Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

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Zarautz - Deba

21. Juni 2012
Zarautz – Deba

 Ich fühle mich total gerädert und zerschlagen. Obwohl ich vom gestrigen Tag so erschöpft war, habe ich nicht die Ruhe und den erholsamen Schlaf gefunden, den ich mir erwünscht habe. Gefühlt habe ich gar nicht geschlafen, aber ich weiß, dass das nicht sein kann, denn ich habe absoluten Blödsinn geträumt – also muss ich zwischendurch geschlafen haben.
Schon vor 6 Uhr bin ich erwacht und da ich mir sicher war nicht mehr einzuschlafen, habe ich den Wecker ausgestellt. In der Albergue im Kellerraum wird es nur langsam und unzureichend hell, aber da ich ein Bett an der Tür habe, sehe ich, dass der Tag langsam beginnt. Ab 6 Uhr höre ich auch meine Mitpilger erwachen, das erste Aufstehen und Herumkramen beginnt und so beschließe auch ich in einen neuen Tag zu starten.
Mein erster Schritt heute morgen, ist der Schritt vor die Tür. Gestern Abend hat es immer mal wieder geregnet, aber als ich nun nach draußen gehen, erblicke ich einen klaren Himmel, die Sonne geht auf und die Morgenröte ist zu sehen.



Frohgelaunt ziehe ich mich an und mache mich kurze Zeit später auf den Weg. Nach nur 50 Metern merke ich, dass etwas fehlt. Das inzwischen gewohnte und vertraute Klackern meiner Trekkingstöcke fehlt. Froh, das Fehlen nach nur 50 Metern bemerkt zu haben, drehe ich noch einmal um. Was würde ich machen, wenn ich das Fehlen erst nach vielen Kilometern merken würde? Wie weit wäre ich bereit zurückzulaufen? Ich weiß es nicht, aber die Stöcke würden mir fehlen und ich habe sie doch extra für diese Reise gekauft – billig waren sie nicht!


Ich durchlaufe Orio um zur Bushaltestelle zu gelangen. Die Strecke von Orio nach Zarautz bin ich bereits gestern gelaufen, aber aufgrund der fehlenden Pilgerherberge mit dem Bus nach Orio zurückgekehrt. Es war eine gute Entscheidung, die Herberge in Orio möchte ich nicht missen. Es war das Gefühl an einem besonderen Ort zu sein, Rosa hat sich so um alle angekommenen Pilger gekümmert, einfach schön und ein gutes Gefühl.
Da bis zur Abfahrt des Busses noch einige Zeit hin ist, setze ich mich gegenüber der Bushaltestelle in eine Bäckerei und frühstücke. Irgendwie fühle ich mich von der Bevölkerung beobachtet, als ich wenig später in den Bus steige. Ein Pilger hat zu laufen und nicht Bus zu fahren – aber ich weiß, dass ich diese Strecke gestern schon gelaufen bin und es ist mir egal was die Anderen über mich denken. Ich werde diesen Weg so absolvieren, wie ich es für mich für gut und richtig erachte. In weniger als 10 Minuten bin ich wieder in Zarautz und steige an der gleichen Haltestelle aus dem Bus, an der ich gestern eingestiegen bin – und auf geht es. Die Sonne scheint strahlend vom Himmel, die Vögel zwitschern und das helle, warme Wetter macht gute Laune.




 Am Ende von Zarautz gibt es scheinbar zwei Wegalternativen. Ich frage, wo es denn nun lang geht, denn mein Buch sagt nichts von zwei Wegen und ich werde auf den Küstenweg geschickt. Heute ist der erste Tag, an dem ich einen schönen Sonnenaufgang erlebe, allerdings muss ich dafür immer zurück blicken. Der Atlantik liegt spiegelglatt in der Sonne, keine Welle, kein Lüftchen – einfach nur wunderschön.
In der Ferne kann ich bereits das nächste Küstenstädtchen, Getaria, sehen, aber optisch wirkt es wesentlich näher als es ist.


