Die Geschichte meines Jakobsweges

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Saint Jean Pied de Port - Roncesvalles

 

12. September 2024

Saint Jean Pied de Port – Roncesvalles 24,2km

Ich bin gut in Roncesvalles angekommen, die Bergetappe lief sich bei den Bedingungen besser als gedacht, das Wetter hat mich vorangetrieben. Trotz, dass es 19km stetig aufwärts, bevor es durch einen Wald wieder steil hinunterging, habe ich zeitweise gefroren. Durchnässt, trotz Cape, habe ich die Etappe gemeistert.Es fiel gar nicht auf, wie voll es war. Entweder hat der Nebel meine Mitpilger geschluckt oder sie haben sich die Etappe erleichtert.

Morgens um 5 Uhr war die Nacht für mich vorbei. Trotz der vielen Mitschläfer habe ich hervorragend geschlafen. Ich weiß, dass ich schnarche und ich weiß, wie unangenehm ich dieses oftmals bei meinen Mitpilgern empfunden habe, aber mit dieser Symptomatik bin ich nicht alleine.

Mein Beatmungsgerät habe ich dieses Mal nicht dabei, weil es für den Rucksack zu schwer ist – und obwohl es neben mir viele Schnarcher gibt, behagt mir der Gedanke nicht, dass ich andere evtl. von ihrem wohlverdienten Schlaf abhalte.

Leise stehe ich auf und versuche möglichst geräuschlos dabei zu sein. Wie immer hänge ich beim Zubettgehen meine Kleidung für den nächsten Tag über das Bettgestell, der Packsack für den Schlafsack hängt dort ebenfalls. Im Dunkeln, auf der Bettkante sitzend, ziehe ich meine Kleidung an, leuchte einmal das leere Bett ab, nehme den Schlafsack über den Arm und verlasse den Schlafsaal. Auf dem Flur stopfe ich den Schlafsack in den Packbeutel, lasse den Rucksack vor dem Bad stehen und mache mich fertig. Danach kommt die Kulturtasche und die Schlappen in den Rucksack, ich ziehe meine Wanderschuhe an und gehe in den Aufenthaltsraum.

Ich bin nicht die erste Pilgerin die dort auftaucht, aber noch niemand hat Kaffee gekocht. Wahrscheinlich wissen die meisten Neupilger auch nicht, wie es traditionell in den Herbergen läuft, wenn es keine Hospitalieros gibt die den Verwöhnservice übernehmen. Woher auch?Derweil der Kaffee durchläuft schaue ich durch die Haustür nach draußen. Seit gestern Abend hat es wahrscheinlich durchgehend geregnet, alles ist grau und nass.

Ich packe das gestern gekaufte Brot und etwas Ziegenkäse aus und tunke es ein, damit es besser rutscht. Baguette vom Vortag ist zäh und trocken. Etwas Joghurt habe ich gestern für das Frühstück zur Seite gestellt. Marisa und Dalain kommen auch aus ihrem Zimmer und gesellen sich zu mir. Ich warte noch etwas auf Wetterbesserung und darauf, dass die Uhr 6 Uhr anzeigt, dann breche ich auf.

Heute wird es ein Wettrennen um die wenigen noch nicht reservierten Betten geben, genau dass, was ich nicht will. Im Dunkeln laufen möchte ich auch nicht, aber ich muss die Zeit nutzen um im Wettkampf bestehen zu können. Da das Wetter momentan etwas besser ist, geht es los – ich ziehe mir in Hoffnung auf Wetterbesserung nicht einmal das Cape über. Statt dass es plästert, nieselt es nur zum Zeitpunkt meines Aufbruches.

In der Altstadt ist es noch ruhig, ich sehe kaum Pilger und mich wundert es, dass in der Altstadt noch keine Bar geöffnet ist. Durch das Stadttor und dann das erste Mal die Frage: Wo geht der Weg lang? Meine Handytaschenlampe habe ich in die Fototasche am Hüftgurt gesteckt, so ist der Weg direkt vor mir beleuchtet. Ich schaue an den Straßenschildern mit der Lampe auf Wegzeichen. Nicht wie vermutet geradeaus sondern nach rechts führt es mich aus der Stadt hinaus. An der Kreuzung treffe ich auf einen Koreaner, da steht der junge Mann, ahnungslos, wohin er laufen soll. Er suchte nach gelben Wegweisern, so wie es in den Büchern steht, aber er findet keinen.

