Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Olveiroa - Muxia + Dia-Show

7. Mai 2011 Olveiroa – Muxia
ca. 35 Kilometer, evtl. auch 2-3 km mehr

Schon abends bei meinem Rundgang durch das Dorf habe ich die Wolken aufkommen sehen. Als ich am frühen Morgen erwache, höre ich bereits den Regen auf das Dach prasseln, schlafe aber, darauf hoffend dass es beim Aufstehen trocken ist, noch einmal für eine Stunde ein.
Der erste Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass meine Hoffnung nicht eingetreten ist – es plästert.
Karin liegt in Etagenbett neben mir und versucht mich zu einer Taxifahrt zu überreden. Aber heute, an meinem letzten Wandertag, steige ich unter Garantie nicht in ein Taxi – hätte es auf den fast 600 Kilometern zuvor aber auch nicht getan.
Wenn es heute regnet, dann regnet es, aber ich werde den Atlantik laufend erreichen, notfalls nass bis auf die Knochen.
Um den Regen noch etwas abzuwarten gehen wir mit etlichen Pilgern frühstücken. Selten zuvor hatten die Bars in den kleinen Dörfern morgens um 7 Uhr bereits auf, aber hier in Olveiroa hat die Bar geöffnet. Ca. 30 Minuten verbringen wir frühstückend und siehe da: Der Regen hat aufgehört, der Himmel ist nach wie vor tief grau verhangen.


Über ein kleines Sträßchen verlassen wir das Dorf und wieder geht es auf Schotterwegen aufwärts durch die Granitberge. Die Wolken lassen nichts Gutes erahnen, aber zur Zeit ist es trocken. Wie ich es nicht anders erwartet habe, läuft Karin vor mir. Auf und ab geht es, die Windräder auf den Bergen zu meiner Seite sind verhüllt von Nebel und Wolken.


Kurz vor Hospital, ich habe es nicht anders erwartet aber doch erhofft, beginnt es zu regnen. Es regnet nicht nur, es schüttet. Massen von Wasser fallen innerhalb kürzester Zeit vom Himmel, aber glücklicher Weise sind es nur noch ca. 400 Meter bis zur Bar in Hospital.


In der Bar stehen diverse Rucksäcke, Regenjacken und Umhänge hängen überall, und die Luft im Inneren ist feucht. Froh, fast zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, mache ich nach nur 5 Kilometern meine zweite Pause. Die Barbesitzerin macht heute morgen ein sehr, sehr gutes Geschäft. Die nächste Bar, egal ob auf dem Weg nach Finisterra oder Muxia ist über 20 Kilometer entfernt. Nach zwei Tassen Milchkaffee und einem Glas frischgepressten Orangensaft hört es wieder auf zu regnen. In der Zwischenzeit war meine Mitpilgerin nicht untätig und hat sich nach einem Taxi erkundigt. Hospital wird nicht von den Taxiunternehmen angefahren, die nächste Möglichkeit eine Fahrgelegenheit zu bekommen ist in Cea. So bleibt uns allen nur eins über: Laufen, so wie ich es vorhabe. Ich bin nicht aus Zucker und heute an meinem letzten Wandertag ist es mir egal.


Nachdem es draußen nahezu wieder trocken ist, zumindest was das Wasser von oben angeht, machen wir uns wieder auf den Weg – Günther ist auch wieder dabei. Hoch und runter folgen wir der Straße und kommen zur Straßenkreuzung Finisterra – Muxia.



Wir biegen nach rechts ab und folgen der Straße nach Muxia. Der Himmel sieht nicht sehr viel versprechend aus, der starke Wind bläst dicke graue Wolken vor sich her. Auf Schotterwegen laufe ich durch Euktalyptuswälder, Karin und Günther sind wieder aus meinem Blickfeld entschwunden und ich bin froh, mir in Hopital ein Bocadillo besorgt zu haben. Meine österreichische Mitpilgerin wollte mich davon abhalten – sie hat noch Müsliriegel – aber was bringen mir ihre Müsliriegel, wenn sie außerhalb meines Blickfelds läuft und ich nicht weiß wo sie ist?!



