über Pola de Allande gelaufen wäre. Am Puerto del Palo stößt die Alternative nach einem furchtbar steilen Aufstieg auf diese Route. In einiger Entfernung kann man ein kleines Dorf liegen sehen und wir freuen uns, dass der Weg in diese Richtung führt, freuen wir uns alle drei über eine eventuell vorhandene Bar. 



Eine Bar soll es auf dem weiten Weg von Campiello nach Berducedo, kurz vor Ende der Etape, geben. Über einen schönen grünen Wiesenweg nähern wir uns dem Dorf, aber es ist kein bewohntes Dorf, eine Bar gibt es hier schon gar nicht. Wir sind in dem verlassenen Bergdorf Montefurado. Die Häuser in Motefurado bieten einen guten Schutz gegen den nach wie vor vorhandenen starken Wind und wir nutzen dieses ehemalige Dorf, dass einen gewissen Charme hat für eine Pause, oder besser für eine Brotzeit wie meine Bayern es nennen. In dem verlassenen Dorf gibt es eine kleine Kapelle. Vor dieser tummeln sich etliche Hühner. Eines der Hühner ist aber so pfiffig und intelligent, dass es uns die wenigen Meter durch das Dorf begleitet. 



Auf Treppenstufen und einer Bank setzen wir uns nieder und strecken endlich die Beine aus. Auch wenn es oben auf dem Berggrat wunderschön war, die Aussicht grandios – es war viel zu kalt und windig um entspannt zu pausieren. Bei der Anstrengung um den Abstieg konnte ich die Natur nicht so genießen wie ich es mir gewünscht hätte. Nun sitzen wir, ganz nach Lust und Laune in der Sonne im Windschatten und genießen die Ruhe. Tommy und Gotthard packen ihre Jause aus, ich mein belegtes Brot. Auch wenn unsere Wegzehrung verschiedenen Namen hat, wir essen das Gleiche. Was anderes gibt es auch sonst in den wenigen Dorfläden, oder den Tiendas (Dorfladen in kleiner Bar) nicht zu kaufen. 



 Ein Stück Baguette, etwas Wurst oder Käse und etwas Obst. Unser Huhn ist sehr anhänglich und egoistisch. Es verrät den anderen Hühnern aus der Dorfgemeinschaft nicht, dass es leckere Krümel und Obststückchen gibt und verlässt und nicht wieder. Es frisst sogar aus meiner Hand. Tomate, Banane, Käse, Brot – das Huhn ist nicht wählerisch und wir haben unsere Freude an dem Tier. 


Wahrscheinlich gehören Tomate, Banane, und Käse nicht zu dem alltäglichen Speiseplan, aber alles scheint zu schmecken. Sogar ich esse auf dem Weg von Zeit zu Zeit ein Stück Tomate – was ich sonst niemals tun würde – und hungrig wie ich bin schmeckt sie mir in spanischen Gerichten. Während der gemeinsamen Pause studiere ich mal wieder meinen Reiseführer. Es sind noch immer 8 Kilometer bis Berducedo. Ich bedanke mich bei den Jungs, dass sie bei mir geblieben sind und beende die Pause eher als meine Mitpilger. Ich möchte endlich ankommen und ich laufe langsamer. Tom und Gotthard werden mich früher oder später wieder einholen.Am Dorfende treffe ich auf Uruzu, eine spanische Mitpilgerin, die auf der Wiese in der Sonne schläft.

Auf einem nun gut zu laufenden Weg, auch wenn er immer mal wieder über schmale Wege führt und von Steinen bedeckt ist, geht es manchmal noch aufwärts, aber überwiegend abwärts Richtung Tagesziel. 




Inzwischen laufe ich im Windschatten und so wird es schnell warm, fast schon zu warm. Der Weg führt parallel zu einer Straße weiter. Der Abstand zur Straße wird schnell größer, ich laufe in einem Hohlweg durch eine wunderschöne grüne Hölle. Beim Blick zurück sehe ich in der Ferne meine beiden bayrischen Mitpilger den Berg hinabsteigen. 




Nach ca. fünf Kilometern erreiche ich den Dorfrand von Lago und setze mich kurz auf eine Mauer am Wegesrand um mir meine Schuhe neu zu schnüren. Derweil ich dort kurz sitze werde ich eingeholt und gemeinsam nehmen wir die wenigen Meter durch das Dorf in Angriff. Hier soll es, bevor wir das Dorf wieder verlassen, eine Bar geben. Zum Glück hat mein Buch Recht. Nach einigen sehr steilen Metern bergauf durch das Dorf erreichen wir eine Landstraße und sehen schon einige Meter vorher die typisch leuchtende Bestuhlung der Bar. Geschafft und froh, dass es nicht mehr weit ist setzen wir uns auf die Terrasse und sehen, dass wir nicht alleine sind. Silke und Ingrid, die beiden Pilgerinnen mit denen ich gemeinsam im Bus von Bilbao nach Oviedo saß und seitdem nicht mehr gesehen habe, genießen ebenfalls ihre Pause. Gabriel mit Hund Gitan entspannt ebenfalls. Auch wenn ich die Pause nicht lange ausdehne freue ich mich, die Beine zu entlasten und tanke Energie in Form von einer Cola. Ich will nicht wissen, wie viele Kalorien wir heute auf der Etappe verbrannt haben. Der Zuckerschub tut richtig gut, auch wenn ich erst vor 5 Kilometern mein Brot gegessen habe. Ich stelle fest, dass sich meine Haut auf Stirn und Nase häutet. Die Sonne hat kontinuierlich geschienen, die körperliche Anstrengung führt ebenfalls dazu, dass einem nicht unbedingt kalt ist, der Wind kühlt die Haut zusätzlich – ich habe nicht gespürt, wie stark die Sonne geknallt hat. 


