13. Mai 2014
Doriga – Bodenaya, 22km
Doriga – Bodenaya, 22km
Einen Gruß aus der wunderschönen Herberge in Bodenaya. Der
erste heftige Anstieg ist geschafft. Auf der heutigen Etappe bin ich sehr, sehr
viele Höhenmeter gelaufen. Teils war es über längere Strecken steil, teils lief
es sich angenehm und gut bei moderaten Steigungen.
Aber der Reihe nach.
Mit Einbruch der Dämmerung wurde es sehr kalt. Die
Gartenhaus-Herberge ist nicht isoliert, Tür und Fenster schließen nicht dicht
und so war ich froh um die vorhandenen Wolldecken. Beim Einschlafen trommelte
ein starker, schon länger anhaltender Regen, auf das Dach und mein einziger
Gedanke galt dem Wetter. Mein Gebet wurde erhört, auch wenn ich einige Zeit brauchte
um dieses zu realisieren. Als ich erwache und erstmals auf die Uhr schaue ist es schon
7.15 Uhr. Ich habe himmlisch geschlafen, keine Störungen, keine Geräusche –
einfach eine große Stille. Mit Einbruch der Dunkelheit haben auch die Kühe ihr
Muhen eingestellt. Auf dem Holzdach höre ich ein Klopfen und ich denke, dass es
weiter regnet und bleibe noch etwas liegen. Das Wetter lässt mir aber keine
Ruhe und nach kurzer Zeit setze ich mich in meinem Bett, das direkt unter dem
Fenster steht, auf und schaue hinaus. Der Himmel ist grau, der Garten nass,
aber es regnet nicht mehr. Was immer ich auf dem Dach habe klopfen hören, es
ist kein Regen. Tom schläft noch in seinem Bett und so stehe ich leise auf und
packe meinen Rucksack im Flur der Bar. Cornellana ist nur 3,5km weit entfernt und so starte ich
ohne Frühstück in den Tag. Die Bar unserer Herberge ist noch geschlossen, aber
ich möchte nicht wegen des Frühstücks auf die Öffnung warten. Heute gibt es
mehrere „größere“ Ortschaften auf meinem Weg und irgendwo wird es schon eine
Bar geben. Bei tief hängenden grauen Wolken starte ich meine heutige
Etappe.
Aufgrund der Nässe wimmelt es auf und neben dem Weg von Schnecken und ich muss aufpassen, dass ich sie nicht zertrete oder mit meinen Wanderstöcken aufspieße. Ich glaube zu erkennen, dass sich das Wetter bessert, dass es aufklart. Zwischen den dunklen Wolken sieht man kleine blaue Fetzen Himmel, die Sonne hinter den Wolken schickt Morgenrot.
Über kleine Straßen und Feldwege geht es nach Cornellana. Ich höre wieder etliche Bäche rauschen, dazu der morgendliche Gesang der Vögel – ich genieße die Ruhe und die Morgenstimmung. Leider geht es nicht nur auf Landstraßen und Feldwegen nach Cornellana, über einen schlammigen, sehr schmalen Weg mit großen Steinen geht es eine Weile abwärts. Solche Passagen mag ich überhaupt nicht leiden. Die nassen Steine sind unheimlich glatt, dazu noch Schlamm, Wurzeln und Moos – eine Situation, in der ich mich sehr unwohl fühle und Angst habe, trotz Wanderstöcken zu stürzen. Vorsichtig bewältige ich diese Passage und überwinde sie.
So ungern viele Pilger auf Beton laufen: Mir fällt das Laufen auf halbwegs ebenem Untergrund wesentlich leichter als diese Naturwege durch das Unterholz – auch wenn sie optisch wesentlich schöner sind. Ich laufe an einem rauschenden Fluss entlang und bevor der Weg mich in den Ortskern von Cornellana bringt, führt der Weg hinter der Brücke zurück an den Fluss.
Einen Moment lang überlege ich, mich kurz vom Weg zu entfernen um im Dorf nach einem Frühstück Ausschau zu halten, aber schnell verwerfe ich den Gedanken und setze meinen Weg fort. Am Fluss laufe ich in die Richtung zurück aus der ich gekommen bin und biege nach einigen Minuten nach rechts zum ehemaligen Kloster von Cornellana ab, in dem sich auch die Herberge befindet. Inzwischen ist der Himmel aufgeklart und von einem blauen Himmel leuchtet mir die Sonne entgegen. Die Wolken steigen auf, und die Wolken die noch vor den Bergen hängen, lassen die Natur wunderschön erscheinen, schöner als sie sowieso schon ist.
