Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Lubián - A Gudina

24. April 2011
Lubián – A Gudina
25 Kilometer

Nach einer unruhigen Nacht, mache ich mich morgens wieder auf den Weg. Die Nacht hat mich nicht zur Ruhe kommen lassen, meine Beine, mitsamt Knochen, Gelenken, Muskeln und Sehnen tun weh – ich spüre jede Struktur – oder es fühlt sich so an.
Leider gibt es in Lubián keine Möglichkeit zu einem Frühstück und so breche ich mal wieder nüchten zu A Canda-Pass auf. Steil abwärts führt mich eine kleine Betonstraße zu einer kleinen Kirche, die sich genau unterhalb einer hohen Autobahnbrücke befindet. Diese Kirche ist ein lokales Heiligtum und nennt sich La Tuiza.



Übrigens: Heute überschreite ich die Grenze nach Galicien.
Direkt hinter der kleinen Kirche wird der Weg zu einem Matschweg. Mitten im Schmödder liegen längliche Steine, um den Weg leichter zu passieren. Diese erhöhten länglichen Steine findet man stets auf Wegen, die häufig unter Wasser stehen.


Ich schreite über die Steine und stehe plötzlich auf einer Wiese. Ein Weg ist in der hoch bewachsenen Wiese nicht auszumachen, aber ich halte mich am Rand des Zaunes, der irgendwann überstiegen werden muss um dann für wenige Meter in einem halbwegs trockenen Bachbett zu laufen, bevor es weiter auf einem matschigen Waldweg bergauf geht. Die Wiese ist vom abendlichen Regen noch stark durchnässt und ich bin mal wieder froh um meine Gore-Wanderschuhe. Auf einem schattigen Waldweg geht es aufwärts. Der Waldweg ist gekennzeichnet durch viele Steine, Wurzeln, Wasserläufe und dem schon bekannten Matsch. Ein großer Stein, auf dem unter Wasser stehenden Weg, muss erklommen werden und dabei passiert es mir mal wieder. Mein Fuß findet keinen richtigen Halt auf dem Stein, rutscht weg, und ich knalle der Länge nach hin. Erschrocken bleibe ich einen kurzen Moment liegen, die Hüfte tut gut weh, dann stehe ic auf und prüfe mich und meine Gelenke. Es ist nichts passiert, nur der Schreck. Im Stehen spüre ich, wie heiß es mir beim Laufen wird, meine Brille beschlägt und ich kann nichts, aber auch gar nichts, sehen. Nach einem kleinen Schreckmoment und einer Brillenreinigung laufe ich weiter. Der Weg wird immer schmaler und holperiger und führt zeitweise steil bergauf. Der Blick zurück in´s Tal ist sehr schön, wird nur gestört durch den Anblick der Autobahn.




Voraus auf den Bergen sehe ich etliche Windräder und diese sind mein vorläufiges Ziel, da sie auf der Passhöhe von A Canda stehen. Durch dicht bewachsene Heide und Ginsterbüsche laufe ich zielstrebig nach oben, ich habe Hunger und hinter dem Pass gibt es ein Dorf, in dem es laut meinem allwissenden Reiseführer eine Bar gibt. Oben auf dem Pass habe ich einen freien Blick in zwei Richtungen: woher ich gekommen bin und wohin ich noch laufen werde.




Es ist schön zu sehen, was man schon geschafft hat, aber es ist auch erschreckend zu sehen, was noch alles vor mir liegt. Soweit ich sehen kann, Hügel und Berge, Santiago de Compostela ist noch sehr, sehr weit entfernt. Morgen werde ich die Hälfte der Kilometer bis zum Atlantik geschafft haben, bis nach Santiago sind es noch 246 Kilometer. Die genaue Kilometerangabe kann ich dem Wegweiser auf dem Pass entnehmen. Mit diesem Pass habe ich Galicien erreicht und von hier an gibt es wieder andere Wegweiser, die die Entfernung zum Ziel mit dreistelliger Nachkommazahl angeben. Hinter dem Pass zieht sich die Schotterpiste wieder sanft abwärts. Weit kann ich bis in die Täler hineinblicken, etliche Dörfer sind zu sehen, aber mein Tagesziel dürfte nicht zu sehen sein.


