Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Campobecerros - Laza

26. April 2011
Campobecerros – Laza
15,1 Kilometer

 Nach einem wunderschönen Weg bin ich heute in Laza angekommen.
Aber um die Reihenfolge des Tagesablaufes einzuhalten fange ich zu Beginn des Tages an.
In der Nacht war es wieder sehr kalt und ich bin froh, meine lange und warme Leggins dabei zu haben die mich in der Nacht warm hält. Zum Wasserlassen mussten wir uns den Weg mit der Taschenlampe nach draußen in´s Gebüsch suchen, da es weder Licht noch eine Toilettenspülung gab – aber dieser Zustand soll bald verbessert werden, die Stromanschlüsse in der Albergue werden bald gelegt. Die noch in der Plastikverpackung eingeschweißten Matratzen knisterten bei jeder Umdrehung, aber auch an diesem Tag ist irgendwann die einsetzende Dämmerung zu sehen. Ich stehe auf und setze mich auf die bequemen Ledersofas im Raum vor der Herberge und warte auf das Erwachen meiner Mitpilger. Es macht keinen Sinn schon im Dunkeln zu starten, da es die ersten 15 Minuten des Weges über einen Schiefer-Schotter-Steinweg in´s Tal nach Campobecerros hinab geht und an diesem Holperweg gibt es unter Garantie keine Straßenlaternen.


Die notdürftige Morgenpflege und Wäsche fällt heute aufgrund fehlenden Wassers aus, die Zähne putze ich mit meinem restlichen Wasser, im Lädchen von Rosaria kann ich neues Wasser besorgen. Aus dem Aufenthaltsraum schaue ich auf den Bahnhof und die umliegenden Berge und beobachte den einfahrenden Zug. Drei ältere Personen stehen am Bahnsteig und steigen in den Zug nach Laza. Es wäre so leicht Laza auf dem Schienenweg zu erreichen, aber es reizt mich nicht. Nach wie vor freue ich mich über jede zu Fuß zurückgelegte Etappe. Auch wenn es an einigen Tagen wirklich anstrengend ist, habe ich mir bisher noch kein einziges Mal die Frage gestellt, was ich da mache und warum ich mir diesen Weg antue. Heute steht mir nur eine kurze Etappe bevor – 15 Kilometer bis Laza. Theoretisch wäre es auch möglich gewesen, gestern von A Gudina bis Laza durchzulaufen, aber ich habe genügend Zeit und momentan habe ich nicht das Bedürfnis nach Etappen mit über 30 Kilometern. Gegen 7.15 Uhr machen wir uns alle an den Abstieg in das Dorf, da Rosaria und versprochen hat zu 7.30 Uhr Frühstück zu bereiten.


In der kleinen Tienda werden wir schon erwartet und Rosaria ist unermüdlich dabei, Brot zu schneiden und zu rösten und Kaffee einzuschenken. Genau wie gestern ist sie bemüht uns Pilger zu sättigen und fragt wiederholt ob wir denn auch wirklich genug Brot hätten. Soviel Frühstück sind wir schon nicht mehr gewohnt, da es sonst zwei Scheiben Toast gibt und nicht mehr. Nachdem ich meine Wasservorräte aufgefüllt habe, mache ich mich auf den Weg. Wolfgang möchte noch eine Weile im Lädchen sitzen bleiben und verzieht sich auf das stille Örtchen, dass nachholen, was in der Nacht nicht ging. Mit Karin und Hannes verlasse ich das Lädchen, lasse sie aber vorausgehen, ich möchte den Blick frei haben und den Morgen alleine genießen.
Campobecerros wird mir in besonderer Erinnerung bleiben, die urgemütliche, wunderschöne Herberge mit ihren Eigenarten, Rosaria mit ihrer Tienda und den übergroßen Bemühungen ihre Pilger zu versorgen.
Über eine kleine Landstraße verlasse ich Campobecerros, der Weg führt wieder für einige Zeit aufwärts, beim Blick zurück sehe ich das kleine Dörfchen schon wieder unten im Tal unter dem Hochnebel liegen.




