Die Geschichte meines Jakobsweges

2008 Camino Frances, Pamplona -Santiago de Compostela, 2010 Via de la Plata, Sevilla - Salamanca, 2011 Via de la Plata, Salamanca - Santiago + Camino Finisterre, 20212 Camino del Norte, Hondarribia - Gurriezo, 2014 Camino Primitivo, Oviedo - Santiago, 2017 Camino Ingles, Ferrol - Santiago, 2022 Camino Portugues, Porto - Santiago, 2024 vier Caminos ein Weg, Via Tolosana - Camino Piamonte, Camino Frances, Camino Baztan entgegen der Richtung: im Zickzack durch das Baskenland: Artigelouve - Oloron Saint Marie, Saint Jean Pied de Port - Trinidad del Arre - Bayonne

Lugo - Ponte Ferreira



Inzwischen bin ich seit einer Woche zurück aus dem Krankenhaus und es wird Zeit, dass ich meine weiteren Etappen aufschreibe. Während der Zeit in der Klinik ging es mir an einigen Tagen richtig schlecht und obwohl ich mehr als reichlich Zeit hatte, meinen Laptop und mein Tagebuch dabei hatte, habe ich es nicht geschafft meinen Weg zu notieren.
So wie es genau der richtige Zeitpunkt war mich auf den Primitivo zu begeben, so falsch waren die letzten Wochen um mir Gedanken um meinen Blog zu machen.
Aber jetzt soll es weitergehen.



21. Mai 2014

Lugo – Ponteferreira



Richtung Melide, oder vielleicht besser über Friol, Richtung Camino del Norte? Mit diesem Gedanken bin ich schlafen gegangen und mit diesem Gedanken erwache ich am Morgen. 
Der Blick aus dem wandererHerbergsfenster ist nicht sehr vielversprechend. Draußen sind die Straßen nass, es scheint bis vorhin geregnet zu haben, der Himmel ist grau und es sieht nicht so aus, als ob ich heute trocken mein Tagesziel erreiche – egal welches. Nach wie vor bin ich unschlüssig, welchen Weg ich nehmen soll.         Ich habe schon seit Beginn meiner Reise immer gesagt, dass ich möglichst spät auf den Camino Francés kommen möchte. Ich möchte die Ruhe des Weges so lang als möglich genießen. Aber finde ich den nicht ausgeschilderten Weg nach Friol? In Friol gibt es keine Herberge, aber eine pilgerfreundliche Pension in der ich mir vorsichtshalber ein Bett reserviert habe. Ist der nicht ausgeschilderte Weg problemlos zu finden? Klappt die Orientierung mit der Textbeschreibung im Reiseführer, oder bleibe ich auf der Landstraße und folge den Hinweisschildern der Autos? Bis Friol sind es 30 Kilometer, eine Distanz vor der ich mich in den letzten Tagen immer gescheut habe. Wenn ich 28 Kilometer über die Berge auf der Hospitalroute laufen kann, kann ich auch in flacherem Gelände 30 Kilometer schaffen, aber das möchte ich nicht. Auf der Strecke über Friol nach Santiago benötige ich einen weiteren zusätzlichen Wandertag. Zeit habe ich genug, aber die letzten Tage haben mich geschlaucht, die Beine fühlen sich schwer und müde an und ich möchte einfach nur ankommen. Von daher wäre die Strecke über Ponte Ferreira Richtung Melide passender, denn sie bedeutet einen Tag weniger bis zum Reiseziel, aber im Vergleich zur Strecke über Friol bleiben mir noch zwei Tagesetappen auf dem Camino Francés und nicht nur ein Tag in der Pilgermasse. Die Strecke auf dem Francés kenne ich , ich bin sie 2008 gelaufen, auf der anderen Strecke würde ich noch vier Tage lang neue Landschaften kennen lernen.

Was ist richtig, was ist falsch? Obwohl richtig oder falsch gibt es nicht. Ich muss es eher so ausdrücken: Was ist besser für mich, was möchte ich?

