Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Escamplero - Doriga



12. Mai 2014 Escamplero – Doriga, 21km 


Abends, nachdem ich mit meinen Mitpilgern vom Essen komme, sind alle Fenster (wie leider fast immer im Spanien) verriegelt und verrammelt. Nur keine frische Luft und bloß keine Helligkeit in den Schlafraum lassen. Bisher war es auf jedem Weg das gleiche Phänomen. Egal wie heiß es draußen ist, ob 100 Personen in einem winzigen Raum schlafen, die Fenster müssen geschlossen werden. Scheinbar bin ich die Einzige, die ein Verlangen nach Frischluft hat.

Ich benötige lange bis ich einschlafe, denn mir ist heiß. Meinen Schlafsack mag ich nicht geöffnet über mich legen, da das Bett/die Matratze nicht wirklich einladend ist. Irgendwann schlafe ich aber gut und irgendwann, es ist noch dunkel, ist die Nacht plötzlich vorbei. Um 5.30 Uhr springen fast alle Mitpilger aus dem Bett und beginnen eifrig und laut in den Rucksäcken zu kramen. Wie immer bleibt bei dieser Aufsteh- und Packsituation das Licht aus. Durch die Enge und das gleichzeitige Aufstehen von 11 Mitpilgern entsteht viel Lärm und Chaos. Die Tür wird geöffnet und geschlossen, rein und raus. Warum drückt nicht irgendwer auf den Lichtschalter? Auch wenn ich noch in meinem Schlafsack liege: Alle sind wach – bei dem Lärmpegel kann man einfach nicht schlafen. Ich erkundige mich nach der Uhrzeit und erfahre, dass es noch nicht einmal 6 Uhr am Morgen ist. Was wollen alle meine Mitpilger da draußen in der  Dunkelheit? In dem kleinen Raum vor dem Schlafsaal wird gefrühstückt, Tee gekocht und abgewartet, dass die Dämmerung einsetzt. Laut meiner Info im Wetterbericht geht die Sonne heute um kurz nach 7 Uhr auf. Nachdem alle Mitpilger im Eiltempo die Herberge verlassen haben, stehe ich auf und bereite mich auf den Abmarsch vor. Den Rucksack habe ich am Abend zuvor gepackt (wie auf allen meinen Wegen). Mein Schlafsack und meine Crocs muss ich morgens einpacken, der Zip-Beutel der als Kulturtasche dient, liegt zu oberst im Rucksack. Auch wenn niemand eine Morgentoilette durchführt, Zähneputzen und Haare kämmen muss sein. Alles andere erfolgt nach der Ankunft am Zielort. Nachdem alles verstaut ist setze ich mich auf den kleinen Balkon am Treppenaufgang und warte darauf, dass die Dämmerung einsetzt. Ob die drei Damen im Luftmatratzenlager noch da sind, weiß ich nicht. Die Tür ist geschlossen und durch die Fenster kann ich nicht schauen. Dass ist mir noch nie passiert: Ich bin (wahrscheinlich) die letzte startende Pilgerin. Eigentlich soll die letzte Person in der Herberge den Schlüssel zum Hotel bringen, aber da ich nicht weiß, ob nicht vielleicht doch noch wer auf der Luftmatratze liegt, beschließe ich, den Schlüssel von außen stecken zu lassen und mich auf den Weg zu machen (nicht dass die drei Damen aus dem Untergeschoss nicht in die Küche können – falls sie denn möchten). Um 7 Uhr, es dämmert, breche ich zu meiner heutigen Etappe auf. Geplant habe ich die 16,7km bis zur Herberge in San Juan de Villapanada. Ich habe genügend Zeit für meinen Weg eingeplant und möchte mich am Anfang nicht übernehmen. Ohne Proviant und ohne Wasser hoffe ich bald eine Bar zu finden. Über kleine Landstraßen geht es bei bedecktem Himmel Richtung Grado. 




