Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Asturianos - Puebla de Sanabria

21. April 2011
Asturianos – Puebla de Sanabria
15 Kilometer

Die Nacht in der kleinen Herberge im Turnhallengebäude war sehr erholsam, ich habe sehr gut geschlafen. Wolfgang und José haben sich das Fußballspiel in der kühlen, zugigen Bar angesehen, ich habe sie nicht mehr kommen hören.
Morgens beim Erwachen ist die Luft im Schlafzimmer der Herberge sehr feucht, Kondenswasser hat sich auf den Fensterscheiben niedergeschlagen, die Kleidung fühlt sich etwas klamm an. Aber das Gute: Schon beim Entfernen des Ohropax vernehme ich eine große Stille. Es hat aufgehört zu regnen, kein Regentropfen prasselt auf das Flachdach. Ich bin erfreut und schaue aus dem Fenster. Der Himmel sieht viel freundlicher aus als am Vortag. Es sind Wolken in verschiedenen Grautönen zu sehen, aber die Wolken sind grau und nicht schwarz wie am Vortag.
Gut gelaunt, auch wenn die Wettervorhersage für heute weitere Regenfälle angesagt hat, starte ich auf meinen heutigen Weg. Auf den ersten Metern muss ich etwas nach den Wegweisern suchen, da ich gestern bei der Ankunft einen kleinen Umweg über die Bar an der Plaza gelaufen bin, aber schnell bin ich auf dem Weg.


Eine Landstraße führt aus dem Dorf hinaus und mündet in die Nationalstraße, der ich folge. Nach einiger Zeit teilt sich der Weg in einen Fuß- und Radweg. Die Radpilger bleiben auf der Straße, die Fußpilger biegen nach rechts in einen Feldweg ein.

Der Weg wird zu einem sumpfigen Wiesenweg und ich erahne was mir heute bevorsteht. Die Wiesen stehen unter Wasser, alles ist feucht und nass. Noch schaffe ich es die Pfützen zu umlaufen und hoffe, dass es so bleibt. Der Weg führt durch ein Gebiet in dem es vor einiger Zeit gebrannt haben muss. Die Bäume sind alle schwarz und verkohlt, aber überall sprießt schon wieder ein zartes grün.



Rechts und links des Weges stehen verfallene Mauerreste, aber die Mauern führen dazu, dass das Wasser nicht einfach nach rechts und links ablaufen kann. Der Weg ist manchmal schlecht zu erkennen, große eindeutige Wegweiser gibt es nicht, aber auf einigen Steinen am Boden sind die typischen gelben Pfeile zu finden. Nach einiger Zeit komme ich an eine Stelle, an der es kein Durchkommen gibt. Der komplette Weg ist großräumig überschwemmt, scheinbar eine bekannte, überschwemmungsgefährdete Stelle. In dem kleinen See liegen kleine Feldsteine zum Drüberbalancieren. Erstmals auf meinem Weg vermisse ich Wanderstöcke. Noch nie bin ich mit Wanderstöcken gelaufen, ich fühle mich mit diesen Dingern nicht wohl, aber nun hätte ich gerne welche. Verzweifelt stehe ich vor dem Wasserloch und überlege mir meine Möglichkeiten. Ein langer, stabiler Ast, den ich als Hilfe zur Überquerung für mein Gleichgewicht nehmen könnte gibt es nicht. Soll ich meine Schuhe ausziehen und barfuß hindurchwaten? Das Wasser ist trüb und ich erkenne den Untergrund nicht – auch diese Möglichkeit stellt Gefahren dar. Soll ich umkehren, einige Kilometer zurücklaufen und die Straße nehmen – so groß ist der vor mir liegende Teich auch nicht?
Beherzt entschließe ich mich zu einem Balancierversuch. Vorsichtshalber, für den Fall eines Sturzes, verpacke ich meinen Fotoapparat in einem wasserdichten Beutel im Rucksack.
Erst zögerlich, dann mit flotterem Schritt mach ich mich an die Überquerung und ich schaffe es ohne Sturz. Einige der im Wasser liegenden Steine wackeln, aber ich komme so trocken wie es eben unter den Bedingungen geht jenseits der Wasserlache an. Geschafft! Aber wie mag der weiter Weg heute aussehen?