Die Küstenstraße und Promenade führt um viele Kurven und Buchten herum, bis es in Getaria ankommt. Auf der Promenade sind am frühen Morgen schon sehr viele Sportler unterwegs, Jogger, spazierende Rentner mit und ohne Hund.
Nach einigen Kilometern habe ich die gleichen Beschwerden, wie an allen Tagen zuvor. Mein linker Fuß ist mal wieder taub, einfach ein blödes Gefühl. Auf einer Bank an der Promenade ziehe ich mal wieder meinen Schuh aus und laufe so lange ohne Schuh herum, bis das Gefühl wieder da ist. Ich schnüre meinen Schuh schon jeden Tag so locker als möglich und dennoch jeden Tag das gleiche Problem. Warum muss dass immer sein, reicht es nicht, dass Ferse und Zehen bei jedem Schritt weh tun? Die Taubheit ist einfach nur unangenehm und auf unebenen Strecken gefährlich, da ich so noch schneller umknicke oder falle.
Ich genieße das Laufen direkt am Wasser und nach einigen Kilometern erreiche ich Getaria.





Der Ort ist nicht so sehr groß und nach kurzer Zeit laufe ich zufällig direkt auf die Touristeninformation zu. Da ich gestern nur in Orio, aber nicht in Zarautz einen Stempel für die Credencial, als Nachweis, dass ich da war, bekommen habe, klopfe ich an die Information. In der Information sehe ich zu früher Stunde schon jemand am Schreibtisch sitzen und kurze Zeit später wird mir geöffnet und ich erhalte meinen Stempel – danach geht es weiter, nicht ohne noch einmal meinen Schuh auszuziehen, um dem Fuß das Gefühl der Freiheit zu geben – noch immer kribbelt er vor sich hin.
Aus Zarautz führt einen steile Kopfsteinstraße den Berg hinauf und auch danach geht es meist aufwärts über kleine Landstraßen.




Wenn ich nach Norden, also nach rechts schaue, sehe ich fast immer den türkis-blauen Atlantik. Der Blick ist einfach nur wunderschön. Küstenfelsen, grüne Wiesen, blauer Himmel, strahlend-heiße Sonne – was kann man sich mehr wünschen? Vielleicht ist es heute schon fast zu warm, obwohl es noch früh am Morgen ist, ist es heiß und ich komme ordentlich in´s Schwitzen. Schritt für Schritt geht es vorwärts, manchmal fluche ich über das unebene Pflaster, aber eigentlich läuft es sich heute bisher ganz gut.




Nach einigen gefühlten Stunden – vielleicht ist es auch noch nicht so spät – erreiche ich eine kleine Siedlung mit einer Kirche. Wie immer auf meinen Wanderungen stelle ich fest, dass ich überhaupt kein Zeitgefühl habe. Ich kann nicht sagen oder schätzen wie spät es ist und wie lange ich schon laufe. Unter dem Vordach der Kirche liegen einige Menschen in einem Schlafsack, aber ich glaube nicht, dass es sich bei diesen Menschen um Pilger handelt. Vor der Kirche treffe ich auf ein asiatisches Pärchen, dass ich bereits an der Kirche von Guadelupe im Regen getroffen habe, und gestern bei meiner Stippvisite in Zarautz ankommen sah. Wir kommen kurz in´s Gespräch, dann machen die Asiaten sich wieder auf den Weg. Außerdem sind vor der Kirche noch ein junger Mann, von dem ich nicht sagen kann, ob er ein Pilger oder ein Aussteiger oder Sonstiges ist. Der junge Mann hat lange wilde Haare und nur wenige Zähne im Mund, kommt aber aus Deutschland. Er nennt seinen Namen nicht, erzählt aber, dass er schon seit über einem halben Jahr durch Spanien tingelt, mal hier ist, mal dort, wie es gerade kommt und wo es günstig ist. Er lebt von der Hand in den Mund, war in Deutschland arbeitslos und weiß nicht, was er machen soll oder wie es weitergehen soll. Auch solche Menschen trifft man auf dem Weg, wobei er den Pilgerweg momentan nur deshalb nutzt, weil die Unterkünfte relativ günstig sind – eine Alternative zum Schlafen im Zelt und unter irgendwelchen Vordächern. Während er mir von sich erzählt, laufen wir ein Stück gemeinsam den Weg, irgendwann trennen wir uns wieder.
Der Blick auf das Meer fasziniert mich immer wieder, die Natur wirkt so friedlich, so schön, man kann den Blick nur genießen. Der Küstenweg führt um eine Bucht nach der anderen und in der Ferne, auf Meereshöhe kann ich schon den nächsten Ort, Zumaya, liegen sehen.




