Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Pobena - Castro Urdiales - Islares

26. Juni 2012
Pobena – Castro Urdiales – Islares

Nach einer im Tiefschlaf verbrachten, traumlosen Nacht wache im um 6 Uhr total fertig und gerädert auf. Obwohl ich prima geschlafen habe fühle ich mich total geschlaucht. Unsere Hospitaliera Alliende hat zu 7 Uhr ein kleines Frühstück angekündigt und da ich nicht mehr liegen kann, stehe ich schon einmal auf. Die Luft draußen vor der Tür ist sommerlich warm und gleichzeitig erfrischend. In einem kleinen Herbergsraum mit vielen Pilgern gleichzeitig, wobei die meisten Pilger am liebsten ohne Frischluft nächtigen, ist die Luft morgens kaum zum Aushalten. Solange man den Raum nicht verlässt mag es noch gehen, aber wenn man wieder reinkommt, fällt man fast rückwärts aus der Tür. Im Garten sitzend bleibe ich nicht lange allein.


Ich genieße den Blick auf das Umland – alles liegt noch im morgendlichen Dunst. Um 7 Uhr gibt es, wie angekündigt, ein kleines Frühstück. Heißes Wasser mit Kaffeepulver oder Tee und Milch, Baguette und Marmelade. Wie immer und üblich in Spanien, aber heute sitzen wir in großer gemeinsamer Runde mit allen, die früh aufbrechen am Tisch.


Es ist eine große, gemütlich, entspannte Runde und wir alle freuen uns auf den sommerlichen Wandertag der fast komplett am Meer entlang führt.  Heute gibt es zwei Wegvarianten, die offizielle und eine sehr schöne Abkürzung. Kann man die Abkürzung finden, reichen die Informationen aus dem Reiseführer, gibt es womöglich Wegweiser? Niemand weiß es, aber ich möchte diese Variante ausprobieren. Die offizielle Route führt durch das Hinterland, die Alternative zwei Kilometer über den Seitenstreifen einer Straße, aber dann nur durch´s Grüne.
Nach dem Frühstück verabschiede ich mich von Luna. Sie wird den Vormittag heute noch am Strand und im Meer verbringen und am frühen Nachmittag nach Bilbao zurückfahren oder alternativ laufen. Für sie ist es nur wichtig abends in Bilbao zu sein, da ihr Flieger am darauf folgenden Tag in aller Frühe abhebt. Wir tauschen noch schnell unsere Email-Adressen, umarmen uns noch schnell, wünschen alles Gute, dann gehe ich. Diese Abschiede gehören zum Weg.
Man lernt Pilger kennen, man begleitet sich ein Stück weit, und verabschiedet sich wieder. Bei einigen Pilgern weiß man einfach nicht, wo sie geblieben sind – man trifft sie nicht wieder. Eddie humpelt schlimm – er ist am Abend noch einmal am Strand gewesen und ist in eine Glasscherbe geschnitten und hat sich eine tiefe Schnittwunde  unter dem Vorfuß zugezogen. Er ist sich noch nicht sicher, ob er heute laufen kann – oder wie weit er mit der Verletzung kommen wird. Ich denke ein Tag Auszeit wäre auf jeden Fall für den Fuß gut.
Von der Herberge laufe ich den schon bekannten Weg zum Strand und biege kurz vorher auf den Uferweg ab. Der Uferweg ist wunderschön und läuft immer direkt oberhalb der Küste lang. Schaue ich nach vorne sehe ich ein strahlend blaues Meer, schaue ich zurück sehe ich alles im Gegenlicht.




Sie Sonne spiegelt sich im Meer, die Berge liegen im Dunst und ich kann sehen, von wo ich gestern gekommen bin. Über dem Meer liegt ein sanfter Dunstschleier, aber schon jetzt kann man spüren, dass es ein heißer Tag wird. Wie so häufig am Morgen wird mein Fuß nach einiger Zeit wieder taub. Ich ziehe mal wieder den Schuh aus und laufe mit nur einem Schuh etwas hin und her und wackele mit dem Fuß bis das Gefühl zurück ist.



Ich werde von einem kleinen Vogel begleitet. Der Vogel sitzt ständig auf dem Geländer und schaut mir interessiert zu, komme ich näher fliegt er ein Stück weiter. Er scheint nicht so ängstlich zu sein, wie alle anderen Vögel bisher. Die meisten Vögel fliegen spätestens dann weg, wenn mein Objektiv ausfährt. Das Geräusch vom Zoom mögen sie scheinbar nicht leiden. Bei diesem Vögelchen ist es ganz anders. Es schaut mich immer an, singt mir etwas vor und ist überaus neugierig und fotogen. Mir gelingen zwei schöne Fotos, die mich sehr erfreuen.