Mit diesen Gedanken im Kopf stehe ich auf und begebe mich noch in der Innenstadt in eine Bar um ein kleines Frühstück einzunehmen. Vielleicht hätte ich besser keine Zeit für ein Desayunio verschwenden sollen, denn während ich frühstücke, fängt es an zu regnen und so starte ich meinen Wandertag im Regen. Noch in der Bar packe ich meinen obenauf liegenden Poncho aus – es war klar, dass ich heute nicht trockenen Fußes mein Ziel erreiche – egal welches. 



Während ich im Regen die Altstadt verlasse und mir nach wie vor Gedanken zu meinem Tagesziel mache, erreiche ich die Brück über den Rio Mino und hier muss ich mich entscheiden. Ohne zu zögern folge ich dem ausgeschilderten Weg und so ist für mich klar, ich laufe über Melide. 




Bei dem starken Regen habe ich keine Lust auf eine 30 Kilometer Wanderung und vielleicht muss ich den Weg suchen und dadurch noch weitere Kilometer laufen. Folge ich den Wegweisern Richtung Melide habe ich sowohl nach 20, als auch nach 27 Kilometern die Möglichkeit in einer Herberge zu übernachten. Es fühlt sich richtig und gut an. Ich möchte endlich in Santiago ankommen, nach 10 Tagen auf dem Weg fühle ich mich ausgelaugt und erschöpft, es reicht so langsam. 
Der Weg hinter Lugo ist unspektakulär. Über viele, viele Kilometer laufe ich am Rand der Landstraße, Hügel aufwärts, Hügel abwärts, es gibt kaum Abwechslung. 




Die einzige Abwechslung die sich bietet ist das Wetter. Mal ist alles grau in grau und es beginnt zu regnen, dann verziehen sich die Wolken, der blaue Himmel kommt hervor und die Sonne beginnt zaghaft zu strahlen.


Immer wenn ich den Poncho wieder ausgezogen habe, beginnt es für kurze Zeit wieder zu tröpfeln. Heute sehe ich viele Mitpilger vor und hinter mir auf der Straße, es sind etliche dabei, die ich nie zuvor getroffen habe. Einige sind in Lugo auf die letzten 100 Kilometer gestartet und einige sind dadurch, dass ich die 8-Kilometer-Etappe von Cadavo-Baleira nach Castroverde gelaufen bin, dort hinzu gekommen, aber die Pilger vor und hinter mir auf der Straße sind allesamt in Lugo gestartet um auf diesem Weg eine Compostela zu erhalten. 



Die Autos auf der Landstraße haben ein irres Tempo drauf. Sie rasen um die vielen kleinen Kurven und auf Pilger wird keine Rücksicht genommen. Die Straße ist nicht stark befahren, aber sobald ich ein Auto hinter einer Kurve nahen höre, bleibe ich am Wegesrand stehen oder trete einige Schritte in die Wiese neben der Straße. Nach ca. 10 Kilometern sehe ich ein Hinweisschild auf eine Bar nur wenige Meter abseits vom Weg. Da es momentan mal wieder regnet nutze ich diese Gelegenheit gerne um eine kleine Pause zu machen. Nur weil ich heute Morgen in Lugo ein kleines Frühstück verzehrt habe, heißt dass nicht, dass ich jetzt keine Pause brauche oder nicht dennoch eine Kleinigkeit verzehren könnte. 





