Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Vila do Condes - Rates
29.05.2022

Um 6.30 Uhr werde ich von meinem Wecker geweckt. So laut wie die Nacht am Abend war und so schwer ich in den Schlaf gekommen bin - ich habe bestens geschlafen und fühle mich ausgeschlafen.
Motiviert den Weg zu gehen bin ich sowieso.
Ich ziehe mich in aller Ruhe an, wissend, dass ich viel und ausreichend Zeit habe. Routiniert, so wie ich es von meinen früheren Reisen kenne, packe ich meine Rucksäcke. Alles was ich evtl. während der Wanderung benötigen könnte ist in meinem Tagesrucksack, alles andere geht in das Hauptgepäck.
Im Eingangsbereich der Jugendherberge steht mein Frühstücksbeutel. Diesen tausche ich gegen meinen Trekkingrucksack. Immer noch leicht skeptisch ob der Transport klappt mache ich mich auf meine heutige Etappe.


Im Vorfeld habe ich mir viele Gedanken um die heutige Etappe gemacht. Im Reiseführer ist eine Strecke beschrieben die in allen Kommentaren als hässlich, laut und gefährlich beschrieben ist. 
Gehe ich die 13 Kilometer an der Straße lang und habe eine gute Beschilderung, oder mache ich mich auf die schönere, in etwa gleichweite, aber nicht beschilderte Strecke?
Im Internet habe ich im Vorfeld recherchiert und bin auf die Alternative über Beiritz gestoßen. Kartenmaterial habe ich bei meinen Recherchen gefunden, aber die Wegbeschreibung war sehr grob und ungenau. Ich habe die Alternativroute in Googlemaps übertragen, aber sie lässt sich hier nicht abrufen - das habe ich gestern in der Jugendherberge ausprobiert.
Furchtlos begebe ich mich auf die Alternativroute, der Anfang ist ganz leicht zu finden. 
Der Weg beginnt an dem großen Aquädukt und folgt auf den ersten Kilometern diesem nicht übersehbaren Bauwerk. 



Es wird schon klappen und notfalls kann man fragen. 
Heute ist mein Tag der Rosen, sie blühen überall am Wegesrand, wild oder in den vielen Gärten.


Der Himmel ist bedeckt und grau, aber es ist trocken und warm.


Ich folge dem Aquädukt und sehe an den Abzweigungen immer mal wieder ältere, verwitterte Pfeile und schöpfe Hoffnung, dass mich die Wegweiser nach Rates führen. 
Ich kann mich gut an eine Situation auf meinen früheren Pilgerreisen erinnern, wo ich einmal einem "falschen" gelben Pfeil gefolgt bin und nach kurzer Zeit stand ich alleine auf einer Landstraße. Warum nur ich auf den "falschen" Wegweiser der zu einem Muschelmuseum führte, herein fiel, konnte ich mir damals nicht erklären.
Einige Zeit später stoße ich auf einen frischen Pfeil, dabei ein Aufkleber der auf eine Facebookseite der Portuguesfreunde hinwies - die diese Alternativroute beschrieben haben. Jetzt bin ich mir sicher, dass ich mir um die Wegesführung nach Rates keine Sorgen machen muss. 


Der Stadtrand ist unspektakulär, aber besser als entlang der Schnellstraße.
In Richtung Beiritz verlässt mich das Aquädukt, ich sehe es nicht mehr - aber es taucht später noch einmal auf.


Warum bauen die Portugiesen überall so viele hohe Mauern. Häufig sind die kleinen Straßen rechts und links von hohen Mauern umgeben. Sind das alles Steine die aus den umgebenen Äckern entfernt wurden? Was machen diese vielen Mauern für einen Sinn?



Mit der Zeit sehne ich mich nach einer Bar. Jetzt einen Frühstückskaffee mit einem Brot wäre echt toll. Zwar habe ich mein Frühstückspaket aus der Jugendherberge, aber die Brötchen sind so pappig und nach der Schokomilch im Tetrapak ist mir auch nicht zumute. 
Kurze Zeit später sehe ich eine Bar am Wegesrand und mache dort meine erste Pause. 
Wäre ich auf dem ausgeschilderten Weg, würde ich jetzt auf Mitpilger treffen, aber ich bin alleine unter Einheimischen.


