10. Mai 2014
Der erste Teil der Anreise ist geschafft. Ich sitze in der
Nähe des Busbahnhofes in Bilbao bei dem üblichen Milchkaffee und überbrücke die
Zeit bis zur Busabfahrt nach Oviedo.
Leider ist der von mir favorisierte Bus nach Oviedo, meinem
Startort, um 14.30 Uhr ausgebucht. Ich habe mir im Vorfeld nie Gedanken darüber
gemacht, dass der Bus ausgebucht sein könnte, denn bislang habe ich immer
kurzfristig und problemlos eine Busfahrt buchen können. Hätte ich mir doch
besser im Vorfeld Gedanken gemacht und einen Sitzplatz reserviert, aber
hinterher ist man immer schlauer!
Nachdem ich in Begleitung eines Freundes in meinem Auto zum
Bahnhof in Münster gefahren bin, bin ich mit dem Zug nach Düsseldorf gefahren, mein Auto
wurde zurück in meine Garage gefahren.
Als ich in Düsseldorf am Flughafen meinen Rucksack aufgeben
möchte erfahre ich, dass dieser 25 Euro zusätzlichen kosten soll. Scheinbar
habe ich bei der Buchung einen Haken für Gepäck vergessen. Daraufhin beschließe
ich nur meine Wanderstöcke aufzugeben und den Rucksack als Handgepäck
mitzunehmen, als man mir mitteilt, dass ich die Stöcke im Handgepäck mitnehmen
darf. Ich bin sehr erstaunt, denn normaler Weise werden Stöcke als Gefahrgut
transportiert, denn man könnte mit diesen jemanden bedrohen oder verletzen. Auf dem Flughafen fällt der kleine Jakobus-Sticker, der seit Jahren am Rucksack hängt, ab. Gerade noch rechtzeitig bemerke ich den Verlust und pinne den Jakobus wieder an seine Stelle. Ein Zeichen? Soll ich den Weg nicht gehen, ich bin mir ja selbst nicht sicher, ob ich dem Weg gewachsen bin und eigentlich traue ich mir den Weg körperlich nicht wirklich zu - aber ich möchte es wenigstens versucht haben, denn so gut wie es mir momentan geht, ging es mir schon lange nicht mehr.
Da der Flieger sehr klein ist (zwei Sitze rechts,
zwei links) wird sämtliches Handgepäck außen am Flugzeug in Extraladen verstaut
und so darf alles beisammen bleiben.
Um den Rucksack als Handgepäck aufgeben zu können, trenne
ich mich kurzfristig und spontan von meinem Taschenmesser, es ist alt und keine
25 Euro wert. Notfalls kann ich mir in Spanien ein Neues kaufen, aber auch die
1100km auf der Via Plata bin ich ohne Taschenmesser gut zu recht gekommen. Da
mir mein Gepäck auf einer Anreise zum Camino abhanden gekommen ist,
bin ich so zusätzlich sicher mein Gepäck nicht verlieren zu können.
Schon im Wartebereich des Abluggates treffe ich viele
erkennbare Pilger und wir kommen in´s Gespräch – mal hier, mal dort. Man
erkennt sich und scheinbar sind fast alle Pilger mit denen ich rede
Wiederholungstäter. Wir tauschen uns über unsere gelaufenen und geplanten Wege
aus, freuen uns gemeinsam und schwärmen über die Vergangenheit. Einfach nett,
und die Wartezeit vergeht rasch.
Auch im Flieger sitzt eine junge Frau neben mir – optisch nichts
als Wanderin erkennbar – aber sie erkennt mich als Pilgerin. Total aufgeregt
berichtet sie, dass sie ihren Freund auf dem Camino Francés besucht und 2 Tage
mit ihm wandern wird. Was ein Aufwand, An- und Abreise mit zusätzlicher
Autofahrt zum Treffpunkt nehmen bald so viel Zeit ein, wie der Aufenthalt auf
dem Weg. Aber, und dass kann ich gut verstehen, sie freut sich auf die zwei vor
ihr liegenden Tage auf dem Camino.
