Inzwischen bin ich seit einer Woche zurück aus dem
Krankenhaus und es wird Zeit, dass ich meine weiteren Etappen aufschreibe.
Während der Zeit in der Klinik ging es mir an einigen Tagen richtig schlecht
und obwohl ich mehr als reichlich Zeit hatte, meinen Laptop und mein Tagebuch
dabei hatte, habe ich es nicht geschafft meinen Weg zu notieren.
So wie es genau der richtige Zeitpunkt war mich auf den Primitivo zu begeben, so falsch waren die letzten Wochen um mir Gedanken um meinen Blog zu machen.
So wie es genau der richtige Zeitpunkt war mich auf den Primitivo zu begeben, so falsch waren die letzten Wochen um mir Gedanken um meinen Blog zu machen.
Aber jetzt soll es weitergehen.
21. Mai 2014
Lugo – Ponteferreira
Richtung Melide, oder vielleicht besser über Friol, Richtung
Camino del Norte? Mit diesem Gedanken bin ich schlafen gegangen und mit diesem
Gedanken erwache ich am Morgen.
Der Blick aus dem
Herbergsfenster ist nicht
sehr vielversprechend. Draußen sind die Straßen nass, es scheint bis vorhin
geregnet zu haben, der Himmel ist grau und es sieht nicht so aus, als ob ich
heute trocken mein Tagesziel erreiche – egal welches. Nach wie vor bin ich
unschlüssig, welchen Weg ich nehmen soll. Ich habe schon seit Beginn meiner
Reise immer gesagt, dass ich möglichst spät auf den Camino Francés kommen
möchte. Ich möchte die Ruhe des Weges so lang als möglich genießen. Aber finde
ich den nicht ausgeschilderten Weg nach Friol? In Friol gibt es keine Herberge, aber eine
pilgerfreundliche Pension in der ich mir vorsichtshalber ein Bett reserviert
habe. Ist der nicht ausgeschilderte Weg problemlos zu finden? Klappt die
Orientierung mit der Textbeschreibung im Reiseführer, oder bleibe ich auf der
Landstraße und folge den Hinweisschildern der Autos? Bis Friol sind es 30
Kilometer, eine Distanz vor der ich mich in den letzten Tagen immer gescheut
habe. Wenn ich 28 Kilometer über die Berge auf der Hospitalroute laufen kann, kann
ich auch in flacherem Gelände 30 Kilometer schaffen, aber das möchte ich nicht. Auf der Strecke über Friol nach Santiago benötige ich einen
weiteren zusätzlichen Wandertag. Zeit habe ich genug, aber die letzten Tage haben mich
geschlaucht, die Beine fühlen sich schwer und müde an und ich möchte einfach
nur ankommen. Von daher wäre die Strecke über Ponte Ferreira Richtung Melide
passender, denn sie bedeutet einen Tag weniger bis zum Reiseziel, aber im
Vergleich zur Strecke über Friol bleiben mir noch zwei Tagesetappen auf dem
Camino Francés und nicht nur ein Tag in der Pilgermasse. Die Strecke auf dem
Francés kenne ich , ich bin sie 2008 gelaufen, auf der anderen Strecke würde
ich noch vier Tage lang neue Landschaften kennen lernen.
Der Blick aus dem
Was ist richtig, was ist falsch? Obwohl richtig oder falsch
gibt es nicht. Ich muss es eher so ausdrücken: Was ist besser für mich, was
möchte ich?
Mit diesen Gedanken im Kopf stehe ich auf und begebe mich
noch in der Innenstadt in eine Bar um ein kleines Frühstück einzunehmen.
Vielleicht hätte ich besser keine Zeit für ein Desayunio verschwenden sollen,
denn während ich frühstücke, fängt es an zu regnen und so starte ich meinen
Wandertag im Regen. Noch in der Bar packe ich meinen obenauf liegenden Poncho
aus – es war klar, dass ich heute nicht trockenen Fußes mein Ziel erreiche –
egal welches.
Während ich im Regen die Altstadt verlasse und mir nach wie vor Gedanken zu meinem Tagesziel mache, erreiche ich die Brück über den Rio Mino und hier muss ich mich entscheiden. Ohne zu zögern folge ich dem ausgeschilderten Weg und so ist für mich klar, ich laufe über Melide.