Ich genieße mein Frühstück und freue mich unterwegs zu sein. Bislang waren die Etappen kurz und übersichtlich, aber alles klappt besser als gehofft. 
Das Laufen mit 2 Wanderstöcken ist sooo viel leichter als das freihändige Laufen im Alltag. Ich stolpere weniger, der Oberkörper ist viel stabiler und schwankt weniger.
Mit der öffentlichen Herberge in Rates stand ich im Vorfeld in Verbindung. Diese Herberge ist eine der wenigen von denen ich ein Email und Telefonnummer gefunden habe.
Von dieser Herberge und den Herbergseltern habe ich auf meine Anfrage, ob ich auch ohne Rucksack willkommen bin eine Antwort bekommen. Im Vorfeld habe ich meine Beweggründe, weshalb ich ohne Rucksack pilgere geschildert und bekam die Antwort, dass Pilger mit bersonderen Bedürfnissen jederzeit willkommen sind. Generell durfte ich mit allen Fragen mich vor meiner Reise an die Hospitaliera Christina wenden. Es ist ein gutes Gefühl, einen Ansprechpartner vor Ort zu haben - gerade, weil ich die Sprache nicht kann.

Nach meiner Frühstückspause gehe ich schnurstracks in die falsche Straße und werde sofort zurückgepfiffen und auf die falsche Richtung hingewiesen. Ich war mir absolut sicher, aus dieser Straße gekommen zu sein - aber so leicht kann man sich irren. Die örtliche Kirche ist geschlossen. 
Für meinen Geschmack ist es etwas viel Kitsch, ein Kreuz, umwickelt mit einer Lichterkette, die verschlossene Eingangstür ist auch mit einer Lichterkette umkränzt.
Ich denke an meine verstrobenen Pilgerfreunde Alois, Hermann und Klaus. 
Aber nicht nur sie trage ich auf dieser Reise bei mir. So viele liebe Menschen sind gedanklich bei mir und dieses Wissen gibt mir viel Kraft. 
Hinter Beiritz geht es kurzfristig über einen Waldweg, endlich weg vom vielen Kopfsteinpflaster und Beton der mich bis hier geführt hat. 

Auf Steinstraßen habe ich stets die Gummipuffer an meinen Wanderstöcken, das ewige metallische Klackern der Stöcke mag ich nicht. Jetzt komme ich erstmals in den Wald und ich entferne die Gummipuffer, damit die Stöcke im Waldboden bessern Halt haben.
Leider hat sich diese Aktion nicht gelohnt, denn schon hinter der nächsten Kurve verläuft der Weg wieder auf dem üblichen Kopfsteinpflaster - und wieder ist die Straße von hohen Mauern umgeben, die keine freie Sicht auf den dahinter liegenden Wald frei gibt. Auch wenn ich nur die Baumwipfel der umgebenden Eukalyptuswälder sehe, ich kann sie riechen.
Mit der Zunahme der Wolken wird es mit der Zeit schwül, aber es kühlt sich etwas ab - aber es ist angenehm zu laufen. Laut Wettervorhersage soll es ab morgen regnen. 
Da ich viel Zeit habe für die 14 Kilometer bis Rates nutze ich eine weitere Bar für eine kleine Pause. 
Mit einem frischen Orangensaft sitze ich draußen vor der Bar, checke Nachrichten im Handy, lege meine Beine hoch und genieße.
Nach der Pause passiert genau das Gleiche wie nach meiner ersten Pause, nur sagt mir dieses Mal niemand, dass ich den Weg in die falsche Richtung fortgesetzt habe. Habe ich einen Wegweiser übersehen, hat es diesen nicht gegeben oder bin ich so unaufmerksam, dass ich mir nicht merken kann, aus welcher der Straßen an der Kreuzung ich gekommen bin. Vielleicht wollte mir das laut hupende Auto und die winkenden Personen darin mich darauf hinweisen, dass ich falsch laufe. Vielleicht? Ich habe das Hupen einfach als freundlichen Gruß genommen. Falsch abgebogen kann ich nicht sein auf den letzten Metern, da es keinen Abzweig gab. 


Mich wundert, dass ich keinen Wegweiser sehen, aber wozu auch, die Straße ist von Mauern flankiert, einen verpassten Abzweig kann ich ausschließen. 
Nachdem im ersten Teil des Weges unerwarteter Weise Wegweiser zu finden waren,  sehe ich keine mehr - aber ich komme auch nicht auf die Idee zurückzugehen um mich der Richtigkeit zu vergewissern. Nach einiger Zeit stehe ich an einer Schnellstraße und es stellt sich die Frage: rechts oder links? Da es niemanden gibt den ich fragen könnte und nur die Autos an mir vorbei rasen, befrage ich Google und der schickt mich nach links. Ist das die berüchtigte Schnellstraße die von allen Pilgern beschimpft wird, oder ist das irgendeine Schnellstraße. Egal, ich weiß es nicht und wenn es die "richtige" Straße wäre, würde ich wieder auf gelbe Pfeile stoßen. Bergauf folge ich der Straße, schön ist es nicht, aber in den Wiesen stehen viele blühende Fingerhüte an denen ich mich erfreue. 
Zwischendurch schaue ich auf mein Handy ob ich auch wirklich richtig bin, eine von mir erwartete Straße will nicht kommen. Aber irgendwann sehe ich mehrere Radfahrer und hinter ihnen ein Schild: 2000 Meter bis Rates. Erfreut mache ich mich auf die letzten 2 Kilometer den Berg hinab. Das Sträßchen führt malerisch durch den Wald bergab und jetzt ist der Weg auch wieder ausgeschildert. 



