Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Tábara - Santa Croya de Tera + Dia-Show

18. April 2011
Tábara – Santa Croya de Tera
22,5 Kilometer

Die Nacht in der erstmals vollen Herberge war besser als erwartet. Ein Pilger, aus einer spät ankommenden Dreier-Gruppe wollte nicht in ein Hostal ausweichen und schlief in der Küche auf der Isomatte.
José, ein wirklich netter spanischer Pilger, schlief über mir. So gern ich José als Mitpilger mag, so ungern habe ich es wenn er in meiner Nähe schläft. Seit ich José erstmals getroffen habe, hat er noch kein einziges Mal seine Kleidung gewaschen, geduscht wird auch nicht täglich. Nach der Ankunft wird die getragene, verschwitzte Kleidung im Zimmer über das Bettgestell zum Lüften gehangen und das war es. Man könnte durchaus auf einer Pilgerreise auch einmal seine Kleidung waschen, oder draußen an der frischen Luft zum Ausdünsten aufhängen. José ist der einzige Pilger der es jeden Tag durchhält mit langärmeligem T-Shirt und winddichter Softschelljacke den Weg zu absolvieren. Ich würde einen Hitzeschlag bekommen und tot umfallen.
Dezent habe ich die Kleidung über einen Stuhl im Zimmer gehangen und diesen weit vom Bett weggestellt. José hat alles wieder an das Bettgestell gehangen. Um dem Geruch etwas zu entgehen habe ich das Kopfende meines Bettes kurzer Hand an das Fußende verlegt, so habe ich wenigstens etwas Luft zum Atmen. Ein zweites Erschwernis kommt noch hinzu. Abends gibt es eine Sportart unter den Pilgern namens Fenster-auf-Fenster-zu. Die Spanier lieben es bei geschlossenen und verdunkeltem Fenstern zu schlafen. Je weniger Luft in einen kleinen Raum kommt desto besser. Abends werden die Fenster abwechselnd von allen Pilgern auf und zu gemacht. Es stellt sich nur die Frage: wer hält am längsten durch oder schläft als letztes ein. Ich belege mit Vorliebe ein Bett am Fenster um die Möglichkeit der Luftzufuhr zu haben. Viele der Herbergen sind klein mit vielen Betten im Verhältnis zur Größe, da wird es nachts ganz schön stickig.
Heute Nacht, es ist die Nacht vom Palmsonntag zur Karwoche, scheint der Vollmond groß und klar vom sternenklaren Himmel. In einer Woche ist Ostern.
In meinem Bett komme ich mir vor wie in einem kleinen Boot auf dem Ozean bei hohem Wellengang. José über mir im Bett hat einen sehr unruhigen Schlaf, wälzt sich hin und her und versetzt das Bett in starke Schwingungen. Nach einer durchwachsenen Nacht stehe ich morgens um 7 Uhr gerädert auf und breche zur nächsten Etappe auf.
Eigenartiger Weise finde ich weder meine Zahnbürste noch meine Zahnpasta in der Herberge oder meinem Rucksack wieder. Ich frage mich, wie ich in den kleinen Dörfern an eine neue Zahnbürste kommen soll, aber es wird sich eine Lösung finden.
Die Herberge liegt am Dorfrand und führt ohne an einer Bar vorbeizukommen aus dem Dorf heraus. Die Kennzeichnung des Weges ist nicht immer übersichtlich und deutlich, ich muss nach dem Weg suchen, finde aber relativ schnell wieder den nächsten Wegweiser. Vincenzo scheint es ähnlich wie mir zu gehen, er sucht nach dem Weg, läuft aber sehr bestimmt auf der Straße in die falsche Richtung.



Ich rufe ihm nach, aber er scheint mich nicht zu hören. Da er sich in seinem rasanten Tempo immer weiter entfernt nehme ich meine Trillerpfeife und pfeife ihm nach und klatsche in die Hände. Endlich hört er mich und ich weise ihn auf seinen Fehler hin. Dankbar dreht er um und entschwindet schnell wieder in seinem flotten Lauftempo meinem Blickfeld.
Die Sonne geht rot und leuchtend über einem kleinen Hügel zu meiner rechten Seite auf.