Bei dem starken Regen habe ich keine Lust auf eine 30 Kilometer Wanderung und vielleicht muss ich den Weg suchen und dadurch noch weitere Kilometer laufen. Folge ich den Wegweisern Richtung Melide habe ich sowohl nach 20, als auch nach 27 Kilometern die Möglichkeit in einer Herberge zu übernachten. Es fühlt sich richtig und gut an. Ich möchte endlich in Santiago ankommen, nach 10 Tagen auf dem Weg fühle ich mich ausgelaugt und erschöpft, es reicht so langsam.
Der Weg hinter Lugo ist unspektakulär. Über viele, viele Kilometer laufe ich am Rand der Landstraße, Hügel aufwärts, Hügel abwärts, es gibt kaum Abwechslung.
Die einzige Abwechslung die sich bietet ist das Wetter. Mal ist alles grau in grau und es beginnt zu regnen, dann verziehen sich die Wolken, der blaue Himmel kommt hervor und die Sonne beginnt zaghaft zu strahlen.
Immer wenn ich den Poncho wieder ausgezogen habe, beginnt es für kurze Zeit wieder zu tröpfeln. Heute sehe ich viele Mitpilger vor und hinter mir auf der Straße, es sind etliche dabei, die ich nie zuvor getroffen habe. Einige sind in Lugo auf die letzten 100 Kilometer gestartet und einige sind dadurch, dass ich die 8-Kilometer-Etappe von Cadavo-Baleira nach Castroverde gelaufen bin, dort hinzu gekommen, aber die Pilger vor und hinter mir auf der Straße sind allesamt in Lugo gestartet um auf diesem Weg eine Compostela zu erhalten.
Die Autos auf der Landstraße haben ein irres Tempo drauf. Sie rasen um die vielen kleinen Kurven und auf Pilger wird keine Rücksicht genommen. Die Straße ist nicht stark befahren, aber sobald ich ein Auto hinter einer Kurve nahen höre, bleibe ich am Wegesrand stehen oder trete einige Schritte in die Wiese neben der Straße. Nach ca. 10 Kilometern sehe ich ein Hinweisschild auf eine Bar nur wenige Meter abseits vom Weg. Da es momentan mal wieder regnet nutze ich diese Gelegenheit gerne um eine kleine Pause zu machen. Nur weil ich heute Morgen in Lugo ein kleines Frühstück verzehrt habe, heißt dass nicht, dass ich jetzt keine Pause brauche oder nicht dennoch eine Kleinigkeit verzehren könnte.
Fast alle Pilger die ich heute vor mir gesehen habe und auch einige, die ich hinter mir weiß, kommen früher oder später in die Bar hinein. Mein Poncho bleibt vor dem Eingang hängen, meinen Rucksack nehme ich mit in die Bar hinein. Zur Abwechslung gibt es hier nicht nur belegte Baguettes sondern auch belegte Brote und da ich heute morgen schon ein Toastada hatte und die Bocadillos meiner Mitpilger überdimensional riesig sind, entscheide ich mich für ein leckeres Schinkenbrot mit einer Tasse Milchkaffee. Obwohl die Pilger die mit mir in der Bar sitzen mir fremd sind, erfahre ich vom Wirt plötzlich, dass eine Mitpilgerin uns alle eingeladen hat. Den Grund erfahre oder verstehe ich nicht, aber ich freue mich über diese spontane Einladung der mir unbekannten spanischen Pilgerin. Auf dem Tresen der Bar liegt ein Stempel und so nutze ich die Gelegenheit mir einen zusätzlichen Stempel in die Credencial zu geben. Offiziell benötigt man als Nachweis das man den Weg gelaufen ist, auf den letzten 100 Kilometern täglich 2 Stempel in der Credencial, aber bei Fernstreckenpilgern wird nach wie vor oftmals auch nur ein Stempel pro Tag akzeptiert, aber sicher ist sicher und jeder Stempel ist eine schöne Erinnerung. Auch wenn mir meine Credencial nach wie vor wichtiger ist als die Compostela und ich sowohl vom Camino Francés, als auch von der Via Plata eine Compostela habe, möchte ich mir diese Pilgerbescheinigung holen. Es ist nur ein Zettel Papier der von einem großen Block abgerissen wird, aber die Compostela gehört dazu – auch wenn man für diesen Zettel stundenlang im Pilgerbüro anstehn muss. Als ich die Bar wieder verlasse ist der Himmel mal wieder freundlich und blau und ich laufe erfreut über die Wetterbesserung weiter. Der Weg folgt weiterhin der Landstraße und wie vorher auch geht es immer auf und ab und leichte Kurven. Rechts und links von mir nichts als Äcker. Einige herrlich duftende Rosensträucher, einige wenige Blumen am Wegesrand und viele nasse, grüne Wiesen.