Um etliche Kurven und auf kleinen Straßen geht es wieder hinab in den Ort. Kurz bevor ich Zumaya erreiche, überholt mich der japanische Radpilger, der die letzte Nacht ebenfalls in Orio verbracht hat. Sein Name ist so kompliziert, dass ich ihn nicht behalten habe. Nachdem er mich überholt und geklingelt hat, bremst er und kommt zu mir zurück. Gemeinsam, er sein Rad schiebend, erreichen wir Zumaya. Er berichtet, dass er lange geschlafen hat und erst vor 40 Minuten gestartet ist. Ich hingegen bin schon seit einigen Stunden unterwegs. Inzwischen ist es 10.30 Uhr, die perfekte Zeit für einen kleinen Stopp und eine Tasse Kaffee. Da der Japaner gerade erste gestartet ist, verabschieden wir uns und ich setze mich am Hafen in eine Bar. Zufällig stelle ich fest, dass das asiatische Pärchen den gleichen Gedanken hatte. Während ich mit einem Milchkaffee und einem Croissant pausiere kommt ein heftiger Wind auf. Es windet und pustet ordentlich, auf dem Meer entstehen von jetzt auf gleich viele weiße Schaumkronen, die Sonne und die warmen Temperaturen bleiben dabei aber erhalten.


Von Zumaya aus führt der Weg wieder auf unbefestigten Wegen steil bergauf. Der Wind bläst so heftig, dass ich mehrfach fast das Gleichgewicht verliere. Bei der starken Brise, spürt man kaum, wie stark die Sonne knallt. Die Gefahr in der Sonne zu verbrennen ist riesengroß und regelmäßig creme ich mich mit Sonnencreme ein. Sonnenhut und Sonnenbrille sind absolut notwendig. Der Weg führt steil hinauf und aufgrund der schlechten Wegqualität komme ich nur langsam vorwärts.




Scheinbar geht es den Asiaten auch nicht viel anders, denn sie laufen in einem gleich bleibendem Abstand vor mir her. Von Zarautz nach Zumaya waren es 10 Kilometer, und der längere Abschnitt von Zumaya nach Deba, mit fast 13 Kilometern liegt noch bevor. Eigentlich ist es mir lieber, dass die erste Weghälfte der weitere Abschnitt ist, aber danach kann man seinen Weg nur schwer planen. Eigentlich sind 23 Kilometer gut zu laufen, aber die vielen Auf- und Abstiege, die schlechte Wegqualität und die heiße Sonne machen das Laufen anstrengend und immer wieder habe ich das Gefühl, dass ich körperlich nicht auf der Höhe bin. Das Laufen ist anstrengend und ich muss mich auf jeden Schritt konzentrieren. Ein falscher Tritt und ich strauchele, wanke und schwanke über den Weg.




Betonstraßen sind so schön gerade und „angenehm“ zu laufen, wenn auch nicht schön, aber der Asphalt ist überwiegend eben. Die Naturwege sind wunderschön, aber uneben und huckelig, und somit wesentlich anstrengender – aber ich mag sie lieber. Auf einem wunderschönen Rastplatz, oberhalb des Meeres gelegen, setze ich mich eine Weile hin und genieße den Ausblick. Grüne Wiesen, gelbe Blumen, windschiefe Bäume, Sonne, und ein strahlendblaues Meer mit dicken Schaumkronen. Es ist schon verrückt, wie von jetzt auf gleich der starke Wind aufkommt. In einer Minute ahnt man noch nicht, dass es windig werden könnte und von jetzt auf gleich wird man fast vom Wind umgeblasen und das Meer braust mit dicken Schaumkronen vor sich hin. Auch diese Rast wird nicht lang, ich trinke Wasser, creme mich ein, esse einen saftigen Pfirsich und nach einem Blick in den Reiseführer geht es weiter.