Passend, ich erreiche gerade den Ort Dumbria, setzt der nächste Starkregenfall ein. Die nächste am Weg gelegene Bar des Ortes nutze ich für eine Regenpause – und wen treffe ich in der Bar? Karin und Günther! Es geht mal wieder um das Thema Taxi, vielleicht gibt es eine Busverbindung?! Ich habe keine Lust mehr auf das Thema und erkläre meine Einstellung ein weiteres Mal. Niemand braucht auf mich und meinen Laufwunsch Rücksicht nehmen, aber ich laufe – alle anderen können sich fahrend fortbewegen ohne dass ich ihnen Vorwürfe machen werde. Als der Regen weniger wird – es regnet aber immer noch leicht – mache ich mich wieder auf den Weg, komme aber nicht weit, denn der nächste Starkregen setzt ein.
In einem Waschhäuschen am Straßenrand pausieren wir eine weiter Viertelstunde, bis der Regen endgültig aufhört. Danach geht es weiter.


Karin und Günther entschwinden in flottem Tempo, ich treffe sie erst acht Kilometer vor Muxia wieder. Ich laufe in meinem Tempo durch viele Eutkalyptus- und Kiefernwälder, Dörfer und Weiler. Ebenso wie die Landschaft und auch der Himmel sich verändert, so ändert sich auch die Wegbeschaffenheit. Über betonierte Straßen, matschige Feldwege, und steinige Waldwege näher ich mich meinem Ziel.



Die Kilometerangaben können irgendwie nicht passen. Die Kilometerangaben auf den Wegweisern werden nicht weniger. Ich laufe 10 Minuten und entnehme den Wegweisern, dass ich 100 Meter gelaufen sein soll. Verstehen tue ich es nicht, allein die Kilometerangaben bis Dumbria weichen stark von den Angaben in meinem Infoheft ab. Ich laufe und laufe und merke die Kilometer vom Vortag in meinen Knochen.
Am Horizont lässt sich ein kleiner blauer Streifen Himmel erkennen – ich hoffe, vielleicht ändert sich das Wetter am Meer. Und tatsächlich: Mit jedem Schritt den ich mich dem Atlantik nähere, wird der blaue Streifen am Horizont größer, und plötzlich laufe ich unter blauem Himmel.



Kleine weiße Wolken sind am Himmel zu sehen, aber es sind eindeutig keine Regenwolken. Gut gelaunt, alles stimmt irgendwie, erreiche ich ein kleines Dörfchen. Da ich mich gefühls- und zeittechnisch der 30 Kilometermarke nähere, mache ich eine Pause in einer winzigen Bar. Froh, dass ich ein Bocadillo im Rucksack habe – in der Bar gibt es nur Getränke – pausiere ich. Ich habe einen riesigen Hunger – und der Karin mit ihren Müsliriegeln habe ich seit Stunden nicht mehr gesehen. Da ich es noch nie erlebt habe, dass irgendeine Bar geschimpft hat, wenn man etwas Eigenes auspackt, esse ich mein Bocadillo Francaise. Da es inzwischen richtig schön ist, trage ich meinen Stuhl vor die Bar und setze mich genießend in die Sonne.



Anschließend mache ich mich auf den letzten Abschnitt. Bis Muxia sollen es noch ca. 10 Kilometer sein. Bei herrlichem Sonnenschein und blauen Himmel laufe ich durch Wiesenwege. Die Franzosen, die ich seit Tagen regelmäßig treffe, laufen wieder vor mir. ´



Es geht einen letzten steilen Anstieg hinauf, dann geht es auf der Höhe geradeaus weiter und dann fällt der Weg steil ab. Die ganze Zeit warte ich darauf, den Atlantik endlich sehen zu können – es kann nicht mehr weit sein. Und endlich: ist da nicht ein leichtes blaues Schimmern zwischen den Bäumen zu sehen? Noch bin ich mir nicht ganz sicher, aber nur wenige Schritte weiß ich: Ich habe es geschafft, auch wenn es laut Wegweisern immer noch 8 Kilometer sein sollen.