Der Bus der uns in die Stadt bringt ist ebenfalls voll mit
rucksacktragenden Wanderern. Alles Pilger – schon hier in Bilbao ist es
rappelvoll. Bilbao ein beliebter Ort in der Anreise, von dem man überall gut
hinkommt. Wenn es hier schon so voll ist, wie voll ist es dann auf dem Francés?
Die meisten Pilger die ich treffe möchten auf den Camino Francés, einige auf
dem Camino del Norte, aber ich treffe niemanden, der wie ich auf den Camino
Primitivo möchte. Es herrscht eine freudige Aufbruchstimmung. Im Bus vom
Flughafen in die Stadt sitzt eine aufgeregte, total überforderte Frau neben
mir, die kurz hinter Bilbao auf den Küstenweg starten möchte und noch nie
gepilgert ist. Voll mit Eindrücken und dadurch, dass sie noch nie in Spanien
war, die Sprache nicht spricht, und nicht weiß wie sie nun weiterkommt, begleite
ich sie, nachdem wir über das „Problem“ im Bus gesprochen haben über den
Busbahnhof und erkläre ihr mit welchem Busunternehmen sie nun weiterfahren
muss. Alternativ könnte man die Strecke aber auch am heutigen Tag noch zu Fuß
bewältigen – oder einen Teil von ihr, wenn man nicht durch das Industriegebiet
Bilbaos laufen möchte. Beim Ticketerwerb für den Bus versteht sie wieder
nichts, und sie schaut verzweifelt auf mich. Nett und sozial wie ich bin, helfe
ich bei dieser Hürde und wir verabschieden uns und wünschen uns einen „Buen
Camino“.
In Bilbao sind es herrliche 24 Grad in der Sonne, es weht
ein angenehmer Wind und ich bin froh, dass ich schon einmal hier bin.
Gestern wäre ich am liebsten daheim geblieben. Der Abschied von
meinen beiden Katzen ist mir sehr schwer gefallen und ich wusste im Vorfeld,
dass ich beim Abschied einige Tränchen vergießen werde. Tommi, mein Kater ist
so ein Sensibelchen – wie wird er die Zeit in der Katzenpension überstehen? Um
Ylvie mache ich mir weniger Sorgen. Sie ist robust mit einem Urvertrauen und
hat keine Angst vor fremden Menschen. Sie schaut die ersten Minuten etwas
skeptisch, und dann tollt sie herum und wirft sich vor jedem auf den Boden um
sich streicheln zu lassen. Aber sie werden die Zeit überstehen und ohne
Abschied von ihnen komme ich nicht auf den Camino.
Erschwerend zum Abschied kam meine Angst vor meinem Vorhaben
und das seit Tagen anhaltende schlechte Wetter in Asturien, das auch noch
anhalten soll. In Regenkleidung, durch Matsch und Wind über die Berge? Macht
das Sinn, da überhaupt zu starten?
Ich werde das Wetter nehmen müssen wie es kommt, ich kann es
nicht ändern. Aber es bleibt ein gehöriger Respekt vor meinem Vorhaben. Ich
Moppel, mit einigen gesundheitlichen Einschränkungen, auf einem Bergweg? Dazu
untrainiert und unvorbereitet! Aber ich sage mir immer: „Es ist nicht das Himalaja
und auch nicht der Mount Everest, irgendwie wird es schon gehen?!“
Aber vielleicht ist das Wetter ja doch besser als
befürchtet. Das Wetter in Bilbao ist auf jeden Fall herrlich, einfach zum
Genießen.
Die drei Stunden Wartezeit gehen mit einigen Tassen Kaffee
und Spaziergängen rund um den Busbahnhof, den ich von meinen vorherigen Reisen,
besonders vom Camino del Norte, der hier direkt vorbeiführt, schneller rum als
gedacht.
Ich sehe einige gelbe Pfeile und Wegweiser, die nicht für mich zählen,
aber für die Pilger des Camino del Norte. Pilgerherberge und Jugendherberge
liegen ganz in der Nähe am Berghang.
