Die Geschichte meines Jakobsweges

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Lekaroz - Monasterio Urdax

 17. September 2024

Lekaroz - Monasterio Urdax          23km


Obwohl ich so erschöpft war, war der Schlaf unterbrochen von etlichen Wachphasen. Obwohl ich neben dem offenen Fenster schlief und es draußen kühl war, war wir entsetzlich heiß. Gefühlsmäßig würde ich sagen, mein Stoffwechsel läuft auf Hochtouren.
Um 7.00 Uhr bin ich startklar. Da es Frühstück frühestens in einer Stunde geht, gehe ich kurz zum Speisesaal um mein Wasser aufzufüllen.
Ungefragt bietet man mir schon jetzt ein Frühstück an und ich nehme das Angebot gerne an.
Alleine sitze ich in dem großen Speisesaal und um mich herum wird für die Schüler eingedeckt. Ich bekomme eine riesige Kanne Kaffee, Baguette, Marmelade und was es so in Spanien zum Frühstück gibt. Mein Wasser fülle ich auch noch auf und bei Dunkelheit laufe ich los. Den Weg bis Elizando bin ich gestern schon gelaufen und schaue gar nicht auf die Routenführung, stelle aber fest, dass man mich eigentlich abseits der Straße geführt hätte, aber egal, denn die Wege laufen wieder zusammen. Verwundert stelle ich fest, dass ich auf dem geplanten und gelaufenem Weg an keiner geöffneten Bar vorbeikomme. Sicherlich hätte es irgendwo eine Bar in einer Seitenstraße gegeben, aber da ich gut gefrühstückt habe, ist es nicht schlimm.
Ich bin einfach froh darüber, dass es so wie gemacht, richtig war. Über viele kleine Sträßchen und Pisten geht es erst durch das Baztantal, den Fluss Baztan kreuze ich immer mal, dann geht es wieder langsam aufwärts. Nach ca. 2,5h komme ich am Ortsrand von ??? an einer geöffneten Bar vorbei und ich genieße es, mich mit einem leckeren Caffee con leche in die Bar zu setzen. Wieder mal bestelle ich ein Bocadillo und bekomme ein riesiges Baguette. Wissend, dass es an meinem Zielort Urdax nichts zu kaufen gibt, bin ich dankbar über das Baguette - auch wenn mich der Preis erstaunt.
Ich mag es, einfach am Wegesrand eine Pause einzulegen und zu entspannen. Auch in dieser Bar ist man nicht auf Pilger eingestellt und ich kann keinen Stempel für die Credencial erhalten. Daran, dass es nirgends abseits der Alberguen Stempelstellen gibt, merkt man, wie wenig der Weg begangen wird.
Nach der Pause laufe ich bei angenehmen Sonnenschein weiter. Es leuchtete mal wieder herrlich blau und grün, der Frühnebel hat sich inzwischen verzogen. Habe ich mir gestern zum Ende der Etappe die Frage gestellt: "Was mache ich hier, warum tue ich mir das an und quäle mich?", war dieser Gedanke heute keine Sekunde in meinem Kopf. Generell ist mein Kopf beim Laufen sehr leer. Mir gehen keine schweren Themen, das Leben etc. durch den Kopf. Ich bin einfach im hier und jetzt. Ich freue mich an der Natur, an jedem Schritt, über jedes Lächeln, jeden Gruß, über alles und bin dankbar, dass mein Körper so gut mit macht. Nachdem ich das Baztantal durchschritten habe, geht es wieder vermehrt auf Pisten, Feldwege, Trampelpfade und Waldwege bergauf. Schritt für Schritt geht es höher, aber die Steigungen sind gut machbar. Mich fasziniert immer, wie schnell man aus den Tälern wieder emporsteigt und wie mit jedem Schritt aufwärts der Blick über die Landschaft weiter wird. Ich kann sehen, wo ich ungefähr her komme und wo ich gestern in das Tal hinab gekommen sein muss. Nicht, dass ich den Weg sehe, aber ich kann über das Tal blicken. Auch heute ist mir noch kein Pilger entgegengekommen, aber das geschieht gewöhnlich erst ab Mittag, wenn wir uns auf der halben Strecke begegnen.
Die Vegetation ist immer mal unterschiedlich. Meist sind es Laubbäume durch die der Wald führt, aber heute stehen auch Nadelbäume am Wegesrand. So leicht mir der Aufstieg fällt, so schwer wird es wieder im Abstieg.
Die Schwere bezieht sich nicht darauf, dass das Gelände unwegsam ist, aber generell ist meine Koordination und Gangunsicherheit im Abstieg so viel präsenter und sichtbarer. Meine Angst vor dem Fallen bremst mich zusätzlich aus, aber auch heute zählt die Devise: Schritt für Schritt abwärts. Das Navi pfeift mich einige Male auf den richtigen Weg zurück und auch mit Navi/GPS muss ich manchmal schauen, welcher Weg wohl gemeint sein könnte, besonders wenn man keinen sieht.
Kurz nachdem der Abstieg beginnt, geht es mir an einem schönen Rastplatz so. Am Hang sind Mauerreste zu sehen, etliche Bänke stehen rum, aber wo soll denn hier der Weg sein? Dieser Rastplatz bietet mehrere "Ausgänge", keiner ist als richtig zu erkennen. Und dann, als ich mal wieder mit Blick auf das Display laufe, gibt es wieder zwei Möglichkeiten. Ich hätte nicht gedacht, dass der kleine Trampelpfad der Weg ist, aber dennoch ist es so.
Manchmal kommen so einige Zusatzmeter beim Laufen zustande, aber nicht immer meldet sich das Handy direkt - gerade wenn beide Wege anfangs fast parallel laufen.
Ich komme wieder an einer Straße raus und laufe auf dem Seitenstreifen weiter, was mir nicht behagt, weil die Laster nah am Rand um die Kurven den Berg hinaufkommen und mich ggf. erst spät sehen. Und wieder meldet sich das GPS, dass ich falsch bin. Die Straße fühlt sich auch nicht richtig an, aber wieder habe ich keinen Weg gesehen. Kurz zuvor gab es eine kleine Lücke in den Leitplanken der Straße, und dadurch geht es für mich weiter, erst noch parallel zur Straße, nur etwas tiefer, dann führt der Weg wieder von der Straße weg. Kommt man aus der Gegenrichtung, ist der Weg einfach zu finden. Man kommt automatisch auf dem Weg zur Lücke in der Leitplanke und läuft selbstverständlich am Straßenrand in Laufrichtung weiter. Aus meiner Perspektive war diese Lücke nicht als Weg zu erkennen. Der Weg ist zu wenig belaufen, als das die Trampelpfade breit und ausgetreten sind. Der Waldweg wird irgendwann breiter und führt über eine lange Strecke den Berg hinunter und ab hier kommen mir mehrere Pilger den Berg hinauf entgegen. Alle keuchen schwer, und ich werde gefragt, wie lange es noch aufwärts führt.
Im Laufen bin ich zeitlos, habe keine Empfindung für Entfernungen und Uhrzeiten. Ich schaue öfter mal zwecks Wegführung aufs Handy, aber auf die Uhrzeit schaue ich dabei nie. Ich kann die Pilger vertrösten, ein großer Teil des Aufstieges ist geschafft. Die Einen kämpfen mit dem Aufstieg und ich kämpfe mal wieder mit dem Abstieg auf der Schotterpiste. Ich mag diese kleinen rutschenden Steine unter den Schuhen nicht. Oftmals laufe ich etwas Zickzack auf dem Weg, immer dorthin, wo nicht so viele Steine liegen.
Viele Maronenbäume stehen am Wegesrand und ich denke an meinen Abend in der Herberge mit meinen italienischen Pilgerfreunden. Sie haben auf dem Weg Maronen gesammelt, und abends gab es für alle gekochte Maronen - rösten ging ohne Backofen nicht. Aber es war gemütlich in der Küche. Das gemeinsame Lachen und reden in englisch, italienisch, spanisch... Geröstete Maronen erinnern mich auch an einen Tag am Ende des Weges in Muxia, als wir an einem verregneten Morgen unter dem Vordach einer Bar Abschied von der Reise nahmen und als Snack Maronen bekamen. Es war kalt, es hat geregnet und es war sehr gemütlich draußen zu sitzen und die Reise Revue passieren zu lassen.
Kurz vor der Ankunft in Urdax steht ein Wegweiser am Straßenrand. Es ist nicht mehr weit und ich bin froh drum. Mein Knie zickt bei langen Abstiegen, aber es macht besser mit, als ich an Tag 3 zu hoffen wagte. Da kam mir der Gedanke aufgeben zu müssen, wenn ich die Schmerzen und Beschwerden nicht in den Griff bekommen.
Die Klosteralbergue in Urdax ist verschlossen, aber der Hospitaliero kommt schnell und öffnet. Leider sind Kirche und Kreuzgang zu. Das alte Klostergebäude hat schiefe, ausgetretene Stufen, aber ich fühle mich in den Räumlichkeiten wohl. Das Gebäude ist kalt und die Luft ist feucht. Eine Heizung gibt es nicht. Nicht jede Dusche funktioniert, aber dafür ist die funktionierende Dusche schön warm.
Warum ich auf die Idee komme, trotz der Kälte Wäsche zu waschen ist mir schleierhaft, aber ich mache es - wahrscheinlich, weil ich es gestern schon nicht getan habe.
Nach mir kommt noch eine US-Amerikanerin, mit der man sich sehr gut unterhalten kann und später noch zwei Spanier. Leider kommen sie nicht in die Albergue rein - und wir nicht raus. Die Tür ist abgeschlossen und der Hospitaliero geht in der nächsten Stunde auch nicht an´s Telefon. Draußen gibt es einige wenige Häuser, aber ansonsten kann man draußen nichts machen.
Da es mir unheimlich kalt ist, lege ich mich mit voller Montur und allen Schichten in den Schlafsack und warte, dass die Zeit vergeht.
Der Hospitaliero hat und ein Abendessen angeboten und er bringt es zu 21 Uhr. Das ist eine Zeit, wo wir alle oftmals schon im Schlafsack liegen.
Gut, dass ich bis dahin noch etwas Baguette und eine Apfel habe. Gestern habe ich mir auch noch etwas Schokolade als schnellen Energielieferanten gekauft und auch so ein kleiner Schokoladensnack ist nicht zu verachten.
Zum Abendessen wird für jeden ein Linseneintopf gebracht. Gerne hätte ich noch einen zweiten Teller davon gegessen, aber den gibt es nicht.
Als Hauptmahlzeit gibt es für jeden eine Boulette, als Nachspeise einen einfachen kleinen Joghurt, dazu Leitungswasser. Für 12 Euro finde ich die Mahlzeit etwas dürftig und wir alle haben noch Hunger, aber mal wieder: besser als nix.
Ich weiß nicht mehr, worüber wir beim Essen geredet haben, aber die Gespräche sind gut. Da uns allen lausekalt ist, räumen wir noch schnell die Küche auf (die Jungs wollen das unbedingt machen) und wir drei Mädels verabschieden uns in´s Bett.
Für morgen habe ich mir ein Bett beim Pfarrer in Ustardix reserviert, ca. 21km und danach geht es schon mit einer Kurzetappe von 14km nach Bayonne. Die Zeit vergeht so schnell.



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