Es ist so ein tolles berauschendes Gefühl! Ich bin noch nicht am Ziel, in Muxia – aber ich fühle mich angekommen. Der Blick auf den Ozean berührt mich wesentlich mehr, als der Anblick der Kathedrale. 2008 hatte ich dieses Glücksgefühl als ich in Santiago vor der Kathedrale stand, dieses Jahr nicht – aber das jetzige Gefühl ist unbeschreiblich. Ich jubele und singe und würde mich so freuen, jetzt meine Lieben hier zu haben. Es ist unbeschreiblich. Wo die Franzosen hinter mir wieder geblieben sind – gerne würde ich mich mit ihnen gemeinsam freuen – weiß ich nicht. Ich sitze eine kurze Weile am Berghang mit Blick auf den Ozean und warte auf die Franzosen, aber da sie nicht erscheinen laufe ich alleine beschwingt weiter.



Wieder geht es hinauf und ich verliere den Atlantik aus den Augen. Der Wind rauscht, ich kann das Meer hören, aber nicht sehen. Auf und ab geht es über kleine Sträßchen und überrascht bin ich plötzlich meinen Namen zu hören. Karin und Günther tauchen hinter mir auf. Sie sind überrascht, dass ich vor ihnen bin, aber die Frage wo sie und ich waren ist schnell und einfach geklärt. Ich habe im letzten Dorf Pause in der ersten Bar gemacht. Karin und Günther waren so hungrig, dass sie sich scheinbar nicht mit einem Müsliriegel zufrieden gegeben haben und sind zu einer anderen Bar gelaufen in der sie auf mich gewartet haben. Da die zweite Bar nicht am Wegesrand lag und ich auch nicht nach einer anderen Bar gesucht habe, und meine Pause kürzer war, habe ich den Vorsprung herausgelaufen. Ein letztes Mal versucht Karin mich von meinen Plänen abzubringen. Zwar ist es sonnig und trocken, aber die Kilometerangaben für Autos auf den Straßen zeigen einen 2 Kilometer kürzeren Weg nach Muxia als die Kilometersteine an und Karin möchte nach dieser langen Etappe auf kürzestem Weg an´s Ziel gelangen. Ich ermuntere sie auf der viel befahrenen Autostraße zu laufen, sage ihr aber, dass es nach 600 oder 1100 Kilometern nun wirklich nicht mehr auf 2 Kilometer mehr oder weniger ankommt.



Über einen steilen Wiesenweg geht es ein letztes Mal bergauf, ein Schlenker zu einer abseits liegenden Kirche gibt es auch noch.




 Danach geht es durch einen Kiefernwald mit Blick auf den Atlantik abwärts. Kurze Zeit später stehen wir an der großen Bucht von Muxia, laufen am Strand entlang Richtung Stadt und passieren das Stadtschild von Muxia. Es ist geschafft! Es ist ein Hochgefühl und es ist schön, dass ich nicht alleine bin. Am Ortsschild machen wir ein Erinnerungsfoto.



Wie schon so oft und fast nicht anders zu erwarten ist auch heute die Herberge das letzte Gebäude an einer steil aufwärts führenden Straße. Ich muss lachen, wie sollte es auch anders sein: bis zum Ende, immer geht es aufwärts!
In der Herberge checke ich ein, bekomme meinen letzten Stempel in die fast volle Credencial und erhalte, wie in Santiago de Compostela, eine Pilgerurkunde.


