Die Geschichte meines Jakobsweges:
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Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

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El Cubo de la Tierra del Vino - Zamora + Dia-Show

14. April 2011 
El Cubo de la Tierra del Vino – Zamora
32 Kilometer

Die Nacht in der kleinen Herberge in El Cubo de la Tierra del Vino war durchwachsen. Abends kam  ein deutsches Ehepaar hinzu, wir haben uns noch kurz unterhalten und dann bin ich schlafen gegangen. Obwohl ich kein Langschläfer bin habe ich mir meinen Wecker im Handy gestellt. Ich liebe es in der Morgendämmerung und in der aufgehenden Sonne zu laufen. Die Natur wirkt am Morgen noch so frisch, die Vögel singen besonders intensiv und laut – oder das Gezwitscher fällt wegen der noch fehlenden Alltagsgeräusche mehr auf.
In der ersten Nachthälfte habe ich gut und tief geschlafen. Nach einem merkwürdigen Traum wurde ich wach und konnte nicht wieder einschlafen. Bei jeder noch so kleinen Bewegung hat das Bett gequietscht. Bei dem Bett dürfte es sich um das gleiche Modell handeln, wie im Kloster in Alcuescar letztes Jahr. Optisch das gleiche Modell und das Quietschen ist identisch.
Aber auch diese Nacht geht zu Ende und so stehe ich im Dunkeln um 6.45 Uhr, noch vor demWeckerklingeln, auf und packe meinen Rucksack. Die Eingangstür der Herberge ist noch geschlossen, aber in der Hoftür steckt ein Schlüssel und so starte ich in einen neuen Tag.
Im Dorf laufe ich noch an den beiden Bars vorbei, aber wie nicht anders erwartet, ist um diese Uhrzeit nichts geöffnet. In 13,7 Kilometern gibt es Frühstück im ersten Dorf.
Jetzt, Mitte April, setzt die Dämmerung gegen 7 Uhr morgens ein.


Es ist kein Problem den Weg zu finden. Sicherheitshalber packe ich meine kleine Taschenlampe aus, aber eigentlich brauche ich sie nicht. Der Weg ist schon gut zu sehen – ich bin niemand der im Dunkeln gehen würde. Zuerst führt der Weg auf der Landstraße aus dem Dorf hinaus und biegt dann links in eine Piste ab. Die Piste führt parallel an alten, stillgelegten Bahngleisen lang.


Das Gezwitscher der Vögel ist wunderschön. Ich bleibe stehen und höre dem Gesang in aller Ruhe zu. Aus einem nahen Teich mischt sich ein lautes Froschgequake hinzu. Raubvögel und Störche sind heute morgen noch nicht zu sehen, weder in der Luft noch bei der Futtersuche.
Aus den Teichen steigt Nebel auf, die Landschaft ändert sich langsam. Zwar laufe ich weiter durch die Meseta und ihre Felder, aber die Erde ist nun deutlich roter als zuvor.


An einem einsam wirkenden Hof kommen mir plötzlich zwei Hunde bellend entgegen gelaufen. Wieder bekomme ich es  mit der Angst zu tun und wünsche mir andere Pilger herbei. Es kann mir kein anderer Pilger zur Hilfe kommen. Wir waren nur zu fünft in der Herberge und als ich gestartet bin lagen alle anderen Mitpilger noch schlafend im Bett. Warum habe ich immer so einen Angst vor diesen freilaufenden, streunenden Hunden? Eigentlich mag ich Hunde, aber hier in der Einsamkeit habe ich doch Respekt vor ihnen, dabei habe ich noch nie schlechte Erfahrungen mit Hunden gemacht?! Ich bücke mich schnell und nehme zwei Steine in die Hand und gehe mutig voran, wissend dass mir die beiden Steine notfalls auch nicht helfen können. Die Hunde kommen auf mich zu und bleiben auf dem Weg stehen und bellen. Während ich mich ihnen näher weichen sie zurück und geben den Weg frei ohne mich weiter zu beachten. Die Hunde tun nichts, und dennoch eine Restangst bleibt…
Diese beiden Hunde sind bestimmt nicht die Letzten ihrer Art gewesen auf die ich während meiner Reise treffe. Vielleicht schaffe ich es irgendwann einmal cool an ihnen vorbeizulaufen. Immer geradeaus steigt die Piste langsam an und ich erkenne am Horizont ein verändertes Landschaftsbild.




