10. September 2024
L'Hôpital-Saint-Blaise – Mauléon-Licharre
17,7km
Um 6.00 Uhr ist die Nacht zu Ende. Nicht, dass mich Geräusche von meinen Mitpilgern geweckt haben. Was will ich erwarten, wenn ich um 21.00 Uhr in die Nacht starte? 9 Stunden Schlaf reichen.
Da ich niemanden stören will und da es auch keine kleinen Lampen am Bett gibt, schlüpfe ich leise in meine, über dem Bettende hängende, Trekkinghose und gehe leise in die Küche.
Überrascht, dass ich nicht die Erste bin, treffe ich dort auf Angela. Auch sie konnte nicht mehr schlafen und fühlt sich fit für den Tag.
Angela brutschelt am Herd und röstet in der Pfanne Brot für sich und ihren Mann.
Mein Brot im Rucksack, gekauft in Oloron, ist ziemlich trocken und zäh wie Gummi, so wie frazösisches Baguette nach 2 Tagen ist. Aber ich bin froh, dass ich es noch habe.
Im Frühstückspaket aus dem Automaten befinden sich 3 Zwiebäcke, etwas Pulverkaffee, ein Stück Butter und etwas Marmelade. Das trockene Baguette röste ich der Butter an, obendrauf gibt es einen Hauch Marmelade, dazu einen Zwieback, den Rest packe ich als Notration für den heutigen Tag ein.
Angela gibt mir einige ihrer Teebeutel, sie werden mir noch gute Dienste leisten.
Heute stehen knapp 18km in der Wegbeschreibung, viel mehr weiß ich nicht.
Noch ist es draußen bedeckt, aber der Himmel weniger grau aus als befürchtet und so starte ich gut gelaunt in die neue Tagesetappe. Für heute ist eine Regenwahrscheinlichkeit von 50% angesagt. Ich hoffe auf die guten 50%.
Da mir gestern die Schultern unter den Rucksackgurten weh getan haben kontrolliert und verstellt Angela noch meine Rucksackgurte auf richtige Einstellung. .
Um das Dorf zu verlassen muss ich nur die wenigen Schritte zur Kirche zurück laufen,
folge dem Bach durch den Waldrand und dann geht es direkt steil ein kurzes Stück Weg hinauf. Nein, der Trampelpfad geht nicht in Windungen, sondern auf direktem Weg. In dem Schlamm ist es so rutschig, dass die Bäume am Wegesrand mehr Sicherheit bieten als der Stock.
Ich freue mich, dass ich so leicht den Berg hoch komme, meine Atmung und Kondition sind gut, meine Muskeln tun mir momentan nicht weh. Nicht einmal Muskelkater hatte ich in den letzten 2,5 Tagen verspürt.
Der Trampelpfad mündet in ein kleines Sträßchen und heute höre ich definitiv Kuhglocken. Derweil ich mich dem Gebimmel näher, klart der Himmel immer weiter auf und wird langsam blau.
Bevor ich die bimmelnde Kuhherde erreiche, treffe ich auf einen hübschen, neugierigen Esel am Wegesrand.
Ich unterhalte mich etwas mit ihm, lasse ihn einige Streicheleinheiten zukommen und dann bekommt er einen der gestern gepflückten Äpfel. Über Naturwege und kleine Straßen geht es kontinuierlich aufwärts. Der Blick in die umliegenden Täler mit den im Tal hängenden Wolken fasziniert mich.
Normalerweise säße ich jetzt um 9.00 im Büro und wäre nicht mit Wanderschuhen in der Natur. Immer wieder drehe ich mich um und bin verzückt und den Blicken.
Die Natur hat so viel zu geben, was verpasst man nicht alles, wenn man nur in Hektik durch den Alltag hetzt oder mit dem Auto auf der Autobahn fährt, fliegt…
Durch ein kleines Gatter biegt der Weg in einen kleinen Hohlweg ab. Durch die kleine herabführende Rinne hat sich der vergangene Regen seinen Weg gesucht und der Weg ist glitschig, steinig, matschig. Dass ich die Schuhe gestern Abend geputzt habe, kann man nach kurzer Zeit nicht mehr sehen. Langsam und vorsichtig gehe ich die Höhenmeter wieder runter die ich zuvor erklommen habe.