Leider gibt es auch in der Nähe er Klosteralbergue keine Bar und so wandere ich an dem schönen Bauwerk vorbei und lasse es hinter und unter mir liegen. Ich erreiche eine Landstraße und von hier geht es ordentlich aufwärts, die Blicke in die Umgebung sind wunderschön und inzwischen denke ich, dass es wahrscheinlich doch gut gewesen wäre, einen Abstecher in das Dorf zu machen. Mein Magen beginnt zu knurren, der Hunger kommt. Eine Weile ignoriere ich den grummelnden Magen und als ich ein schönes Sonnenplätzchen auf einer alten Hausmauer finde, setze ich mich dort zu einer ersten Pause nieder. Sobald ich mich nicht bewege, merke ich doch, dass die Temperaturen nicht sehr hoch sind. Solange ich in Bewegung bin, besonders wenn ich in der Sonne aufwärts laufe, habe ich das Gefühl, dass es unheimlich warm ist. Bleibe ich kurz stehen, wird es in der verschwitzten Kleidung sehr schnell kalt. Auf der Mauer sitzend packe ich ein Stück altes Brot aus, dazu Banane und Wasser – ein himmlisches Menue. Da ich doch recht schnell auskühle, wird die Pause nicht lang. Ich habe etwas im Magen und so läuft es sich wieder leichter. Die kleinen Wolken steigen immer höher, und inzwischen strahlt die Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel. Welch ein Glück! Schnell geht es von der Straße weg und der Weg biegt in einen Wald-Wiesen-Natur-Weg ab. Der Weg ist wunderschön.
Das frische Frühlingsgrün leuchtet intensiv und ich genieße die Blicke in das unter mir liegende Tal, auf die umgebenden Hügel und Berge und bin froh, dass ich mich auf den Weg begeben habe. Welch ein Glück, dass es mir momentan so gut geht, dass ich es wagen konnte mich auf zu machen, dass ich den Weg genießen kann. Lange Zeit habe ich nicht gedacht, dass das noch einmal möglich wird. Durch einen Wald geht es immer weiter auf und ab. Irgendwann überholt mich mein Mitpilger Tom aus der Herberge in Doriga. Die Pilger die heute in Cornellana gestartet sind, dürften ein gutes Stück vor mir sein, die Pilger aus San Juan de Villapanada 5 Kilometer hinter mir. So treffe ich niemanden auf dem Weg und bin allein in der wunderschönen Natur.
Mit den gelaufenen Kilometern schwächele ich mal wieder. So langsam wäre mir wirklich nach einem richtigen Frühstück oder zumindest nach einer längeren Pause zumute. In den winzigen Straßendörfern gibt es nichts. Die Wege sind vom nächtlichen Regen noch nass und so ergibt sich für mich auch keine Möglichkeit mich für eine Pause auf eine Wiese zu setzen.
Salas ist nicht mehr weit entfernt, aber dieser Gedanke beflügelt meine Schritte nicht. Die wenigen Kilometer bis Salas ziehen sich endlos in die Länge. Erleichtert die ersten Häuser dieser kleinen Stadt zu sehen, durchschreite ich die Straßen, den Blick immer auf einen Supermarkt oder eine Bar ausgerichtet. Im Ortskern von Salas herrscht ein reges Treiben. Es ist Markttag auf dem Platz rund um die Kirche und ich setze mich direkt in das erstbeste Café an der zentralen Plaza und genieße die Pause bei einem belegten Brötchen und einem Kaffee. Ein zweiter Stuhl muss herhalten zum Hochlegen der Beine. Derweil ich nach 14,5 Kilometern mein Frühstück genieße schaue ich dem Markttreiben zu. Vor „meinem“ Café steht ein Obst- und Gemüsestand und so lasse ich meinen Rucksack und meine Schuhe an meinem Platz stehen und gehe in Strümpfen die wenigen Meter zum Marktstand. Dort erstehe ich zwei neue Bananen, eine Nektarine und eine kleine Tüte mit herrlich süßen Kirschen. Ob die Bar mein Verhalten gut findet oder nicht – ich frage nicht und mache mir auch keine Gedanken zu dem Thema – setze ich mich wieder an meinen Tisch und verzehre als Nachspeise Kirschen und Nektarine. Ein himmlisches Frühstück!
