Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Ourense - Cea

29. April 2011
Ourense – Cea
22 Kilometer

Die Nacht in der Ourenser Herberge war sehr erholsam. Neben dem weit geöffneten Fenster habe ich tief und fest geschlafen. Nebengeräusche habe ich nicht wahr genommen – obwohl sie natürlich da waren. Um 6.30 Uhr stehe ich auf, nachdem ich schon 10 Minuten wach im Bett gelegen habe. Zeitgleich stehen auch Karin und Hannes auf und machen sich startklar.
Hannes hat gestern den ganzen Tag auf seinen Mitpilger gewartet mit dem er gestartet ist und eigentlich wollte Martin in Ourense sein, aber Hannes hat vergeblich gewartet. Kein Anruf, kein Treffen am vereinbarten Treffpunkt.
Durch die Altstadt und über die Römerbrücke verlassen wir Ourense.


Hinter der schönen Brücke hat eine Bar geöffnet und so kehren wir zum Frühstück ein. Nach dem üblichen, aber immer freudig erwarteten Frühstück, laufen wir weiter. Die ersten Kilometer des heutigen Weges sind unspektakulär. An einer stark befahrenen Straße laufen wir einige Kilometer entlang. Vor uns liegen einige höhere Berge und ich mache Scherze indem ich behaupte, dass wir unter Garantie über den vor uns liegenden Berg müssen. Karin und Hannes verneinen, angeblich stünde heute kein großer Anstieg bevor. Ich weiß es nicht mehr.
Wie oft habe ich schon meinen Reiseführer gelesen – etwas Anderes zum Lesen habe ich auch nicht dabei – aber was in dem Text stand ist mir gerade nicht mehr bewusst. Die vielen rechts, links, hoch, runter… Angaben kann ich nicht behalten. Außerdem stelle ich fest, dass ich die Etappenberichte nicht mehr so genau vorweg studiere. Der Weg ist gut ausgeschildert, und er ist wie er ist – steile Anstiege werden durch 10maliges Lesen auch nicht flacher. Von der Hauptsraße biegen wir in eine kleine Straße ab, durchqueren einen Eisenbahntunnel und ich stelle fest, dass der Weg uns, wie schon vermutet, direkt auf den Berg zuführt.


Die Straße steigt von jetzt auf gleich steil an. Die ersten Meter laufe ich noch ganz entspannt, denn nach der nächsten Kurve wird die starke Steigung garantiert flacher werden, aber falsch gedacht. Steil und immer höher und höher führt der Weg bergan. Karin hat wieder ihren inneren Tempomat angestellt und läuft unbeirrt in rasantem Tempo aufwärts. Hannes hält noch eine Weile mit, fällt dann aber auch merklich zurück. In diesem Affentempo kann ich den Berg nicht bezwingen, auch wenn es sich um eine gut geteerte Straße handelt. So klein und schmal wie die Straße ist, so schnell rasen die Autos an uns vorbei. So können nur Einheimische fahren, die den Straßenverlauf kennen. Kurz geht mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich es für einige Meter als Anhalter versuchen könnte, aber wie immer wenn man mit solchen Gedanken spielt: es kommt kein Auto, dass in die gleiche Richtung möchte wie ich. Die Gegenrichtung – nach Ourense hinein – wird von etlichen Autofahrern genommen, aber den Berg  hinauf möchte niemand. So laufe ich weiter und weiter, immer hoffend, dass nach der nächsten Kurve der höchste Punkt erreicht ist. Der Blick zurück und den Berg hinab ist malerisch. Zwischen den Bäumen kann man Ourense mit seinem Fluss liegen sehen.



Am höchsten Punkt des Berges werde ich von meinen Mitpilgern empfangen, dann geht es weiter. Nun wird der Weg wieder malerisch und  ist gut zu gehen. Die Straße geht in eine Piste über und diese führt immer geradeaus durch Wiesen und Felder. Die Sonne steigt immer höher, der Himmel ist strahlend blau und lässt alles leuchten.



Viele Rosen blühen am Wegesrand, durch kleine Wälder – gesäumt mit Steinmauern – verläuft der Weg. Ich trabe gemütlich vor mich hin, Karin und Hannes habe ich schon längst aus den Augen verloren.



Die Waldwege sind malerisch und ich genieße den Anblick. Ich fühle mich hier so gut, das Auge nimmt alle Eindrücke wahr und freut sich über die Ruhe und die Natur. Die Vögel zwitschern aus den Baumkronen und Büschen, wunderschön. Irgendwann führt der Weg über eine schöne, alte Römerbrücke in ein Dorf hinein. Leider kann ich die Brücke nicht im Profil sehen, alles ist zugewuchert und überwachsen, an den kleinen Flusslauf kann oder möchte ich nicht hinabklettern, da alles von Brennnesseln überwuchert ist. Ich mag diese alten Brücken. Wenn man überlegt, wie alt diese Bauwerke sind, und dass sie immer noch stehen! Wenn ich diese alten, manchmal riesigen Brückenbauwerke sehe, kommt mir immer der Satz von Isaac Newton in den Kopf. Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenig Brücken.


