15. September 2024
Trinidad del Arre – Lanz, rückwärts über den Camino Baztan 24,5km
Als
ich in meinem Bett erwache herrscht schon reges Treiben. Heute trennt
sich mein Weg vom Weg meiner Mitpilger. Für mich geht es weiter
Richtung Norden, meine Mitpilger folgen dem Camino
Frances.
Hoffentlich
finde ich den Weg. Die GPS-Daten habe ich auf meinem Handy
gespeichert und ich sollte angesagt bekommen, wann und wo ich
abbiegen muss. Zusätzlich habe ich die Koordinaten über die
Internetseite Gronze.com auf
dem Handy.
Bei einem Tee
und etwas trockenem Brot warte ich darauf, dass es hell wird. Ich
starte und gehe die wenigen Meter zurück aus dem Ort hinaus über
die schöne alte Brücke und folge dem Fluss. Der Weg ist klar und
eindeutig, es gibt nur diesen einen Weg über das Sträßchen in
einem Naherholungsgebiet.
Dass die nächste Großstadt nicht weit entfernt ist, spürt man deutlich . Ich sehe und höre größere Straßen und Autos, es geht an Industriegebäuden und unter einer großen Brücke durch. Das Flüsschen ist nett, es plätschert neben dem Weg, ist mal besser - mal schlechter zu sehen. Mit der Zeit wird es ländlicher. Heute ist Sonntag, Geschäfte - sofern es sie gibt - werden nicht offen sein. Nach fast zwei Stunden komme ich zu einer Brücke, dahinter ein Kirchlein und ein Dorf. Auch wenn der Weg mich nicht in dieses Dorf führt, biege ich die 100 Meter dorthin ab. Neben der Kirche ist der Dorfplatz und die Bar soll in 15min öffnen. Die Kirche ist zu, auch wenn es Sonntag ist. Würde zeitnah eine Messe stattfinden, würde ich mich freuen, aber auch hier wird die Messe nicht gelesen.
Die Bar hat eine große Terrasse an dem Fluss dem ich folge und so setze ich mich dort in die Morgensonne. Die Wirtin, die die Tische reinigt, sieht mich und so kann ich mein kleines Frühstück bestellen.
Serviert wird hingegen meiner Erwartung mindestens ein halber Meter dick belegtes Baguette. Ein Toastada hat es nicht gegeben. Auf Pilger ist man hier nicht eingestellt, einen Stempel für die Credencial gibt es nicht. Einen großen Teil des Baguettes lasse ich mir einpacken, wer weiß, wann und wo ich wieder was finde.
Eine
Notration Nüsse und etwas Obst habe ich immer dabei.
Hinter
der Ortschaft wird die Natur
immer
schöner. Der Weg führte in einen Wald hinein und über schmale
Pfade geht es
langsam aufwärts.
Manchmal ist die Wegführung unklar und in den ersten Metern eines ggf. falschen Weges schlägt das GPS noch keinen Alarm, aber wenig später schon. Ich bin mir so sicher, dass es auf dem "Hauptweg" weitergeht, aber die Vermutung ist falsch. Auf noch einem unscheinbareren Weg geht es weiter aufwärts. Wenn mal ein gelber Pfeil auftaucht, bin ich erleichtert über die Gewissheit richtig zu sein. Noch nie bin ich auf solche Art und Weise gelaufen, aber ohne wäre es nicht möglich. Zeitweise geht der Wald in große grüne Wiesen über und in den Wiesen kann man nicht sehen, wie es weiter geht. Auf diesen weitläufigen Wiesen am Hang tollen die Pferde umher. Sie galoppieren in großer Freude über die Wiesen, springen und scheinen ihr Leben zu genießen. Am Ende der Wiese gibt es eine Baumlücke und ich vermute, dass ich dort lang muss. In der Baumlücke sehe ich mal wieder eine Trittspur.
Im Wald fühle ich mich so wohl, keine Angst, einfach zufrieden. Mir kommt ein älterer Pilger entgegen und er freut sich genau so wie ich . Wir unterhalten uns kurz und siehe dar: Er wäre eigentlich zur Zeit Hospitaliero in Sarrance, auf dem Weg zum Somport - der Weg, den ich ursprünglich geplant habe. Der Hospitaliero aus den Niederlanden sucht sich momentan auch eine andere Freizeitbeschäftigung, Sarrance ist geschlossen. Er meint, dass es Monate dauern werde, bis der ursprüngliche Weg wieder hergestellt sei.
Ich komme durch mehrere Dörfer und die Wegführung ist für mich nicht eindeutig erkennbar. Geht der Weg nun auf dem Seitenstreifen weiter, oder auf dem Trampelpfad neben der Straße, der wieder in Richtung Fluss führt. Leider ist der Kontakt zum Internet weg, ich habe mich zu wenig mit der Technik beschäftigt und beschließe, dass der Weg wohl am Bach weiterlaufen wird. Ich weiß, dass er heute immer in Sichtweite, nicht fern von mir ist. Schnell merke ich, dass das nicht stimmen kann, aber ich bin mir sicher gesehen zu haben, dass der Fluss wieder auf den Weg/oder umgekehrt stößt. Warum drehe ich nicht einfach um? Warum mache ich es mir so schwer? Warum höre ich nicht auf mein Bauchgefühl auch wenn Straße nicht so schön ist? Anstatt umzudrehen entscheide ich mich dazu, mich durch das Gebüsch zur Straße zurückzuschlagen. Wenn mir hier was passiert such mich hier niemand, warum auch? Auch wenn ich mir die Handlung im Nachhinein nicht erklären kann, stapfe ich durch Brombeerranken, Brennnesseln, Sträucher und was so meinen Weg kreuzt.