Wie auf allen anderen Wegen: Wir Pilger sind in den Städten und Dörfern am Weg bekannt und werden in unserem Verhalten toleriert. In Deutschland würde ich nie und nimmer in einem Restaurant meine eigenen Speisen auspacken und verzehren – aber hier schmeiße ich alle Konventionen über den Haufen. Manchmal würde es mich interessieren, was die Bevölkerung von diesem Verhalten denkt. Bänke und Sitzmöglichkeiten gibt es in kleinen spanischen Städten sehr selten und ich weiß nicht, ob es lieber gesehen würde, wenn ich in der Bar meinen Kaffee trinke und später in der Stadt auf einer Treppenstufe säße um die Lebensmittel zu verzehren, die es nur im Supermarkt, aber nicht in der Bar zu kaufen gibt. Nach der ausgiebigen Pause finde ich zufällig wenige Meter hinter dem Café die Touristeninformation. Eigentlich gehe ich nur hinein um mir einen Stempel für meine Credencial geben zu lassen, aber ich werde sehr freundlich empfangen und es ergibt sich ein nettes Gespräch. Die Dame in der Info spricht gut englisch und wir unterhalten uns über die zurückgelegten und die kommenden Kilometer. In zwei Tagen steht die Hospitalroute (oder die Alternative) an. Im PC zeigt man mir ungefragt die Wettervorhersage für die nächsten Tage und rüstet mich mit weiterem Informationsmaterial zum Weg aus. Mir wird erläutert, dass es angenehmer ist, die Route über Hospitales zu laufen, als die Alternative über Pola de Allande, die sich dafür zweiteilen lässt. Die Tagesetappe über Hospitales ist weiter und landschaftlich schöner, hat aber im Ganzen weniger Höhenmeter. Die auch ausgeschilderte Route über Pola de Allande ist im Ganzen 5 Kilometer weiter, dafür aber in zwei Tagesetappen zu laufen, hat aber mehr Höhenmeter und längere steilere Anstiege. Für mich war es schon vor meinem Start klar, dass ich die Hospitalroute laufen möchte, auch wenn ich Respekt vor dem einsamen Weg über die Berge habe. Die Landschaft muss grandios sein. Letztendlich mache ich es aber davon abhängig, wie es mir morgen geht und was ich mir dann zutraue. Zum Abschied bekomme ich in der Touristeninformation noch zwei Postkarten geschenkt, die ohne Porto verschickt werden können. Hinter Salas steigt der Weg auf einer Landstraße an, und mir wird wieder sehr schnell sehr warm. Im Straßencafé in Salas wurde es mir – trotz dem Sonnenplatz – sehr schnell kalt und ich musste meine Jacke überziehen. So schnell es mir vorhin kalt wurde, so schnell wird es jetzt wieder heiß. Ich weiß, dass nun der eigentlich anstrengende Teil des Weges ansteht.
Von der kleinen Landstraße biege ich in einen wunderschönen Wald ab. Überall um mich herum rauscht es und auf sehr steinigen Wegen, geht es konstant – aber nicht zu anstrengend – bergauf. Blätter- und Nadelwald mischen sich ab, dazwischen Fingerhut und leuchtende Blumen.
Am Wegesrand finde ich eine aufgeregte Schar von 8 kleinen Vogelküken. Sie wuseln durcheinander, kuscheln sich teils zusammen, und von Mama Vogel ist nichts zu sehen und sie wird auch nicht kommen, solange ich neben den Küken stehe.
Der Weg geht in jetzt richtig steile Serpentinen über und alle Paar Schritte bleibe ich stehen und schnaufe durch und hoffe, dass diese Passage nicht zu lange anhält. Gerne würde ich jetzt in meinen Reiseführer schauen um nachzulesen, wie lang diese Serpentinenstrecke anhält, aber ich weiß auch, dass der Blick in meine „gelbe Bibel“ die Steigung nicht flacher werden lässt. Ist es motivierend zu wissen, dass die Steigung evtl. über eine lange Strecke anhält? Vielleicht ist sie auch nur kurz? Fakt ist, dass ich weiß, dass es auf den Kilometern bis Bodenaya kontinuierlich und oft steil hochgeht. Der Blick in´s Buch lässt die Steigung nicht flacher werden – und ob ich dort das lese, was ich lesen möchte, weiß ich auch nicht und so bleibt das Buch dort, wo es momentan ist. Zum Glück ist die wirklich steile Passage nicht so lang und nach etlichen Höhenmetern erreiche ich eine Straße auf der es nun weitergeht. Hoch über mir, sehe ich die Autobahnbrücke.