Laut Wegbeschreibung soll es nach nicht mal einem Kilometer im nächsten Dorf eine Bar geben. Das Dorf ist schnell erreicht, aber die Bar gibt es nicht mehr. Nicht, dass ich nicht nüchtern laufen könnte, aber ich fühle mich unwohl kein Wasser im Rucksack zu haben. Niemals mehr werde ich eine leere Wasserflasche entsorgen bevor ich neues Wasser habe – und sei es Leitungswasser. Es fängt leicht an zu regnen und ich bin gerade dabei meinen Poncho auszupacken, als der Schauer auch schon vorbei ist. Das Sträßchen lässt sich gut und einfach laufen. Es schlängelt sich durch flache Hügel, mal auf, mal ab, aber ohne nennenswerte Steigung. 




Auch die Bar in Promono nach 4,3km gibt es nicht. Zum Glück ist es nicht heiß und zum Glück kommen momentan keine steilen Anstiege, sonst wäre ich ohne Wasser schlecht dran. Von der Landstraße biegt der Weg auf Feld- und Naturwege ab, zum Teil führt der Weg an einem Fluss entlang.




Irgendwann überquere ich den Fluss auf einer Brücke, bevor ich auf der Gegenseite des Flusses einen Teil der Strecke zurücklaufe, die ich zuvor gekommen bin. Auch heute sehe ich wieder viele Rosen am Wegesrand. Die Rosen blühen farbenreich und geruchsintensiv und es macht mir sehr viel Spaß die Blütenpracht zu bestaunen. Es riecht herrlich süß, es erinnert mich an den intensiven Duft von Heckenrosen, die man oft auf den Nordseeinseln findet und die an windgeschützten Stellen in den Dünen ihren vollen Duft entfalten. 




Viele Katzen sehe ich, teils schon mit Jungtieren. Leider verstehen die spanischen Katzen mich nicht, lassen sich nicht streicheln, aber ich erfreue mich an ihrem Anblick. Wie es meinen beiden Süßen in ihrem Urlaubsdomizil ergehen mag? Nach etwas mehr als 10km erreiche ich Penaflor und ich freue mich, in der Ferne die typischen Plastikstühle, Sonnenschirme und Tische vor einer Bar zu sehen. Endlich Frühstück, endlich Wasser! Aber auch hier wird es nichts mit dem Frühstück. Zwar gibt es die Bar, wie beschrieben, aber leider hat sie Montags Ruhetag. Also wieder nichts mit Frühstück und Kaffee. Da mir aber nach einem Päuschen ist, setze ich mich vor die Bar und genieße das Ausruhen. Obwohl die Bar heute geschlossen hat, laufen Personen in die Bar. Aber es sind Einheimische, vielleicht gehören sie zum Betrieb, ich bekomme nichts. Obwohl ich kurz vor der Abreise noch beim Orthopäden war, tut mir mein rechter Vorfuß weh. Nach wenigen Kilometern, so war es auch gestern, fängt der Vorfuß an zu schmerzen und zu stechen und es fühlt sich an, als ob ich direkt auf den Knochen laufe. Mist, denn die Schmerzen verringern die Freude am Laufen. Vor der Bar sitzend kommt mir Ursula entgegen. Ursula wohnt nur wenige Kilometer entfernt von Münster und wir sind uns gestern in der Herberge von Escamplero begegnet. Wo kommt Ursula denn nun plötzlich her – sie ist doch mindestens eine halbe Stunde vor mir gestartet? Ursula setzt sich zu mir und schnell erfahre ich, dass sie sich in der Dunkelheit um etliche Kilometer verlaufen hat. Der frühe Start in der Dunkelheit hat ihr nicht viel gebracht, außer dass sie bei ihrem Umweg eine Bar gefunden und bereits gefrühstückt hat. Gemeinsam setzen wir unseren Weg nach Grado fort und lernen uns kennen und erzählen über unser Leben, unsere Beweggründe sich auf den Weg zu machen, und über unsere gelaufenen Wege.



Über Pisten gelangen wir nach weiteren 3 Kilometern nach Grado. Grado ist ein kleines Städtchen und nach einigen Metern durch die Innenstadt biege ich in eine Bar ab. 