Es gibt nicht viel Besonderes zu sehen und so schaue ich beim Laufen oftmals auf den Weg vor mir. Im letzten Moment hebe ich mal zufällig wieder meinen Blick und so sehe ich gerade noch im Vorbeilaufen, dass ein gelber Wegweiser auf einen unscheinbaren Trampelpfad neben der Straße zeigt. Glück gehabt, wie schon häufiger auf dem Weg, habe ich im letzten Moment wo es schon fast zu spät ist, den Wegweiser noch gesehen. Von der Straße geht es über einen Trampelpfad in den Wald hinein. Ich laufe durch knorrige Bäume und an vermoosten Mauern entlang und der Weg wird richtig schön.
Irgendwann habe ich ein dringendes Bedürfnis und weit und breit gibt es kein Dorf und kein WC. Ich hocke mich irgendwo hinter ein Gebüsch und muss feststellen, dass mir die Taschentücher ausgegangen sind. In der Not funktionieren auch regennasse Blätter und im Nachhinein stelle ich fest, dass ich Fingerhutblätter für mein Gesäß benutzt habe. Fingerhut, Digitalis, ist giftig. Hoffentlich nimmt es mir meine zarte Popohaut nicht übel, oder bezieht sich das Giftige nur auf die Blüten – aber ich habe die Pflanze ja nicht gegessen?! Ich grübele noch etwas über das Thema nach, mir fallen die typischen Merkmale einer Digitalisüberdosierung ein (habe ich in der Ausbildung und für das Examen gelernt), dann hake ich das Thema ab. Jetzt ist es zu spät, und wenn ich Ausschlag bekommen sollte, Juckreiz oder Sonstiges, dann muss ich heute Nacht auf dem Bauch schlafen oder kann mir immer noch Gedanken zu der Thematik machen. Da auch auf den nächsten Kilometern nichts geschieht, mache ich mir nach kurzer Zeit keine Gedanken mehr um mein Naturklo. Und mal wieder fängt es an zu regnen. Es lohnt kaum den Regenponcho anzuziehen. Der Poncho ist von innen vor lauter Schwitznässe – oder undichter Nähte – komplett nass in den Armen. Mit Poncho und Jacke ist es zu warm, ohne Jacke, ist es zu kalt und nur mit Kurzarm in den nassen Armen des Regenumhangs zu stecken, ist ungemütlich und unschön vom Tragekomfort. Derweil es in meiner Heimatstadt 30 Grad ist, haben wir es heute mal wieder kühle 12 Grad Celsius, wobei diese Temperaturen bei Trockenheit zum Laufen ideal sind. Zum Regen und zur Kälte kommt ein ordentlicher Wind und so ist es zeitweise doch recht ungemütlich zum Laufen. Die Rosen am Wegesrand duften wunderschön und süßlich.
Bei Kilometer 19 erreiche ich wieder eine kleine Bar und mal wieder mache ich eine kurze Pause auf ein Glas Cola. Hier stellt sich nun die Frage: Noch 8 Kilometer bis Ponte Ferreira, oder bleibe ich in diesem kleinen Dorf und übernachte in einer der beiden Herbergen am Dorfende? Da ich mich gut fühle entscheide ich mich den Weg fortzusetzen. 2 weitere Stunden schaffe ich noch, viel länger dürfte ich auf den heutigen, guten Wegen für diese Distanz nicht benötigen, das Wetter ist momentan wieder relativ gut, es ist trocken, der Himmel relativ freundlich. Kurz hinter der Bar lese ich ein Hinweisschild, dass es von hier aus zwei Wegmöglichkeiten nach Ponte Ferreira gibt. Es gibt den regulären Jakobsweg und einen zwei Kilometer längeren Weg, der über die Via Romana führt.
