Die Geschichte meines Jakobsweges

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Roncesvalles - Zubiri

 

13. September 2024

Roncesvalles – Zubiri 21,4km

Auch wenn es normal ist, dass in einem Schlafsaal mit vielen Leuten immer eine gewisse Unruhe herrscht, schlafe ich gut. Bis um 4 Uhr meine Asiaten in den Betten über und neben mir in rege Betriebsamkeit starten.

Die Unruhe die sie am Vortag verbreitet haben, verbreiten sie auch jetzt am frühen Morgen und jeder weiß: die asiatische Truppe ist wach.

Ich nehme es zur Kenntnis und versuche das Beste für mich daraus zu machen. Die Knie- und Beinschmerzen vom Vorabend spüre ich im Liegen nicht, unser Kellergewölbe ist kalt und dunkel und ich drehe mich noch einmal um, auch wenn an Schlaf nicht zu denken ist – zumindest bis die asiatische Pilgertruppe das Haus verlassen hat. Nachdem noch einmal etwas Ruhe einkehrt und ich in einen leichten Schlaf zurück finde, ist um 6 Uhr die Nacht endgültig vorbei. Aber das ist auch okay, wenn man abends um 21 Uhr schon im Bett liegt.

Ich nehme meine Wäsche von der Leine, aber sie ist noch immer nicht komplett trocken – trotz Trockner. Ich nehme an, dass die hohe Luftfeuchtigkeit den Trocknungsprozess verhindert. Von meinen Schuhe spreche ich erst gar nicht. Es ist unangenehm in die nassen Schuhe zu steigen. Sie sind kalt und feucht, die Füße kühlen ohne Bewegung schnell aus. Ich gehe davon aus, dass die Schuhe beim Laufen am ehesten trocknen, die Körperwärme ist bei diesem Prozess eine große Hilfe.


Um 7.00 Uhr gibt es in im Restaurant Frühstück. Wieder wird an großen eingedeckten Tischen gefrühstückt, nur kann man heute Morgen kommen und gehen wie es einem beliebt. Die Rucksäcke müssen draußen vor der Tür stehen bleiben und ich bin froh, dass mein Rucksack im überdachten Hauseingang Platz findet. Es regnet noch immer ganz leicht, aber der Himmel wirkt vielversprechend.

Auf jedem Platz liegen Toastadas, Wurst, Käse, Obst, ein süßes Teilchen und Butter mit Marmelade. Mit Kaffee und Getränken kann man sich selbst bedienen, bezahlt haben wir alle direkt beim Einchecken in der Herberge bei unserer Ankunft. So läuft alles problemlos und ohne zusätzlichen Zeitaufwand oder Arbeit für die Restaurantbetreiber. Als Zeichen dafür, dass man bezahlt hat, gibt man nur seinen erhaltenen Frühstückszettel ab.

Genau wie ich, sitzen auch andere noch die Dämmerung in der Bar aus, wir unterhalten uns, so wie man es macht, wenn man die gleichen Pläne hat, ähnliche Gedanken oder noch neugierig darauf ist: wie wird der Weg werden, macht der Weg was mit mir und wenn ja: was???

Um 8 Uhr ist es hell und siehe dar: der Regen ist abgeklungen.

Rucksack auf und los. Mein Regencape hänge ich locker zum endgültigen Trocknen über den Rucksack und starte in einen neuen Tag. Der Himmel klart auf, aber es ist windig und nach wenigen hundert Metern stelle ich fest, dass mein Regencape abhanden gekommen ist. Auch wenn es weniger dicht als erhofft war (angeblich hält es eine Wassersäule von 10.000mm aus), ohne wäre ich komplett verloren. Besser ein undichtes Cape als gar keins. Ich drehe nach 400 Wegmetern um und mir kommt eine Pilgerin mit meinem Cape in der Hand entgegen. Sie hat schon bei Facebook gepostet, dass sie ein Cape gefunden hat und wem es gehört oder eines vermisst – und das innerhalb so kurzer Zeit. Dankbar nehme ich es der Pilgerin ab und dieses mal befestige ich es besser am Rucksack.

2-3km hinter Roncesvalles liegt das Dorf Burguete und vor mir ist die Straße voll mit meinem asiatischen Trupp. Warum sind sie sooo früh aufgestanden, wenn sie gerade mal kurz vor mir sind? 


Was haben sie die ganze Zeit gemacht? Die Pilgertruppe wird von Einheimischen von der Dorfstraße zurück geschickt, denn sie haben die Abzweigung verpasst. Dass man auf dem Camino Frances, zudem noch in der Gruppe, einfach geradeaus läuft, wenn die Wegweiser nach rechts zeigen und die gelben Pfeile unübersehbar sind – ich verstehe es nicht.