Mehr als verwundert stelle ich fest, dass ich seit Zumaya erst eine Distanz von nicht mal 3 Kilometern hinter mich gebracht habe. Also weiter, auf und ab durch die Hügel. Ich sehe nichts als Hügel und Berge. Ein Berg folgt dem anderen… Über eine kleine Landstraße erreiche ich eine Bar und wieder nutze ich die Gelegenheit Energie zu tanken. Auch wenn ich sonst keine Cola trinke, jetzt muss es sein und das kühle, zuckerige Getränk ist einfach in dieser Situation nur gut. Ich verewige mich in dem Gästebuch der Bar, tausche einige Worte mit der Barbesitzerin und laufe weiter. Klock, klock, klock, meine Wanderstöcke sind nicht zu überhören, aber ich bin froh sie zu haben und das Klackern ist fast das Einzige was ich höre – nur der Wind, mein Atmen und das Knirschen des Sandes unter meinen Füßen, sonst nichts. Es geht steil abwärts, und auf dem Schotter ist die Möglichkeit in´s rutschen zu kommen groß. Ich ahne es, gleich sobald ich den tiefsten Punkt des Weges an der Straßenkreuzung erreicht habe, wird es wieder aufwärts gehen. Und wie nicht anders geahnt, aber insgeheim gehofft, führt der Weg wieder genau so steil bergauf, wie ich zuvor abgestiegen bin. Auf einem gelben Jakobsweg-Wegweiser wird die Entfernung nach Deba mit 6 Kilometer = 2,5 Stunden angegeben. Krass, dass heißt, dass man ca. mit einem Tempo von 2,5 Stundenkilometern läuft und nicht schneller.




Inzwischen zeigen sich am Himmel graue Wolken und ich freue mich über die Wolken, denn so laufe ich nicht nur in der Sonne, es gibt auch einmal Schatten. Die Haut auf meinen Schultern und im Dekolté brennt trotz mehrfachen Auftragens von Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor merklich. Durch ein Weidetor führt mich der Weg von der Landstraße in einen Kiefernwald hinein. Hier im dunklen Wald ist der Weg noch vom Regen des Vortages oder der letzten Zeit matschig und rutschig, aber es richt wunderschön nach Kiefern. Durch etliche Weidetore, die ich öffnen und schließen muss, folge ich dem Weg.



Ein Jogger kommt mir entgegen und ich frage mich, wie man diesen Weg mal eben so laufen und traben kann. Er sieht so leichtfüßig aus und ich krieche so vor mich hin. Inzwischen spüre ich deutlich, dass meine Energie nachlässt. Ich wünsche mir Deba herbei, aber es ist wohl noch einige Kilometer entfernt. Erstaunlich finde ich, dass ich auf dem Weg soviel trinke, aber alles getrunkene scheint einfach zu verdunsten, Harndrang gibt es auch über Stunden kein einziges Mal, dafür bin ich klatschnass geschwitzt. Irgendwann habe ich den Wald durchquert und komme wieder auf eine stärker befahrene Straße. Die Autos rasen an mir vorbei und nehmen fast keine Rücksicht. In dem rasanten Tempo, dass sie fahren, frage ich mich, ob sich mich überhaupt wahrgenommen haben.
An der Straße laufe ich an einem Restaurant vorbei und ich betrete es, da ich ein dringendes menschliches Bedürfnis habe. Da ich nichts essen oder trinken möchte, frage ich, ob ich trotzdem die Toilette benutzen darf. So wie ich die Wirtin verstanden habe, scheint es kein Problem zu sein, oder sie hält mich nicht auf. Anschließend verlasse ich das Restaurant wieder um kurze Zeit später festzustellen, dass eine schimpfende, schreiende Restaurantdame hinter mir her rennt. Da ich mir sicher bin, nichts vergessen zu haben, ignoriere ich das Geschreie und setze meine Weg fort. Ein Einheimischer schickt mich auf die rechte Straßenseite, auch wenn man eigentlich auf Straßen links laufen sollte, und nur wenig später sehe ich, dass der Seitenstreifen in einer steilen Kurve endet. Es wäre einfach nur gefährlich auf der Innenseite der Kurve den Berg hinauf zu laufen, bei dem rasanten Fahrstil der Spanier und glücklich bin ich, als ich wieder in´s Grüne geschickt werde. Ich komme an einem Bauernhof vorbei und höre ein lautes, wildes Kläffen, aber der Hund nähert sich nicht, er scheint an der Leine oder im Zwinger zu sein. Immer wieder diese Angst vor den Hunden, die ich doch eigentlich mag – dabei hat mir noch kein Hund etwas getan, auch nicht die wildlebenden. Hinter dem Hof werde ich wieder auf einen Waldweg den bergauf geschickt. Ob es sich bei dem Weg um einen Weg oder ein Bachbett handelt kann ich nicht genau sagen.



