Die Geschichte meines Jakobsweges

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Lanz - Lekaroz (Uharte)

 16. September 2024

Lantz - Lekaroz (Uharte) ca. 27km

die Königsetappe


Heute kann ich nicht viel schreiben. Nur so viel: ich bin kaputt, müde, ausgelaugt und sehr hungrig.
Wissend, dass es in Lanz nichts zu essen gibt und die einzige Bar im Dorf geschlossen hat (Warum? Weil gestern das Dorffest war, weil Montag ist?)
mümmele ich die inzwischen trockenen Brotreste vom Vortag und koche mir einen heißen Tee dazu. Ich entscheide mich, bei den drei verschiedenen Teesorten die in der Albergue existieren, für den Tee, der am kürzesten das Haltbarkeitsdatum überschritten hat - was auch schon ein Jahr her ist.
Der Teegeschmack wird sowieso vom Chlorgeschmack des typischen spanischen Leitungswasser verändert. Besser als nix und was Warmes.
Meine spät in Lantz aufgetauchten Mitpilger brummeln, wenn ich den Herren verstanden hat, ärgert er sich über mich und meine frühmorgendliche Störaktion. Ich ärgere mich über den Pilger, fühle mich aber nicht wirklich als Störung, ist es doch schon 7.45Uhr und irgendwie muss ich mich und meine Gegenstände aus dem Schlafsaal befördern und das Rauschen der Wasserleitung lässt sich auch nur bedingt vermeiden.
Egal, wir werden uns nicht wieder sehen, laufen in die gegen gesetzte Richtung.
Durch das Dorf biege ich wieder in die Natur ab und kurze Zeit später bin ich im Wald. Das Navi sagt mir mal wieder brav den Weg an und irgendwann sagt es mir beharrlich, dass ich falsch bin. Ich laufe dennoch weiter, weil es keinen abzweigenden Weg gab. Noch immer bin ich scheinbar beratungsresistent war das quatschende Handy angeht. Aber natürlich hat es recht. Gronze hat mal wieder keine Verbindung zum Netz, aber ich versuche es mit der Samsung-Health-App (auch dort habe ich sicherheitshalber die Koordinaten gespeichert), die mir den Weg ansagt. Und siehe dar: irgendwie schaffe ich es, von Ansage auf Landkarte umzustellen - ich wusste nicht mal, dass das geht und sehe den Weg und meine gelaufene Strecke. Ich drehe wieder um, vielleicht waren es 300 bis 400 Meter, die ich nicht auf die Ansage hören wollte. Als ich dort stehe, wo das Handy mich abzweigen lassen möchte, verstehe ich die Welt nicht. Wo soll dort denn bitte ein Weg sein? Als erstes muss ich durch einen größeren Baumschaden klettern, diverse umgestürzte Bäume liegen dort, wo der Weg sein soll.
Auf das Handy blickend versuche ich den Weg zu laufen, den das Handy ansagt. Nach wie vor sehe ich keinen Weg, aber als ich mich umdrehe, sehe ich tatsächlich einen gelben Pfeil. Weiter geht es aufwärts, immer der Linie auf der Anzeige folgend und kletter den Wald hinauf. Einzig, dass ich zurückblickend gelbe Pfeile sehe, beruhigt mich etwas. Ohne GPS würde es gar nicht gehen. Der Wald lichtet sich und ich sehe einen Trampelpfad an einem Feld der mit der Wegführung übereinstimmt. Froh, den angesagten Weg wieder zu sehen folge ich ihm freudig.
Heute erreiche ich den höchsten Punkt dieses Weges, knapp über 900 Meter Höhe.
Das Dorf Mayach, wo viele Pilger übernachten ist ein schnuckeliges, gut gepflegtes Dorf. Es gefällt mir, aber auch hier gibt es keine Möglichkeit auf eine Kaffeepause.
Andauernd geht es hoch und runter auf jedem möglichen Straßenbelag. Oben auf einem Berg in der Nähe sehe ich ein Häuschen und kann mir schon denken, dass ich dort hoch muss. Am Fuße des Berges liegt die Ruine eines alten, verlassenen Klosters. Der Kirchenraum ist verfallen und dunkel, im Eingangsportal der Kirchentür ist ein Gitter angebracht. Auf dem Mäuerchen vor der Ruine pausiere ich kurz, trinke etwas Wasser und knabbere einige Nüsse.
Das Trinksystem für die Wasserflasche ist sehr praktisch. Ich kann im Laufen trinken, muss den Rucksack dafür nicht absetzen - aber das Wasser schmeckt scheußlich und intensiv nach dem Kunststoff des Trinkschlauches. Dafür, dass diese Trinkschläuche so teuer sind, hätte ich sie mir geschmacksneutral gewünscht.
Jetzt geht es aufwärts auf Naturwegen. Ganz eindeutig sind die Wegweiser nicht, aber ich bin nicht alleine. Diverse Wanderer oder Touristen sind plötzlich mit mir unterwegs und wir steigen den Berg empor, Richtung Haus (stellt sich als Schutzhütte heraus) auf dem Berg.
Wenn ich stehenbleibe und mich umdrehe habe ich einen wunderschönen Blick in die Landschaft und über die Berge.
Überall höre ich Glocken bimmeln, überall sehe ich Wildpferde und Schafherden die ohne Einzäunung im Gelände leben. Es ist wunderschön, aber mit den Höhenmetern wird es kälter und windiger, und ich steige in die Wolken empor.