Fast alle Pilger die ich heute vor mir gesehen habe und auch einige, die ich hinter mir weiß, kommen früher oder später in die Bar hinein. Mein Poncho bleibt vor dem Eingang hängen, meinen Rucksack nehme ich mit in die Bar hinein. Zur Abwechslung gibt es hier nicht nur belegte Baguettes sondern auch belegte Brote und da ich heute morgen schon ein Toastada hatte und die Bocadillos meiner Mitpilger überdimensional riesig sind, entscheide ich mich für ein leckeres Schinkenbrot mit einer Tasse Milchkaffee. Obwohl die Pilger die mit mir in der Bar sitzen mir fremd sind, erfahre ich vom Wirt plötzlich, dass eine Mitpilgerin uns alle eingeladen hat. Den Grund erfahre oder verstehe ich nicht, aber ich freue mich über diese spontane Einladung der mir unbekannten spanischen Pilgerin. Auf dem Tresen der Bar liegt ein Stempel und so nutze ich die Gelegenheit mir einen zusätzlichen Stempel in die Credencial zu geben. Offiziell benötigt man als Nachweis das man den Weg gelaufen ist, auf den letzten 100 Kilometern täglich 2 Stempel in der Credencial, aber bei Fernstreckenpilgern wird nach wie vor oftmals auch nur ein Stempel pro Tag akzeptiert, aber sicher ist sicher und jeder Stempel ist eine schöne Erinnerung. Auch wenn mir meine Credencial nach wie vor wichtiger ist als die Compostela und ich sowohl vom Camino Francés, als auch von der Via Plata eine Compostela habe, möchte ich mir diese Pilgerbescheinigung holen. Es ist nur ein Zettel Papier der von einem großen Block abgerissen wird, aber die Compostela gehört dazu – auch wenn man für diesen Zettel stundenlang im Pilgerbüro anstehn muss. Als ich die Bar wieder verlasse ist der Himmel mal wieder freundlich und blau und ich laufe erfreut über die Wetterbesserung weiter. Der Weg folgt weiterhin der Landstraße und wie vorher auch geht es immer auf und ab und leichte Kurven. Rechts und links von mir nichts als Äcker. Einige herrlich duftende Rosensträucher, einige wenige Blumen am Wegesrand und viele nasse, grüne Wiesen. 









Es gibt nicht viel Besonderes zu sehen und so schaue ich beim Laufen oftmals auf den Weg vor mir. Im letzten Moment hebe ich mal zufällig wieder meinen Blick und so sehe ich gerade noch im Vorbeilaufen, dass ein gelber Wegweiser auf einen unscheinbaren Trampelpfad neben der Straße zeigt. Glück gehabt, wie schon häufiger auf dem Weg, habe ich im letzten Moment wo es schon fast zu spät ist, den Wegweiser noch gesehen. Von der Straße geht es über einen Trampelpfad in den Wald hinein. Ich laufe durch knorrige Bäume und an vermoosten Mauern entlang und der Weg wird richtig schön. 



Irgendwann habe ich ein dringendes Bedürfnis und weit und breit gibt es kein Dorf und kein WC. Ich hocke mich irgendwo hinter ein Gebüsch und muss feststellen, dass mir die Taschentücher ausgegangen sind. In der Not funktionieren auch regennasse Blätter und im Nachhinein stelle ich fest, dass ich Fingerhutblätter für mein Gesäß benutzt habe. Fingerhut, Digitalis, ist giftig. Hoffentlich nimmt es mir meine zarte Popohaut nicht übel, oder bezieht sich das Giftige nur auf die Blüten – aber ich habe die Pflanze ja nicht gegessen?! Ich grübele noch etwas über das Thema nach, mir fallen die typischen Merkmale einer Digitalisüberdosierung ein (habe ich in der Ausbildung und für das Examen gelernt), dann hake ich das Thema ab. Jetzt ist es zu spät, und wenn ich Ausschlag bekommen sollte, Juckreiz oder Sonstiges, dann muss ich heute Nacht auf dem Bauch schlafen oder kann mir immer noch Gedanken zu der Thematik machen. Da auch auf den nächsten Kilometern nichts geschieht, mache ich mir nach kurzer Zeit keine Gedanken mehr um mein Naturklo. Und mal wieder fängt es an zu regnen. Es lohnt kaum den Regenponcho anzuziehen. Der Poncho ist von innen vor lauter Schwitznässe – oder undichter Nähte – komplett nass in den Armen. Mit Poncho und Jacke ist es zu warm, ohne Jacke, ist es zu kalt und nur mit Kurzarm in den nassen Armen des Regenumhangs zu stecken, ist ungemütlich und unschön vom Tragekomfort. Derweil es in meiner Heimatstadt 30 Grad ist, haben wir es heute mal wieder kühle 12 Grad Celsius, wobei diese Temperaturen bei Trockenheit zum Laufen ideal sind. Zum Regen und zur Kälte kommt ein ordentlicher Wind und so ist es zeitweise doch recht ungemütlich zum Laufen. Die Rosen am Wegesrand duften wunderschön und süßlich. 