Hinter mir nähern sich Stimmen, es ist Marisa aus Mexiko mit ihrem Mann, dessen Namen ich wieder vergessen habe. Schnell verschwinden sie hinter Sträuchern und der nächsten Kurve. Wir werden uns am Etappenziel wieder aufeinander treffen.
Kurze Zeit später überholen mich auch Angela und Gionato, ich bin wieder die letzte der Truppe, aber das spielt keine Rolle. Ich bin am Ziel, wenn ich am Ziel bin, das Bett ist reserviert.
Das was in Spanien unter Pilgern früher verpönt war, heute aufgrund des hohen Pilgeraufkommens aber regelmäßig genutzt wird, ist in Frankreich „Pflicht“. Man soll sich vorab an der Herberge melden, da die Hospitalieros nicht immer vor Ort sind.
Gatter für Gatter durchschreite ich eine Weide nach der anderen, inzwischen geht es wieder aufwärts. Aufwärts ist in rutschigen Passagen so viel leichter zu laufen als abwärts. Aufwärts geht auf die Pumpe, abwärts in die Knie.
Kilometer für Kilometer geht es vorwärts.
Über einen Schotterweg/Forstweg geht es lange um Kurven beständig aufwärts. Ich höre ein lautes Plätschern und ich erwarte einen größeren Bach.
Als ich um eine weitere Kurve komme, sehe ich den Grund des Rauschens. Es ist ein ganz kleiner Wasserfall. Auf einem Stein am Wasserfall pausiere ich, esse meinen Zwieback, etwas Schokolade und einige Nüsse und dann beendet einsetzender Regen meine Pause. Ich werfe meinen Regenponcho über und stapfe weiter bergan. Oben angekommen wird die Natur grob und wild.
Ich durchschreite knorrige Bäume, steige über Wurzeln und erfreue mich an dem Anblick – trotz Regens. Die Wolken hängen tief, ich durchlaufe den Regen, aber Gefahr sich im Nebel zu verlaufen besteht nicht.
Irgendwie passiert es, ich stolpere über eine Baumwurzel und das Abfangen geht massiv in das linke Knie. Es tut höllisch weh, aber ich bin nicht gefallen.
Ich bin die letzte von den Pilgern der letzten Herberge, wenn ich hier schlapp mache bin ich irgendwo, wo wahrscheinlich nicht die Meisten vorbeikommen und Autos um mich abzuholen wären auf diesem Weg auch keine Option.
Aber Glück gehabt, nach einigen Schritten muckt das Knie nicht mehr.
Mit dem Abstieg vom Berg erreiche ich eine Landstraße. Immer wieder, aber sehr selten, kommen Autos langsam an mir vorbei gefahren und alle grüßen freundlich, winken, rufen einem einen Gruß zu, nicken… Alle sind freundlich, alle fahren vorsichtig an mir vorbei.
Plötzlich tauchen vor mir mehrere Pilger auf, die ich vor zwei Tagen in Oloron gesehen habe. Die kleine Pilgertruppe hat insgesamt 3 Hunde dabei und auch die Hunde haben eine kleine Jakobsmuschel am Halsband.
Ich weiß nicht, wo die Hundepilger übernachtet haben, in L’Hospital wäre man sich vermutlich begegnet. Vielleicht haben sie auch ein Zelt dabei, mit Tieren muss man auf den Jakobswegen flexibel sein, in die Herberge dürfen sie nicht.
Eine Katze begrüßt mich am Wegesrand und ich lasse ihr einige Streicheleinheiten zukommen. Kurze Zeit später sehe ich an dem neben der Straße stehenden Haus Unmengen von Katzen. Überall Katzen, mindestens 15 bis 20 oder noch mehr. Mehrere Muttertiere mit ihren Jungen liegen vor der Haustür, auf den Tischen, der Mauer, auf den Bänken…., überall.
So gerne ich Katzen mag, so ungut finde ich es, wenn sie sich unkontrolliert vermehren.
Wie es Ylvie und Tommi wohl gehen mag? Ich weiß, sie sind gut betreut, Walli und Moni kümmern sich um die Beiden.
Es geht langsam abwärts und plötzlich schießt es bei jedem Schritt schmerzhaft in mein Knie. Ich bin so überrumpelt von dem Schmerz, dass ich laut schreie. Was ist denn jetzt los?
So lange der Weg eben ist, geht es vom Schmerz, sobald der Weg abwärts führt schießt bei jedem Schritt der Schmerz ein. Je länger der Schritt, desto größer der Schmerz.