Auch wenn ich mich heute ganz gut fühle und die Beine momentan brav mitmachen, entscheide ich mich für den kürzen Weg. Aber wie es immer so will, irgendwann fällt mir auf, dass die Monolithen fehlen. Ich finde Wegweiser, aber nicht die typischen Steinblöcke mit Muschel und Pfeil und mir schwant, dass ich aus irgendeinem Grunde doch den längeren Weg eingeschlagen habe. Jetzt bringt es nichts mehr umzukehren, denn auch der kürzere Weg würde nachdem ich schon 1,5 Kilometer auf der Via Romana gelaufen bin, nicht mehr kürzer sein. Ich folge dem Weg bergan durch ein Waldstück und natürlich fängt es wieder an zu regnen, aber jetzt muss ich da durch. Es gibt für mich kein zurück und auch keinen Pause mehr.
Irgendwann komme ich wieder auf eine Landstraße und die Dorfnamen passen mit den Angaben in meinem Reiseführer zusammen, auch wenn nach wie vor die Monolithen fehlen. Vor mir auf der Straße sehe ich eine Bäuerin am Feldrand und einen großen Schäferhund. Schäferhunde flößen mir nach wie vor Respekt ein und ich mag sie einfach nicht. Weder die Größe noch die Optik behagt mir. Ich verstehe nicht, dass so viele Spanier auf deutsche Schäferhunde stehen. Und es kommt wie es kommen muss, obwohl ich es nicht erwartet habe, da der Hund in Begleitung seiner Besitzerin ist: der Hund rennt auf mich zu, bellt und knurrt und verfolgt mich auf Schritt und Tritt, er lässt nicht von mir ab. Nach ca. 150 Metern verschwindet der blöde Hund endlich. Mein Herz klopft wie wild und ich bin froh, diese Passage geschafft zu haben. Warum hörte der Hund nicht auf die Kommandos seiner Besitzerin? Riechen diese Hunde immer direkt, dass ich Angst vor ihnen habe?
Ich setze meinen Weg fort und zwei Dörfer weiter erreiche ich Ponte Ferreira. Am Wegesrand steht ein Hinweis auf eine Unterkunft für Pilger, aber ich bin mir nicht sicher, ob dieses Gebäude die Pilgerherberge ist. Ich klopfe an und frage ob ich hier richtig bin. Freundlich weist man mich darauf hin, dass man mir gerne ein Zimmer oder ein Appartement vermietet, aber bis zur Herberge sind es noch weitere 500 Meter. Die römische Brücke ist winzig klein und man könnte sie fast übersehen, auch wenn sie dem Dorf den Namen gibt.
Über Steine auf einem Schlammweg geht es noch einige Meter bergauf auf eine Landstraße und kurze Zeit später stehe ich vor der Herberge. Die private Herberge ist wunderschön und liebevoll gestaltet. Da es hier außer der Herberge nichts gibt, wird man bei Wunsch in der Herberge verpflegt.
Da es Abends Paella gibt und ich diese nicht gerne esse, entscheide ich mich dazu mit etlichen Pilgern um 16.30 Uhr ein spätes Mittagessen, bestehend aus Tortellini, zu essen. In der Herberge ist es bitter kalt. Einen großen Teil des Nachmittages verbringe ich und meine Mitpilger im Schlafsack liegend und erzählend im Bett. Wir alle frieren, aber es ist lustig und ich lerne die mir fremden Pilger etwas besser kennen. Kurz nach meiner Ankunft fängt es an zu plästern, und es hört bis zum Abend nicht mehr auf.
Während ich im Regen die Altstadt verlasse und mir nach wie vor Gedanken zu meinem Tagesziel mache, erreiche ich die Brück über den Rio Mino und hier muss ich mich entscheiden. Ohne zu zögern folge ich dem ausgeschilderten Weg und so ist für mich klar, ich laufe über Melide.