Bei Kilometer 19 erreiche ich wieder eine kleine Bar und mal wieder mache ich eine kurze Pause auf ein Glas Cola. Hier stellt sich nun die Frage: Noch 8 Kilometer bis Ponte Ferreira, oder bleibe ich in diesem kleinen Dorf und übernachte in einer der beiden Herbergen am Dorfende? Da ich mich gut fühle entscheide ich mich den Weg fortzusetzen. 2 weitere Stunden schaffe ich noch, viel länger dürfte ich auf den heutigen, guten Wegen für diese Distanz nicht benötigen, das Wetter ist momentan wieder relativ gut, es ist trocken, der Himmel relativ freundlich. Kurz hinter der Bar lese ich ein Hinweisschild, dass es von hier aus zwei Wegmöglichkeiten nach Ponte Ferreira gibt. Es gibt den regulären Jakobsweg und einen zwei Kilometer längeren Weg, der über die Via Romana führt. 



Auch wenn ich mich heute ganz gut fühle und die Beine momentan brav mitmachen, entscheide ich mich für den kürzen Weg. Aber wie es immer so will, irgendwann fällt mir auf, dass die Monolithen fehlen. Ich finde Wegweiser, aber nicht die typischen Steinblöcke mit Muschel und Pfeil und mir schwant, dass ich aus irgendeinem Grunde doch den längeren Weg eingeschlagen habe. Jetzt bringt es nichts mehr umzukehren, denn auch der kürzere Weg würde nachdem ich schon 1,5 Kilometer auf der Via Romana gelaufen bin, nicht mehr kürzer sein. Ich folge dem Weg bergan durch ein Waldstück und natürlich fängt es wieder an zu regnen, aber jetzt muss ich da durch. Es gibt für mich kein zurück und auch keinen Pause mehr. 





Irgendwann komme ich wieder auf eine Landstraße und die Dorfnamen passen mit den Angaben in meinem Reiseführer zusammen, auch wenn nach wie vor die Monolithen fehlen. Vor mir auf der Straße sehe ich eine Bäuerin am Feldrand und einen großen Schäferhund. Schäferhunde flößen mir nach wie vor Respekt ein und ich mag sie einfach nicht. Weder die Größe noch die Optik behagt mir. Ich verstehe nicht, dass so viele Spanier auf deutsche Schäferhunde stehen. Und es kommt wie es kommen muss, obwohl ich es nicht erwartet habe, da der Hund in Begleitung seiner Besitzerin ist: der Hund rennt auf mich zu, bellt und knurrt und verfolgt mich auf Schritt und Tritt, er lässt nicht von mir ab. Nach ca. 150 Metern verschwindet der blöde Hund endlich. Mein Herz klopft wie wild und ich bin froh, diese Passage geschafft zu haben. Warum hörte der Hund nicht auf die Kommandos seiner Besitzerin? Riechen diese Hunde immer direkt, dass ich Angst vor ihnen habe? 





Ich setze meinen Weg fort und zwei Dörfer weiter erreiche ich Ponte Ferreira. Am Wegesrand steht ein Hinweis auf eine Unterkunft für Pilger, aber ich bin mir nicht sicher, ob dieses Gebäude die Pilgerherberge ist. Ich klopfe an und frage ob ich hier richtig bin. Freundlich weist man mich darauf hin, dass man mir gerne ein Zimmer oder ein Appartement vermietet, aber bis zur Herberge sind es noch weitere 500 Meter. Die römische Brücke ist winzig klein und man könnte sie fast übersehen, auch wenn sie dem Dorf den Namen gibt. 




Über Steine auf einem Schlammweg geht es noch einige Meter bergauf auf eine Landstraße und kurze Zeit später stehe ich vor der Herberge. Die private Herberge ist wunderschön und liebevoll gestaltet. Da es hier außer der Herberge nichts gibt, wird man bei Wunsch in der Herberge verpflegt. 



Da es Abends Paella gibt und ich diese nicht gerne esse, entscheide ich mich dazu mit etlichen Pilgern um 16.30 Uhr ein spätes Mittagessen, bestehend aus Tortellini, zu essen. In der Herberge ist es bitter kalt. Einen großen Teil des Nachmittages verbringe ich und meine Mitpilger im Schlafsack liegend und erzählend im Bett. Wir alle frieren, aber es ist lustig und ich lerne die mir fremden Pilger etwas besser kennen. Kurz nach meiner Ankunft fängt es an zu plästern, und es hört bis zum Abend nicht mehr auf.

