Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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San Sebastian - Zarautz

20. Juni 2012
San Sebastian – Zarautz

Obwohl ich vom gestrigen Tag so ausgepowert und hundemüde war, habe ich in der Nacht in meinem Pensionszimmer nur wenig Ruhe gefunden. An Schlaf war kaum zu denken, denn das Leben in der Altstadt war laut und sehr rege, da hat sich mein Einzelzimmer nicht wirklich gelohnt. Eigentlich wollte ich frühestens um 6.30 Uhr aufstehen, aber da ich schon seit längerer Zeit wach bin, stelle ich meinen Wecker aus und stehe langsam auf. In der Gasse vor meinem Fenster herrscht um die Frühe Zeit schon ein ständiges Kommen und Gehen.


Geschäfte werden beliefert, die Straßenreinigung ist aktiv und die Spanier sind nicht wirklich leise. Aber was soll es!
Der Blick aus dem Fenster zeigt mir dass es trocken ist, Wolken sind nur wenige am Himmel über meiner Gasse zu sehen. Allerdings ist die Kleidung vom gestrigen Tag – ich habe sie am Geländer vor meinem Zimmer zum Trocknen aufgehängt – nicht wirklich trocken. Sobald ich aus San Sebastian heraus bin werde ich sie von außen an meinen Rucksack hängen, dort wird sie hoffentlich im Wind und bei hoffentlich aufkommender Sonne, trocknen.
Leise verlasse ich mein Zimmer nachdem ich alles für den Abmarsch vorbereitet habe und begebe mich in Richtung Conchabucht. Gelbe Wegweiser finde ich momentan nicht, aber ich weiß, dass ich der Strandpromenade an der Bucht folgen muss. Sicherheitshalber frage ich am Ende noch einmal ob ich richtig bin und frage direkt nach einer geöffneten Bar. Die Conchabucht zieht sich über mehrere Kilometer lang und in der Mitte der Bucht liegt eine kleine Insel.



Kleine Boote liegen an Stegen und mitten in der Bucht dümpeln einige Badepodeste im Wasser. Wäre das Wetter gestern besser gewesen, wäre ich gerne in´s Meer gesprungen, aber bei den doch recht kühlen Temperaturen war mir doch nicht so danach. Ein weiteres Problem mit dem Bad im Meer ist, dass anschließend alles total versandet ist. Besonders der Sand an den Füßen kann zu Problemen führen. Die kleinen Sandkörner führen gerne und schnell zur Blasenbildung und Blasen und wandern nicht wirklich kompatibel.
Man weist mir den Weg zu einer Bar in einer Parallelstraße und dort kehre ich für kurze Zeit zu einem kleinen Frühstück ein. Es gibt, wie immer, das typisch spanische Frühstück. Danach starte ich endgültig in den Tag. Kurz hinter der Bar sehe ich einige Pilger die wahrscheinlich in der Jugendherberge übernachtet haben. Ich war gestern so fertig vom Laufen, dass mir die ca. 4km bis zur Jugendherberge zu weit waren – keinen Schritt mehr als nötig wollte ich gestern bei meiner Ankunft mehr laufen. San Sebastian verlasse ich über einen Weg, der anfangs auf Treppen steil, danach auf kleinen Wegen und Schotterstraßen, weit hinauf auf den Monte Igeldo führen.



An einem kleinen Parkplatz pausiere ich kurz, wieder ist mein linker Fuß nach einigen Kilometern taub geworden. Wieder ziehe ich meinen Wanderschuh für einige Zeit aus und setze mich auf eine kleine Mauer und warte dass das Gefühl im Fuß wiederkommt.


Nachdem es nicht gleich zurückkommt laufe ich mit nur einem Schuh über den Parkplatz und langsam spüre ich meinen Fuß wieder. Ich ziehe meinen Schuh wieder an und laufe weiter. Ich folge einer Landstraße bergauf die bald durch eine kleine Siedlung führt. Am linken Straßenrand sehe ich eine kleine, scheinbar private, Stempelstelle. Ein einfaches kleines Tischen, ein Gästebuch, Stift, Stempelkissen und Stempel und einige Wasserflaschen stehen nebst zwei Holzstühlen an einer Mauer. Diese Stempelstelle habe ich schon einmal auf einem Foto gesehen. Ich setze meinen Rucksack ab und nehme Platz auf einem der Stühle.