Kurz nach dem Tümpel komme ich wieder auf die Straße und folge ihr zum nächsten Dorf. Leider gibt es in diesem Dorf keine Bar oder Einkehrmöglichkeit, alles hat geschlossen. Einen Wegweiser scheine ich übersehen zu haben oder ich bin irritiert links des Weges eine Kirche zu sehen, da der Reiseführer erwähnt, dass ich an einer Kirche vorbeikomme.




Ich biege nach links zur Kirche ab, werde aber nach wenigen Metern von einem Bauern in die gegengesetzte Richtung geschickt. Auf der rechten Straßenseite liegt hinter einer Kurve eine zweite kleine Kirche, ein mir etwas unheimlich erscheinender, ungepflegt aussehender, mittelalter Mann weist mich ebenfalls auf den richtigen Weg und schaut mir mit merkwürdigem Blick nach. Ganz wohl fühle ich mich nicht, nach der Begegnung mit einer etwas fragwürdigen Gestalt in einen einsamen Waldweg abzubiegen. Immer wieder schaue ich mir um, bis ich mir ganz sicher bin, dass mir niemand folgt. Auch der nun folgende Weg durch die Wiese ist erwartungsgemäß nicht trockener, als die zuvor durchwanderten Wege.



Auf schönen, verwunschenen Waldwegen führt der Weg mich weiter. Rechts und links des Weges stehen viele alte Mauern und sammeln das Wasser auf dem Weg. Wenn der Weg zu stark überschwemmt ist, gucke ich über die Mauern, in der Hoffnung, dass es auf der anderen Mauerseite trockener ist. Zeitweise ist die Wiese jenseits der Mauer trockener und der Trampelpfad auf der anderen Mauerseite zeigt mir, dass ich nicht die erste Pilgerin ist, die einen Ausweg aus der Nässe gesucht hat. Ich überklettere die Mauern und laufe einige Meter rechts, einige Meter links der Mauern – je nach dem, wo der Weg weniger überschwemmt ist.




An einer sehr matschigen, unebenen Stelle geschieht es dann: Ich rutsche im Matsch weg und falle auf die rechte Schulter und Hüfte. Einen kurzen Moment bin ich geschockt, springe dann schnell wieder auf. Es ist nichts passiert, aber ich sehe aus wie eine Drecksau. Ich bin verschlammt von oben bis unten und beschließe bei der nächsten Möglichkeit auf der Straße zu bleiben und nicht weiter dem Originalweg zu folgen. Wie es so will, lässt die nächste Möglichkeit die Straße zu erreichen auf sich warten und ich wate weiter tapfer durch den Sumpf. Eigentlich handelt es sich bei der heutigen Etappe um eine wunderschöne Strecke, aber es ist eindeutig zu nass und feucht auf dem Weg, auch wenn es bisher heute noch nicht geregnet hat. Am Himmel sind größer werdende Wolken zu sehen, aber noch haben sie keine bedrohlichen Ausmaße angenommen, kurzfristig kommt sogar die Sonne zwischen den Wolken zum Vorschein. Erst in Triufé, einem zerfallenem Dorf, komme ich wieder auf die Straße und von hier aus folgt der Weg dem Verlauf der Landstraßen.


In Otteiro de Sanabria komme ich an der Kirche mit dem bekannten Höllenrelief vorbei. Das Relief habe ich mir viel größer vorgestellt, es ist aber relativ klein und in den oberen Teil einer Holztür eingelassen. Dieses Relief soll den Pilgern im Mittelalter gezeigt haben, was sie erwartet, wenn sie nicht pilgern, wallfahren oder sich den christlichen Geboten widersetzten. Das Relief zeigt Menschen, die im Höllenfeuer schmoren und leiden.