Ich freue mich auf meine Ankunft in Santiago de Compostela. Noch drei Tage bis zum endgültigen Ziel der Reise. Morgen erreiche ich Melide, dann bin ich auf dem Camino Francés und der Camino Primitivo ist  geschafft. Natürlich laufe ich noch nach Santiago de Compostela, aber der Primitivo war mein Ziel und ich weiß, dass ich morgen mein „Ziel“ erreiche. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen anspruchsvollen Weg schaffe. Und wenn ich erst einmal in Melide bin, dann erreiche ich auch noch Santiago und dann ist es gut gewesen.




...einfach so

20. Juli 2014
Leider schaffe ich es momentan nicht, die restlichen Etappen meines Weges aufzuschreiben, irgendwie finde ich hier im Krankenhaus nicht die nötige Ruhe dazu - wobei es Ruhe und Zeit massenhaft gibt.

Nach zwei Wochen wird es Zeit dass sich mein Krankenhausaufenthalt dem Ende neigt. Leider hat sich gesundheitlich nicht viel geändert und zeitweise hatte ich das Gefühl, dasss ich hier richtig krank werde und alles mitnehme was es nebenbei gibt, wobei sich das Grundproblem nicht ändert.



Meine beiden tierischen Mitbewohner machen derweil ich im Krankenhaus liege Urlaub bei meinen Eltern und es wird Zeit dass sie wieder in meine Obhut kommen, denn sie kommen scheinbar auf dumme Gedanken und machen viel Quatsch. Bei mir sind sie noch nie auf die Idee gekommen vom Balkon zu verschwinden, aber scheinbar haben sie den Duft der großen, weiten Welt geschnuppert und haben einen Ausflug in den Garten unternommen. Auch wenn es ihnen scheinbar gefallen hat, nichts passiert ist und sie  ihre Menschen kennen und sich wieder einsammeln lassen: sie dürfen es nicht, es ist zu gefährlich, da mein Elternhaus an einer großen, viel befahrenen Straße liegt.
Da ich seit gestern wieder besser zurecht bin und sei es nur, dass ich den Zustand wieder erreicht habe mit dem ich in´s Krankenhaus eingewiesen wurde, alle Therapien erst einmal ausgeschöpft sind, muss ich morgen das Thema Entlassung angehen. Krankengymnastik, Gangschule und Erholung ist auch zu Hause möglich.



Castroverde - Lugo + Dia-Show 3



Auch wenn ich immer noch im Krankenhaus liege und noch eine Zeit bleiben werde, versuche ich mal meinen weiteren Weg auf zuschreiben. Mal schauen, wie weit ich komme. Mir geht es auf jeden Fall eine Tendenz besser und lesen und schreiben geht trotz der Sehstörungen.

20. Mai 2014

Castroverde – Lugo

Der erste Blick am Morgen gilt dem Wetter. Was ist aus dem heftigen Regen des vergangenen Tages geworden? Regnet es, muss ich die Regenkleidung anziehen oder kann ich in normaler Kleidung loslaufen. Ach, ich fühle mich ausgeruht und für den Tag gestärkt. Ich habe bestens geschlafen. Mit nur 6 nicht schnarchenden Pilgern in einem großen Raum zu schlafen ist reiner Luxus. Das einzige was mich wundert ist, dass zum Zeitpunkt meines Erwachens fast niemand mehr im Bett liegt. Außer dem Schweizer Gabriel und ich sind alle schon auf und davon, dabei ist es noch nicht ganz hell. Ich bleibe noch etwas liegen und stehe dann in aller Ruhe auf. Die am Weg liegende Bar im Dorf öffnet erst um 7.30 Uhr, warum soll ich eher starten? Auf den 22 Kilometern bis Lugo wird es heute keine Einkehrmöglichkeit geben und so nutze ich die Gelegenheit ein Frühstück zu bekommen bevor ich mich auf den Weg mache und demnach muss ich auch erst um kurz vor 7 Uhr aufstehen. Ich habe Urlaub, ich möchte ein Frühstück und ich möchte was von der Landschaft sehen, die ich durchlaufe – folglich muss es hell sein.