Nach 13km freue ich mich auf ein Frühstück, derweil Ursula weiter läuft. Ich genieße ein belegtes Brötchen (Pincho) und eine große Tasse Caffee con leche, derweil ich meine Beine hochlege und für einige Zeit pausiere. Leider kann man auch in dieser Bar keine großen Wasserflaschen kaufen (war auf meinen bisherigen Wegen in allen Bars möglich), aber da Grado ein kleines Städtchen ist, mache ich mir keine Sorgen – irgendwo werde ich einen Supermarkt finden. Die Touristeninformation liegt direkt am Weg, laut Schild müsste sie geöffnet haben, es leuchtet Licht in dem Raum, aber dennoch ist die Tür verschlossen. Ich warte eine kurze Weile und setze meinen Weg fort ohne einen Stempel aus dieser Stadt in meiner Credencial zu haben. In einer Seitenstraße finde ich eine Frutteria und besorge mir Proviant und das fehlende Wasser. Mit zwei Bananen, einem Apfel, frischen Erbsen und 3 Liter! Wasser setze ich meinen Weg fort. Kurz nachdem ich Grado verlassen habe, meldet sich mein Handy und ich erhalte eine Antwort auf eine sms von gestern. Zwecks Streckenplanung habe ich mir gestern immer wieder Gedanken gemacht, wie weit ich laufen möchte – oder kann. Bis San Juan de Villapanada sind es, laut Buch, 16,7 Kilometer, bis zur nächsten größeren Herberge in Cornellana 25 Kilometer. Zwischen diesen beiden Kleinstädten oder Großdörfern liegt ein winziges Dorf mit nur wenigen Häusern, in dem es eine winzige Albergue mit 5 Betten gibt. Da mir die 5 Betten sehr unsicher erschienen, und mein Lauftempo nicht das Schnellste ist, habe ich versucht die private Albergue in Doriga anzurufen, aber niemanden erreicht. So habe ich noch einen zweiten Versuch gestartet und eine sms an die Herberge geschickt, aber keine Antwort erhalten und beschlossen unter dieser Voraussetzung nach San Juan de Villapanada zu laufen. Nun, da ich weiß, dass mir ein Bett sicher ist, disponiere ich um. Heute also nicht16,7 km sondern 21 Kilometer bis Doriga. Vor Doriga liegt noch ein Berg mit einem steilen Anstieg und steilen Abstieg, aber so muss ich morgen einen Berg weniger bezwingen. Es ist noch früh am Tag, bei meiner Ankunft in Grado war es gerade 10.30 Uhr. Bis San Juan sind es keine vier Kilometer mehr und was soll ich so früh in der Herberge?! Von Grado geht es ein kurzes Stück den Berg hinauf und weiter über Landstraßen durch kleine Dörfer bis zur Abzweigung zur Herberge von San Juan. 





Heute, und auch an dieser Kreuzung, stelle ich mir mal wieder die Frage: Warum finde Spanier große Hunde, insbesondere deutsche Schäferhunde, so toll? Schäferhunde habe ich optisch noch nie leiden mögen und hier begegne ich diesen an fast jeder Straßenecke. Die meisten sind angeleint, aber ich erschrecke mich jedes Mal wenn ein großer Hund plötzlich auf mich zurast. Meist sehe ich erst nach einem Moment, dass der Hund an der Hofleine ist, und mich nicht erreichen kann. Dazu immer das wilde Gebelle. Jedes Mal rutscht mir mein Herz in die Hose. Da sind mir Katzen und kleine Hunde wesentlich lieber (wenn auch diese beißen können).