Die Blicke auf den Ozean sind immer wieder wunderschön. Teils sanft abfallende grüne Wiesen, dann wieder zerklüftete Buchten, einzelne Bäume, dazwischen Blumen und einfach sehr viel grün. Grün ist die Farbe die auf diesem Weg absolut dominant ist.




Nach einigen Kilometern führt der Weg etwas in´s Land hinein und abwärts zu einem kleinen Dorf. Hier gilt es nun zu entscheiden: Laufe ich den ausgeschilderten Originalweg oder traue ich mich an die Alternative, in der Hoffnung sie auch zu finden. Ich traue mich und mache mich auf den Alternativweg.


Ich habe etwas „Angst“ vor der Wegbeschreibung aus de Pilgerfüher: 2km die Straße bergauf, 800 Meter abwärts, … nach 1,4 km eine Rechtskurve, nach 800 Metern eine Linkskurve – hier verlassen sie die Straße auf einen  Weg… etc. Reicht mein Gespür um die besagten Meter einzuschätzen, ist es vielleicht alles ganz leicht und eindeutig oder gibt es evtl. gelbe Wegweiser?




Über die besagte Straße geht es auf einem schmalen Seitenstreifen bergauf, dabei ergeben sich immer wieder schöne Blicke auf das Meer mit seinen vielen Buchten, auch Castro Urdiales ist in der Ferne schon zu sehen.




Ich stelle fest, dass es nicht viele, aber genügend gelbe Wegweiser gibt. Nachdem ich die Straße abwärts gelaufen bin, kann ich den Stand von Minono unterhalb liegen sehen und finde auch die Piste die mich steil nach unten führt.



Am Strand von Minono treffe ich die Schweizer Edda, die ich gestern erstmals traf, beim Baden. Antonio und Mario, zwei weitere Italiener, kommen gerade auch aus dem Meer. Ein Bad in dieser Bucht ist sehr verlockend, aber ich habe Angst vor dem anschließenden Sand in den Schuhen. Auch wenn man sich nach dem Bad noch so gut reinigt und abtrocknet, irgendwo bleiben immer Sandkörner zurück. Durch den Sand würden meine sowieso schon vorhandenen Blasen noch weiter gereizt oder noch weitere kämen hinzu. Wasser quillt zudem die Haut auf und macht sie anfällig für Reizungen und Scheuerstellen. So setze ich mich nur kurz auf die Bank, trinke Wasser, creme mich ein weiteres Mal mit Sonnencreme ein und laufe weiter. Am Ende der Bucht ist die Wegführung nicht eindeutig – es gibt zweierlei Wegweiser.



Welcher ist nun richtig? Noch ehe ich es mir genauer überlegen kann oder meinen Reiseführer ausgepackt habe, kommt ein Einheimischer hilfreich auf mich zu und schickt mich auf den steil bergauf führenden Weg. Der Weg führt steil bergan und kommt auf einem Wiesenhang oberhalb der Bucht heraus. Die weitere Wegführung ist nicht eindeutig, der Wiesenweg verliert sich irgendwo im Grün. Laut meinem Reiseführer soll es über die Wiese zu einer Straße gehen, aber ein weiterer Einheimischer der mit seinem Hund herumtollt schickt mich immer an der Küste lang über die Wiese, die irgendwann wieder auf einen Weg führen soll.




Irgendwann stoße ich wieder auf einen als solchen und auch gekennzeichneten Trampelpfad. Castro Urdiales kann man in großer Entfernung liegen sehen, im Zoom vom Fotoapparat sieht es schon ganz nah aus. Über die Wiese komme ich zu einer Schotterpiste und einigen wenigen Häusern, aber bald verläuft sich der Weg wieder im Grünen.




Laut Reiseführer soll es immer am Hang entlang der Küste langgehen und so stapfe ich mutig weiter. In einiger Entfernung vor mir sehe ich die Italiener, so falsch kann ich nicht sein, stoße aber bald wieder auf einen Wegweiser, auch wenn der zugehörige Weg fast nicht zu erkennen ist. Durch einige dichte Gebüsche und dann wieder gut sichtbare Wiesenwege geht es aufwärts.




Hinter einer Bergkuppe und einer Wegbiegung liegt Castro Urdiales plötzlich fast vor mir. Ich klettere einen steilen Abhang hinunter, freue mich dabei über meine Stöcke, denen ich aber nicht immer traue und erreiche kurze Zeit später den Stadtrand von Castro Urdiales. Der Strand liegt wunderschön vor mir, hinter der Bucht die Altstadt mit der Kirche und seiner Festung.