Ich mache mich in aller Ruhe auf den Weg und nach ca. 10 Minuten erreiche ich die Bar am Ende von Castroverde.


Nur wenige Minuten nach meiner Ankunft wird sie geöffnet. Leider gibt es keine Toastadas, nur spanischen Frühstückskuchen – aber der tut es notfalls auch. Nach Kaffee und Kuchen begebe ich mich für heute endgültig auf den Weg. Ein Thermometer zeigt 12 Grad Celsius an. Genau die richtige Temperatur zum Laufen. Warm wird mir schnell genug. Kurz nachdem ich endgültig gestartet bin werde ich von Gitan, Gabriels Hund, eingeholt. Gitan schließt mich mir an und läuft ohne auf sein Herrchen zu warten gut gelaunt neben mir. 



Wenn ich daran denke, ein Hund wie Gitan (Rottweiler-Mix) würde mir in der Einsamkeit begegnen, ich würde Heidenängste ausstehen. Aber Gitan ist einfach nur lieb und verschmust, auch wenn sie einer Rasse angehört, die als Kampfhund besonderen Vorschriften unterliegt. Gemeinsam mit Gitan laufe ich und wundere mich Gabriel nicht hinter mir zu sehen. Irgendwann höre ich Gabriels Rufe und Gitan dreht um und läuft zurück. Hoffentlich passiert ihr nichts bei der großen Straßenkreuzung, aber die Pilgerhündin ist so erfahren, dass sicherlich alles gut geht.


Schnell wird es immer sonniger, die Sonne strahlt durch wenige dünne Wolken vom Himmel. Alles wirkt frisch und wie neu – so wie meine Schuhe. Inzwischen bin ich einige Kilometer mit meinen niegelnagelneuen Wanderschuhen gelaufen und ich spüre nichts! Keine Vorfußschmerzen, keine Zehenschmerzen. Es läuft sich himmlisch. Der Spontankauf hat sich gelohnt – für den Fall dass es so bleibt.


Der Weg führt über viele Schotterwege und kleine Landstraßen, immer sanft auf und ab und auch durch Wälder. Am Wegesrand stehen wunderschön, knorrige alte Bäume. Diese Gewächse mit ihren knorrigen Stämmen und den schönen Blätterkronen verzaubern und begeistern mich immer wieder. Manchmal denke ich, ich bin in einem Märchenwald, in einem Zauberwald. 



Wenn mir eine Fee, die kleine Hexe mit ihrem Raben Abraxas oder ein Kobold begegnen würden, ich wäre nicht erstaunt. Sie würden wunderbar in diese verwunschenen Wälder passen. So stelle ich mir die Wälder aus vielen Märchengeschichten vor. Es ist schön. Fingerhut, Ginster, alles leuchtet oder ist grün und moosig. 


An einer Stelle bin ich mir der Wegführung nicht sicher. Geht es nun geradeaus auf dem Waldweg weiter oder führt der Weg auf der Landstraße weiter. Ich weiß es nicht, das Schild zeigt genau auf die Mitte von beiden Wegen. Gelbe, gepinselte Wegweiser gibt es nicht auf dem Boden oder am Baum. Zuerst folge ich der Straße bis hinter die übernächste Kurve, da ich aber keine weitern Wegweiser sehe, laufe ich zurück an die Weggabelung und nehme den Waldweg. Auch hier finde ich nicht den ersehnten Wegweiser, aber von meinem Gefühl her bin ich richtig. Mal sehen, wo ich herauskomme und ob ich einer Wegkreuzung einen gelben Pfeil finde. Am Wegesrand liegen Orangen- und Bananenschalen. Für mich ein eindeutiges Indiz dass ich richtig bin. Über eine relativ lange Distanz finde ich nicht die gesuchte Bestätigung, dass ich richtig bin, aber irgendwann sehe ich das gesuchte Objekt.



