Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Cernarruza - Gernika

23. Juni 2012
Cernarruza – Gernika

Am Morgen erwache ich nach einer traumlosen, durchgeschlafenen Nacht. Ich habe absolut nichts von meinen Mitpilgern gehört, dabei war ich die erste die sich zum Schlafen niedergelegt hat. Als ich auf die Uhr schaue stelle ich fest, dass es schon 7 Uhr ist. In allen Betten herrscht absolute Stille, nur ein Bett ist schon frei, aber ich habe nicht mitbekommen, dass meine Mitpilgerin Janina aufgestanden ist. Da sich der herbergsbetreuende Mönch zu 7.30 Uhr mit dem Frühstück angemeldet hat, stehe ich leise auf. Um zum Bad und zur Toilette zu kommen muss ich den Herbergsraum verlassen. Nur in T-Shirt und Unterhose steige ich draußen die Treppen herab und bin nach wenigen Metern an der Straße und im Bad. Draußen ist alles grau und grau, wie am Vorabend, außerdem regnet es – nicht doll, aber immerhin.


Als ich zurück in der Herberge bin, herrscht schon reges Treiben in dem kleinen Raum. Inzwischen sind fast alle wach und aufgestanden und jeder heißt den Tag für sich willkommen. Die Betten sind schnell gemacht, der Rucksack packt sich fast von alleine und dann wird auch schon das Frühstück gebracht. Es gibt Baguette, Kaffee und heiße Milch. Da die Milch in einem großen Kochtopf mit Suppenkelle gebracht wird, so wie die Suppe am Vorabend, ist unsere koreanische Mitpilgerin etwas verdutzt. Sie erkundigt um was für eine Suppe es sich handelt und bringt mit ihrer Frage alle zum Lachen – aber so etwas kennt sie aus Korea nicht. Das Frühstück verläuft ebenso schweigend wie das Abendessen am Vortag.
Nach dem Frühstück schaue ich noch einmal vor die Tür, es regnet noch immer – typisch nordspanisches Wetter. Nachdem ich meine Regenkleidung angelegt habe verlasse ich die Herberge um mich auf den Weg nach Gernika zu machen.  Nur wenige Minuten nachdem ich die Herberge verlassen habe hört es auf zu regnen und den Rest des Tages bleibt es trocken. Dennoch hängen die Wolken tief, alles liegt im Dunst und leichtem Nebel.


Ich folge der Landstraße den Berg hinauf und nach nicht allzu langer Zeit werde ich in den Wald, weiter bergauf, geschickt. Oft habe ich davon gelesen, dass der Camino del Norte schlecht ausgeschildert sei, aber dieses Problem kann ich nicht nachvollziehen. Überall dort wo es nötig ist, sind deutlich erkennbar Wegweiser angebracht, oder gelbe Pfeile angemalt.
Auf einem guten Waldweg geht es hinauf in die Berge. Der Boden ist vom Regen der  Nacht aufgeweicht und matschig, lässt sich aber gut laufen. Allerdings geht der „gute“ Waldweg bald in einen steilen, mehr als holperig und rutschigen Weg über.



 Bei jedem Schritt muss ich genau schauen wo ich hintrete. Die Wurzeln, die vermoosten Steine, der Schlamm und Lehm machen das Laufen wieder anstrengend und führen zu einem Balanceakt. Besonders die kleinen steilen Pfade den Berg hinab machen das Laufen für mich schwer. Dass mein Gleichgewicht nicht das allerbeste ist, ist mir bekannt. Schon letztes Jahr auf dem zweiten Teil der Via de la Plata brauchte ich bei den Bergpässen mehr Zeit als meine Mitpilger – aber sie waren kein Problem. Aber das mein Gleichgewicht oder meine Koordination so schlecht ist, erschreckt mich wirklich und macht mir Angst. Ich fühle mich bei diesen Auf- und Abstiegen absolut unwohl und gefährdet. Es kann so schnell gehen, einmal straucheln, unglücklich fallen und die Knochen sind hinüber. Auf glattem Untergrund wie z.B. Beton merke ich fast nichts davon.


Zum Glück bin ich als eine der ersten heute aufgebrochen, fast alle meine Mitpilger sind hinter mir und für den Fall dass mir etwas passieren könnte, würden mich meine Mitpilger finden, aber darauf setzte ich es nicht an. Vorsichtig und langsam wie eine Schnecke taste ich mich den Berg um viele Biegungen und Windungen hinab. Meine Hosenbeine und meine Schuhe sind total verschlammt, aber eigentlich ist der Weg, die Ausblicke über das Land und die Natur wundervoll – nur nicht so gut für mich geeignet. Laufen und gleichzeitig in die Gegend schauen geht gar nicht.