An Kiefern und weiteren Tümpeln biegt der Weg um eine Ecke und ich sehe unter mir ein Dorf liegen, von dem ich annehme dass es neben dem Weg liegt und nicht mein Frühstücksort ist. Und so ist es auch, der Weg führt in geringem Abstand an dem Dorf vorbei auf Rapsfelder zu. Die Rapsfelder leuchten in der strahlenden Sonne und bringen endlich etwas Farbe auf meinen Weg.
                                               


Am Rand stehen kleine Annemonen und Zistrosen. Es duftet und leuchtet und die Farben tun dem Auge gut, nachdem es seit zwei Tagen nur braune unbestellte und grüne Felder zu sehen bekommen hat. Die Piste führt durch die Rapsfelder und wird immer zerfurchter und unebener, aber sie führt nach Villanueva de Campeán. Villanueva de Campeán ist ein Dorf wie viele andere.



Es gibt viele zu verkaufende und zerfallende Häuser – aber es gibt sogar zwei kleine Herbergen und eine Bar. Im ersten Moment bin ich erschrocken, niemanden in der Bar zu sehen und vor einer verschlossenen Tür zu stehen, aber die Barbesitzerin kommt aus der gegenüberliegenden privaten Herberge die sie auch betreibt und öffnet mir die Bar. Sie ist erstaunt, dass ich schon so früh am morgen da bin – so früh hat sie den ersten Pilger nicht erwartet. In der Bar lasse ich es mir mit einem Bocadillo und einem Kaffee gut gehen, ziehe meine Wanderschuhe aus und nehme mir einen zweiten Stuhl für meine Beine. Ob die Spanier dieses Verhalten mögen kann ich nicht sagen, aber sie sind so höflich und tolerieren es bei Pilgern. Da es inzwischen draußen sehr heiß geworden ist kaufe ich in der Bar eine große Flasche Wasser. Nach der Pause liegen fast 19 weitere Kilometer vor mir. Strategisch wäre es mir lieber, wenn zuerst die lange und dann die kurze Etappe zu laufen wäre – dann hätte ich zur Pause schon mehr als die Hälfte des Weges hinter mir, aber ich muss die Dörfer und Städte mit ihren Entfernungen so nehmen wie sie kommen. Nach der halbstündigen Pause mache ich mich auf den zweiten Teil meines heutigen Weges. Gut, dass ich mich vor meiner Reise noch dazu entschieden habe eine Sonnenbrille anfertigen zu lassen. Die Sonne ist blendend hell, aber ich genieße diese für mich ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres. Der Weg bleibt weiter uneben, zerfurcht und sandig. Das Laufen wird durch den weichen Sand etwas erschwert, aber ich laufe leicht und beschwingt durch die Felder. Kirschbäume stehen am Wegesrand und blühen wunderschön.




Viele Bauern bestellen ihr Land und grüßen vom Traktor herunter. Ich werde von einigen Radpilgern überholt, aber das sind auch die einzigen Pilger die ich heute bisher auf dem Weg getroffen habe. Die Piste geht in einen Wiesenweg über und führt durch ansteigende Felder hinauf auf eine Straße. Es wird immer wärmer und heißer und ich fühle mich erschöpft.
Mein Knie tut in einer Art und Weise weh, wie ich es nicht kenne. Die Straße führt über eine Bergkuppe und ich kann in der Ferne Zamora erstmals sehen. Zamora ist zu diesem Zeitpunkt immer noch 11,4 Kilometer entfernt. Lange bleibt der Weg nicht auf dem Seitenstreifen der Straße, aber die kurze Straßenstrecke reicht um vom vielen Autofahrer hupend gegrüßt zu werden. Generell sind die Spanier gegenüber Pilgern sehr freundlich. Häufig wird man angesprochen und winkend oder hupend gegrüßt. Wir Pilger sind eindeutig als Pilger zu erkennen. Es ist keine Frage wohin der Weg uns führt, eher kommt die Frage auf wann und wo wir gestartet sind. An einem nachgemachten römischen Meilenstein mit einem metallenem Pilgerstab mache ich eine Pause und ziehe mir meine Kniebandage an. Super, ich bin drei Tage unterwegs und mein linkes Knie, dass noch nie Probleme gemacht hat, fängt an zu schmerzen. Auch dieses Plätzchen wurde schon öfter von Pilgern als Pausenort genutzt, die Bananen- und Apfelsinenschalen im Gebüsch sind ein eindeutiges Zeichen.  Ich werde von einem mir bis dahin unbekannten Pilger überholt. Ich frage mich woher er kommt. Aus dem letzten Dorf, Villanueva de Campeán, kann er nicht kommen – so spät startet niemand. In El Cubo de la Tierra del Vino hat er nicht in der Herberge geschlafen, aber vielleicht in einer Pension, denn um diese Uhrzeit kann er auch nicht schon aus Calzadilla hier sein. Es bleibt ein Geheimnis des Weges wo einige Pilger plötzlich herkommen! Da meine Energie inzwischen nachlässt hänge ich mich an den vor mir laufenden Pilger. Wir haben das gleiche Lauftempo und so lasse ich mich mitziehen. Wir kommen kurz in´s Gespräch, aber es ist mühselig, da ich kein französisch spreche. Der Pilger heißt Josef – mehr erfahre ich von ihm nicht. Die Piste zieht sich in die Länge, ich habe das Gefühl, der Weg wird und wird nicht kürzer und Zamora nähert sich nicht.