Irgendwie ist es mal wieder typisch Jakobsweg: ich beginne zu zweifeln zwecks Wegführung und überlege umzudrehen und plötzlich steht der Wegweiser vor mir. Es ist schon eigenartig und ein für mich nicht zu ergründendes Phänomen. Manchmal laufe ich mit Blick auf den Boden, der Weg scheint sich nicht zu ändern, ich hebe den Kopf und sehe, dass der Weg in einen unscheinbaren Trampelpfad einbiegt. Warum habe ich den Kopf gehoben, ich habe doch gar nicht geglaubt abbiegen zu müssen? Einen Meter weiter und ich hätte den Wiesenweg verpasst und es wäre im ersten Moment nicht aufgefallen, denn solange man keinen Wegweiser sieht geht es im Hauptrichtung des Weges weiter. Aber das ist typisch für den Camino. Es ergibt sich immer plötzlich  von alleine und es hat immer seine Richtigkeit. Der Weg führt durch viele kleine Dörfer.



Irgendwann ist es mir zu warm. Mit Jacke ist es zu warm, im T-Shirt zu kalt. Mitten auf der Landstraße ziehe ich mich um. Auf so eine Idee käme ich daheim nicht. Umziehen auf „offener“ Landstraße. Aber hier ist es für mich selbstverständlich. Mit der passenden Kleidung laufe ich weiter. Am Wegesrand treffe ich auf ein Kreuz, wie ich es schon häufig auf der Via Plata gesehen habe, auf dem Primitivo habe ich es noch nicht gesehen. Oben am Kreuz hängt Jesus, auf der Gegenseite seine Mutter Maria und unten hängt „unser“ Jakobus. 




Die Dörfer wirken ärmlich, zum überwiegenden Teil verlassen und viele Häuser zerfallen. Es werden keine Gelder in die Renovierung gesteckt. Obwohl die Dörfer heruntergekommen sind, haben sie sehr viel Charme. In den kleinen Dörfern gibt es nichts, absolut gar nichts. Ich kann verstehen, dass die jüngeren Generationen wegziehen, denn hier kann man sich nicht den Lebensunterhalt verdienen. 


Wald- Wiesenwege und kleine Landstraßen wechseln sich ab. Am Wegesrand find ich eine große Reklame die auf eine Bar hinweist, Getränke, Obst, Brote und Snacks werden angepriesen. Ich freue mich sehr über diesen Wegweiser, denn laut meinem allwissenden Reiseführer gibt es auf diesen 22 Kilometern keine Bar. Aber nur, weil sich nicht im Buch erwähnt ist, heißt es ja nicht, dass es sie nicht gibt. Freudig folge ich meinem Weg. Als ich um einen Kurve laufe sehe ich tatsächlich am Straßenrand die typischen roten Plastikstühle, Bartische und Sonnenschirme. 


Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehe ich die wenigen Mitpilger die in der Nacht in der Herberge übernachtet haben. Freudig laufe ich auf die Bar zu und nichts! Keine Bar, kein Hauseingang – nur Tische und Stühle. Gegenüber der Tische steht ein Snackautomat am Wegesrand. 


Schade, dass war es mit der Bar, einem frischen Kaffee und einem Bocadillo oder Toastada. Ich habe keine Lust auf in Plastik eingeschweißte Croissants oder ekeligen Automatenkaffee, da laufe ich doch lieber weiter. Wie Gabriel es geschafft hat vor mir hier zu sein frage ich mich. Er war mit seiner Hündin hinter mir und plötzlich ist er vor mir ohne mich überholt zu haben. Vielleicht führte die Landstraße, an der Stelle wo ich gezweifelt habe, auch hier hin. Vielleicht wäre der Weg über die Straße kürzer gewesen als durch den Wald. Auch er ist überrascht, dass ich nach ihm ankomme, aber es gibt keine andere Erklärung.                         Am Ortsausgang sitzen zwei kleine Hunde auf einer Gartenmauer und begrüßen mich schwanzwedelnd. Vor diesen Mini-Exemplaren habe ich zur Abwechslung mal keine Angst. 



Auch auf dem Primitivo treffe ich immer wieder auf streunende oder freilaufende Hunde, aber die meisten Hunde bisher waren klein und wirkten wenig bedrohlich. Mit jedem gelaufenen Kilometer zieht sich der Himmel mehr zu und die Wolken werden mehr und mehr. Sonne und Schatten wechseln sich ab und zeitweise zweifele ich daran trocken an mein heutiges Tagesziel zu kommen. 