Nachdem ich ein letztes Mal mein Bett belegt habe, gehe ich duschen und ziehe mich frisch an. Heute wasche ich zur Abwechslung mal nicht. Morgen bin ich wieder zu Hause und dann kommt alles in die Waschmaschine, außerdem ist der Himmel in der kurzen Zeit in der Herberge wieder zugezogen. Draußen ist alles, wie heute morgen, grau und grau. Wie kann das Wetter nur so schnell wechseln? Morgens Nebel, stärkster Regen und Sturm, dann plötzlich warme Sonne und klarer Himmel und nun wieder alles grau in grau – der nächste Regen kommt bestimmt.
Nachdem ich von der Herberge den Berg wieder hinunter gestiegen bin, setzt der nächste Regenguss ein. Wie heute inzwischen schon drei Mal, sitze ich den Schauer in einer Bar aus. Ich habe mein Tagebuch dabei und schreibe meinen letzten, oder vielleicht vorletzten Bericht des Weges. Danach ist es wieder trocken und ich mache mich auf den Weg zum Kap.
Ich laufe alleine, Karin möchte nicht an´s Kap – sie war vor einigen Jahren schon dort – aber erst dort, an der Kirche, bin ich am Ende der Welt angekommen.
Die Kirche liegt am Kap, direkt am Meer. Die Brandung bricht sich an den Felsen.



Hinter einer Kurve sehe ich die kleine Kirche. Als ich die Kirche erreiche, fängt es richtig an zu regnen. Um den Regen auszuweichen setze ich mich in die Kirche und danke für die problemlos gelaufenen Kilometer. Dass die Füße, die Muskeln und Knochen weh tun gehört dazu, aber ansonsten gab es erstmals kein Problem auf dem Weg – alles lief problemfrei.
Die Kirche ist schlicht, aber was für mich zuviel des Guten ist, ist ein blinkendes Schild auf dem Altar. In orangen Licht flackert auf dem Altar eine Lampe: Tranquillo – Ruhe!!!
Nachdem es wieder trocken ist, begebe ich mich wieder in den Sturm hinaus. Es windet heftig, aber ich genieße die Gischt und das Brandungsrauschen. Der graue Himmel über dem Ozean, das Licht – gleichzeitig dunkel und leuchtend. Aber es ist perfekt.



Vor der Kirche treffe ich einen Pilger den ich in der Herberge erstmals kurz getroffen habe und wir tauschen uns aus. Wir wissen, die heutige Begegnung wird unser einziges Treffen bleiben, es ist kurz, aber sehr nett. Er erzählt mir, dass er unter der Dusche das „Laudate omnes gentes“ aus Taizee angestimmt hätte und er doch tatsächlich aus einer anderen Dusche eine Antwort bekommen hätte, und der Gesang dann zweistimmig weiter gegangen wäre. Die Frauenstimme hat die Melodie gesungen, er die Bass-Stimme. Oft hat der mit mir redende Pilger unter der Dusche gesungen, aber singd geantwortet hat ihm niemand auf den 900 Kilometern.
Ich muss lachen: Das war ich! Ich habe in der Dusche in den Lobgesang eingestimmt. Wir lachen, es ist schön, dass wir uns noch kurz persönlich kennengelernt haben – dabei weiß ich nicht mal den Namen meines Gesprächpartners. Am Kap machen wir noch das Ankunftsfoto, dann verabschieden wir uns.


Am Kap steige ich im Sturm noch den Berg zum Gipfelkreuz hinauf. Der Wind bläst gewaltig und kurzweilig frage ich mich, was ich da gerade mache – aber der Blick ist berauschend. Ich stehe oberhalb des Kaps, kann auf die Bucht von Muxia, das Städtchen und über das Kap sehen – den Abstieg werde ich auch bei Sturm und Regen noch schaffen.



Ich fühle mich angekommen, ich habe es geschafft!!!
Ich bin am Ziel!




Dia-Show: Santiago de Compostela - Muxia

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