Immer wieder kann man die Silhouette  der Stadt sehen, aber die Kilometerangaben am Wegesrand werden nur langsam weniger. Da ich ein dringendes Bedürfnis habe nutze ich die Gelegenheit und springe kurz hinter ein Gebüsch, mit verheerender Wirkung. In der Wiese muss mich irgendein Ungeziefer gebissen haben. Oberhalb des Wanderschuhes fängt es an zu brennen und zu jucken. Nach kurzer Zeit kann ich meinen Wanderschuh nicht mehr am Fuß ertragen. Es ist so heiß, ich kann nicht mehr und nun auch noch ein heftiger Ausschlag am Unterschenkel. Drei Kilometer vor Zamora weiß ich nicht mehr, wie ich noch laufen soll. Mir geht vieles durch den Kopf. Kann es sein, dass ich dieses Mal Santiago nicht erreichen werde?
Ich sage mir immer, die Gesundheit steht an erster Stelle und diese ersten drei Tage sind mir sehr, sehr anstrengend vorgekommen, obwohl es mehr oder weniger keine Steigungen gab und die Etappen nicht sehr lang waren. Vielleicht war die Entscheidung 10 Tage nach einer Bauch-OP auf den Weg zu starten nicht klug – aber zu diesem Zeitpunkt konnte und wollte ich die Reise nicht mehr aufgeben, nicht so kurz vorher.
Erschöpft setzte ich mich neben eine Hausmauer. Es gibt nur diese wenigen Zentimeter Schatten, aber ich muss dringend aus der Sonne raus. Ich ziehe meine Wanderschuhe aus und schaue mir mein Problem an. Von der Kniekehle bis zum Zeh zieht sich ein dicker roter Ausschlag. Die Pusteln im Schuhschaft sind teilweise aufgescheuert. Ich kann nicht einmal mehr meine Strümpfe auf der Haut ertragen – es schmerzt und juckt. Worauf ich so reagiere ist mir ein Rätsel. In meiner Verzweiflung ziehe ich meine Crocs an und nehme die Wanderschuhe in die Hand und begebe mich auf die letzten drei Kilometer. Nach kurzem führt die Piste auf die Straße in das Stadtzentrum Zamoras. Ich bin so froh, dass ich da bin und muss mir die Tränen verkneifen. Ich kann nicht mehr, wo ist denn endlich die Herberge?
Die Straße führt am Rio Duero lang und es ergibt sich ein wunderschöner Blick auf die Altstadt Zamoras, aber ich kann den Blick nicht genießen.