Ich erkläre und zeige ihm, wie die Wegweiser in Frankreich aussehen und nun habe ich für die nächsten 10km einen jungen Mann an meinen Fersen, der versucht mit mir mitzuhalten.

Es dauert nicht lange, da ziehe ich mein Regencape an, der leichte Nieselregen der ersten 15 Laufminuten geht in einen stärkeren Regen über. Zum Glück kommen mir auf der Landstraße nur wenige Autos entgegen, aber einige fahren echt zackig um die Kurven. Immer aufwärts geht es, bei jedem abzweigenden Weg schaue ich ganz genau, wo und ob ich ein Zeichen finde. So sammele ich eine weitere Gruppe Asiaten ein, die in einen gekreuzten Weg – das Zeichen für: bitte nicht in diesen Weg abbiegen - einsammele oder aus dem falschen Weg zurückrufe.

Ein Auto kommt in einer Kurve so nah an mich heran, dass ich einen Schritt zurückweiche und dabei fast in den hinter mir liegenden Graben falle. Warum fahren die Autos ohne Rücksicht auf Verluste auf einem Weg, der dafür bekannt ist, dass er stark begangen ist – auch am frühen Morgen und bei Dunkelheit?

Einerseits ärgere ich mich, andererseits verstehe ich auch den Unmut der Einheimischen über die Menschenmassen.

Überwiegend folge ich der Straße aufwärts, manchmal geht es über einen Naturweg um wenig später wieder auf der Straße zu landen. Ich gehe davon aus, dass der Weg evtl. Kurven/Serpentinen der Straße abkürzt, aber noch ist es dunkel, ich kann den Verlauf der Straße nicht sehen.



Und so bin ich überrascht, schon sehr schnell in Orisson zu sein.

Da ich gut in der Zeit bin, gehe ich in die Bar; die Regencapes und nassen Jacken müssen draußen vor der Tür hängen bleiben. Trocknen können die Capes so nicht und es wird nach der Pause richtig ekelig werden, aus dem Warmen kommend, in die kalten und nassen Regensachen zu steigen.

Die Bar ist noch fast leer und ich bestelle mir einen großen Café au lait und erlaube mir ein Croissant.

Seit einem Jahr habe ich kein Weißmehl gegessen, keine Butter…, aber hier auf dem Weg benötige ich die Kalorien und Vollkornbrot gibt es nicht.

Und ja, ich genieße das Croissant. Es ist frisch, man schmeckt die Butter in dem noch lauwarmen Gebäck und ich lasse es mir schmecken, bleibe aber nicht lange. Zu groß ist die Angst, dass mein zeitlicher Vorsprung von zu vielen Mitpilgern aufgeholt wird. Ich habe keine Ruhe zu verweilen.

Inzwischen ist es „hell“, aber nebelig, es schüttet und der Wind weht. Dieses Wetter wird so häufig von dieser Etappe berichtet. Die nasse Regenkleidung ist kein Genuss. Von innen Schwitzwärme, von außen Regen – mir ist trotz dauerhaftem Anstieg kalt. Meine Hände sind klamm, und bei der Kälte schwindet das Gefühl in den Fingern. Ich bleibe kurz stehen um mir meinen Langarmpulli und meine Jacke anzuziehen und im Wind bekomme ich den Regenponcho nicht alleine angezogen. 

Der Poncho flattert, lässt sich nicht gescheit anziehen und so kommt mir ein Mitpilger zu Hilfe und hält das Ding fest und zieht es mir im Rücken über den Rucksack. Irgendwann zeigt der jetzt gelbe Wegweiser in eine Wiese. Kann man auch der Straße weiter folgen? Wahrscheinlich ja, aber sicher ist sicher und so stapfe ich durch die überschwemmte Wiese. Das Wasser quatscht unter meinen Füßen, die Wiese ist vollgesogen mit Wasser und es dauert nicht lange und meine Füße werden nasser und nasser. Entweder hat das Goretex seine Kapazität erreicht oder das Wasser ist an meinen Unterschenkeln durch den Schaft in die Schuhe gelaufen. Bei jedem Schritt quatscht jetzt nicht nur die Wiese, nein auch meine Schuhe geben Geräusche ab.