Ich lese etwas in dem Gästebuch und packe anschließend meine Credencial aus um mir selbst einen Stempel für den heutigen Tag zu drucken. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite tritt ein Mann aus dem Haus und kommt auf mich zu. Er spricht mich auf spanisch an und nachdem ich mich als deutsche Pilgerin vorstelle, wechselt mein Gegenüber in die deutsche Sprache. Er erzählt mir von seinen vielen Pilgerreisen und dass er hier an seiner persönlichen Stempelstelle die Pilger mit Getränken versorgt. In seinem Arm hat er eine Flasche frischen, roten Traubensaft – den er selbst gekeltert hat – und stellt sie zu den Wasserflaschen. Ich werde gefragt wohin ich heute wandern möchte und erzähle von meinem heutigen Ziel Zarautz. Der nette spanische Herr erklärt mir, dass es in Zarautz wieder keine Pilgerherberge gibt, nur Hotels und Pensionen und eine recht gut ausgebuchte Jugendherberge. Aber er macht mir den Vorschlag meinen Rucksack in Orio, in der wunderschönen Herberge von Rosa zu lassen, und ohne Gepäck weiter nach Zarautz zu laufen. In Zarautz fährt alle halbe Stunde der Bus nach Orio zurück und auch am nächsten Tag in der Frühe ist es kein Problem mit dem Bus wieder nach Zarautz zu fahren. Nach seinen Erklärungen bekomme ich ein Glas Traubensaft und einer Umarmung verabschieden wir uns nach einem „Buen Camino“. 
Ich folge der Landstraße weiter und mache mir Gedanken über den Vorschlag von Zarautz wieder nach Orio zurückzufahren.



Als Pilger läuft man doch eigentlich immer weiter und kehrt nicht zurück – aber andererseits finde ich die Idee gut. Ohne Rucksack läuft es sich wesentlich leichter und unbeschwerter. Ich werde mir den Gedanken bis Orio noch mehrmals durch den Kopf gehen lassen. Wenn ich nach Norden (also nach rechts) schaue, sehe ich unterhalb der Felder und Wiesen den Atlantik. Die Luft ist schwül-warm, aber es ist trocken, aber über der Landschaft hängt eine Dunstglocke. Heute geht es, bislang, nur über kleine Landstraßen, aber ich genieße es auf Beton zu laufen, es läuft sich so wesentlich leichter, als auf den unebenen Holperwegen, aber für die Füße und Gelenke ist das Laufen ungesünder. Inzwischen habe ich mich auch an das Laufen mit den Wanderstöcken gewöhnt. Ein regelmäßiges klacken begleitet mich durchgängig. Rechts und links des Weges blühen riesige Rhododendren, überwiegend in blau und lila – einfach wunderschön, Blumen am Wegesrand sieht man eher selten.



Eine Bar liegt am Wegesrand, aber ich lasse sie links liegen und laufe an ihr vorbei. Die Landstraße geht in einen Waldweg über und nach kurzer Zeit kommt mir ein recht großer Hund entgegen. Mein Herz beginnt zu pochen, aber der Hund läuft einfach an mir vorbei. Hinter einer Kurve steht ein Campingwagen und einige Meter weiter steht ein einfaches Tischen mit Thermoskannen von Kaffee und Tee, außerdem ein selbstgebackener Sandkuchen. Aus dem Campingbus tritt ein junger Mann und lädt mich zu einer kleinen Pause ein. Wie er mir erzählt, kommt er und seine Freundin, mitsamt dem Hund den ich schon getroffen habe, aus Frankreich. Sie leben in ihrem Campingbus und sind mal hier und mal dort. Ich setzte mich auf einen Baumstamm und genieße Kaffee und Kuchen – gut, dass ich zuvor an der Bar vorbeigelaufen bin. Nach zehn Minuten verabschiede ich mich, nachdem ich eine kleine Spende in ein Döschen geworfen habe. Solche Begegnungen am Wegesrand sind immer wunderschön. Wildfremde Menschen, die auf den Pilger zukommen, und ihnen etwas Gutes tun – egal ob eine Spende gegeben wird oder nicht. Leider spinnt mein Fotoapparat nachdem ich diesen netten Platz fotografiert habe und am Abend stelle ich fest, dass das Foto verloren gegangen ist. Der schattige, feuchte Waldweg wird immer schlechter zu laufen, die Büsche versperren den Weg zeitweilig fasst komplett und es geht auf und ab auf engen Holperpfaden und über unebene Steine die auf dem Weg liegen.



Für mich wird das Laufen auf diesem Untergrund wieder anstrengend und ich wanke und schwanke balancierend über den Weg. Das Meer ist wesentlich weiter als am Vortag von mir entfernt, aber ich kann es ständig sehen. Es klart auf und die Sonne kommt immer mehr hervor, sodass ich meinen Sonnenhut und meine Sonnenbrille aufsetze.