Leider stört die rechts von mir verlaufende Straße die Idylle, aber ich genieße den Sonnenaufgang. Schnell entschwindet die Straße meinem Blickfeld und es geht auf einer Piste durch eine Busch-, Strauch- und Wiesenlandschaft. Hoch und runter, mal steiler mal weniger steil führt der Pfad durch die Natur. Die Wegqualität ist unterschiedlich – mal Piste, mal zerfurchter Wiesenweg, mal unebener Holperweg. Laut meinem Pilgerführer soll ich mich hier in einer Region befinden, in der es noch frei lebende Wölfe gibt. Verhaltenshinweise für den Fall einer Begegnung mit einem solchen Tier gibt das Buch nicht. Angst habe ich keine, es wäre schon ein Wunder einen Wolf in freier Wildbahn zu treffen. Ich habe heute weder Kaffee noch Frühstück vor meinem Start zu mir genommen. Da ich aber seit drei Tagen eine Dose Thunfisch, die wir beim Kochen in Zamora vergessen haben, umhertrage, setzte ich mich nach 10 Kilometern auf einen Wegweiser und öffne die Dose Fisch zum Frühstück. Auf diese Art und Weise würde ich zu Hause niemals frühstücken – eine Dose Fisch, aber ich habe Hunger und benötige etwas Energie. Ich sollte auf meiner Wanderung mehr auf die Wochentage achten. Am Samstag habe ich mir keine Gedanken zum Wochenende gemacht, sonst hätte ich versucht einige Lebensmittel zu besorgen. Andererseits: Mein Rucksack kommt mir heute so schwer vor wie nie zuvor, mein Rücken macht sich bemerkbar und schmerzt. Lange bleibe ich nicht auf dem Wegweiser sitzen, noch steht die Sonne nicht sehr hoch, die Temperaturen sind kühl und windig. Erstmals sind heute einige Wolken am Himmel zu sehen, die so aussehen, als ob sie Regen bringen könnten, aber noch sind sie klein.



Über den Rand eines Hügels steige ich hinab auf eine Landstraße die auf ein Dorf zuführt. Dem Ortsschild entnehme ich, dass ich in Villanueva de Penabres bin. Laut meinem Pilgerführer gibt es dieses Örtchen nicht auf der Via de la Plata, aber die Wegführung war eindeutig. Frei von jedem Zeit- und Kilometergefühl kann ich nicht sagen wie weit es noch bis zum heutigen Etappenziel ist. Die Bar im dem Dorf hat geschlossen, dabei ist es kurz nach 10 Uhr am Vormittag. Was Vincenzo kann, kann ich auch und so klopfe ich vorsichtig an die Eingangstür der Bar und nach kurzer Zeit wird mir geöffnet. Natürlich kann ich einen Kaffee bekommen, es ist gar kein Problem, nur Bocadillo oder Tostada sind nicht möglich. Alternativ werden mir zwei Madeleines angeboten und ich nehme dieses Angebot gerne an. Da die Fensterläden der Bar für mich nicht geöffnet werden und auch das Licht nicht angestellt wird, setze ich mich nach draußen an die Luft. Ich will nicht wissen wie alt die Madeleines sind, sie sind hart und trocken, aber mit genügend Kaffee bekomme ich sie runter. Ich frage wie weit es noch nach Santa Croya de Tera ist und erfahre, dass ich noch ca. 7 Kilometer zu laufen habe. Nach der kurzen Pause hält es mich nicht länger in dem trostlosen Dorf. Ich folge den gelben Wegweisern und stehe auf einer Landstraße, bin mir aber nicht sicher, ob ich wirklich richtig bin. Da zwei Bauarbeiter an einem Haus werkeln erkundige ich mich nach dem Weg und erfahre, dass ich 100 Meter zurück laufen muss – zwischen zwei Häusern führt ein kleiner Weg wieder auf die Piste. Ich wunder mich etwas, da ich plötzlich der Sonne entgegenlaufe, aber irgendwo wird der Weg wieder in die richtige Richtung abbiegen.


Und siehe da: Wo der Berg zu meiner linken Seite am steilsten ist, biegt der Weg ab und steigt steil auf einer Schotterpiste bergan. Für einige hundert Meter geht es steil bergauf, mein Puls beschleunigt sich, aber dann ist es geschafft.



Auf der Höhe führt der Weg an einem wunderschönen Froschtümpel vorbei. Ich liebe dieses laute Froschgequake und habe jedes Mal großen Spaß daran. Der Weg bleibt in der Höhe und führt durch stark riechende, aber leider noch nicht blühende, Zistrosensträucher geradeaus. Inzwischen ist es wieder sehr warm geworden, in der Sonne summen Bienen und Wespen, Schmetterlinge genießen den Sonnenschein. Es macht großen Spaß die Natur laufend zu erleben.



Was verpasst mal alles, wenn man schnell mit dem Auto durch die Gegend fährt. Auf einer Lichtung steht eine kleine Bretterbude. Dieser Picknickplatz wurde von den Herbergsbesitzern im nächsten Dorf errichtet. Anita und Domingo machen schon seit einigen Tagen am Wegesrand für ihre private Herberge in Santa Croya Reklame.