Von oben läuft mir das Wasser entgegen, alles ist matschig und aufgeweicht und durch den Schlamm, vermooste Steine, Wurzeln und Farnkraut stapfe ich aufwärts. Irgendwo und irgendwann muss Deba doch mal kommen, wie weit soll es denn noch sein? Der Waldweg oder das Bachbett führen auf eine Straße und weit über mir sehe ich eine kleine Kirche. Es kann nicht anders sein, der Weg wird mich unter Garantie an der Kirche vorbei führen. Und es kommt wie es nicht anders kommen kann. Über eine Betonstraße werde ich zur Kirche, die fast auf der Bergkuppe liegt, geleitet.


Hinter der Kirche gibt es eine Bank, von der man aus den Atlantik erblicken kann, aber ich kann den Blick nicht mehr genießen. Ich bin total kaputt und fertig, die Füße tun bei jedem Schritt weh und ich habe keine Energie mehr. Ich möchte einfach nur da sein und ein Bett haben, egal in welchem Zustand es sich befinden mag. Es macht nicht viel Sinn im Reiseführer nachzulesen wo ich bin, denn dadurch wird der Weg nicht kürzer, aber ich tue es trotzdem. Noch drei Kilometer! Der Wegweiser mit seiner Zeitangabe von 2,5 Stunden für die 6 Kilometer hat nicht untertrieben. Da ich keine Uhr anhabe, weiß ich nicht wie spät es ist, wie lange ich schon laufe, aber die Zeitangabe kommt hin, eher habe ich das Gefühl länger zu brauchen.
All das was ich zuvor an Höhe gewonnen habe, steige ich nun wieder in´s Tal hinab. Erst fällt die Landstraße leicht ab, dann super steil.


Auf Straßenschildern wird auf Rutschgefahr aufgrund der Steile gewarnt. Die Straße ist mit Rillen durchzogen, damit man etwas Widerstand hat und nicht ganz so schnell den Abhang hinunterrutscht. Dass es so etwas in der EU gibt, ich dachte alles wäre geregelt und genormt, aber dieses Sträßchen ist der Wahnsinn.
Links von mir im Gebüsch höre ich ein klagendes Miauen. Die Katze heult beständig vor sich hin und gut oder gesund hört sich das Miauen nicht an. Ich versuche die Katze im Gebüsch ausfindig zu machen, aber ich kann sie nicht finden. Aber was würde ich tun, wenn ich die Katze gefunden hätte? Helfen könnte ich ihr hier nicht, ggf. befreien, wenn sie sich verfangen hätte, mitnehmen geht nicht. Mit einem unguten Gefühl laufe ich weiter, muss aber ständig an das arme Tier denken.
Hinter einer Kurve erblicke ich endlich die ersten Häuser, ich habe es fast geschafft! Deba liegt an einem steilen Berghang und die verschiedenen Höhen des Dorfes werden mit etlichen Liften verbunden. Ich freue mich mit meinen qualmenden, schmerzenden Füßen nicht noch einen Hang hinabsteigen zu müssen. Ich steige in den ersten Fahrstuhl und laufe über den angrenzenden Platz um den nächsten Fahrstuhl abwärts zu nehmen.