Irgendwann endet der glitschige Abschnitt in einer Dorfstraße und ich bin erleichtert für das erste aus dem Wald hinaus zu sein. Auf einem winzigen Landsträßchen erreiche ich ein kleines Dorf mit einer Kirche. An der Kirche setzte ich mich kurz auf ein Mäuerchen und verschnaufe etwas. Wenn die Kilometerangaben in meinem Pilgerführer stimmen, waren es bis zu Kirche 4 Kilometer, aber es kommt mir wesentlich weiter vor.




Weiter geht es durch das Dorf und am Ende des übersichtlichen Dörfchens geht es über eine Landstraße wieder bergauf in Richtung einer weiteren Kapelle. Auf einem weitern Berg steht ein kleines Santiago-Kapellchen.



Ich schaue es mir kurz an und laufe weiter. Den Weg kann ich heute nicht genießen und auch nur schwer beschreiben. Ich kämpfe mich weiter und frage mich bei jedem Schritt was ich mir gerade antue. Das Laufen ist so anstrengend und irgendwie nehme ich innerlich Abschied vom Camino. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich diese Strapazen noch drei weitere Wochen durchhalten werde. Ich habe das Gefühl, dass dieser Camino mein letzter sein könnte. Ich folge dem Weg weiter und werde durch dichtes Gestrüpp geführt. Der Weg ist kaum zu erkennen und total zugewachsen. Brombeerranken, Farn, Efeu, irgendwelches anderes Grünzeug versperrt den Weg und ich schlage mich über den nur schwer zu erkennenden Pfad.




Alles ist wunderbar grün, neben mir plätschert ein Bach und ich schwitze unheimlich. In diesem grünen, dichten Gewucher fliegen viele Insekten umher. Es macht Spaß dieses Schwirren und Wirren zu beobachten und ich bin stolz wie Oskar als es mir gelingt eine schöne blaue Libelle zu fotografieren. Diese Momente motivieren mich wieder weiterzulaufen – aber hier mitten in Gottes einsamer Natur, abseits der Zivilisation gäbe es für mich auch keine Alternative. Keine Straße, keine menschlichen Geräusche sind zu hören – nur der Wind in den Baumwipfeln, das Surren der Insekten und das Knirschen des Sandes unter meinen Füßen und meine Atmung.



Ich überquere einige kleine Sträßchen, laufe wieder querfeldein, durchlaufe weitere kleine Örtchen. Mir wäre nach einer kühlen Erfrischung aber in diesen kleinen Ansammlungen von Häusern gibt es nichts.
Irgendwann werde ich von einem munter und sehr schnell laufendem Joshua überholt. Er ist der einzige meiner Mitpilger der mich heute auf dem Weg überholt. Alle anderen scheinen auch nicht viel schneller zur sein als ich.


Durch einen grünen Weg geht es über einen winzig kleinen Pfad wieder bergauf. Der Weg ist nicht viel breiter als zwei Füße und umso überraschter bin ich, einen aufheulenden Motor zu hören. Ich glaube, dass es irgendwo hinter den Bäumen scheinbar eine Straße geben muss, aber plötzlich kann ich mich nur noch in das Gebüsch werfen. Hinter einer engen Kurve auf dem schmalen Waldweg kommt mir ein Motorrad entgegen gebraust. Der Motorcrossfahrer hat mich, glaube ich, nicht einmal wahrgenommen. Genauso schnell wie er aufgetaucht ist verschwindet er wieder. Mein Herz klopft bis zum Hals – dass hätte schief gehen können. Wer vermutet hier im Wald so etwas?
Weiter geht es den Berg hinauf und ich kann in einiger Entfernung mal wieder eine Kapelle am Berghang liegen sehen. Ich glaube, unter Garantie dort hinaufgeführt zu werden, aber der Weg macht eine Kurve und verläuft plötzlich in die gegengesetzte Richtung und nicht weiter zur Kapelle.