Bis Mauleon-Licharre sind es noch ca. 4 Kilometer und für diese Kilometer brauche ich richtig lange, weil es nur abwärts geht.
Ich freue mich, dass ich den Ort durch die Bäume erstmals sehen kann, aber er liegt noch ein ganzes Stück unterhalb und entfernt.
Also kleinschrittig, oder mit steifem Knie abwärts. Es ist steil, zwischendurch entweicht mir ein Schmerzschrei und ich könnte heulen. Tag 1 verlaufen und alles umgeplant, Tag 2 eigentlich gut, nur das viele Gerutsche zum Etappenende, Tag 3 alles gut, trotz Matsch und an unscheinbarer Stelle über eine Wurzel gestolpert.
Die großen Auf- und Abstiege stehen noch bevor, wie soll das mit solchen Schmerzen gehen, kann ich das riskieren und will ich mit Schmerzen laufen?
Die Gesundheit steht an erster Stelle, das ist immer meine Devise.
Also langsam weiter die steile Landstraße abwärts. Am Wegesrand stehen voll tragende Maronenbäume, wäre ich daheim, würde ich sie mitnehmen.
Kurz vor der Ortschaft steht ein Pfirsichbaum am Wegesrand und ich pflücke mir mehrere davon und esse 2 direkt. Auch heute gab es keine Möglichkeit am Wegesrand einzukehren oder etwas zu kaufen. Aber in Mauleon gibt es Einkaufsmöglichkeiten, da muss ich meinen Vorrat auffüllen.
In Mauleon verlaufe ich mich kurz, merke aber schnell, dass ich falsch bin und drehe um, wieder den Berg hinunter. Auf der Straße sitzt eine dicke, riesige Kröte – so ein Tier habe ich noch nie in der freien Natur gesehen.
Vor einer Kirche treffe ich die Mexikaner. Sie sitzen in der Grünanlage und haben sich etwas zu essen organisiert.
Mit Marisa bleibe ich vor der Kirche sitzen, ihr Mann holt den Schlüssel in der Verwaltung ab und dann gehen wir gemeinsam zur Unterkunft. Sie liegt nicht direkt am Weg, aber wir finden sie gut.
Der Weg ist uneben und wieder schreie ich urplötzlich bei einem Schritt mal wieder vor Schmerzen. Die Mexikaner lassen es sich nicht nehmen und tragen meinen Rucksack die letzten 300 Meter zur Unterkunft.
Die Treppe in die erste Etage ist eine Herausforderung. So ein Mist, ich ärgere mich und muss es hinnehmen. Es kommt wie es kommt.
Es gibt 2 Zimmer mit je 2 Etagenbetten, 2 Bäder eine Wohnküche in der Nudeln und einige Kleinigkeiten im Schrank stehen. Wie so häufig: ein Pilger kauft ein, kann und möchte nicht alles mitschleppen, die Nachfolgenden profitieren davon.
Die Dusche ist belegt und so lege ich mich erst einmal zum Ausruhen auf das Bett. Nach dem üblichen Ankommensprozedere gehe ich einkaufen und bringe mir ein Glas Tomatensauce, eine Melone, Joghurt, Brot, Obst und Nüsse für morgen und übermorgen mit.
Zur Stärkung gibt es Nudeln mit Sauce, die Melone teile ich mit meinen Mitpilgern, und im Anschluss gibt es gekochte Maronen. Die Italiener haben unterwegs Maronen gesammelt.
Es ist ein gemütlicher Abend. Der Regen hat gegen Mittag aufgehört und ich hänge meine nasse Wäsche auf einem Bügel aus meinem Fenster, weil ich hoffe, dass die Wäsche im Wind besser trocknet als über dem Stuhl.
Zwei weitere Pilger kommen im Laufe des Tages hinzu, Michel ist ein älterer Herr und wir unterhalten uns gut, der andere mir namentlich unbekannte Pilger sitzt nur draußen und ist am Ketterauchen. Wir werden von ihm darauf hingewiesen, dass es draußen vor dem Haus Wlan gibt, und so aktualisieren wir alle unser Handy. Die Mexikaner zeigen mir, wie ich die GPS-Daten vom Camino Baztan runterladen und anwenden kann.
Ich werde morgen versuchen weiter zu laufen, und wenn es vom Knie nicht geht, werde ich in diesen etwas „größeren“ Ort umdrehen und überlegen wie es weiter geht.
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