Deba hat die Besonderheit am Pilgerweg, dass der müde, fußkranke Pilger sich erst in der Touristeninformation oder bei der Polizei anmelden muss. Die Herberge ist weder im Ort noch im Reiseführer ausgeschildert. Mir schwant Schlimmes, denn ich komme mitten in der Siestazeit an, dabei sehne ich mich so sehr nach einem Bett – hinlegen und ausruhen. Wie erwartet ist die Touristen-Information geschlossen, aber durch die Glastür sehe ich eine Person und so klopfe ich mehrfach laut an, bis man mich einlässt. Auch wenn eigentlich geschlossen ist, kann ich mich registrieren lassen, erhalte ein Anmeldeformular und eine Nummer um schlussendlich einen Stadtplan mit Wegbeschreibung zu erhalten. Da mir mein Bett sicher ist, setze ich mich noch kurz in ein Café und bestelle ein leckeres Bocadillo und einen Kaffee. Während ich total fertig in der Bar sitze, erscheint auch Luna, die Dänin, die ebenfalls in Orio übernachtet hat. Auch sie ist total geschafft, zumal sie bereits in Orio gestartet ist, aber da sie nicht mehr konnte, ist sie die letzten Kilometer getrampt. Ich schicke sie mit dem Hinweis bei der Information laut und lange zu klopfen weiter und mache mich auf den Weg zur Herberge. Mit den Fahrstühlen (Gott sei Dank), fahre ich wieder den Berg hinauf und finde die Herberge in einer alten, baufälligen und verschimmelten Schule. Nicht schön, aber egal – ich möchte nur ein Bett. In der Herberge werde ich vom Herbergspersonal empfangen und es gibt direkt ein Problem. Auf meiner Anmeldekarte hat man mir das Bett Nr. 11 zugeteilt, Bett Nr. 11 ist aber bereits besetzt. Anstatt mir einfach das freie Bett Nr. 12 zu geben, wird stundenlang telefoniert, mit dem Ergebnis, das ich Bett 12 bekomme. Es lag einfach nur ein Schreibfehler vor, aber es wird geforscht, telefoniert und debattiert – dabei kann ich alle Anmeldepapiere vorweisen. Als auch das geklärt ist, kann ich meine Schlaffstatt belegen und ich bin froh meine Beine hochlegen zu können. Die Luft in unserem Schlafgemach ist zum Schneiden, aber es wird nicht akzeptiert, dass ich das Fenster öffne. Sobald ich das Fenster öffne, wird es wieder geschlossen. Warum haben Franzosen und Spanier so viel Angst vor frischer Luft? Es ist doch nicht kalt, nur windig! Diego und Eliot, die Italiener aus Orio sind bereits da, der radelnde Japaner, Luna kommt kurze Zeit später.
Im Nachbarbett schläft Joschua, ein Niederländer der in Laer wohnt, praktisch mein Münsteraner Nachbar.
Nach Duschen, Waschen und einer kurzen Siesta bin ich wieder fit. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell man sich regeneriert oder wieder aufrafft den Ort zu besichtigen.
Ich schlendere noch etwas durch den Ort, schaue mir die große Kirche an in der es zugeht wie auf dem Jahrmarkt, kaufe noch etwas Proviant für den nächsten Tag, schreibe mein Tagebuch und das war es. Zu mehr bin ich nicht mehr zu gebrauchen.




Für Morgen stehen wieder 23 Kilometer auf dem Plan, praktisch genauso weit wie heute, aber vor den heftigen, sich oft wiederholenden Auf- und Abstiegen habe ich verdammten Respekt. Für die heutigen 23 Kilometer habe ich ca. 8 Stunden gebraucht, aber sie kamen mir wesentlich anstrengender und weiter vor als die 35-40km Etappen durch die Ebene auf der Via Plata.
Bis morgen habe ich noch eine Nacht um mich zu regenerieren und dann geht es weiter!

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