Im Dorf A Canda finde ich keine Bar. Das Dorf sieht so verlassen und ausgestorben aus, wie viele Dörfer. Als ich die Kirche passiere fällt mir ein, dass wir heute Ostern haben. Keinem meiner Mitpilger habe ich heute morgen beim Aufstehen ein frohes Osterfest gewünscht, ich habe es ganz vergessen. Da es keine Bar gibt, setze ich mich auf eine Mauer und packe mein drei Tage altes Baguette aus, das ich glücklicherweise vergessen habe zu entsorgen. Besser als gar nichts, aber ein Osterfrühstück könnte etwas reichhaltiger ausfallen. Auf der Mauer verflüssige ich das Baguette mit reichlich Wasser und schicke meinen Lieben einen Ostergruß per Handy und meinen Eltern noch zusätzlich einen Glückwunsch zum heutigen 40. Hochzeitstag. Nach der Pause stecke ich das Handy wieder in den Rucksack ohne es auszuschalten, mehrere Ostergrüße erreichen mich und „Buen-Camino“-Grüße. Das Gebimmel ist mir zu blöd und so schalte ich mein Handy wieder aus. Immer weiter abwärts führt mich der Weg, mal Sandwege, Schotterpisten, Betonröhrenwege, Wiesenwege. Die Beschaffenheit der Wege wechselt ständig, die Natur ist grün und lieblich.




Im nächsten Dorf ist eine Bar ausgeschildert, Bar: 200 Meter. Ich folge dem Schild finde aber weit und breit keine Bar. Wahrscheinlich gibt es an der weit entfernten Nationalstraße eine Tankstelle mit Bar oder ähnlichem, aber garantiert nicht in 200 Meter Entfernung. Nachdem ich nach 500 Metern immer noch keine Bar gefunden habe, kehre ich um. Ich habe keine Lust nur für ein Frühstück 2 Kilometer extra zu laufen. Hinter dem Dorf ändert sich die Natur wieder schlagartig. Plötzlich überwiegen Granitsteine, Heide und Ginster und eine Sandlandschaft. Durch die flachen Steine schlängelt sich der Weg, weit schauen kann man nicht.




Auch hier muss es vor nicht zu langer Zeit gebrannt haben, viele verkohlte Sträucher stehen am Wegesrand. Auf einem schönen Stein mache ich erneut eine Pause und esse einige Stücke Schokolade, langsam bräuchte ich wirklich Frühstück, ich laufe seit 20 Kilometern und habe eigentlich nichts gegessen. Die letzten Kilometer ziehen sich mal wieder schwerlich in die Länge, spätestens am Dorfrand geht meine letzte Energie flöten und die Herberge befindet sich wie üblich am Dorfende. Das Gute aber ist, kurz vor der Herberge liegt eine Bar am Wegesrand. Dieser Bar statte ich erfreut einen Besuch ab und bestelle mir einen Café con leche grande und ein Bocadillo con Tortilla. Nach der Mahlzeit fühle ich mich gestärkt und gut und laufe die letzten 200 Meter bis zur Herberge. Ich stehe als erste und bisher einzige Pilgerin vor einer verschlossenen Herberge. Was nun? Warte ich bis ein hoffentlich spanisch sprechender Pilger eintrifft oder versuche ich selbst bei der angegebenen Telefonnummer anzurufen? Ich überwinde mich, rufe die Nummer an, und bringe mein Anliegen in stammelnden Spanisch zum Ausdruck. Und oh Freude: die Guardia civil versteht mich und verspricht zu kommen um die Herberge zu öffnen. Vielleicht hätte ich fragen sollen, wann die Herrschaften kommen, aber egal – früher oder später – kommen sie. Nach mir treffen die drei Österreicher Karin, Hannes und Martin ein. Martin wird immer unruhiger und kann sich nicht vorstellen, dass ich wirklich angerufen habe. Selbst anzurufen traut er sich nicht zu, aber ich bin mir sicher, die Antwort verstanden zu haben. Martin läuft mit Hannes zur Bar zurück um dort um einen Telefonanruf bei der Guardia Civil zu bitten. Nacheiniger Zeit, Hannes und Martin sind noch nicht zurück, kommt jemand mit dem Schlüssel und lässt uns in die Herberge. Ich wusste doch, dass man mich verstanden hat – ein gutes Gefühl. Die Herberge ist geräumig, sauber und einfach und ich suche mir ein Bett neben einem Fenster. Nach und nach treffen wieder viele bekannte Gesichter ein, namentlich kenne ich nicht alle. Wolfgang und Dietmar sind wieder da, John den Iren habe ich auch schon mehrfach getroffen, ein Italiener und mehrere Spanier vom Vortag aus Lubián ebenfalls.
Mit den Österreichern gehe ich später noch auf einen Salat in die Bar, laufe durch den Ort und schaue mir die Abzweigung für die beiden möglichen Etappen morgen an. Es gibt zwei Möglichkeiten, wobei die südliche Wegführung für Fußpilger eigentlich keine Möglichkeit ist, da es kaum Herbergen gibt und diese in nicht laufbaren Entfernungen zu einander liegen.



Wie ich es schon beim Laufen gespürt habe, kündigt sich am späten Nachmittag eine Migräneattacke an, die Kopfschmerzen sind stark zunehmend und so verziehe ich mich früh, gedopt mit einem Migränemedikament, in´s Bett und falle schnell in einen tiefen Schlaf.

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