Hinter dem Abzweig zur Herberge wird die Straße richtig steil. Innerhalb kurzer Zeit, laut Buch 1,3km, geht es ca. 120 Höhenmeter aufwärts. Schritt für Schritt laufe ich aufwärts, bleibe stehen, atme tief durch, mache ein Foto und weiter geht es. Ich Flachlandtiroler! Aber auch ich bewältige den Aufstieg, auch wenn ich dabei keine Rekordgeschwindigkeiten aufstelle. So anstrengend wie der Aufstieg ist, so schön ist der Ausblick über die Hügel und Berge in der Umgebung. Auch wenn der Himmel grau ist, kalt ist es nicht und bei dem Anstieg wird mir sehr schnell sehr warm. Auf einer Weide neben dem Weg schert ein Schäfer sein Schaf mit einer Schere und ich schaue eine Weile zu. Das Schaf läßt die Prozedur anstandslos über sich ergehen.


Hinter einer Kurve ist der steile Anstieg plötzlich vorbei und vor mir sehe ich den Weg steil abfallen. Bevor ich mich an den Abstieg über die Schotterpiste mache, setze ich mich auf eine grüne Wiese am Wegesrand und mache ein weiteres Päuschen. Ich habe alle Zeit der Welt, es stehen keine Termine in den nächsten beiden Wochen an. Zeit für mich, Zeit zum Laufen und Genießen. Auf der Wiese sitzend genieße ich mein klares, kühles Wasser! Herrlich, etwas Besseres als Wasser gibt es nicht. Dazu pule ich meine Erbsen aus ihren Schoten,  esse eine Banane und bin glücklich den ersten Anstieg geschafft zu haben. 


Von der Spitze dieses Berges schicke ich eine Nachricht mit Fotos nach Hause, habe zu diesem Zeitpunkt aber keine Ahnung, dass ich ohne Wifi keine Nachrichten versenden kann. Seit kurzem habe ich eine modernes Smartphone, dass viel zu modern für mich ist und mit dessen Technik ich mich noch nicht genau auseinander gesetzt habe. Mein Vater hat es mir geschenkt, nachdem er sich ein neueres Modell zugelegt hat. Anschließend mache ich mich an den steilen Abstieg. Der Schotter ist rutschig unter meinen Schuhen und wieder bin ich froh meine Wanderstöcke zu haben.



Ich erreiche ein nettes Dorf und glaube meinen Etappenort erreicht zu haben. Auf Nachfrage wo die Herberge ist, erfahre ich, dass ich noch einen Ort weiterlaufen muss. 



Weiter geht es leicht abwärts durch dichtes Grün, über Steine und durch Schlamm und dann erreiche ich Doriga. 




Doriga ist ein winziges Dörfchen, bestehend aus nur wenigen Häusern, ohne Straße. Eine Holperpiste führt durch das Dorf. Neben den wenigen Häusern gibt es eine (geschlossene) relativ große Kirche, ein ehemaliges Schloss und eine Bar. 




Im Garten der Bar steht ein Gartenhäuschen in dem sich zwei Etagenbetten und ein Einzelbett befinden. Ich bin Pilger Nr. 2, vor mir ist ein Ire angekommen und mehr werden wir an diesem Tag auch nicht mehr. Die Gartenhausalbergue ist komfortabler als die gestrige Herberge. Im Garten stehen Tische und Stühle, im Flur hinter der Bar gibt es Toilette und Dusche. 



In der Bar bekomme ich alles was ich brauche und gemeinsam mit meinem Mitpilger esse ich ein verspätetes Mittagessen. Beim Essen lernen wir uns kennen, erzählen etwas und danach ziehe ich mich zurück. Der Dorfrundgang ist schnell beendet. Ich schaue mir das Schloss (nehme ich an) von außen an, setze mich in den Garten und schreibe Tagebuch. Auch wenn der Himmel bedeckt ist, trocknet die Wäsche auf der Leine gut, denn es ist sehr windig. Ich bin umgeben vom Grün der umliegenden Weiden und mich begleiten bis in den Schlaf hinein das Wiehern von Pferden, das Muhen und die Glocken der Kühe und das laute iaah-Schreien von einem Esel. Es war ein schöner Tag mit einem zum Schluss steilen An- und Abstieg begleitet von vielen Kräuter-, Blumen- und Baumdüften und einem fast ständigen Plätschern von kleinen Wasserläufen und Bächen. Einfach schön hier zu sein, auf dem Weg, von dem ich seit der Via Plata träume.

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