Über die Brücke komme ich durch ein kleines Dorf. Keine Bar ist weit und breit zu sehen, vielleicht liegt der zentrale Dorfplatz auch in der Nähe der Kirche und diese ist etliche 100Meter links von mir zu sehen. Ich beschließe weiter zu laufen und bin erstaunt – kurz hinter dem Dorfende liegt eine Bar am Wegesrand. Wie nicht anders zu erwarten treffe ich in der Bar sitzend meine Mitpilger Karin und Hannes. Ich setze mich dazu und bestelle mir einen leckeren Kaffee con leche. In der Bar hängt ein großes Schild: Santiago 87 Kilometer.


Während wir in der Bar pausieren klingelt Hannes Handy. Martin – sein Mitpilger der ersten 800 Kilometer - meldet sich. Statt wie verabredet in Ourense zu warten, ist der Mitpilger schon einmal weitergelaufen und möchte nun, dass Hannes mit dem Bus hinterher fährt. Wie müssen darüber lachen. Martin ist mit dem Bus vorausgefahren um eine Pause zu machen und um sich zu erholen, hält den Treffpunkt nicht ein und verlangt nun, dass Hannes mit dem Bus hinterherfährt. Jetzt sind wir alle so weit gelaufen, da nimmt doch niemand mehr – wenn es nicht aus gesundheitlichen Gründen sein muss – den Bus. Jetzt, zu diesem Zeitpunkt, möchte man Santiago zu Fuß erreichen. Stiege man jetzt in den Bus würde auch der Anspruch auf die Compostela verfallen.
Nach einer erholsamen Pause laufen wir weiter. Absichtlich lasse ich mich wieder zurückfallen, laufe langsamer als meine Mitpilger und so habe ich bald wieder den Blick frei.



Ich freue mich über Gesellschaft in meinen Pausen und am Ankunftsort, aber Laufen möchte ich nicht ständig in der Gruppe. Es ist so widersprüchlich: einerseits freue ich mich über die Gesellschaft, andererseits brauche ich auch die Zeit alleine für mich.
Immer wieder laufe ich über altes römisches Pflaster. Das alte Pflaster ist immer gut zu erkennen und ich freue mich über Hinweise auf die lange Zeit, die dieser Weg schon existiert. Die ersten 500 Kilometer des Weges waren stark kulturell geprägt. Überall ist man auf Hinweise aus längst vergangenen Zeiten gestoßen, Sevilla, Italica, Merida, Caceres, Salamanca – alles historische Städte, geprägt durch die Römer. Seit inzwischen 400 Kilometern ist außer dem alten römischen Pflaster nichts mehr von den Erbauern dieses Weges zu sehen. Ein holperiger Römerweg führt mich durch eine zugewachsene Ginsterlandschaft.



Es geht immer mal wieder auf und abwärts, Blumen säumen den Wegesrand und die Sonne scheint. Die durch Mauern gesäumte Piste führt durch mehrere kleine Dörfer. Von jetzt auf gleich – oder liegt es am Nachschnüren des Schuhes – bekomme ich Tendinitisbeschwerden im rechten Schienenbein. Wieso jetzt plötzlich? Die letzten 3 Kilometer laufen sich beschwerlich und nicht schmerzfrei. Ich mache mir viele Gedanken, warum jetzt, ist morgen alles wieder gut, kann ich weiter laufen? Trotz Schmerzen erreiche ich Cea in einer guten Laufzeit. Karin und Hannes sitzen wie nicht anders erwartet in der ersten Bar des Dorfes und ich setze mich wieder hinzu. Nach einer Cola laufen wir die letzten Meter gemeinsam. Die Herberge liegt in einem wunderschönen, restaurierten Granithaus mit Kornspeicher davor.



Es gibt einen großen Schlafsaal mit offenem Treppenhaus in den Eingangsbereich und einem Ausgang auf die Terrasse. Ich nehme mir das Etagenbett neben der Balkontür, so ist die Luftzufuhr für die Nacht geregelt. Nach dem üblichen Prozedere, die Wäsche hängt in der Sonne zum Trocknen, machen wir drei uns auf den Weg zum Mittagessen. Das Dorf ist sehr schön hergerichtet und hat eine zentrale Plaza. Nach einem leckeren Menue machen wir uns wieder auf den Weg zurück zur Herberge. Ich lasse den Nachmittag ruhig ausklingen. Für die Tendinitis nehme ich etwas Voltaren, mein Haartuch halte ich unter kaltes Wasser und lege es zum Kühlen auf meine Schienenbeinkante. Der Himmel hat sich bewölkt und irgendwann beginnt es zu gewittern und es schüttet. Karin grübelt mal wieder über das Wetter für den nächsten Tag. Regnet es, regnet es nicht, sind die Wege matschig...
Abends sitzen wir noch mit vielen anderen Pilgern bei Wasser und Rotwein in der Herberge und lassen den Weg Revue passieren. Wir alle, egal wo wir gestartet sind, haben einen sehr weiten Weg hinter uns gebracht. Viele, viele Kilometer sind wir gelaufen und nun sollen es nur noch wenige Kilometer bis Santiago sein? Über hunderte von Kilometern wünscht man sich, sein Ziel zu erreichen und nun ist es in greifbarer Nähe und fast jeder möchte, dass das Ziel noch weit weg ist. Wir Pilger sind irgendwie schon paradox in unseren Gedanken.

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