Ich umrunde den Strand auf der Promenade, genieße das Flair auf der Promenade und setze mich in eine Bar. Es ist noch nicht sehr spät am Tag und ich ziehe meinen Reiseführer zu Rat. Während eines erfrischenden Getränkes und einem Stück Tortilla komme ich zum Entschluss spontan noch 8km zu laufen. Schon einmal ist dieser Plan gescheitert und Castro Urdiales ist wirklich hübsch, aber ich fühle mich gut und strategisch macht es für die nächsten Etappen Sinn die 8 Kilometer nach Islares anzuhängen. Es ist eine spontane Entscheidung und ich hoffe, dass ich diesen Entschluss nicht schon nach wenigen Metern wieder bereue.
Es ist tierisch heiß, aber ich beschließe weiter zu gehen. Vorher lasse ich mir in der Touristeninformation noch einen Stempel in die Credencial geben, als Beweis, dass ich hier war. Auf einer engen Straße führt der Weg durch das Städtchen wieder hinaus.


Ich weiß nicht, ob ich irgendwo eine Abzweigung übersehen habe, oder ob der Weg zwischenzeitlich geändert wurde, aber er passt nicht mit der Wegbeschreibung meines allwissenden Buches zusammen. Bundesstraße und Autobahn laufen parallel nebeneinander her und auch die Autos auf der Bundesstraße düsen in einem irren Tempo an mir vorbei. Wohl und sicher fühle ich mich bei der Aktion nicht, aber umkehren kommt für mich nicht in Frage und Islares ist schließlich auf den Straßenschildern ausgeschildert.




Irgendwann kann ich durch einen Autobahntunnel in ein Dorf abbiegen und dort treffe ich wieder aus meine gelben Wegweiser. Der Weg führt weiter parallel zur Autobahn, aber nun über eine wenig befahrene Landstraße. Über die Landstraße werde ich durch mehrere kleine Dörfer weiter bergauf geführt, irgendwann komme ich wieder auf einen schmalen, steinigen Feld-, Wald- und Wiesenweg. Diese schmalen und unebenen Dinge sind einfach nicht mein Ding.




Ich merke schon seit einigen Kilometern dass ich an meine Grenze komme. Ich kann nicht mehr, ich schleppe mich so voran, stolpere viel  und einen Sonnenbrand habe ich trotz vieler Sonnencremepausen auch. Die Rückseite meiner Unterschenkel sind in der Sonne verbrannt. Ich wünsche mir einfach nur anzukommen.




So gut die Kilometer bis Castro Urdiales waren, so strapaziös sind diese letzten Kilometer vor Islares. Über einen weiteren Wiesenweg oberhalb der Küste werde ich weitergeleitet und ich warte darauf Islares endlich sehen zu können.




Hinter einer Kurve und einem Wäldchen kann ich den Ort endlich sehen, aber die letzten Meter auf der Landstraße ziehen sich in die Länge.




Als ich vor der Herberge stehe ist diese geschlossen, da aber eine Telefonnummer an der Herberge hängt rufe ich direkt an. Nur wenig später wird mir von innen geöffnet. Die Herberge ist klein und es gibt dreigeschossige Etagenbetten. Dünne Schaumstoffmatten auf Sperrholzbrettern. Die Duschen sind schon des längeren nicht mehr geputzt worden, aber dass ist mir reichlich egal. Ich dusche mich, wasche meine Wäsche und ruhe mich aus.


Welch ein Unterschied zu gestern. In Pobena wurden wir alle herzlich willkommen geheißen, die Hospitaliera kümmerte sich um alle und strahlte eine herzliche Atmosphäre aus. Unser heutiger Hospitaliero liegt die ganze Zeit auf einem freien Bett und telefoniert. Telefoniert er nicht hört er sehr laut Radio oder schläft. Durch ankommende neue Pilger scheint er sich eher gestört zu fühlen - dann lieber kein Hospitaliero wie so oft auf der Via Plata.
Später setzte ich mich in den Schatten vor der Herberge. Dort sitzen eine Mutter mit ihrer Tochter, die sich spontan auf den Weg gemacht haben. Dass sie nicht lange geplant haben, sieht man an ihren riesigen Rucksäcken und den schweren Jeanshosen. Wir unterhalten uns nett, dann erkunde ich die Gegend. Über einen Naturpfad soll man zum Meer kommen, aber ich laufe und laufe, komme aber an keinen Strand. Der Weg ist wundervoll, aber meine Crocs sind dafür nicht geeignet.




Ein Abendessen zu finden gestaltet sich auch recht schwierig, da alle Einkehrmöglichkeiten weit von der Herberge entfernt sind und nicht vor 21 Uhr servieren. Irgendwo bekomme ich ein trockenes Croissant und begnüge mich damit für den Abend. Mir graut es vor der Nacht auf den Schaumstoffmatten – wirklich bequem sind sie nicht, außerdem riecht es im Schlafzimmer sehr muffig, aber die Jungs haben schon wieder das Fenster geschlossen.

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