Die Geschichte meines Jakobsweges
Mansilla de las Mulas - Leon, 13.06.2025
13. Juni 2025
Mansilla de las Mulas – Leon, 18,5km
Herberge, Donativo
Ich bin an meinem Ziel angekommen, aber mein Herz ist noch auf dem Weg und würde gerne noch eine Weile hier bleiben.
Dankbar für die gute und wunderbare Zeit kann ich nun auf die zurückliegenden Kilometer zurückblicken. Was würde ich darum geben weiter Richtung Santiago de Compostela zu laufen und gleichzeitig ist es schön, dass es morgen nach Hause geht.
Ich weiß, dass ich früher oder später wieder kommen werde.
Die Nacht mit 7 Mitpilgern im Zimmer war fürchterlich und mal wieder konnte ich nicht schlafen, der einzige Unterschied: für die letzte Nacht gäbe es diverse Gründe warum ich nicht schlafen konnte.
Abends wurden die zwei kleinen Fenster in unserem Zimmer geschlossen. Einmal habe ich sie noch geöffnet, aber ich verstehe auch, dass es evtl. im Bett nahe am Fenster kühl gewesen sein könnte. Abends sind die Temperaturen wieder rapide abgefallen. Im Zimmer war es unheimlich war, es war stickig und vor allem laut. Es wurde geschnarcht wie bei Weltmeistern, immer mal stand der eine oder die andere auf um zur Toilette zu gehen. Die Rucksäcke versperrten ein einfaches Durchkommen im Zimmer. Scheinbar alle, bis auf meine Wenigkeit, schliefen schnell ein, niemand wälzte sich im Bett hin und her. Froh darüber, dass irgendwer in der Nacht das Fenster wieder geöffnet hat muss ich irgendwann eingeschlafen sein.
Gegen 6.10 Uhr wurde ich wach und ich war die letzte die im Zimmer erwachte.
Alle kramten im Dunkeln umher und da niemand mehr im Bett lag, machte ich das Licht an – was nicht von allen wohlwollend akzeptiert wurde.
Wenn ich niemanden mit dem Deckenlicht wecken kann, wenn alle wach und aus dem Bett sind, warum soll es dann im Raum dunkel bleiben.
Das Aufräumen des Bettplatzes, das Einpacken aller Sachen die auf und neben dem Bett liegen ist bei Helligkeit so viel einfacher und vor allem: man sieht, ob alles eingepackt ist, oder noch am Bettende liegt.
Heute ist mein Geburtstag, heute bin ich 52 Jahre alt und heute werde ich in Leon ankommen. Wenn ich nachher in Leon bin habe ich in 14 Tagen 260 Kilometer (plus die Zusatzkilometer durch vom Weg abkommen) und fast 8000 Höhenmeter gelaufen. Die meisten Höhenmeter bin ich zwischen San Vincente de la Barquera und Riano gelaufen. Die Etappen davor und danach waren relativ flach.
Die ersten drei Tage auf dem Camino del Norte hätte ich mir sparen können. Hätte ich mich im Vorfeld mehr mit den Etappen auf dem Camino del Norte auseinander gesetzt, hätte ich gesehen, dass ich nur der Straße folge und dennoch war es nicht falsch mit den flachen Etappen zu starten.
In der Küche stehen die Hospitalieros und verteilen Kaffee und Tee, auf dem Tisch steht Brot, Marmelade, Müsli, Cornflakes und Haferflocken. Von meinen Mitpilgern werde ich gefragt, wie weit ich heute laufen werde und ich erzähle, dass ich meinen Weg heute beenden werde. Sie sind erstaunt, dass ich Leon zu meinem Ziel erklärt habe, aber ich erzähle auch, dass ich den Frances und einige andere Wege bereits gelaufen bin und kenne. Mein Weg war die Verrbindung vom del Norte zum Frances. Dieser Weg war letztendlich schon gestern zu Ende, aber Leon ist ein würdiger Abschluss. Des weiteren erwähne ich, dass heute mein Geburtstag ist, und es schön ist, das alte Lebensjahr auf dem Weg zu verabschieden und das neue Jahr willkommen zu heißen. Man singt mir ein Geburtstagsständchen. Anschließend räume ich meinem im Kühlschrank gelagerten Proviant in meinen Rucksack, verschenke noch 2 nicht gegessene Joghurts und mache mich auf den Weg. Eigentlich hätte ich gestern keine Vorräte mehr kaufen müssen. Ich bin mir sicher dass ich heute an vielen Bars vorbei laufen werde, und dennoch ist es gut, etwas Energie in essbarer Form dabei zu haben.