Bei dem starken Regen habe ich keine Lust auf eine 30 Kilometer Wanderung und vielleicht muss ich den Weg suchen und dadurch noch weitere Kilometer laufen. Folge ich den Wegweisern Richtung Melide habe ich sowohl nach 20, als auch nach 27 Kilometern die Möglichkeit in einer Herberge zu übernachten. Es fühlt sich richtig und gut an. Ich möchte endlich in Santiago ankommen, nach 10 Tagen auf dem Weg fühle ich mich ausgelaugt und erschöpft, es reicht so langsam.
Der Weg hinter Lugo ist unspektakulär. Über viele, viele Kilometer laufe ich am Rand der Landstraße, Hügel aufwärts, Hügel abwärts, es gibt kaum Abwechslung.
Die einzige Abwechslung die sich bietet ist das Wetter. Mal ist alles grau in grau und es beginnt zu regnen, dann verziehen sich die Wolken, der blaue Himmel kommt hervor und die Sonne beginnt zaghaft zu strahlen.
Immer wenn ich den Poncho wieder ausgezogen habe, beginnt es für kurze Zeit wieder zu tröpfeln. Heute sehe ich viele Mitpilger vor und hinter mir auf der Straße, es sind etliche dabei, die ich nie zuvor getroffen habe. Einige sind in Lugo auf die letzten 100 Kilometer gestartet und einige sind dadurch, dass ich die 8-Kilometer-Etappe von Cadavo-Baleira nach Castroverde gelaufen bin, dort hinzu gekommen, aber die Pilger vor und hinter mir auf der Straße sind allesamt in Lugo gestartet um auf diesem Weg eine Compostela zu erhalten.
Die Autos auf der Landstraße haben ein irres Tempo drauf. Sie rasen um die vielen kleinen Kurven und auf Pilger wird keine Rücksicht genommen. Die Straße ist nicht stark befahren, aber sobald ich ein Auto hinter einer Kurve nahen höre, bleibe ich am Wegesrand stehen oder trete einige Schritte in die Wiese neben der Straße. Nach ca. 10 Kilometern sehe ich ein Hinweisschild auf eine Bar nur wenige Meter abseits vom Weg. Da es momentan mal wieder regnet nutze ich diese Gelegenheit gerne um eine kleine Pause zu machen. Nur weil ich heute Morgen in Lugo ein kleines Frühstück verzehrt habe, heißt dass nicht, dass ich jetzt keine Pause brauche oder nicht dennoch eine Kleinigkeit verzehren könnte.
Fast alle Pilger die ich heute vor mir gesehen habe und auch einige, die ich hinter mir weiß, kommen früher oder später in die Bar hinein. Mein Poncho bleibt vor dem Eingang hängen, meinen Rucksack nehme ich mit in die Bar hinein. Zur Abwechslung gibt es hier nicht nur belegte Baguettes sondern auch belegte Brote und da ich heute morgen schon ein Toastada hatte und die Bocadillos meiner Mitpilger überdimensional riesig sind, entscheide ich mich für ein leckeres Schinkenbrot mit einer Tasse Milchkaffee. Obwohl die Pilger die mit mir in der Bar sitzen mir fremd sind, erfahre ich vom Wirt plötzlich, dass eine Mitpilgerin uns alle eingeladen hat. Den Grund erfahre oder verstehe ich nicht, aber ich freue mich über diese spontane Einladung der mir unbekannten spanischen Pilgerin. Auf dem Tresen der Bar liegt ein Stempel und so nutze ich die Gelegenheit mir einen zusätzlichen Stempel in die Credencial zu geben. Offiziell benötigt man als Nachweis das man den Weg gelaufen ist, auf den letzten 100 Kilometern täglich 2 Stempel in der Credencial, aber bei Fernstreckenpilgern wird nach wie vor oftmals auch nur ein Stempel pro Tag akzeptiert, aber sicher ist sicher und jeder Stempel ist eine schöne Erinnerung. Auch wenn mir meine Credencial nach wie vor wichtiger ist als die Compostela und ich sowohl vom Camino Francés, als auch von der Via Plata eine Compostela habe, möchte ich mir diese Pilgerbescheinigung holen. Es ist nur ein Zettel Papier der von einem großen Block abgerissen wird, aber die Compostela gehört dazu – auch wenn man für diesen Zettel stundenlang im Pilgerbüro anstehn muss. Als ich die Bar wieder verlasse ist der Himmel mal wieder freundlich und blau und ich laufe erfreut über die Wetterbesserung weiter. Der Weg folgt weiterhin der Landstraße und wie vorher auch geht es immer auf und ab und leichte Kurven. Rechts und links von mir nichts als Äcker. Einige herrlich duftende Rosensträucher, einige wenige Blumen am Wegesrand und viele nasse, grüne Wiesen.