Die neben dem Weg liegende Dorfkirche von Burguete ist verschlossen und außer mir ist niemand die wenigen Meter zur Kirche gegangen. Auf dem Weg liegen viele Kirchen und sicher kann man nicht jede Kirche besichtigen, aber mir ist es ein Bedürfnis diese Kleinode anzuschauen, oftmals sind die Türen verschlossen. Heute führt der Weg immer mal über kleine Wasserläufe, in denen Betonklötze zum Überqueren liegen. Für Pilgerneulinge ist das etwas Besonderes, sie haben einen Heidenspaß und filmen und fotografieren sich. Und jeder einmal allein auf den Steinen, damit dass in ihren Tiktoks, youtoubes und Instastories gepostet werden kann. So bildet sich ein Rückstau und ich quetsche mich einfach durch die Wartenden der Gruppe und laufe über die Steine und weiter.


Der Himmel wird immer freundlicher, ich laufe an Wegen mit Pferden und Eseln vorbei, begrüße alle Tiere am Wegesrand.

Heute ist der Weg nie frei, Pilger überall und nirgends – aber auch ich bin für drei Tage ein Teil der Massenbewegung. Über Landstraßen, Natur und Betonwege geht es mal auf, mal ab und heute bin ich wesentlich langsamer als gestern unterwegs. Nicht, dass ich gestern extra schnell gelaufen bin, aber wahrscheinlich hat mich mein Unterbewusstsein zwecks Bettensuche in Kombination mit dem schlechten Wetter vorwärts getrieben. Wo hätte ich auch verweilen sollen, was hätte es mir gebracht, mich im Starkregen in eine nasse Wiese zu setzen um einen Apfel zu essen?

Es fängt wieder an zu nieseln und ich erreiche kurz später ein Dorf. Und wie es in Dörfern am Camino Frances so ist: wo ein Dorf ist, ist die nächste Bar nicht weit weg. Vor der Bar steht ein Fahrrad mit einem Anhänger. Darin sitzt in stoischer Ruhe ein großer Pilgerhund und lässt sich von allen fotografieren und streicheln. 

Der Hund trägt eine Pilgermuschel und wartet auf sein Herrchen. Er ist der Star in der Masse und lässt sich nicht anmerken, ob ihm der Trubel ge- oder missfällt.

Die Tische im inneren der Bar sind alle belegt, und so setze ich mich im Hof unter einen Sonnenschirm und mache es mir dort bequem. Zu mir an den Tisch setzt sich eine junge Frau. Wir kommen ins Gespräch und sie erzählt mir, dass sie gerade ihr Krankenpflegeexamen abgelegt hat und sich nun eine Auszeit nimmt, bevor sie in das Berufsleben startet. Sie hat durch ihre Arbeit im Krankenhaus Gott gefunden, wuchs atheistisch auf, hat sich kürzlich taufen lassen und möchte Gott auf dem Weg begegnen und näher kennenlernen. Sie lässt es darauf ankommen, vertraut, dass alles gut werden wird, ohne Planungen. Einfach laufen und sehen was passiert. Ich gebe ihr meine Erfahrung mit: dein Bett findet dich! Hab Vertrauen, alles ergibt sich so wie es sein soll.

Diese Erfahrung habe ich auf meinen Wegen gemacht. Egal was passiert, es hat sich immer als gut und richtig erwiesen. Vielleicht hat man es nicht immer direkt im ersten Moment verstanden, aber es war immer gut.

Und obwohl ich diese Erfahrung gemacht habe, habe ich in Zubiri ein Bett gebucht. Ich weiß, dass sich immer irgendeine Lösung finden würde, aber ich möchte mich nicht stressen, dass, wenn ich am Ende der Etappe erschöpft und müde bin, noch stundenlang zu suchen, oder etliche Kilometer zusätzlich laufen muss. Dass hätte ich früher gemacht und gekonnt – und wahrscheinlich könnte ich es noch immer, aber ich muss auch auf meinen Körper aufpassen. Ich verlange meinem untrainierten Körper Höchstleistungen ab, bin chronisch krank, aber: ich bin hier, ich bin auf dem Camino und bislang läuft es sich gut.

Nach der Pause ist es wieder trocken, ich stehe 20min in der Warteschlange für die Toilette und dann geht es weiter, meine Credencial hat einen Stempel in der Bar bekommen.