Etwas Angst habe ich, dass der Wolkennebel mir die Sicht auf die nur teils sichtbaren Wege versperrt, aber das passiert nicht. Oben angekommen, sehe ich wo der Weg weiter verläuft. Es fühlt sich einfach gut an, hier oben zu stehen und zu genießen. Schade, dass es so kalt ist. Bei klarer Sonne und bei weniger Wind wäre es schön hier oben zu pausieren, in die Berge zu blicken und einfach zu genießen. Der Weg führt über Wiesen und durch viele Pfützen und dann geht es wieder abwärts.
Und wieder diese Angst zu rutschen, zu fallen und sich zu verletzten. Auch wenn keine Absturzgefahr besteht, der Respekt läuft immer mit.
Die Bäume sind moosig, alles ist grün, ein Zeichen für ausreichend Regen und Feuchtigkeit. Zwei verfallene Häuser ( oder einfach zwei große Steinhaufen) deuten auf ein Zeichen von Zivilisation hin.
Am Ortseingang von Almandoz steht nicht nur das Ortsschild, nein es weist auf ein Hotel mit einer Bar hin. Warum denke ich auf diesem Weg ständig ans Essen? Wahrscheinlich, weil die Möglichkeiten zum Einkauf oder zur Einkehr so rar sind.
Aber auch hier: die Bar ist geschlossen. Zählt der September nicht mehr zur Saison? Auf dem Frances und Portugues kannst du von einer Bar zu nächsten winken, und hier gibt es über viele Kilometer keine Möglichkeit einzukehren.
Über Sträßchen die nicht viel befahren sind geht es weiter auf und ab und von einem Dorf kann man in das weite Baztantal sehen. Der größeren Ort den ich sehe muss Elizando sein. Ich möchte in Beroeta in der Herberge übernachten.
Auch als ich in Beroeta ankomme: ein wunderschönes, ordentliches und gut gepflegtes Dorf, aber ich bin hungrig und hier gibt es nichts, meine Vorräte sind erschöpft, keine Bar, kein Lebensmittelladen und auch keine Maronen- oder Obstbäume. Im Schatten einer Mauer pausiere ich und überlege was ich mache: Checke ich in die noch verschlossene Herberge ein und hoffe darauf, dass ich in der Küche Nudeln finde, oder dass noch Pilger kommen - die mit mir teilen? Oder soll ich ein Taxi zum nächsten Supermarkt nehmen und zurückfahren? Oder laufe ich noch ein Stück?! In Elizando gibt es Unterkünfte und Supermärkte, oder ich versuche ein Bett in der Jugendherberge am Stadtrand von Elizando zu bekommen? Dort werde ich verpflegt und muss mich um nichts mehr kümmern?
Ich beschließe weiter zu laufen und rufe in der Jugendherberge an. Tatsächlich, es gibt ein freies Bett. 30 Euro im Einzelzimmer mit Abendbrot und Frühstück. Gerne bezahle ich den Betrag, ich habe keine Energie mehr.
Schön ist die Jugendherberge nicht, aber das ist mir egal. Ein kahles Zimmer mit 10 Betten habe ich für mich alleine, außer mir sind nur Grundschüler vor Ort, die Kinder sind gut gelaunt und laut. Ich ruhe mich kurz auf dem Bett aus und frage mich, ob die Ameisen von mir eingeschleppt wurden (habe kurz vor Elizando pausiert und mehrere Pfirsiche gepflückt und den Rucksack auf den Boden gestellt) oder sind das einheimische Ameisen. Egal, es sind nur Ameisen.
Da es noch Stunden bis zum Abendessen sind, laufe ich doch noch die 1,5km bis Elizando (da hätte ich mir auch hier ein Bett organisieren können) um meine Vorräte aufzufüllen. Wer weiß, ob der Supermarkt schon geöffnet hat, wenn ich hier morgen früh entlang komme. Sicher ist sicher.
Obst, neue Nüsse, ein Brot, Joghurt und eine Dose Limonade muss ich morgen mit mir rumschleppen - oder dass, was davon dann noch existiert.
Ich trinke nie Limonade, aber auf dem Weg zurück zur Jugendherberge öffne ich die Limo und die tut sooo gut. Genau das richtige, was ich gerade benötige - Zucker, Energie!
Abends gibt es in einem überlauten Speisesaal Reis mit Tomatensuppe, ein Stück Tortilla mit Salat und eine Banane zum Nachtisch.
Frühstück ist im Preis enthalten, gibt es aber erst ab 8.30 Uhr, da bin ich schon unterwegs.
So laut wie die Kinder durch die Jugendherberge toben: ich schlafe himmlisch und bei Kinderlärm ein.
Wenn ich den Gang zum Supermarkt mitrechne, dann bin ich heute knapp über 30km gelaufen.
Hätte mir das jemand vor der Reise gesagt, ich hätte gesagt: dass kann ich nicht. Aber ich kann so viel mehr, als ich denke. Ich bin zäh und der Herzenswunsch diesen Weg zu laufen setzt jede Menge Endorphine in mir frei. Meine MS und meine Gehbehinderung können mich nicht stoppen.
Ich bin stolz auf mich und dankbar, dass ich das erleben darf.





























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