Von einer Anhöhe kann ich Gernika liegen sehen und ich bin froh, mein heutiges Ziel wenigstens zu sehen. Ich bin körperlich mal wieder total geschafft und freue mich darauf anzukommen. In einem großen Bogen werde ich über eine Straße die keinen Seitenstreifen hat hinunter in´s Tal geführt. Die Autos preschen an mir vorbei und die Nähe zu den Autos in den Kurven treibt mich voran und irgendwann erreiche ich den Stadtrand von Gernika.
Als erstes kehre ich in eine Bar ein und nehme eine Kleinigkeit zu mir, danach laufe ich zur Jugendherberge, die nur wenige Meter abseits liegt. Der Kellner in der Bar sagte mir schon, die Jugendherberge sei voll, aber da ich es nicht glauben möchte, laufe ich doch persönlich vorbei. Schon von weitem sehe ich das Schild: Completo. So ein Mist, was nun?! Also drehe ich um und laufe in die Innenstadt, wie überall ist die Touristeninformation schon weit vorher gut ausgeschildert. Es ist halb drei am Nachmittag und als erfahrene Spanien-Touristin weiß ich, dass fast überall in Spanien um diese Zeit Siesta gemacht wird. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Touristeninformation geschlossen hat. Unweit von der Information sehe ich Joshua auf der Plaza an einem Denkmal sitzen und er hat mich auch schon gesehen. Ich setze mich dazu und wir quatschen kurz. Joshua war rechtzeitig da und hat bereits ein Zimmer in einer Pension. Jetzt wo ich gestärkt und ausgeruht von der Pause mit Joshua auf der Plaza sitze komme ich auf die dämliche Idee weiter zu laufen. Bis zum nächsten Ort sind es „nur“ noch 10 Kilometer und bis die Touristeninfo aufmacht, bin ich schon fast in Morga. Obwohl es tierisch heiß in der Mittagssonne ist glaube ich weiter laufen zu können – dabei war ich so fertig auf den letzten Kilometern und eigentlich schon den ganzen Tag.




Ich  durchquere Gernika und am Stadtrand geht es über eine Landstraße wieder hinauf in die Berge und dann steil auf. Diesen ersten steilen Aufstieg mache ich über ca. 15 Minuten mit, dann drehe ich mal wieder um. Für heute reicht es! Wie blöd bin ich, nach dem anstrengenden Vormittag zu glauben, dass ich mal eben noch weiter 10 Kilometer steil bergauf schaffen zu können! Ich klettere den Berg wieder hinunter und laufe zurück Richtung Gernika. Leider verlaufe ich mich auf dem Rückweg und so dauert der Weg bis Gernika - kürzer ist der von mir nun eingeschlagene Weg gewiss nicht. Meine Füße tun weh, sie qualmen und ich möchte keinen einzigen Schritt mehr machen. Es reicht!
Um 16.20 Uhr bin ich zurück an der Information und ich erkundige mich nach einer freien Pension, einem Hotelzimmer oder sonst irgendeiner Gelegenheit zum Schlafen. Ich möchte einfach nur meine Wanderschuhe ausziehen und die Beine hochlegen. Ich habe Glück, gleich um die Ecke ist ein einfaches Hotel in dem ich ein Zimmer bekomme. Das Zimmer kostet mich 40 Euro für die Nacht und ist sehr einfach und schmucklos, aber ich habe ein Zimmer - mehr will ich nicht. Aus meinem Zimmer kann ich auf Dachantennen und schmuddelige Hinterhöfe schauen, aber all das stört mich nicht.
Nach einer Erholungszeit schaue ich mich noch etwas in der geschichtsträchtigen Stadt Gernika um. Die Kathedrale hat geschlossen, der große Park ebenfalls.




Inzwischen habe ich beschlossen, morgen nicht den Berg nach Morga hoch zu klettern. In der Information habe ich mich erkundigt wann die Busse fahren, ich weiß alternativ, was ein Taxi nach Morga kostet. Ich werde morgen ausschlafen und dann um 10 Uhr den Bus nach Morga nehmen. Morga liegt auf einer Anhöhe und von dort geht es dann weiter, abwärts nach Lezama. Die Idee ist strategisch gar nicht unklug, denn dadurch sind die nächsten beiden Etappen nicht überlang. Ich brauche etwas Schonung und Erholung, sonst komme ich nicht mehr weit!
Was die Anderen tun oder denken, ist mir egal. Es ist mein Weg und ich muss mich mit dem Weg wohl fühlen – der Weg ist schon anstrengend genug, ich spüre meine Grenzen jeden Tag!

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