Irgendwo und irgendwann muss die Brücke kommen, die den Fluss überquert und in die Altstadt hineinführt. Es ist um meine Fassung geschehen, als ich die Brücke überquere und nach wenigen Metern vor der Herberge stehe. Hauptsache die Herberge ist geöffnet und hat ein Bett für mich. Laut Pilgerführer gab es früher nicht durchgehende Öffnungszeiten in der Herberge. Aber nachdem ich schelle wird mir direkt geöffnet und ich kann hereinkommen. Die Hospitaliera sieht wie es mir geht und bietet mir erst einmal Wasser, Obst und einen Stuhl an. Die Herberge ist wunderschön, hohe Etagenbetten, Nachtschränke und Dusche und WC am Zimmer. Nach der Dusche und einer kurzen Pause geht es mir etwas besser, aber mein Ausschlag macht mich verrückt. Ich zeige der Hospitaliera mein Problem und sie erschrickt bei dem Anblick und erklärt mir den Weg zur Apotheke. Eigentlich möchte ich mir Zamora anschauen, aber ich bin so kaputt, dass ich diese Stadt nicht genießen kann. Da noch Siesta ist laufe ich kurz in der Altstadt umher, trinke einen Kaffee mit Gebäck und schaue mir die Kathedrale an. Eigentlich kostet die Besichtigung der Kathedrale Eintritt, aber nachdem ich erwähne, dass ich Pilgerin bin, darf ich nach Vorlage meines Pilgerausweises die Kirche umsonst besichtigen.



Das so gesparte Geld investiere ich anschließend in der Apotheke. Auch der Apotheker erschrickt beim Anblick meiner Beine und klärt mich darüber auf, dass es wahrscheinlich eine Reaktion auf den Prozessionsraupenspinner ist, der in Wiesen und Bäumen lebt. Das kommt schon hin, da der Ausschlag nachdem ich im Gebüsch in der Wiese war, entstanden ist. Mit einem Antiallergikum und einer juckreizhemmenden  Creme begebe ich mich wieder zur Herberge. Von der Hospitaliera bekomme ich Eis zum Kühlen meiner Beine und lege mich in mein Bett. Aus der Besichtigung Zamoras wird nichts, ich fühle mich krank und grübele darüber, ob ich meine Reise fortsetzen kann.
In der Herberge treffe ich Wolfgang. Wolfgang möchte abends gemeinsam kochen. Wir kochen zusammen, das heißt: Wolfgang kauft ein und ich koche. Es gibt Nudeln mit Tomatensauce. Wir stehen gemeinsam vor dem Hightech-Ofen und schaffen es nicht ihn zu bedienen. Auch die Hospitaliera hat Probleme den Herd anzustellen. Zu sechst schaffen wir es endlich den Ofen zu bedienen. Es gibt Nudeln, ein typisches Pilgergericht. Viel mehr zu kochen ist nicht möglich, weil die Zutaten und die Gewürze fehlen. Der Abend klingt beim Essen nett aus, zwei amerikanische Pilger setzten sich noch dazu und wir unterhalten uns angeregt und lassen den Abend ruhig ausklingen.
Ich fühle mich besser, die Rötung an den Beinen geht zurück, vielleicht kann ich morgen weiter laufen. Ich möchte nicht schon nach drei Tagen aufgeben - nicht nach nur drei Tagen. Aber ich muss positiv nach vorne schauen: Ich habe heute 32 Kilometer geschafft, bei heißem Wetter und am Ende schwierigen Bedingungen, aber ich habe es geschafft. Darüber wie ich bei meiner Ankunft in Zamora ausgesehen haben muss kann ich schon wieder lachen. Pilgerin mit Rucksack, in Crocs und die Wanderschuhe in der Hand haltend – ein nicht alltäglicher Anblick, aber ich habe es geschafft und hoffe dass es morgen weiter geht!



Dia-Show: Salamanca - Zamora

2 Kommentare:

  1. Hallo Anne,
    schön wieder etwas neues von dir zu lesen. Bis hierher bin ich heute mit dem Lesen gekommen. Die Dia-Show muß bis zum nächsten Besuch warten. In 4 1/2 Stunden klingelt nämlich der Wecker zur Früschicht.
    Ich hoffe doch, dass dein weiterer Weg weniger beschwerlich für dich war.
    Liebe Grüße Thomas

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  2. halloo anne,
    ich hab dieses jahr in süditalien bekanntschaft mit dem eichenpozessionsspinner gemacht. und es gibt auch jetzt, 2 monate später noch täglich neue juckstellen. war das auch bei dir so? was hast du dagegen gemacht? ich finde es schrecklich! tiesno aus norddeutschland

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