Ich verlasse Mansilla de las Mulas im Sonnenaufgang, der Weg läuft heute mehr oder weniger auf einer breiten Piste neben der Straße.
Helene, die ich vor 2 Tagen in Cistierna getroffen habe, sagte mir, dass ich diese Etappe gut mit dem Bus fahren könnte, sie wäre hässlich – aber hässlich empfinde ich die Strecke nicht.
Alles um mich herum ist flach, in der Ferne sehe ich die Leoneser Berge und überalle, soweit das Auge blicken kann, wird Landwirtschaft betrieben. Es ist das typische Bild in der Meseta. Die Sonne steigt langsam über den Feldern empor und ich fühle mich gut und genieße jeden Schritt. Es sind meine letzten Kilometer.
Überall am Wegesrand finde ich Pilgersymbole, auf Häusern, Garagentoren, im Geländer, im Boden. Ein Wegweiser reiht sich an den nächsten, es geht durch kleine Orte. Auf den Kirchturmdächern und auf den Türmen sitzen die Storche, ein Nest neben dem anderen. In den Nestern sieht man Störche mit ihren Jungtieren.
Ich hätte es mir viel voller auf diesem Weg vorgestellt und empfinde es im Moment nicht voll. Vor und hinter mir laufen Pilger, mein Blick ist nie frei – aber ich empfinde es nicht als störend.
Ildefonso läuft in einem Trupp spanischer Herren an mir vorbei. Auch sein Weg endet heute in Leon, morgen fährt er mit dem Zug nach Madrid, seiner Heimatstadt.
Ursprünglich wollte ich heute nach meiner Ankunft mit dem Bus nach Santander zurück, denn ich habe einen Rückflug ab Santander gebucht, mein Bett in der Herberge ist reserviert. Bei meinen Recherchen in den letzten Tagen habe ich festgestellt, dass es wesentlich zeitaufwändiger und komplizierter ist mit dem Bus nach Santander zurückzufahren, anstatt direkt nach Madrid zu reisen.
Müsste ich heute schon den Bus nach Santander erreichen, würde mir keine Zeit für Leon bleiben, ich säße 5 Stunden im Bus und müsste mehrere Busse nacheinander nehmen – immer in der Hoffnung, dass die Busse pünktlich sind.
Meine Nacht in Santander wäre nur kurz, denn der erste Flug nach Madrid geht schon früh morgens, 2 Stunden vor Abflug müsste ich am Flughafen sein und vor allem: ich hätte fast 6 Stunden Aufenthalt in Madrid.
Mit dem Zug bin ich morgen früh in 1,5 Stunden von Leon in Madrid und mir bleibt Zeit Leon und meinen Tag zu genießen.
Den kurzen Flug von Santander nach Madrid konnte ich nicht mehr stornieren, aber er war nicht teuer und ist längstens bezahlt und es tut mir nicht weh den Flug zu verpassen. Das Ticket für den Schnellzug habe ich mir bereits in Riano über das Internet gebucht und einen Schlafplatz in Leon finde ich auch.
Meinen Weg innerlich revuepassierend, laufe ich ich leichten Schrittes voran. Nach 2 Stunden mache ich eine kleine Pause in einer Bäckerei, danach geht es weiter. Gefühlt bin ich heute inzwischen an mehr Einkehrmöglichkeiten vorbeigekommen als insgesamt in den letzten 2 Wochen, das ist der Unterschied zum Hauptweg.
Die Infrastruktur ist am Camino Frances, am Camino Portugues und am Camino del Norte gut ausgebaut, die weniger frequentierten Wege bieten wesentlich weniger Infrastruktur, aber dafür viele gute Seelen am Wegesrand. Wo erlebt man es, dass man im Seniorenheim verköstigt wird, dass fremde Menschen einem ein Frühstück zubereiten?