Durch einige Weidetore und Wiesenwege werde ich nach einiger Zeit wieder auf eine Landstraße geführt, der ich folge. Einige Häuser stehen am Straßenrand und ich glaube so gut wie in Orio zu sein, aber auf einem Straßenschild lese ich, dass Orio noch 4 Kilometer entfernt sein soll. Ich kann es nicht glauben, scheinbar bin ich wesentlich langsamer als in den vorherigen Jahren und nur die letzten Kilometer gingen nicht über die Landstraße, aber die vielen Berge, das stetige auf und ab wirken sich auf das Lauftempo aus.
Irgendwann kann ich Orio unten im Tal unter mir liegen sehen. Die Radler werden über die Landstraße nach Orio geführt, die Wanderer werden durch einen Wald hinab geschickt. Nach wenigen hundert Metern fange ich an zu fluchen. Es geht verdammt steil über glitschiges Pflaster, über Stöcke, Steine und Wurzeln hinab. Es ist so uneben wie es nur sein kann. Hinzu kommt das Licht-und-Schatten-Spiel der Bäume. Licht und Schatten wechseln durch den Wind ständig hin und her und ich balanciere abwärts. Zu dem unsicheren Gang kommt noch der Schmerz im rechten Fuß. Bei jedem Schritt mit rechts schießt beim Auftreten mit der Ferse ein stechender Schmerz in die mittleren Zehen. Es tut richtig heftig weh und zwischendurch entweichen mir beim Auftreten Schmerzlaute, die ich gar nicht von mir geben will. Der Abstieg ist heftig, aber auch irgendwann geschafft und ich erreiche die Landstraße, die die Radler genommen haben. Über die Landstraße erreiche ich das Dorf und die Herberge ist direkt ausgeschildert. Ich umrunde das Haus und finde auf der Rückseite den Eingang zur Herberge, die im Keller eines Hauses liegt.




Vor dem Eingang steht ein Empfangstisch, Schuhregale, Informationen zum Weg, Stempel, Muscheln, alles ist wunderschön hergerichtet. Im Garten stehen Sonnenstühle und Liegen, es gibt Schaukeln, ein Baumhaus, ein Gartenhaus in dem eine Küche untergebracht ist, und und und…



Die Tür zum Schlafsaal steht offen, aber leider kommt niemand auf mein Schellen. Ich bleibe eine Weile sitzen und überlege was nun… Nach einer Weile stelle ich meinen Rucksack neben ein Bett (schließlich steht auf einem Zettel: falls niemand zu Hause, einfach eintreten und ein Bett nehmen) und schreibe eine Nachricht, dass ich, Peregrina Anne, bei ihr übernachten möchte, aber zuvor noch ohne Gepäck nach Zarautz laufe und anschließend zurückkomme. Mit einem etwas mulmigen Gefühl nehme ich nur das Nötigste (Handtasche, Fotoapparat und Wasser) mit und mache mich auf den Weg nach Zarautz. So ohne Gepäck läuft es sich richtig angenehm und leicht. Orio ist ein nettes Dörfchen mit einer engen „Hauptstraße“ durch ein altes Städtchen. Am Ende der Hauptstraße kehre ich in eine Bar ein und nach einer kleinen Stärkung geht es weiter. Ich umrunde das Hafengebiet und verlasse Orio über eine Brücke und folge dem Meeresarm.



Plötzlich laufen vor mir 4 Pilger, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich schätze, dass sie mich auch als Pilger erkennen, sind scheinbar aber verwundert, dass ich ohne Rucksack laufe und wir kommen nicht in´s Gespräch. Ein kleines Landsträßchen führt durch grüne Berge  stetig bergauf. Inzwischen knallt die Sonne vom Himmel und der Himmel ist strahlend blau. Immer weiter aufwärts geht es auf dem Sträßchen und irgendwann kann ich von der Bergkuppe auf Zarautz und den Atlantik hinabblicken. Zarautz hat einen langen, schönen Sandstrand, dahinter liegen grüne Wiesen. Das Meer leuchtet türkis-blau und es macht Spaß den Anblick zu genießen.




Die Straße führt in einigen Windungen steil den Berg hinab und nach einiger Zeit erreiche ich den Stadtrand von Zarautz.  Ich folge der Hauptstraße hinein nach Zarautz, aber als ich die Touristeninformation erreiche hat diese geschlossen. Es ist Mittag, Siestazeit. In der Nähe der Information finde ich eine Bushaltestelle und stelle fest, dass der nächste Bus in kurzer Zeit fährt. Irgendwie ist mir mulmig im Bauch, was ist mit meinem Rucksack in Orio? Wird es akzeptiert, dass ich meinen Rucksack einfach zurückgelassen habe?
In wenigen Minuten fährt der Bus mich nach Orio zurück und ich laufe den Berg zur Herberge wieder hinauf. Inzwischen sind etliche Pilger eingetrudelt und ich werde herzlich von der Hospitaliera Rosa empfangen. Sie freut sich, dass ich bei ihr übernachte und ich erfahre, dass etliche Pilger es genauso wie ich machen. Am Abend wird Rosa für alle die es möchten ein Menü kochen und ich habe mich dazu angemeldet. In der Herberge übernachtet eine sehr nette Dänin namens Luna und wir kommen in´s Gespräch. Ein radelnder Japaner, der aber in Salamanca studiert trifft kurz nach mir ein, ebenso Assunta und Anna. Wir freuen uns wieder zu sehen und erzählen mit Händen und Füßen. Zwei Italiener, Diego und Eliot, treffen noch ein und es wird ein sehr netter Nachmittag und Abend. Von Rosa bekomme ich eine neue Jakobsmuschel für meinen Rucksack, denn meine hat den Flug nicht überstanden.


Abends, während wir unser Nachtmahl einnehmen, fängt es an zu regnen, aber Rosa prophezeit gutes Wetter für den nächsten Tag.

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