Nur zwei Kilometer hinter der Lichtung fällt der Weg steil ab und Santa Croya de Tera ist zu sehen. Schnell bin ich im Dorf und das mir bekannte Anne-Phänomen setzt ein. Bis zum Dorfrand kann ich mühelos laufen, und die letzten Meter ziehen sich in die Länge, meine Energie schwindet. Ich habe das Gefühl, das Dorf nimmt kein Ende – und die Herberge ist das vorletzte Haus im Dorf. Aber auch diese letzten Meter schaffe ich, und bin erfreut eine schöne, einladende Herberge zu betreten.
Die Hospitalierafamilie ist sehr nett und hilfsbereit. Ich werde herzlich willkommen geheißen und gehe als erstes in die Dusche. Zahlen und stempeln erledige wenn ich mich etwas erholt habe. In einem Schlafsaal stehen etliche Etagenbetten, im Eingangsbereich gibt es eine Sitzgelegenheit, einen Tresen, Getränkeautomaten und einen PC. Herbergsvater Domingo berät jeden nach seinen Lauffähigkeiten über die nächsten Etappen, Tochter Anna kocht für das Abendessen. In dem schönen Herbergsgarten sitze ich in der Sonne und schreibe mein Tagebuch und tue sonst gar nichts. Die Schuhe stelle ich zum Lüften auf die Fensterbank des Schlafsaales.



Nach einer angemessenen Erholungszeit mache ich mich wieder voller Energie auf einen Rundgang durch das Dorf. Nur 1km nach Santa Croya de Tera kommt das Dorf Santa Marta de Tera. In Santa Marta gibt es an der Kirche die älteste bekannte figürliche Darstellung einer Jakobusfigur. Ich schaue mir die Figur an der Kirche an und trinke in der Bar an der Plaza einen Kaffee.




Nach dem Kaffee begebe ich mich wieder zur Herberge zurück. Der kleine pilgernde Terrier Dosty ist auch wieder mit seinem Herrchen in der Herberge. Dosty muss in einem Nebenraum schlafen, bekommt aber eine eigene Isomatte, damit er nicht auf dem kalten Boden liegen muss.
Im Eingangsbereich der Herberge liegt ein deutscher Bildband zur Via de la Plata aus. Ich blättere das Buch durch und sehe auf einem Foto einen Pilger mit Hund. Der Hund sieht aus wie Dosty, der Pilger wie sein Herrchen. Erstaunt und neugierig lese ich den Text zum Bild und lese, dass der Hund auf dem Bild Dosty heißt. Es ist tatsächlich der Hund den ich schon mehrfach auf meiner Reise getroffen habe.

Ich zeige dem Hundebesitzer das Foto im Bildband und er beginnt zu strahlen. Das Bild stammt von der Pilgerreise, die er 2009 auf der Via gemacht hat. Der kleine Terrier hat seine eigene Credencial und hat nach seiner Ankunft in Santiago 2009 eine eigene Compostela erhalten. So ein Zufall!
In der Zwischenzeit sind Wolken aufgezogen und es sieht immer mehr nach Regen aus. Meine Mitpilger sind alle im Dorf unterwegs, ich beobachte die Wolken und die trocknende Wäsche. Mit dem ersten Donnerschlag stehe ich auf, es beginnt stürmisch zu winden, und nehme die Wäsche für alle ab und stelle die Schuhe in´s Haus. Es wäre schade, wenn die fast trockene Wäsche wieder nass wird.
Das Abendessen wird von der Tochter des Hauses lecker zubereitet und gekocht. Jeder darf Wünsche äußern und es wird ein netter Abend. Zum Abschluss des Tages werden Fotos vor dem Haus von der Pilgertruppe des Tages gemacht. Die Hospitalierafamilie führt ein fotografisches Tagebuch. An immer verschiedenen Stellen um das Haus und im Haus herum wird täglich fotografiert. Ich werde nach meiner Ankunft im Alltag die nette Familie anmailen, vielleicht ist es möglich ein Foto aus dieser Serie zu bekommen.
Wie gestalte ich meine nächsten Etappen? Die Planung ist nicht ganz leicht. Für morgen ist alles klar, ich laufe bis Rionegro del Puente, aber danach? Nach Mombuey sind es nur 10 Kilometer, aber die nächsten Herbergen in laufbarer Entfernung haben nur 4 Betten. Was mache ich wenn diese 4 Betten belegt sind? In Asturianos soll es noch eine neue kleine Herberge mit 6 Betten geben, die wenige bekannt und daher nicht angelaufen wird. Ich weiß es noch nicht, aber es wird sich ergeben. Für die nächsten Tage ist Regenwetter angesagt, die Wolken sind am Abendhimmel schon zu sehen. Ich  hoffe, das Wetter wird nicht zu arg, aber ich muss es nehmen wie es kommt - ich kann es nicht ändern.
 

Dia-Show:
Zamora - Santa Croya de Tera

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