Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Castroverde - Lugo + Dia-Show 3



Auch wenn ich immer noch im Krankenhaus liege und noch eine Zeit bleiben werde, versuche ich mal meinen weiteren Weg auf zuschreiben. Mal schauen, wie weit ich komme. Mir geht es auf jeden Fall eine Tendenz besser und lesen und schreiben geht trotz der Sehstörungen.

20. Mai 2014

Castroverde – Lugo

Der erste Blick am Morgen gilt dem Wetter. Was ist aus dem heftigen Regen des vergangenen Tages geworden? Regnet es, muss ich die Regenkleidung anziehen oder kann ich in normaler Kleidung loslaufen. Ach, ich fühle mich ausgeruht und für den Tag gestärkt. Ich habe bestens geschlafen. Mit nur 6 nicht schnarchenden Pilgern in einem großen Raum zu schlafen ist reiner Luxus. Das einzige was mich wundert ist, dass zum Zeitpunkt meines Erwachens fast niemand mehr im Bett liegt. Außer dem Schweizer Gabriel und ich sind alle schon auf und davon, dabei ist es noch nicht ganz hell. Ich bleibe noch etwas liegen und stehe dann in aller Ruhe auf. Die am Weg liegende Bar im Dorf öffnet erst um 7.30 Uhr, warum soll ich eher starten? Auf den 22 Kilometern bis Lugo wird es heute keine Einkehrmöglichkeit geben und so nutze ich die Gelegenheit ein Frühstück zu bekommen bevor ich mich auf den Weg mache und demnach muss ich auch erst um kurz vor 7 Uhr aufstehen. Ich habe Urlaub, ich möchte ein Frühstück und ich möchte was von der Landschaft sehen, die ich durchlaufe – folglich muss es hell sein.

Ich mache mich in aller Ruhe auf den Weg und nach ca. 10 Minuten erreiche ich die Bar am Ende von Castroverde.


Nur wenige Minuten nach meiner Ankunft wird sie geöffnet. Leider gibt es keine Toastadas, nur spanischen Frühstückskuchen – aber der tut es notfalls auch. Nach Kaffee und Kuchen begebe ich mich für heute endgültig auf den Weg. Ein Thermometer zeigt 12 Grad Celsius an. Genau die richtige Temperatur zum Laufen. Warm wird mir schnell genug. Kurz nachdem ich endgültig gestartet bin werde ich von Gitan, Gabriels Hund, eingeholt. Gitan schließt mich mir an und läuft ohne auf sein Herrchen zu warten gut gelaunt neben mir. 



Wenn ich daran denke, ein Hund wie Gitan (Rottweiler-Mix) würde mir in der Einsamkeit begegnen, ich würde Heidenängste ausstehen. Aber Gitan ist einfach nur lieb und verschmust, auch wenn sie einer Rasse angehört, die als Kampfhund besonderen Vorschriften unterliegt. Gemeinsam mit Gitan laufe ich und wundere mich Gabriel nicht hinter mir zu sehen. Irgendwann höre ich Gabriels Rufe und Gitan dreht um und läuft zurück. Hoffentlich passiert ihr nichts bei der großen Straßenkreuzung, aber die Pilgerhündin ist so erfahren, dass sicherlich alles gut geht.


Schnell wird es immer sonniger, die Sonne strahlt durch wenige dünne Wolken vom Himmel. Alles wirkt frisch und wie neu – so wie meine Schuhe. Inzwischen bin ich einige Kilometer mit meinen niegelnagelneuen Wanderschuhen gelaufen und ich spüre nichts! Keine Vorfußschmerzen, keine Zehenschmerzen. Es läuft sich himmlisch. Der Spontankauf hat sich gelohnt – für den Fall dass es so bleibt.


Der Weg führt über viele Schotterwege und kleine Landstraßen, immer sanft auf und ab und auch durch Wälder. Am Wegesrand stehen wunderschön, knorrige alte Bäume. Diese Gewächse mit ihren knorrigen Stämmen und den schönen Blätterkronen verzaubern und begeistern mich immer wieder. Manchmal denke ich, ich bin in einem Märchenwald, in einem Zauberwald. 



Wenn mir eine Fee, die kleine Hexe mit ihrem Raben Abraxas oder ein Kobold begegnen würden, ich wäre nicht erstaunt. Sie würden wunderbar in diese verwunschenen Wälder passen. So stelle ich mir die Wälder aus vielen Märchengeschichten vor. Es ist schön. Fingerhut, Ginster, alles leuchtet oder ist grün und moosig. 