Trotz Sonnencreme habe ich mir im Gesicht einen leichten Sonnenbrand zugezogen. Kurz nachdem Silke und Ingrid die Bar verlassen haben, starte auch ich auf die letzten drei Kilometer. Ich möchte endlich da sein, endlich ankommen, ein Bett haben und mich ausruhen. Alleine nehme ich die letzten drei Kilometer in Angriff. Jetzt, kurz vor dem heutigen Etappenziel, läuft es sich endlich wieder leichter, entspannter. Ich habe diese schwere Etappe wirklich geschafft – die letzten drei Kilometer zählen nicht mehr. Ich folge der Landstraße auf dem Seitenstreifen und verlasse sie irgendwann in einen Pinienwald, der auf eine Piste führt und kurze Zeit später das Dorf erreicht. 




Ich bin so glücklich! Diese Etappe war diejenige, die mich schon immer für den Primitivo begeistert hat und die, die ich immer gehen wollte und vor der ich sehr viel Respekt hatte. Die Herberge liegt direkt am Dorfanfang und in der relativ überschaubaren 12-Betten-Herberge sind noch zwei Betten frei. Schnell lege ich meinen Schlafsack auf das Bett und melde mich wenige Meter weiter in der Bar an, trage mich in das Unterkunftsverzeichnis ein und bezahle meinen Obulus. Die Herberge ist nicht schön, aber das ist mir so etwas von egal. Nach der obligatorischen Dusche und Wäsche gehe ich Richtung Bar. Dort sitzen alle meine Mitpilger auf zwei Holzbänken auf einer Wiese und feiern die heutige Etappe. Viele von ihnen sind schon lange da, und es ist schon etliches an Bier und Wein geflossen. Das Trüppchen ist sehr heiter. Auch ich werde freudig empfangen. Derweil ich dort stehe, hält der Bus an der Bushaltestelle und jemand steigt aus und überreicht mir meinen Personalausweis. Nicht nur ich, auch Ursula bekommt ihren Ausweis gebracht. Ich bin sehr überrascht und verstehe die Situation nicht so ganz, denn ich habe meinen Ausweis bis lang nicht vermisst und weiß so schnell nicht wie es zu der Situation gekommen ist. Bei der Anmeldung für die Herberge habe ich meine Personalausweisnummer aus meiner Credencial übernommen und den Verlust nicht bemerkt. Am Vortag in Campiello hat Herminia die Ausweise zum Kopieren behalten und vergessen uns diese zurückzugeben – und scheinbar habe nicht nur ich vergessen, dass wir den Ausweis noch nicht zurück haben. Froh darüber nun alle Papiere wieder beisammen zu haben, bevor ich den Verlust bemerkt habe, klingt der Abend nett aus. Die Wäsche trocknet in der warmen Abendsonne trotz später Ankunft und ich sitze mit etlichen meiner nicht alkoholisierten, spät angekommenen Pilger, in der zweiten Dorfbar und genieße einen riesigen Salatteller zum Abendbrot. Obwohl der heutige Tag so anstrengend war, hat fast niemand Hunger, Durst um so mehr. Alle, auch wenn wir an mehreren Einzeltischen auf der Straße sitzen, jeder bestellt einen Salat – nur in verschiedenen Variationen. Nach dem Essen verziehe ich mich auf mein Bett und schreibe meinen Tagesbericht. Heute habe ich erstmals ein oberes Etagenbett erwischt. Alle früh ankommenden belegen die unteren Betten – aber was soll es. Alle Betten in der Herberge sind sehr klapperig und wackeln. Sobald man an das Bettgestell stößt oder sich im Bett bewegt schwankt es wie auf hoher See, aber dieses Etagenbett hat sogar ein Gitter – eine Seltenheit.

Schnell schlafe ich erschöpft ein. Ich werde nur noch kurz wach, als die Partytruppe zurück in die Herberge kommt. Alkoholisiert wie sie sind, brauchen einige Hilfe um in die oberen Betten zu kommen. Ein Mitpilger glaubt in einem Etagenbett seine Ehefrau gefunden zu haben, aber der Irrtum klärt sich schnell auf. Belustigt höre ich dem Chaos zu, der kleine Raum duftet nach kurzer Zeit stark nach Alkohol. Es stört mich nicht. Ich mag alle meine Mitpilger und ich bin glücklich und froh das geschafft zu haben, was ich schon seit langem schaffen wollte!

Dia-Show 2: Campiello - Berducedo - Grandas de Salime, Castro



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