Danach geht es weiter und weiter, ich habe das Gefühl, dass der Weg heute viel länger ist als gestern. Sicherlich spielt die Höchstleistung und die Kälte von gestern eine Rolle. Ich gehe davon aus, das es hinter den Pyrenäen wesentlich wärmer ist. Es ist Mitte September, das herrscht in vielen Teilen Spaniens noch Hochsommer.

Mir begegnet eine graue Katze, sie läuft neben mir her und ich streichele sie und den Arm findet sie auch sehr angenehm. Die Pilger hetzen alle an mir vorbei, keine Buen-Camino-Grüße, keine Gespräche beim Laufen, kein Nicken…

Hat sich das Verhalten der Pilger so geändert? Oder vielleicht ist es auf den ersten Etappen schon immer so gewesen? Alles ist neu, alle sind gespannt und getrieben voran zu kommen. Auf den ersten drei Etappen gibt es nicht viele Übernachtungsalternativen, ich könnte mir vorstellen, dass sich der Pilgerstrom hinter Pamplona etwas ausdünnt. Zwar kommen, je weiter man nach Santiago kommt, mehr und mehr Pilger hinzu, aber durch die vielen Übernachtungsmöglichkeiten entzerrt sich der Weg.

Es ist schön hier zu sein, aber ich freue mich darauf, übermorgen dem Trubel zu entkommen. Zurück zur Natur, zurück in die Einsamkeit.

Um meine erschöpften Knochen und Muskeln zu schonen mache ich heute Bar-Hopping. Bei einer weiteren Bar kehre ich noch einmal ein. Eigentlich wollte ich nur ein Getränk, aber ich bestelle dann, für den Hund der um mich herumschleicht, ein Brot mit Schinken. Der Schinken schmeckt dem Hund sehr gut, ich habe nette Gesellschaft und nachdem es bei mir nichts mehr zu holen gibt, wendet sich der Hund an die neuen Gäste.

Von jetzt geht es schön durch Wälder, der Ausblick ist wunderschön und es ist der schönste Teil dieser Etappe. Die Sonne holt alles nach, was sie gestern versäumt hat, grüne Wälder, blauer Himmel, sanfte Täler. So schön der Wegabschnitt hier ist, so anstrengend läuft es sich. Es geht nach einiger Zeit auf Naturwegen über seitlich abfallende, Steinschichten den Weg bergab. Man sieht genau, wie der Stein sich gebildet hat, Schicht für Schicht. Durch Rinnen und Fugen laufe ich, innerlich fluchend, bergab. Es ist schwer zu laufen, zu balancieren. Im Wald höre ich eine Kirchenglocke die volle Stunde schlagen und ich bin mir sicher, dass das die Glocke von Zubiri sein muss. Nur wenig später sehe ich das Städtchen durch den Waldrand und laufe erleichtert den Weg weiter. Es war heute anstrengender als gedacht. Meine Herberge liegt etwas abseits des Weges, aber nach einmal fragen, finde ich sie schnell.

Es folgt das übliche Prozedere, zusätzlich bürste und striegele ich meine Schuhe um sie etwas zu säubern. Meine Wäsche hängt draußen auf dem Wäscheständer in der Sonne, die Schuhe können endgültig trocknen und ich gehe in das Dorf, Proviant auffüllen und Ausschau nach Marisa und Dalain halten. Im Dorfladen kaufe ich eine Tortilla, Obst, Brot und einige Nüsse für morgen und als Abendmahlzeit.

Die Albergue von „meinen“ Mexikanern liegt mittig im Dorf und ich treffe sie dort im Aufenthaltsraum. Marisa bucht mir ein Bett in Trinidad del Arre, denn ich verstehe die spanische Seite und die Erläuterungen nicht, dann sitzen wir gemeinsam in der Albergue, teilen Tortilla und andere Essensvorräte und erzählen und freuen uns darüber, uns kennengelernt zu haben.

Vielleicht treffe ich die zwei morgen noch einmal, falls sie mich auf dem Weg überholen, oder wir sehen uns nie wieder. Aber wir bleiben in Kontakt.

Wir fünf, die kleine Pilgergemeinschaft vom Camino Piamonte, haben eine Whatsapp-Gruppe eingerichtet, wir werden auf unseren drei verschiedenen Wegen Kontakt halten und uns an den Erlebnissen der anderen freuen.

Für morgen ist die Wettervorhersage gut. Morgen geht es bis kurz vor Pamplona, der Start meines ersten Pilgerweges und dann geht es zurück in die Einsamkeit.

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