Pferde mit gesenkten Köpfen stehen einzeln oder in Gruppen auf und neben dem Weg, gehen aber zur Seite, oder ich umkreise sie.



Der Weg ist in dem Matsch und Regen sehr rutschig, die Steine glatt, aber es geht gut vorwärts. Bei dem Wetter möchte man sich nicht länger als nötig draußen aufhalten, den Imbisswagen am Wegesrand ignoriere ich. Ankommen ist heute die Devise.

Die Natur, sofern ich sie im Nebel sehen kann, ist so ganz anders als an den Vortagen. Die Berge sind karger, rauer, die Vegetation ist anders. Bemooste Bäume mit Flechten, niedrige Büsche, viele Wiesen – aber vielleicht wäre der Eindruck bei Sonne auch ein ganz anderer.



Ein Engländer gesellt sich zu mir und beim Plausch vergeht die Zeit sehr schnell. Neben dem Weg fällt der Berg steil ab, die Bäume sehen aus wie im Märchen. So unschön es ist im Regen und Nebel zu laufen, so schön sind die Eindrücke von der Natur in diesem Zustand. Es hat etwas mystisches, magisches. Gemeinsam mit dem Engländer passiere ich die Rolandsquelle 

und dann geht es in den Wald hinein und steil abwärts. Es ist eine Tortur über den Wurzelweg, über die Steine und Schlammschichten den Berg hinabzusteigen.

So schwer der Abstieg ist, so sehr freue ich mich darüber, dass mein Knie mitmacht. Die Bandage scheint zu helfen, aber ich gehe auf Nummer sicher, mache nur kleine Schritt den Berg hinunter. Manchmal rutsche ich vorwärts, immer verbunden mit einem Adrenalinstoß und der Angst zu fallen.

Manchmal bin ich verwundert, wenn mich jemand im Laufschritt bergab überholt. Dass ich nicht schnell im Abstieg bin, weiß ich. Aber dieses leichtfüßige, tänzelnde Bergabwärtslaufen – bewundernswert.

Immer wieder denke ich, dass der Wald lichter wird, dass ich aus dem Wald herauskomme, aber es täuscht. Die 5km abwärts ziehen sich in die Länge, aber auch der Abstieg ist irgendwann geschafft. Bei strömendem Regen kann ich Roncesvalles sehen. Geschafft! Jetzt muss nur noch ein Bett frei sein.

Ich umkreise einmal das Kloster um den Eingang zu finden und reihe mich in eine lange Schlange von Wartenden ein. Viele sind nass und erschöpft, andere trocken und ganz munter. Derweil ich Schlange stehe, parke ich meinen nassen Rucksack am Rand des Flures, ziehe meine nassen Wanderschuhe und Strümpfe aus und trockene Strümpfe und meine Latschen an. 

Kurz vor mir in der Schlange stehen Marisa und Dalain, sie müssen mich während meiner Pause in Orisson überholt haben, auf dem Weg habe ich sie heute nicht getroffen. Immer in der Sorge, dass das letzte Bett vergeben wurde, geht die Schlange nur langsam voran.

Ich bekomme ein Bett im Keller des Klosters und bin dankbar dafür. Im Keller sind die alten Betten, es gibt keine Spinde oder Bettlampen wie in dem renovierten Klosterteil (dort haben die Reservierungen ihre Betten). Von vielen Mitpilgern im Keller wird diskutiert, ob es gerecht ist, dass Tourigrinos (Buspilger und Touristen) für den gleichen Betrag ein schönes Bett bekommen, und die Läufer ohne Reservierung zahlen das Gleiche, haben keine Sanitäranlagen in der Etage, kein Licht, keine Weckmusik… Mir ist das so egal, ich habe ein Bett und eine heiße Dusche, was will ich mehr?