Über den Preis für die 3,5stündige Busfahrt nach Oviedo bin
ich erstaunt, aber er erklärt sich, kurz nachdem ich den Bus bestiegen habe. Es
ist ein Super-Luxus-Bus mit Catering, eigenem Terminal mit Filmen,Musik und Streckenverlauf (wie im Flieger),
Steckdosen an jedem Platz und sonstigem Schnickschnack. Der Bus fährt an der
Küstenlinie des Atlantiks entlang und ich genieße den Ausblick auf das Meer. In
den ersten 40 Minuten der Busfahrt erkenne ich viele Dörfer und Strecken die
ich zwei Jahre zuvor auf dem Camino del Norte durchwandert habe. Das war ein
Punkt auf dem Norte der mir oft nicht gefallen hat – die Nähe zur Autobahn oder das Laufen auf dem Seitenstreifen großer Straßen. Aber jetzt freue ich mich, diesen mir bekannten Weg zu fahren.
Der Bus wird von einer „Stewardess“ betreut. Regelmäßig
werden Getränke, Bonbons, Schokolade, Kuchen und salzige Snacks verteilt.
Während der Fahrt sehe ich, dass sich der Himmel zuzieht.
Stimmt die Wettervorhersage für Oviedo doch? Wolken und Regen?! Ganz hinten im
Bus sitzen zwei Pilgerinnen, die kurz vor der Abfahrt des Busses zum Busbahnhof
gekommen sind. Sicher wollen auch sie den Primitivo erwandern. Da wir alle
während der Fahrt angeschnallt auf unseren Plätzen sitzen, kommen wir aber
nicht in´s Gespräch.
Mein gebuchtes Hotel liegt nicht weit vom Busbahnhof und von
der Kathedrale entfernt. Von Außen sieht es wesentlich besser aus als von
innen.
Ich ekele mich vor meinem Zimmer. Wasserflecken unter der Decke,
Schimmel in den Ecken, das Bett usselig und auf der Decke etliche Haare, hinter
der Badezimmertür Haarspangen und Müll vom Vor- oder Vorvorbewohner, im Abfluss
der Dusche noch die Verpackung von den hoteltypischen Seifenproben. 30 Euro ist
nicht so ein hoher Preis für ein Einzelzimmer in der Altstadt, aber etwas mehr
Sauberkeit hätte mich doch erfreut. Mich hält nichts im Hotel und so gibt es
noch einen Rundgang durch die Altstadt, relativ ziellos, aber die Kathedrale
finde ich.
In einigen Straßen riecht es nach Sidra, dem typisch asturischen
Apfelwein, der im hohen Bogen in die Gläser eingeschenkt wird, und der so auch
auf die Straßen spritzt.
Auch abends um 22 Uhr rennen die Kinder noch über die
Straßen, überall herrscht ein reges Treiben und die Stadt versprüht Atmosphäre.
Leider hat die Kathedrale um diese Uhrzeit schon geschlossen. In der Nähe der
Kathedrale finde ich die ersten Muschelsymbole im Boden, die mir morgen den Weg
aus der Stadt heraus weisen.
Leider fängt es an zu regnen und so kehre ich in
mein Hotel zurück.
Da es mich so ekelt, beschließe ich in meinem Schlafsack zu
schlafen, denn dieser ist, trotz seines schon häufigen Einsatzes, sicher
mindestens ebenso sauber (wenn nicht sauberer) als das Hotelbett.
Morgen früh werde ich mich auf die erste Etappe meines
diesjährigen Pilgerweges auf dem Camino Primitivo begeben. Irgendwo in der Nähe
werde ich mir ein kleines Frühstück organisieren und dann geht es los. Ich
hoffe, dass ich den kleinen Umweg über die beiden Unesco-Weltkulturerbe-Kirchen
finde. Viele Pilger nehmen den Weg über diese beiden Sehenswürdigkeiten, aber
er ist nicht ausgeschildert. Ich werde
der Beschreibung in meinem Pilgerführer folgen und hoffe sie so zu finden, aber
ich glaube in der Nähe des Bahnhofes ein Straßenschild Richtung Santa María del
Naranco und San Miguel de Lillo gesehen zu haben.
Auf dass die Nacht gut und schnell rum geht.
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