Die Landstraße führt durch einige kleine verwunschene Weiler, immer wieder erblicke ich die Eisenbahn, die uns seit gestern begleitet. Hinter einem Dorf gelange ich an ein Wegkreuz, das zu Ehren auf dem Weg verstorbener Pilger, aufgestellt wurde. An dem Kreuz treffe ich auf Hannes, Karin und John und wir machen einige Fotos. Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass John eine irische Flagge in seinem Rucksack hat und diese für das Gruppenfoto gehisst wird.



Auf die Idee eine Deutschlandflagge einzustecken wäre ich nie und nimmer gekommen, vermisse diese aber auch nicht. Lachend wechseln wir uns beim Fotografieren ab und halten den Moment in Bildern fest. Danach laufen wir weiter. John entschwindet schnell wieder meinem Blickfeld, Karin und Hannes laufen in größerem Abstand, aber meist in Sichtweite, vor mir. Die Piste schlängelt sich nun immer am abwärts am Hang lang. Auf diesem Weg nimmt man richtig wahr, auf welcher Höhe wir uns befinden.




Natürlich lassen sich diese Berge nicht mit den Alpen vergleichen, aber die zu sehenden Täler und Bergeinschnitte liegen tief unter uns. Die Berge sind nach wie vor von niedrigen Büschen, Heide, Ginster, vereinzelten Nadel- aber überwiegend Laubbäumen bewachsen. Auch heute strahlt wieder die Sonne von einem wolkenfreien, blauen Himmel – ideales Wanderwetter.



Tief unter mir sehe ich ein Dörfchen liegen, kann mir aber nicht vorstellen, dass der Weg durch dieses Dorf führen wird, zu groß ist die Höhendifferenz. Nach einiger Zeit stelle ich aber fest, dass der Weg von der bisherigen Piste abbiegt und in etlichen Kurven abwärts Richtung unter mir liegendem Dorf führt. Nachdem der Weg vom Hang wegführt, ändert sich die Natur mal wieder, plötzlich laufe ich durch einen Wald, in dem die Nadelbäume dominieren. Kleine weiße Blumen stehen am Wegesrand und im Gebüsch, die Vögel singen mal wieder mit voller Inbrunst. An einer etwas unübersichtlich ausgeschilderten Stelle liegt ein aus Steinen gebildeter Wegweiser und zeigt eindeutig wo es lang geht. Eiras ist wie ein großer Teil der durchlaufenen Dörfer ein zerfallenes Dorf, hat für mich aber Atmosphäre.




Zwei uralte Damen humpeln über den Dorfweg, ein Katze liegt vor einer Häkelgardine, irgendwo muhen Kühe und plötzlich gelange ich an einen wunderschönen Rastplatz der für die Jakobspilger hergerichtet wurde. Eine Bar gibt es nicht, aber diesen schönen Rastplatz.


An einem Tisch in der Sonne sitzen Karin, Hannes und John und freuen sich scheinbar mich zu sehen. Ich setze mich dazu und packe meine Orange für ein Picknick aus. Der Tisch steht neben einer unebenen Steinmauer, in deren Ritzen sich kleine Echsen in der Sonne sonnen. Es ist sehr schwer, diese kleinen Tiere zu fotografieren, weil sie einfach nicht still sitzen wollen. Sobald mein Objektiv aus dem Fotoapparat herausfährt, verschwinden die Tierchen in der nächsten Steinritze und lassen sich nicht wieder blicken.
Am Tagesende erfahre ich, dass Dietmar heute Nacht an diesem schönen Ort übernachtet hat. Da er sein Zelt dabei hat, hatte er sich vorgenommen, auf diesem Platz mit Brunnen und Überdachung zu schlafen. Letztendlich hat er sein Zelt nicht ausgepackt sondern sich direkt mit Isomatte auf einen der breiten Holztische zum Schlafen niedergelegt – was bei der sehr alten Dorfbevölkerung zu Verwirrung und Irritation geführt hat. Hatte er zuvor wohl noch gehofft bei der Bevölkerung um einen Kaffee bitten zu können, war diese Möglichkeit nach einem Schläfchen auf dem Tisch vorbei.
Ich lege mich noch für eine kurze Zeit auf eine breite Mauer und sonne mich, derweil John schon einmal weiter läuft. Kurze Zeit später starten auch die Österreicher und ich folge ihnen kurz später. Über eine schmale Landstraße geht es weiter abwärts und es ergeben sich wunderschöne Blick in das Tal, dem ich mich langsam näher. Die gegenüberliegenden Hänge leuchten lila und gelb und der Blick fasziniert mich.