Wie ich und alle anderen die Schuhe bis morgen trocken bekommen sollen, ist mir ein Rätsel. Es gibt keine Zeitung um die Schuhe auszustopfen, es gibt keine Heizung im Schuhraum oder im Altbaukeller unseres massiven Klosterbaus.

In Roncesvalles gibt es eine große Wäscherei die von den Hospitalieros betreut wird. Mindestens 10 Waschmaschinen und Trockner laufen gleichzeitig und heute gönne ich mir diesen Service. Ich nehme nur einen Trockner und gebe meinen Wäschekorb in der Wäscherei, beschriftet mit meiner Bettnummer – ab. 40Min später steht mein Korb bereit und ich hänge die Kleidung und auch mein Cape im Trockenraum auf. Für den Beträg für den Trockner hätte dieser gerne etwas länger laufen dürfen, die Wäsche ist nach der "Trocknung" feucht-warm.

Marisa und Dalain werden heute Nacht ordentlich frieren. Sie haben keinen Schlafsack dabei, Decken gibt es nicht und sie wollen auch nicht in die in der Herberge angebotenen Schlafsäcke investieren. Sie haben mich schon am ersten Tag gefragt, warum ich einen Schlafsack mitschleppe.

Für mich ist der Schlafsack meine Konstante auf dem Weg, mein Zuhause, weich, warm und kuschelig. Ich wollte ihn nicht missen und trage ihn gerne mit mir herum – wissend, dass er 990 Gramm wiegt. Die alten, abgenutzten Wolldecken sehen oftmals wenig einladend aus und manchmal gibt es sie nicht. Heute Nacht wird es bitterkalt werden.

In der Küche koche ich mir einen heißen Tee, warm wird mir nicht wirklich.

Am späten Nachmittag hört der Regen auf und die Sonne kommt durch. Ich laufe eine Runde um das Kloster, schaue mir die Kirche an und habe ein gutes Gespräch mit der Hospitaliera an der Eingangstür. Diese guten Seelen, die die Herbergen betreuen, sind Gold wert. Sie kümmern sich, haben ein offenes Ohr, helfen, sind immer da und sind der gute Geist der Herbergen.


Abendessen und Frühstück habe ich beim Einchecken mit gebucht und so treffe ich mit vielen Mitpilgern abends im benachbarten Restaurant ein. Es wird in Etappen gegessen, damit alle Pilger die Möglichkeit haben eine Mahlzeit zu bekommen. An großen runden Tischen sitzen wir, überall wird gequatscht und gelacht. Und so ergibt es sich auch, dass ein Mitpilger für morgen noch ein Bett in Zubiri reservieren möchte. Da er spanisch spricht, ruft er mehrere private Alberguen an und lässt auch mir ein Bett reservieren. Jetzt kann ich morgen in meinem Tempo laufen, so wie es für mich richtig ist. Pausieren wo und wie ich will.

Das Abendessen klingt in gemütlicher Runde aus. In einem bestimmten Zeitrahmen müssen wir das Restaurant verlassen haben, die nächste Essensgruppe steht schon vor den Türen.



Als ich wieder die Herberge betrete, wird gerade ein Stapel Zeitung in den Schuhraum gebracht. Es wird nicht viel bringen, aber ich nutze die Möglichkeit und stopfe meine immer noch klatschnassen Schuhe aus.

Mir ist elendig kalt, die Luft in unserem Kellergewölbe ist feucht und so lege ich mich bald in meinen Schlafsack. So gut das Knie heute beim Laufen war, so sehr tut es mir jetzt weh.

Die Asiaten im Bett über und neben mir sind ständig am Kramen, rein- und raus laufen und machen Krach und Unruhe für mindestens 10 Personen. Im Schlafsack wird es schnell warm und kuschelig. Mir würde es grauen nur in allen Kleidern ohne Decke bei diesen Temperaturen schlafen zu müssen – ich bedauer die Mexikaner (auch wenn sie es so wollen).

Bald kehrt Ruhe ein, ich hoffe auf besseres Wetter für morgen.

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