Der Weg zurück wäre länger gewesen, aber ich wäre trotzdem schneller als auf diese Art. Ich höre die Straße, ich kann sie durch die Büsche sehen, - aber nein: ich kämpfe mich durch das Gebüsch. Über eine kleine Mauer und einen Elektrozaun und über eine Wiese. Und fast geschafft, ich bin auf einem landwirtschaftlichen Betrieb, hinter der Scheune schießt ein großer Hund an einer Kette auf mich zu und dann muss ich nur noch über das verschlossene Tor klettern und bin zurück auf dem richtigen Weg. Auf der Straße angekommen lese ich am Schild der Toreinfahrt: Achtung, bissiger Hund! So ein Quatsch mache ich nicht wieder und plötzlich redet mein GPS wieder mit mir - ich bin zurück auf dem richtigen Weg.
Wieder
eine Lektion gelernt. Wenn ich dem angegebenen Weg nicht folge, kann
mir das Handy nicht den Weg weisen.
Jetzt
geht es eine Weile an einer größeren, unbefahrenen Straße entlang.
So schön es im Wald war, so ätzend empfinde ich große
Straßen.
Nach ca. 1,5 -
2km geht es wieder auf einem Schotterweg und mir kommen zwei Pilger
entgegen. Schon 3 Pilger in einer Tagesetappe, das sind noch weniger
Menschen als auf den 5 Etappen des Piamonte.
Kurz biege ich nach rechts in das Dorf ab. Vielleicht gibt es eine
Bar - aber das ist Wunschdenken. Ich setze mich vor der Kirche auf
eine Mauer und pausiere für
eine kurze Weile.
Dann
geht es zurück auf den Weg den ich gekommen bin. Geschätzt waren es
600 Meter Umweg, aber es war nett kurz durch das Dorf zu schauen.
Über eine Landstraße an der ich viele Greifvögel über den Wiesen
und Hügeln sehe, laufe ich nach Olagüe. Ich bin erleichtert, an
meinem Zielort zu sein. Die Herberge hinter der Kirche ist
verschlossen, und da die Öffnung für 15.00 Uhr angekündigt ist,
gehe ich zur einzigen Bar im Ort. Das Essen ist nicht wirklich
lecker, frittierte Fleischbällchen die ich nicht zuordnen kann und
die aus
mehr Brot als Fleisch bestehen mit
Pommes mit einem Milchkaffee
- was anderes gibt es nicht. Aber es ist was zu essen, auch wenn ich
noch mein Riesenbaguette im Rucksack habe. Nach der Mahlzeit ist die
Herberge noch immer verschlossen. Ich rufe bei der Nummer aus Gronze
an und wenig später kommt eine alte Dame und schließt mir das
ehemalige Pfarrhaus
auf.
Schon im
Treppenhaus riecht es feucht und muffig. Alle Fensterläden der
Herberge sind geschlossen, ich fühle mich hier überhaupt nicht
wohl. Ich bekomme meinen Stempel, bezahle meine 8 Euro und die Dame
verschwindet wieder. Es gibt drei Schlafräume mit mehreren
Etagenbetten, eine stark riechende Küche, wobei der Geruch aus dem
angrenzenden Waschraum verstärkt wird. Die Duschen sehen von außen
aus wie Kleiderschränke, eine Klotür fehlt gänzlich und
abschließen geht auch nicht. Im Aufenthaltsraum steht ein Einzelbett
neben dem Wohnzimmertisch und ich beschließe dieses zu nehmen.
Einzig der in der Sonne liegende Balkon macht mich etwas
glücklich.
Ich kann mir
nicht vorstellen, hier alleine zu schlafen. Dicke Spinnweben über
meinem Bett - wobei ich auch die anderen Betten
nehmen könnte, die Farbe
blättert von der Decke und aus den Küchenschränken riecht es so
nach Muff: Ich kann hier nicht bleiben, der Gedanke hier
zu nächtigen fühlt sich
nicht gut an. Ich ziehe das Bett wieder ab, ein Blick in die App
sagt: 5km bis zur nächsten Unterkunft in Lanz. Es ist noch keine
17.00 Uhr - also weiter. Nach Lanz geht es ohne Höhenmeter über
eine Landstraße und ich laufe den Turbo, ich
hatte
in Olague genug Zeit mich
auszuruhen.
Knapp eine
Stunde später stehe ich vor der Albergue in Lanz und nach einem
kurzen Telefonat mit der Hospitaliera kommt diese und öffnet mir.
Auch hier bin ich alleine, aber hier fühle ich mich wesentlich
wohler. Der Geruch, es ist heller und freundlicher und ich kann die
Albergue abschließen. Der Schlüssel ist in einem Kästchen mit
Zahlencode an der Tür.
In
diesem Ort ist heute eine Siesta. Die Kinder toben gut gelaunt durch
die Gassen, meinen Vorrat kann ich auch in der Bar für morgen nicht
auffüllen, es wird nichts mehr verkauft oder gekocht. Nur ein
abgepacktes "Schokoladencreme-Croissant" kann ich
erstehen.
In der
Herberge schreibe ich noch Tagebuch, die Wäsche hängt seit meiner
Ankunft zum Trocknen auf der Leine. Ich schließe mich ein, lege mich
in meinen Schlafsack und schlafe schnell ein, bis
zu einem Geklopfe und Gerüttel an der Tür. In der Dunkelheit ist
noch ein Pärchen angekommen. Wo die um diese Uhrzeit herkommen ist
mir schleierhaft. Draußen ist es stockdunkel und auch in
Laufrichtung ist der Weg nur spärlich ausgeschildert...
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