Es gibt nicht viel Besonderes zu sehen und so schaue ich beim Laufen oftmals auf den Weg vor mir. Im letzten Moment hebe ich mal zufällig wieder meinen Blick und so sehe ich gerade noch im Vorbeilaufen, dass ein gelber Wegweiser auf einen unscheinbaren Trampelpfad neben der Straße zeigt. Glück gehabt, wie schon häufiger auf dem Weg, habe ich im letzten Moment wo es schon fast zu spät ist, den Wegweiser noch gesehen. Von der Straße geht es über einen Trampelpfad in den Wald hinein. Ich laufe durch knorrige Bäume und an vermoosten Mauern entlang und der Weg wird richtig schön.
Irgendwann habe ich ein dringendes Bedürfnis und weit und breit gibt es kein Dorf und kein WC. Ich hocke mich irgendwo hinter ein Gebüsch und muss feststellen, dass mir die Taschentücher ausgegangen sind. In der Not funktionieren auch regennasse Blätter und im Nachhinein stelle ich fest, dass ich Fingerhutblätter für mein Gesäß benutzt habe. Fingerhut, Digitalis, ist giftig. Hoffentlich nimmt es mir meine zarte Popohaut nicht übel, oder bezieht sich das Giftige nur auf die Blüten – aber ich habe die Pflanze ja nicht gegessen?! Ich grübele noch etwas über das Thema nach, mir fallen die typischen Merkmale einer Digitalisüberdosierung ein (habe ich in der Ausbildung und für das Examen gelernt), dann hake ich das Thema ab. Jetzt ist es zu spät, und wenn ich Ausschlag bekommen sollte, Juckreiz oder Sonstiges, dann muss ich heute Nacht auf dem Bauch schlafen oder kann mir immer noch Gedanken zu der Thematik machen. Da auch auf den nächsten Kilometern nichts geschieht, mache ich mir nach kurzer Zeit keine Gedanken mehr um mein Naturklo. Und mal wieder fängt es an zu regnen. Es lohnt kaum den Regenponcho anzuziehen. Der Poncho ist von innen vor lauter Schwitznässe – oder undichter Nähte – komplett nass in den Armen. Mit Poncho und Jacke ist es zu warm, ohne Jacke, ist es zu kalt und nur mit Kurzarm in den nassen Armen des Regenumhangs zu stecken, ist ungemütlich und unschön vom Tragekomfort. Derweil es in meiner Heimatstadt 30 Grad ist, haben wir es heute mal wieder kühle 12 Grad Celsius, wobei diese Temperaturen bei Trockenheit zum Laufen ideal sind. Zum Regen und zur Kälte kommt ein ordentlicher Wind und so ist es zeitweise doch recht ungemütlich zum Laufen. Die Rosen am Wegesrand duften wunderschön und süßlich.
Bei Kilometer 19 erreiche ich wieder eine kleine Bar und mal wieder mache ich eine kurze Pause auf ein Glas Cola. Hier stellt sich nun die Frage: Noch 8 Kilometer bis Ponte Ferreira, oder bleibe ich in diesem kleinen Dorf und übernachte in einer der beiden Herbergen am Dorfende? Da ich mich gut fühle entscheide ich mich den Weg fortzusetzen. 2 weitere Stunden schaffe ich noch, viel länger dürfte ich auf den heutigen, guten Wegen für diese Distanz nicht benötigen, das Wetter ist momentan wieder relativ gut, es ist trocken, der Himmel relativ freundlich. Kurz hinter der Bar lese ich ein Hinweisschild, dass es von hier aus zwei Wegmöglichkeiten nach Ponte Ferreira gibt. Es gibt den regulären Jakobsweg und einen zwei Kilometer längeren Weg, der über die Via Romana führt.