Die Autos haben es leicht. Sie überqueren das Tal mal eben ganz schnell, derweil ich den Berg mit Rucksack hoch kraxele. Aber so schön wie wir Pilger es haben, haben es die Autofahrer nicht. Unser Weg ist körperlich anstrengend, aber es gibt soviel zu entdecken, so viele Kleinigkeiten am Wegesrand die ein Autofahrer nicht wahrnehmen kann. Schnell biegt der Weg von der aufwärts führenden Straße wieder in die Natur ab. Über Wiesenwege geht es durch Büsche und Bäume weiter aufwärts. Der Ginster leuchtet strahlend gelb und ich genieße die Natur trotz aller Strapazen.
So langsam reicht es mir für heute, meine Energie schwindet mal wieder merklich, aber es kann nicht mehr so sehr weit sein. Mal wieder kreuze ich die Autobahn und ich stelle fest, dass die Autobahn die ich die ganze Zeit gesehen habe, noch gar nicht fertig gebaut ist. Vor mir sehe ich ein Dorf und erleichtert setze ich mich für eine kurze Weile auf die Leitplanke in dem Glauben Bodenaya vor mir zu sehen. Als ich weiter laufe, stelle ich schnell fest, dass das Dorf nicht Bodenaya ist, aber weit kann es nicht mehr sein. Und kurze Zeit später bin ich dann wirklich an meinem heutigen Etappenziel. Die Herberge ist wunderschön und liebevoll gestaltet. Alejandro, der die private Herberge betreibt, ist selbst schon etliche Pilgerwege gelaufen und hat seinen Beruf aufgegeben um sich den Pilgern zu widmen. Die Herberge läuft auf Spendenbasis. Meine verschlammte Wäsche wird gewaschen und getrocknet, abends werden wir bekocht, es gibt PC, eine kleine Bücherei, einen Kamin – einfach alles was das müde Pilgerherz begehrt. Schnell wird die urige Herberge voll. Einige bekannte, aber überwiegend viele neue Pilger lerne ich an diesem Tag kennen. Bodenaya ist ein winziges Nest, es gibt nichts zu tun, als sich zu erholen und auszuruhen. Erst jetzt, nach meiner Ankunft, stelle ich fest, dass in der Ferne schneebedeckte Berge am Horizont zu sehen sind. Es sind noch 256km nach Santiago de Compostela.
Schnell wird es in der Höhe kalt. Wir alle frieren und ziehen wärmere Kleidung an. Zum Einen liegt das Frieren sicher an den kühlen Außentemperaturen auf fast 700 Metern Höhe, auch wenn die Sonne scheint, zum Anderen rutscht der Kreislauf nach der Ankunft bei der körperlichen Erschöpfung schnell in den Keller. Zum Teil wird gequatscht, dann wird wieder auf dem Bett ausgeruht. Abends gibt es ein dreigängiges, leckeres Menue, dass unser Herbergsbetreuer für uns gekocht hat. Nach dem Abendessen gehe ich ganz bald in´s Bett. Es ist 3 Grad kalt und so schlüpfe ich erstmals mit meiner Leggins und einem Langarmshirt in´s Bett. Dazu die Wolldecke über den Schlafsack. Ich freue mich auf die lange, ausgiebige Nachtruhe. Morgen früh werden wir (nach Abstimmung beim Abendessen) um 7 Uhr mit Musik geweckt und 15 Minuten später gibt es Frühstück. Solche Kleinode an Herbergen müssen unterstützt werden. Diese wunderbare Herberge funktioniert auf Spendenbasis, aber gerade dieser Herberge steht eine gute Spende zu. Mindestens den Preis, den ich sonst auch für Übernachtung, Waschmaschine, Menue und Frühstück bezahle. Der Weg lebt von diesen Herbergen und dem Engagement der Hospitalieros die diese aus Leidenschaft betreiben.
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