An einer Stelle bin ich mir der Wegführung nicht sicher. Geht es nun geradeaus auf dem Waldweg weiter oder führt der Weg auf der Landstraße weiter. Ich weiß es nicht, das Schild zeigt genau auf die Mitte von beiden Wegen. Gelbe, gepinselte Wegweiser gibt es nicht auf dem Boden oder am Baum. Zuerst folge ich der Straße bis hinter die übernächste Kurve, da ich aber keine weitern Wegweiser sehe, laufe ich zurück an die Weggabelung und nehme den Waldweg. Auch hier finde ich nicht den ersehnten Wegweiser, aber von meinem Gefühl her bin ich richtig. Mal sehen, wo ich herauskomme und ob ich einer Wegkreuzung einen gelben Pfeil finde. Am Wegesrand liegen Orangen- und Bananenschalen. Für mich ein eindeutiges Indiz dass ich richtig bin. Über eine relativ lange Distanz finde ich nicht die gesuchte Bestätigung, dass ich richtig bin, aber irgendwann sehe ich das gesuchte Objekt.



Irgendwie ist es mal wieder typisch Jakobsweg: ich beginne zu zweifeln zwecks Wegführung und überlege umzudrehen und plötzlich steht der Wegweiser vor mir. Es ist schon eigenartig und ein für mich nicht zu ergründendes Phänomen. Manchmal laufe ich mit Blick auf den Boden, der Weg scheint sich nicht zu ändern, ich hebe den Kopf und sehe, dass der Weg in einen unscheinbaren Trampelpfad einbiegt. Warum habe ich den Kopf gehoben, ich habe doch gar nicht geglaubt abbiegen zu müssen? Einen Meter weiter und ich hätte den Wiesenweg verpasst und es wäre im ersten Moment nicht aufgefallen, denn solange man keinen Wegweiser sieht geht es im Hauptrichtung des Weges weiter. Aber das ist typisch für den Camino. Es ergibt sich immer plötzlich  von alleine und es hat immer seine Richtigkeit. Der Weg führt durch viele kleine Dörfer.



Irgendwann ist es mir zu warm. Mit Jacke ist es zu warm, im T-Shirt zu kalt. Mitten auf der Landstraße ziehe ich mich um. Auf so eine Idee käme ich daheim nicht. Umziehen auf „offener“ Landstraße. Aber hier ist es für mich selbstverständlich. Mit der passenden Kleidung laufe ich weiter. Am Wegesrand treffe ich auf ein Kreuz, wie ich es schon häufig auf der Via Plata gesehen habe, auf dem Primitivo habe ich es noch nicht gesehen. Oben am Kreuz hängt Jesus, auf der Gegenseite seine Mutter Maria und unten hängt „unser“ Jakobus. 




Die Dörfer wirken ärmlich, zum überwiegenden Teil verlassen und viele Häuser zerfallen. Es werden keine Gelder in die Renovierung gesteckt. Obwohl die Dörfer heruntergekommen sind, haben sie sehr viel Charme. In den kleinen Dörfern gibt es nichts, absolut gar nichts. Ich kann verstehen, dass die jüngeren Generationen wegziehen, denn hier kann man sich nicht den Lebensunterhalt verdienen. 


Wald- Wiesenwege und kleine Landstraßen wechseln sich ab. Am Wegesrand find ich eine große Reklame die auf eine Bar hinweist, Getränke, Obst, Brote und Snacks werden angepriesen. Ich freue mich sehr über diesen Wegweiser, denn laut meinem allwissenden Reiseführer gibt es auf diesen 22 Kilometern keine Bar. Aber nur, weil sich nicht im Buch erwähnt ist, heißt es ja nicht, dass es sie nicht gibt. Freudig folge ich meinem Weg. Als ich um einen Kurve laufe sehe ich tatsächlich am Straßenrand die typischen roten Plastikstühle, Bartische und Sonnenschirme. 


Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehe ich die wenigen Mitpilger die in der Nacht in der Herberge übernachtet haben. Freudig laufe ich auf die Bar zu und nichts! Keine Bar, kein Hauseingang – nur Tische und Stühle. Gegenüber der Tische steht ein Snackautomat am Wegesrand. 


Schade, dass war es mit der Bar, einem frischen Kaffee und einem Bocadillo oder Toastada. Ich habe keine Lust auf in Plastik eingeschweißte Croissants oder ekeligen Automatenkaffee, da laufe ich doch lieber weiter. Wie Gabriel es geschafft hat vor mir hier zu sein frage ich mich. Er war mit seiner Hündin hinter mir und plötzlich ist er vor mir ohne mich überholt zu haben. Vielleicht führte die Landstraße, an der Stelle wo ich gezweifelt habe, auch hier hin. Vielleicht wäre der Weg über die Straße kürzer gewesen als durch den Wald. Auch er ist überrascht, dass ich nach ihm ankomme, aber es gibt keine andere Erklärung.                         Am Ortsausgang sitzen zwei kleine Hunde auf einer Gartenmauer und begrüßen mich schwanzwedelnd. Vor diesen Mini-Exemplaren habe ich zur Abwechslung mal keine Angst. 