Und obwohl ich mich jetzt wieder auf dem richtigen Weg weiß, verpasse ich die Herberge und finde sie nicht. Gegenüber von einer Bar ist im Ort ein Haus, an dessen Eingang die Pilgermuschel hängt. Ich fotografiere die Muschel und raffe nicht, dass sich hinter dieser Tür die noch nicht geöffnete Herberge befindet. 




Ich laufe weiter bergauf und bin kurz darauf außerhalb des Ortes, was nicht richtig sein kann. Ich laufe zurück und verstehe erst jetzt, dass ich die noch geschlossene Herberge fotografiert habe. Bis zur Öffnung ist noch etwas mehr als eine Stunde Zeit. Da es in diesem Dorf nichts spektakuläres zu sehen gibt, setze ich mich zum dritten Mal heute in eine Bar und schon bald bin ich nicht mehr die einzige Pilgerin. Von meinem Platz aus sehe ich, dass die Herbergstür kurz geöffnet wird und wer hineingeht. 
Ich beschließe an der Eingangstür zu klopfen und werde hinein gelassen. Die Herberge ist schon sehr in die Jahre gekommen, aber sie ist gemütlich mit dem großen Innenhof und den Bänken.
An der Rezeption weiß man von meinem Kommen, Christina die Hospitaliera mit der ich im Vorfeld Kontakt hatte, ist aber nicht da. Ich bekomme ein Bett in einem dunklen Raum im Erdgeschoss. Die Matratzen sind mit Kunststoff bezogen und noch bin ich alleine. Erschrocken stelle ich fest, dass mein Rucksack nicht geliefert wurde. Vielleicht liegt es daran, dass die Herberge morgens noch zu hatte, vielleicht liegt es daran, dass es eine öffentliche Herberge ist. Was nun?


Per Whatsapp nehme ich Kontakt zu Caminofacil auf und schnell bekomme ich eine Antwort. 
Die Herberge war noch geschlossen und mein Rucksack steht in der Bar am Ende des Dorfes. 
Da das Dorf sehr klein ist, finde ich die Bar schnell, hole meinen Rucksack ab und richte mich in meinem Zimmer ein.

Heute bin ich erstmals in einer Herberge und nicht im Hostel oder auf dem Campingplatz. Als erstes wird nach der Ankunft der Schlafsack auf dem Bett ausgebreitet. Damit zeigt man, dass das Bett belegt ist. Danach geht es es die tägliche Handwäsche. Es ist während der ersten Tageshälfte abgekühlt und die Wäsche benötigt ihre Zeit um zu trocknen. Im Laufe des Nachmittages füllt sich die Herberge und es ist schön, nicht alleine zu sein. Wir sitzen im Innenhof auf den Bänken und tauschen uns aus. 
Ich lerne Mandy aus Kanada und Paul aus den Niederlanden kennen und wir lachen viel und haben gemeinsam Spaß. Schon lange habe ich nicht mehr so viel gelacht derweil wir uns über Gott, die Welt und den Weg unterhalten. 
Wie immer fühle ich mich unter meinen Mitpilgern einfach nur gut und wohl - man ist so schnell miteinander verbunden. Dieses Gefühl hatte ich die letzten zwei Tage nicht. Gemeinsam gehen wir abends essen.

Abends, ich liege schon im Bett und es ist bereits dunkel, da öffnet sich die Zimmertür und ich höre meinen Namen. Es ist Christina, die Hospitaliera. Mit einem Feuerzeug kniet sie sich vor mein Bett, erkundigt sich, ob es mir gut geht und ob ich etwas brauche. Im Feuerschein unterhalten wir uns kurz und sie sagt mir Hilfe für den gesamten Weg zu. Falls es mir gesundheitlich schlecht gehen sollte, falls irgendwas wäre: sie bleibt meine Ansprechpartnerin während des Weges. 
Es ist toll, dass eine fremde Person sich um mich "sorgt" und für den Fall des Falles für mich da ist, übersetzt, abholt....
Die Menschen, die sich um uns Pilger kümmern, und auch wir Pilger - wir sind ein besonderer Menschenschlag und es ist gut zu wissen, dass es so viele und tolle Engel am Wegesrand gibt.


Es ist toll zu sehen, von wo überall von der Welt hier schon übernachtet haben.