Auch hier muss es vor nicht allzu langer Zeit gebrannt haben, ich komme an verbrannten Sträuchern und Bäumen vorbei, es riecht leicht verkohlt. Was würde ich machen müssen, wenn ich in einen Waldbrand käme, wie müsste man sich verhalten? Zurück laufen, einen Alternativweg suchen? Keine Ahnung.
Die 6km von dem letzten Dorf hinunter nach Laza lassen sich wunderbar laufen, rechts und links hoher Sträucher, Bäume, alles leuchtet und Laza kann man schon sehen.




In einiger Entfernung sehe ich Karin am Straßenrand. Nachdem sie sich scheinbar sicher ist, dass ich sie gesehen habe, zeigt sie in das Dorf hinein, so wie es auch ausgeschildert ist.
Heute gibt es eine „Besonderheit“: Jeder Pilger muss sich persönlich mit Unterschrift bei der Protecion Civil anmelden und bekommt anschließend einen Herbergsschlüsse, der am nächsten Morgen durch ein geöffnetes Fenster wieder in das Polizeibüro geworfen werden muss. Ca. 700 Meter weiter liegt die schöne, geräumige Herberge von Laza. Es gibt kleine 8 Bett-Zimmer mit Einmalbettwäsche (diese gibt es nur in Galizien), Küche, Aufenthaltsraum, Duschen etc… Die Küche ist so modern, dass etliche Pilger es nicht schaffen, den Ofen anzustellen. Dieser Induktionsherd hat uns in Zamora schon ein leuchtendes Fragezeichen in die Augen gezaubert. So muss ich laut lachen, als ich an der Küche vorbeikomme und sehe, wie dort gekocht wird. Auf dem supermodernen Ofen steht ein Campingkocher auf dem nun gekocht wird. Alle kochenden Pilger nutzen den Campingkocher und freuen sich über die warme Mahlzeit. Mit John und den Österreichern gehen wir in einer Bar essen. Es ist eine gemütliche Runde, heute gibt es ausnahmsweise schon wieder keine Pommes, sondern ein Reisgericht – über das wir uns sehr freuen. In Laza gibt es nicht viel zu sehen, aber die Atmosphäre in der Herberge ist sehr nett. Nebenan auf einer Wiese steht ein laut schreiender Esel, der mich laut lachen lässt als er sein heulendes Iaaah… ausstößt. Der Esel ist sehr mitteilungsbedürftig und so höre ich noch mehrfach seinen Erzählungen zu.


Die Protecion Civil kommt noch mehrfach in die Herberge um die Pilger zu zählen. Scheinbar ist ein Bett mehr belegt, als bezahlt wurde, aber die Person wird nicht gefunden. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Phantompilger – jemand der gar nicht existiert, von dem jeder nur glaubt, dass es ihn gibt. Dieses Phänomen hatten wir schon mehrfach. Jemand breitet sich auf zwei Betten aus, auf ein Bett den Schlafsack, auf das andere Bett die Einmalbettwäsche. So hat man am Ende des Tages ein ganzes Etagenbett für sich, kann oben seinen Krempel hinlegen und unten schlafen – und man wird nicht durch das Schwanken des Bettes geweckt, wenn sich der über einem schlafende Mitpilger umdreht. Die Polizei in diesem Ort hat scheinbar nicht wirklich zu tun, so akribisch wie sie den Pilger suchen, der zwei Betten benutzt, aber wenn man sonst nichts zu tun hat…
Für morgen habe ich mich zu einer Doppeletappe entschlossen, auch wenn ich dann mal wieder über dreißig Kilometer laufen muss. Hannes möchte morgen nach Xunqueira de Ambia laufen und ich habe ihn gefragt, ob er mich „mitnimmt“. Karin ist am Mosern, weil sie uns nicht verlieren möchte, aber nicht bereit ist, soweit zu laufen. Ihr ist es heute in der Herberge zu voll und morgen wollen sehr viele bis Xunqueira laufen, so dass es dort auch wieder voller werden wird. Man merkt, dass wir uns Santiago de Compostela nähern, es gehört dazu, dass es auf den letzten Kilometern voller wird – und ich bin mir sicher, dass Karin morgen mit uns kommen wird, aber ich bin mir nicht so sicher, ob ich das so gut finde…

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