Auch auf dem Primitivo treffe ich immer wieder auf streunende oder freilaufende Hunde, aber die meisten Hunde bisher waren klein und wirkten wenig bedrohlich. Mit jedem gelaufenen Kilometer zieht sich der Himmel mehr zu und die Wolken werden mehr und mehr. Sonne und Schatten wechseln sich ab und zeitweise zweifele ich daran trocken an mein heutiges Tagesziel zu kommen. 

Über ca. zwei Kilometer folge ich der Bundesstraße und dann biege ich wieder in die Einsamkeit ab. Zwischendurch beginnt es leicht zu regnen, aber der Regen hält nie lange an. Sobald ich zu der Entscheidung komme den Regenponcho anzuziehen und ihn angezogen habe, hört es auf zu regnen. An und aus wechseln sich ab und schließlich lasse ich ihn auf meinem Rucksack hängen. So kann ich bei Bedarf in die Ärmel schlüpfen, ganz schnell, einfach und problemlos. Sonne und Schatten bieten ein wunderschönes Farbenspiel, der Ginster leuchtet auch vor den dunkeln Wolken. 



In der Sonne leuchten Blumen und Büsche. Momentan überwiegen Pisten, Ginster, Heide und halbhohe Büsche. 4 Kilometer vor meinem Tagesziel kann ich Lugo erstmals sehen.


Ich freue mich bald da zu sein, denn der Himmel wird immer dunkler. Und wie es kommen muss: auf den letzten Metern, beim Aufstieg in die Stadt fängt es mit Macht an zu regnen.



Froh bin ich meinen Poncho parat zu haben, so schnell hätte ich mich nicht umziehen können und zum Unterstellen gibt es auch keine Gelegenheit. Wissend, dass es nicht mehr weit ist, erreiche ich Lugo und laufe dem Weg folgend durch den Stadtrand und in die Stadt hinein. 


Kurz hinter dem Stadttor biegt der Weg nach rechts ab und ich bin am Ziel. In der Herberge das übliche Ritual. Ankommen, Bett belegen, Schlafsack auspacken, Duschen. Da es stark regnet und es keine Möglichkeit gibt die Wäsche zu trocknen entscheide ich mich dazu heute meine Wäsche nur zu lüften. In einer Bar esse ich zu Mittag, dann laufe ich kurz durch die Stadt. Ich bin so müde und kaputt, die Beine sind schwer, ich habe keine Energie für eine ausgiebige Stadterkundung. Stadtmauer, Kathedrale und einige Straßenzüge, dass muss reichen, zu mehr bin ich nicht in der Lage.






Gegen Abend trifft Bernadette in der Herberge ein. Wir sind uns seit unserem ersten Abend in Escamplero nicht mehr begegnet. Zwei mir unbekannte Pilgerinnen treffen ebenfalls gegen Abend ein und die Gespräche mit ihnen sind sehr nett. Lydia ist auf dem Camino del Norte gestartet und war mit den Bedingungen und den vielen Straßenkilometern nicht einverstanden, so dass sie sich spontan dazu entschlossen hat, ihren Weg mit den letzten Kilometern auf dem Primitivo zu beenden. Eine junge deutsche Studentin die in Oviedo studiert, hat beschlossen ihr Spanienjahr mit den letzten 100 Kilometern auf dem Primitivo zu beenden. Mit ihrem Sommerkleid fällt sie in der Pilgerherberge richtig auf, denn niemand ist so schick gekleidet. Nach 2 Semestern in Oviedo geht ihr Auslandsjahr zu Ende und ich finde es einen schönen Abschluss für ein erfolgreiches Studienjahr. 



Nach wie vor mache ich mir Gedanken über die Wegführung. Laufe ich morgen nun Richtung Friol, was noch 5 Tage Jakobsweg bedeutet, oder laufe ich die kürzere Wegführung Richtung Melide. Ursprünglich habe ich mir immer gesagt, dass ich über Friol laufen möchte um möglichst spät auf den Francés zu kommen. Die 30 Kilometer bis Friol sind nicht ausgeschildert. Finde ich den Weg? Für den Fall dass ich morgen nach Friol laufe, habe ich in einer pilgerfreundlichen Pension ein Bett für mich reservieren lassen. 


Über Melide bin ich schon in vier Tagen in Santiago und auch das hat sein Gutes: ich bin so erschöpft und müde und ich freue mich mein Ziel zu erreichen. Auch wenn ich viel früher in Santiago ankomme als geplant: ich kann mir nicht vorstellen, noch nach Finisterra zu laufen. Ich kann nicht mehr, meine Beine möchten nicht mehr. Mal sehen, wie ich morgen entscheide und was ich mit meiner verbleibenden Zeit anfange. Wie ich immer sage: es wird sich ergeben.
  
Dia-Show 3: Castro - Lugo

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen