Die Geschichte meines Jakobsweges

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Mauléon-Licharre – Saint-Just-Ibarre

 

10. September 2024

Mauléon-Licharre – Saint-Just-Ibarre

22,2km

Abends habe ich mich wieder als erstes zur Nacht hingelegt. Zuvor haben wir im Badezimmer noch die Heizung angedreht und die noch feuchte Kleidung drüber gehangen, niemand will nasse Wäsche am Folgetag mit sich herumtragen.

Es war ein sehr netter und gemütlicher Abend. Obwohl wir uns erst seit 2 Tagen kennen und nun den dritten Abend in Folge gemeinsam verbracht haben, hat man das Gefühl, man kennt sich schon lange.

Die Gemeinsamkeit unter Pilgern, das intime Miteinander in Gesprächen, der Austausch ist für alle Seiten immer wohltuend und gut. Pilgern verbindet.

Sowohl die Italiener als auch die Mexikaner sind das erste Mal auf einem Jakobsweg unterwegs. Die Mexikaner sind seit knapp einer Woche unterwegs, die Italiener sind in ihrer Heimat gestartet und sind bereits 1800 Kilometer gelaufe.

Ich profitiere auf dem geplanten Baztanweg von der neuen App zum Navigieren, die anderen von meinen Erfahrungen.

Für alle setze ich zum Frühstück eine Kanne Kaffee an und nach und nach kriechen alle aus ihren Schlafsäcken. Es ist immer schön, wenn vorherige Pilger oder die Hospitalieros einige Vorräte zur Verfügung stellen oder zurück lassen.

Gemeinsam, und doch jeder für sich, begrüßen wir den neuen Tag. Jeder auf seine Art.

Da ich nicht weiß, ob ich meine Mitpilger heute Abend wieder treffe, oder ob ich pausieren oder aufgeben muss, verabschieden wir uns von einander. Nach einem Gruppenfoto verabschiede mich. Ich hoffe, so sehr, dass mein Knie mit macht.

Als ich aufbreche nieselt es leicht, aber es ist nur ein leichter Regen der schnell wieder aufhört. Danach entwickelt sich das Wetter zu einem super Wanderwetter. 




Mir ist aufgrund der körperlichen Betätigung warm, aber die Temperaturen sind angenehm, der Himmel wird immer blauer.

Laut gronze.com, der spanischen Camino-App, sind es heute 22,2km, laut Wegweiser am Stadtrand sollen es 23,9km sein. Diese Abweichungen findet man immer wieder, je nach Reiseführer und Autor. Irgendwo in diesem Bereich wird die Wegstrecke liegen, aber die Strecke ist die gleiche, egal wie lang sie ist. Wurde von Stadtmitte zu Stadtmitte, von Herberge zu Herberge, Stadt – Herberge etc. gemessen? Niemand weiß es.





Erst geht es noch über kleinste Sträßchen, dann geht es ins Gelände.

Mal hier ein Gatter, dort ein Törchen, meist geht es aufwärts. Irgendwann biegt der kleine Pfad in einem Weidegebiet auf einen breiten Weg ab.

Ich höre die Kuhglocken, sehe die Kuhglocken und wate und rutsche durch aufgeweichte Exkremente, vermischt mit Schlamm. 




Vor nicht all zu langer Zeit scheint die Herde diesen Weg genutzt zu haben. In diesem Gematsche werde ich von dem ersten Pilgerpärchen überholt, kurze Zeit später von dem anderen.

Mein einziger Gedanke auf diesem sich in die Länge ziehenden Wegabschnitt ist: bitte nicht fallen! Alles riecht nach Kuh und es lässt sich nicht vermeiden, dass Spritzer an die Socken kommen, die Schuhfarbe ist unter dem Matsch nicht mehr zu erkennen.

Und dennoch: Ich bin einfach glücklich.





Das Leben auf dem Camino ist so leicht. Man lebt im hier und jetzt, ist zufrieden mit allem und den kleinsten Dingen. Interessant ist nur: wie ist das Wetter, wo schlafe ich, was gibt es zu essen und was sagt mein Körper zu der Strapaze.

Heute begleiten mich Schaf-, Ziegen- und Kuhglocken.


Schafe mit langen gebogenen Hörnern, helle, bunte und dunkle Schafe, caramellbraune Kühe, Ziegen mit langen und kurzem Horn.

Menschen sehe ich so gut wie nicht.


Nach ca. 9 Kilometern erreiche ich Odiarp. Odiarp liegt an einer kleinen Flüsschen und über eine schöne alte Brücke kann man die Kirche erreichen.






Es ist eine der wenigen Kirchen die offen ist und ich schaue kurz in die dunkle Kirche hinein, zünde einige Kerzen für meine Lieben an und all die, die mich gedanklich begleiten, und halte kurz inne.

Mir wäre nach einem schönem Frühstück zumute, aber auch in Odiarp gibt es keine Bar. Ich frage eine Dorfbewohnerin, ob ich hier irgendwo einen Stempel für die Credencial bekommen kann, aber es gibt hier keinen. Da es auch keine Bar gibt, setze ich mich vor die Kirche auf eine Treppe und packe das restliche Baguette von gestern Abend aus. Auf das trockene Brot kommt mal wieder ein Stück Schokolade, eine gematschte Banane mit etwas Wasser lässt das Brot besser rutschen.


Danach geht es weiter.

Es wird immer grüner und mich faszinieren die leuchtenden Farben. Die Sonne lässt das grün erstrahlen.

Baufällige Häuser, Viehweiden, merklich und kontinuierlich geht es aufwärts.





In dem Rausch für alle Sinne kann ich vieles im Nachhinein nicht wieder geben. Das Wetter wird immer besser, der Himmel immer strahlender. 

Was ich weiß ist, dass ich genieße. Mag sein, dass die Mahlzeiten etwas dürftig sind, aber was ist das schon im Vergleich zu dem was ich bekomme?

Ich achte penibel auf die Wegführung, aber diese ist immer klar. Und dennoch stehe ich plötzlich vor einer Absperrung. Mitten im Wald ist der Weg durch einen Draht versperrt. Einen Wegweiser sehe ich auch nicht.




Sicherheitshalber drehe ich um, aber es ist eindeutig der richtige Weg, einen Abzweig gab es auch nicht. Die Absperrung sieht aus, als ob sie unter Strom steht und hat einen isolierten Sicherheitsgriff. Ich schaue mir den Draht an und finde eine unscheinbare Öffnungsmethode. Nicht wissend, ob ich einen Stromschlag riskiere, durchquere ich die Absperrung. Immer weiter geht es aufwärts, die Blicke über die grünen Täler berauschen mich. Ich komme mir vor wie im Paradies.


Plötzlich tauchen vor mir wieder die Hundepilger auf. Sie sitzen in der Sonne an einem Brunnen und laden mich ein, mich dazu zu setzen.

Sie stellen sich mir als Frank und Nathalie vor, kommen aus Frankreich, und mit Frank kann ich mich gut in englisch unterhalten. Seine Frau kann nur wenig englisch, aber Frank übersetzt und hilft. Heute haben sie nur 2 Hunde dabei, Rocky und Schubert. Hund Nr. 3 kann heute nicht laufen und ist mit der 3. Mitpilgerin im Auto vorgefahren. Gemeinsam sitzen wir eine Weile in der Sonne, ich teile mein Studentenfutter und erhalte im Gegenzug einen Kinderquetschbeutel mit Apfelmus.



Gemeinsam laufen wir weiter bergauf, der Weg schlängelt sich an einem Hang den Berg hinauf. Der größere Hund läuft frei und rennt immer vor und zurück, bis er plötzlich nicht mehr zu sehen ist und auch nicht auf rufen und pfeifen reagiert. An einem Gatter haben wir einen wunderschönen Blick ins Tal und so wird dieses Tor spontan das „Tor zum Paradies“.




Hinter der Bergkuppe geht es wieder abwärts und ich laufe sehr bewusst in der Kniebewegung.

Das der Hund nicht reagiert nimmt Frank ganz gelassen. Der Hund gehört der Pilgerin, die heute mit Hund Nr. 3 mit dem Auto vorausgefahren ist. Und siehe dar: der Hund ist seit 15min verschwunden, da sitzt die Besitzerin mit ihm auf einer Picknickdecke am Wegesrand.

Man lädt mich zum Picknick ein, aber ich verabschiede mich und laufe weiter.

Durch die vielen Hügel und Auf- und Abstiege bin ich nicht sehr schnell.

Ich habe Zeit, das Bett ist reserviert und dennoch möchte ich langsam ankommen.

Kurz nachdem ich mich von Frank und Natalie verabschiedet habe, kommt aus einem im Wald gelegenen Haus ein Wanderer/Pilger. Eine Pilgerherberge ist hier nicht, kommen aber direkt ins Gespräch. Gerrit, ein Niederländer, ist auch schon viele Pilgerwege gegangen und macht hier mit seiner Frau Urlaub. Seine Frau ist körperlich eingeschränkt und so macht er alleine Wanderungen in die Umgebung.

Abwärts geht es durch einen Wald, über Stock und Stein. Gerrit sieht, dass ich manchmal schwanke und fragt, ob alles okay ist. Ich erzähle ihm kurz von meiner Diagnose und sage ihm auch, dass er nicht auf mich warten muss, aber er bleibt bei mir. 

Und plötzlich ist der gewaltige Schmerz, den ich heute bislang recht gut beherrscht habe, wieder da. Ein gewaltiger Schmerzschrei entfährt mir ungewollt und nun gehen bei meiner Begleitung alle Alarmglocken an. So könnte ich doch nicht laufen, aber hier gäbe es auch weder Bus noch Taxi, geschweige denn Arzt oder Apotheke.

Die letzten 5km fallen mir wieder sehr schwer, auch wenn der Abstieg fast geschafft ist.


In einem Weiler verabschiedet sich Gerrit um seinen Rundgang fortzusetzen und ich laufe über kleine Wiesenwege in der Ebene weiter. Bald ist das Dorf zu sehen. 


Die „Herberge“ ist in einem Privathaus einer Familie. Das Haus ist alt und voller Kurras, aber das Ehepaar ist sehr nett. Marisa, Angela und ihre Männer sind schon da und ich bekomme ein Zimmer mit einem breiten Bett für mich alleine.

Auch in diesem Dorf kann man nichts kaufen und so bietet die Familie ein Abendessen an, was ich dankend annehme.

Ich vertreibe mir den restlichen Nachmittag mit einem Kitten und den Hunden im Garten.

Es war ein sooo schöner Tag, die Ausblicke herrlich, ich habe den Tag genossen, alle Eindrücke in mich aufgesogen.

Morgen erreiche ich Saint Jean Pied de Port und dort muss ich mir unbedingt eine Bandage für mein Knie besorgen.

Es gibt ein üppiges und leckeres Abendessen. Als Vorspeise gibt es Salat und Thunfisch, danach Nudeln mit Kotlett, danach Gemüsequiche mit einem anderen Salat und dann eine frische Apfeltarte. Zu allem gibt es Wein oder Wasser. Unsere Gastgeber sitzen mit am Tisch und wieder klingt der Abend nett und gemütlich aus.

Frühstück wird es morgen ebenfalls geben, allerdings müssen wir das Haus um 7.00 Uhr bei Dunkelheit verlassen, weil unsere Hospitalieros zur Arbeit müssen.

Man hat uns empfohlen morgen die ausgeschilderte Alternative über die kleine Landstraße zu nehmen, der Weg über die Wege wäre momentan schwer passierbar aufgrund der Regenfälle und des Schlammes.

Morgen erreichen wir Saint Jean Pied de Port, den Einstieg in den Camino Frances. Dort werden wir uns von die Italienern verabschieden, die von dort Richtung Camino del Norte weiter wandern.

Bis kurz vor Pamplona laufe ich noch die gleichen Etappen, wie die Mexikaner, dann werden sich unsere Wege trennen.

Meinem Bett und den alten schweren Überzügen traue ich nicht zu 100% und so lege ich mich mit dem Schlafsack auf das Überbett und nicht unter die Bettwäsche, mein Gefühl sagt mir, dass es hier evtl. Bettwanzen geben könnte, aber ich wache ohne verräterische Bisse am nächsten Morgen auf.

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