Über ca. zwei Kilometer folge ich der Bundesstraße und dann biege ich wieder in die Einsamkeit ab. Zwischendurch beginnt es leicht zu regnen, aber der Regen hält nie lange an. Sobald ich zu der Entscheidung komme den Regenponcho anzuziehen und ihn angezogen habe, hört es auf zu regnen. An und aus wechseln sich ab und schließlich lasse ich ihn auf meinem Rucksack hängen. So kann ich bei Bedarf in die Ärmel schlüpfen, ganz schnell, einfach und problemlos. Sonne und Schatten bieten ein wunderschönes Farbenspiel, der Ginster leuchtet auch vor den dunkeln Wolken. 



In der Sonne leuchten Blumen und Büsche. Momentan überwiegen Pisten, Ginster, Heide und halbhohe Büsche. 4 Kilometer vor meinem Tagesziel kann ich Lugo erstmals sehen.


Ich freue mich bald da zu sein, denn der Himmel wird immer dunkler. Und wie es kommen muss: auf den letzten Metern, beim Aufstieg in die Stadt fängt es mit Macht an zu regnen.



Froh bin ich meinen Poncho parat zu haben, so schnell hätte ich mich nicht umziehen können und zum Unterstellen gibt es auch keine Gelegenheit. Wissend, dass es nicht mehr weit ist, erreiche ich Lugo und laufe dem Weg folgend durch den Stadtrand und in die Stadt hinein. 


Kurz hinter dem Stadttor biegt der Weg nach rechts ab und ich bin am Ziel. In der Herberge das übliche Ritual. Ankommen, Bett belegen, Schlafsack auspacken, Duschen. Da es stark regnet und es keine Möglichkeit gibt die Wäsche zu trocknen entscheide ich mich dazu heute meine Wäsche nur zu lüften. In einer Bar esse ich zu Mittag, dann laufe ich kurz durch die Stadt. Ich bin so müde und kaputt, die Beine sind schwer, ich habe keine Energie für eine ausgiebige Stadterkundung. Stadtmauer, Kathedrale und einige Straßenzüge, dass muss reichen, zu mehr bin ich nicht in der Lage.






Gegen Abend trifft Bernadette in der Herberge ein. Wir sind uns seit unserem ersten Abend in Escamplero nicht mehr begegnet. Zwei mir unbekannte Pilgerinnen treffen ebenfalls gegen Abend ein und die Gespräche mit ihnen sind sehr nett. Lydia ist auf dem Camino del Norte gestartet und war mit den Bedingungen und den vielen Straßenkilometern nicht einverstanden, so dass sie sich spontan dazu entschlossen hat, ihren Weg mit den letzten Kilometern auf dem Primitivo zu beenden. Eine junge deutsche Studentin die in Oviedo studiert, hat beschlossen ihr Spanienjahr mit den letzten 100 Kilometern auf dem Primitivo zu beenden. Mit ihrem Sommerkleid fällt sie in der Pilgerherberge richtig auf, denn niemand ist so schick gekleidet. Nach 2 Semestern in Oviedo geht ihr Auslandsjahr zu Ende und ich finde es einen schönen Abschluss für ein erfolgreiches Studienjahr. 



Nach wie vor mache ich mir Gedanken über die Wegführung. Laufe ich morgen nun Richtung Friol, was noch 5 Tage Jakobsweg bedeutet, oder laufe ich die kürzere Wegführung Richtung Melide. Ursprünglich habe ich mir immer gesagt, dass ich über Friol laufen möchte um möglichst spät auf den Francés zu kommen. Die 30 Kilometer bis Friol sind nicht ausgeschildert. Finde ich den Weg? Für den Fall dass ich morgen nach Friol laufe, habe ich in einer pilgerfreundlichen Pension ein Bett für mich reservieren lassen. 


Über Melide bin ich schon in vier Tagen in Santiago und auch das hat sein Gutes: ich bin so erschöpft und müde und ich freue mich mein Ziel zu erreichen. Auch wenn ich viel früher in Santiago ankomme als geplant: ich kann mir nicht vorstellen, noch nach Finisterra zu laufen. Ich kann nicht mehr, meine Beine möchten nicht mehr. Mal sehen, wie ich morgen entscheide und was ich mit meiner verbleibenden Zeit anfange. Wie ich immer sage: es wird sich ergeben.
  
Dia-Show 3: Castro - Lugo