Auch wenn ich mich heute ganz gut fühle und die Beine momentan brav mitmachen, entscheide ich mich für den kürzen Weg. Aber wie es immer so will, irgendwann fällt mir auf, dass die Monolithen fehlen. Ich finde Wegweiser, aber nicht die typischen Steinblöcke mit Muschel und Pfeil und mir schwant, dass ich aus irgendeinem Grunde doch den längeren Weg eingeschlagen habe. Jetzt bringt es nichts mehr umzukehren, denn auch der kürzere Weg würde nachdem ich schon 1,5 Kilometer auf der Via Romana gelaufen bin, nicht mehr kürzer sein. Ich folge dem Weg bergan durch ein Waldstück und natürlich fängt es wieder an zu regnen, aber jetzt muss ich da durch. Es gibt für mich kein zurück und auch keinen Pause mehr.
Irgendwann komme ich wieder auf eine Landstraße und die Dorfnamen passen mit den Angaben in meinem Reiseführer zusammen, auch wenn nach wie vor die Monolithen fehlen. Vor mir auf der Straße sehe ich eine Bäuerin am Feldrand und einen großen Schäferhund. Schäferhunde flößen mir nach wie vor Respekt ein und ich mag sie einfach nicht. Weder die Größe noch die Optik behagt mir. Ich verstehe nicht, dass so viele Spanier auf deutsche Schäferhunde stehen. Und es kommt wie es kommen muss, obwohl ich es nicht erwartet habe, da der Hund in Begleitung seiner Besitzerin ist: der Hund rennt auf mich zu, bellt und knurrt und verfolgt mich auf Schritt und Tritt, er lässt nicht von mir ab. Nach ca. 150 Metern verschwindet der blöde Hund endlich. Mein Herz klopft wie wild und ich bin froh, diese Passage geschafft zu haben. Warum hörte der Hund nicht auf die Kommandos seiner Besitzerin? Riechen diese Hunde immer direkt, dass ich Angst vor ihnen habe?
Ich setze meinen Weg fort und zwei Dörfer weiter erreiche ich Ponte Ferreira. Am Wegesrand steht ein Hinweis auf eine Unterkunft für Pilger, aber ich bin mir nicht sicher, ob dieses Gebäude die Pilgerherberge ist. Ich klopfe an und frage ob ich hier richtig bin. Freundlich weist man mich darauf hin, dass man mir gerne ein Zimmer oder ein Appartement vermietet, aber bis zur Herberge sind es noch weitere 500 Meter. Die römische Brücke ist winzig klein und man könnte sie fast übersehen, auch wenn sie dem Dorf den Namen gibt.
Über Steine auf einem Schlammweg geht es noch einige Meter bergauf auf eine Landstraße und kurze Zeit später stehe ich vor der Herberge. Die private Herberge ist wunderschön und liebevoll gestaltet. Da es hier außer der Herberge nichts gibt, wird man bei Wunsch in der Herberge verpflegt.
Da es Abends Paella gibt und ich diese nicht gerne esse, entscheide ich mich dazu mit etlichen Pilgern um 16.30 Uhr ein spätes Mittagessen, bestehend aus Tortellini, zu essen. In der Herberge ist es bitter kalt. Einen großen Teil des Nachmittages verbringe ich und meine Mitpilger im Schlafsack liegend und erzählend im Bett. Wir alle frieren, aber es ist lustig und ich lerne die mir fremden Pilger etwas besser kennen. Kurz nach meiner Ankunft fängt es an zu plästern, und es hört bis zum Abend nicht mehr auf.
Ich freue mich auf meine Ankunft in Santiago de Compostela. Noch drei Tage
bis zum endgültigen Ziel der Reise. Morgen erreiche ich Melide, dann bin ich auf dem Camino Francés
und der Camino Primitivo ist geschafft. Natürlich laufe ich noch nach
Santiago de Compostela, aber der Primitivo war mein Ziel und ich weiß, dass ich
morgen mein „Ziel“ erreiche. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen
anspruchsvollen Weg schaffe. Und wenn ich erst einmal in Melide bin, dann
erreiche ich auch noch Santiago und dann ist es gut gewesen.