Durch etliche kleine, vom Verfall gekennzeichnete, Dörfer führt der Weg. Seit meinem Sturz habe ich beschlossen, dass ich heute nur bis Puebla de Sanabria laufe. Das ist zwar eine kurze Strecke von nur 15 Kilometern, aber in Anbetracht der aufziehenden großen Wolken, meinem durchnässtem, verschlammten Aussehen, für mich und heute richtig. Mit diesem Entschluss kommt auch die Frage nach der nächsten Etappe auf. Auch für morgen ist wieder sehr schlechtes Wetter angesagt, erst übermorgen am Karsamstag, soll es eine Wetterbesserung geben. Nun ja, ich werde den Tag morgen auf mich zukommen lassen, und dann überlegen wie es weiter geht. Von einer Anhöhe kann ich Puebla de Sanabria erstmals liegen sehen. Im Hintergrund der Stadt sehe ich die trutzige Burg auf einem Berg liegen.



Die letzten Kilometer, besonders seit dem Stadtrand von Puebla de Sanabria, zieht sich der Weg wieder in die Länge. An der Zufahrtsstraße zur Stadt gibt es ein Hotel, aber ich beschließe weiter zu gehen. Im Stadtkern wird irgendeine Bar geöffnet haben, dort werde ich nach meiner Ankunft und dem dringend benötigtem Duschbad, frühstücken.
Die Albergue liegt in der Altstadt, kurz vor dem Burgberg. Erstaunt bemerke ich, dass ich die erste Pilgerin am heutigen Tag bin, bislang ist noch niemand eingetroffen. Es ist noch nicht einmal 12 Uhr am Mittag, aber für die heutige Kilometerzahl war ich in Anbetracht der schlechten Wegqualität gar nicht so langsam. Mir selbst kam mein Tempo heute furchtbar langsam vor. Wie wird es den Pilgern auf dem Weg gegangen sein, die gestern bei stärksten Regenfällen diese Etappe laufen mussten? Da ich die erste Pilgerin im Badezimmer bin und außer mir noch niemand da ist, gönne ich mir eine Genussdusche, etwas länger als nötig, um mich wieder aufzuwärmen. Wir Frauen haben es in dieser Herberge sehr gut – für uns gibt es ein schönes, gut ausgestattetes Badezimmer in der Herberge. Die Männerduschen liegen draußen, auf einer überdachten Terrasse. Bei den kalten Außentemperaturen kann das Duschen dort, auch bei heißem Wasser, nicht sehr komfortabel sein, der Wind pfeift durch die Ritzen, man ist nur vor dem Regen geschützt.
Der Supermarkt hat wider Erwarten auf, Gründonnerstag ist in Spanien ein gesetzlicher Feiertag. Ich kaufe einige Lebensmittel ein und bereite mir ein verspätetes Frühstück, einen Kaffee trinke ich in der Bar. Danach mache ich mich auf zur Stadt-Dorfbesichtigung. Der Burgberg kann über viele Treppenstufen erreicht werden und ich mache mich an den Aufstieg. Von oben hat man einen schönen Rundblick über die Region, in der Ferne ist ein noch leicht schneebedeckter Berg zu sehen. Alte, restaurierte Gassen umgeben den Berg. Ich schlendere über den Burgberg, Burg und Kirche sind geschlossen und begebe mich zur Herberge zurück.



Inzwischen regnet es wieder und leider gibt es keinen Aufenthaltsraum in der Herberge. Alle drängeln sich unter die Überdachung der Terrasse oder legen sich in´s Bett. Es ist kalt, in der kleinen Küche wird gekocht, aber sie bietet kaum Platz für mehrere Personen.
Am Nachmittag füllt sich die Herberge wieder gut und ich freue mich erstmals auf mir unbekannte, deutsch sprechende Pilger zu treffen. Karin kommt aus Wien, Hannes und Martin aus der Nähe von Linz.
Ich habe keine Hoffnung, dass meine Schuhe heute trocknen. Das einzige Schuhregal steht draußen auf der Terrasse – aber bei diesen feuchten Außentemperaturen ist ein Trocknen kaum möglich.

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