Immer auf einer gut begehbaren Piste geht es neben der Straße lang. Irgendwann geht es einen Hügel hoch und in ca. 4-5km Entfernung, etwas unterhalb gelegen kann ich Leon sehen. Auf einer Brücke muss ich die Straße überqueren und auf der Brücke lasse ich meinen Blick über die Stadt schweifen und meine Augen bleiben auf der Kathedrale im Häusermeer hängen. Noch ist die Kathedrale zwischen den vielen Häusern klein und ca. 1,5h Laufzeit von mir entfernt.
In diesem Moment bin ich glücklich, mich durchströmt ein Glücksgefühl und mir kommen einige Tränen in die Augen. Ich weiß, ich habe es geschafft, jetzt kann nichts mehr passieren, die letzten Kilometer schaffe ich auch noch.
An mir vorbeiziehende Pilger weise ich auf die Kathedrale hin, aber für sie ist diese Kathedrale nur eine von vielen, Leon nur ein weiterer Ort auf ihrer Reise, nicht aber das Ziel. Nimmt man sich an dieser Stelle keine Zeit, sieht man die Kathedrale zwischen den vielen Häusern nicht, aber ich habe Zeit. Es ist noch so früh, ich bin heute richtig schnell unterwegs.
Den Hügel abwärts laufe ich nach Leon ein und bin schnell in dem Straßenmeer am Stadtrand. Mich wundert es dass der Weg nach links führt, denn die Kathedrale lag rechts vor mir, aber ich werde sicher durch die Wegweiser in die Innenstadt geführt. 1,5km vor der Kathedrale gibt es eine Stempelstation an der die Pilger willkommen geheißen werden. Wir erhalten Stadtpläne zur Orientierung und einen Lutscher von den Pilgerfreunden der Stempelstelle. Jetzt ist es nicht mehr weit. Über eine Brücke, entlang viel befahrener Straßen werde ich in die Altstadt geleitet. Zuvor komme ich an der privaten Pilgerherberge vorbei in der ich mir vorsichtshalber ein Bett reserviert habe. Zuvor werde ich es aber in der Klosteralbergue versuchen in der ich 2008 übernachtet habe. Sie liegt unweit der Kathedrale und ich empfinde es als schön, an einem Ort von meinem ersten Pilgerweg zu übernachten, auch wenn die Herberge alt und in die Jahre gekommen ist. Um 11 Uhr erreiche ich mein Tagesziel, aber noch habe ich es nicht geschafft, ich bin noch nicht an der Kathedrale.
Seit Jahren habe ich nicht erlebt, dass die Rucksäcke in Reihenfolge der Ankunft vor der Herberge deponiert werden. Rucksack reiht sich an Rucksack, aber es sind höchstens 20 Pilger vor mir angekommen.
Die Herberge öffnet erst in einer Stunde und ich nutze die Zeit um zur Kathedrale zu laufen. In der Altstadt laufen viele Gassen kreuz und quer und nicht auf Anhieb finde ich die Kirche, ich kann sie nicht sehen. Ich frage mich durch und nach 10 Minuten öffnet sich der Blick auf die zentrale Plaza, auf die Kathedrale und den großen Schriftzug Leon auf dem Platz.
Ich bin am Ziel!
Noch ist die Plaza relativ menschenleer und ich gebe einem Spanier meine Kamera für ein Ankunftsfoto, danach gehe ich in die Kathedrale. Gut kann ich mich an die vielen farbenfrohen Fenster erinnern, und trotz der vielen Fenster ist es dunkel in der Kirche. Ich bestaune die Fenster, setze mich in die Kirchenbank und lasse zum Schluss meine Credencial stempeln.
Danach gehe ich zur Herberge zurück, verlaufe mich mal wieder im Straßengewirr und bin immer noch vor der Öffnung zurück.
Ab 12.00 Uhr werden wir eingelassen. Die Herberge im Kloster ist dunkel und alt, aber ich kann mich gut an sie erinnern. Es war damals wie heute die einzige Unterkunft, in der man nach Geschlechtern getrennt untergebracht wurde.
Wäsche wasche ich heute nicht mehr, morgen geht es nach Hause und ich habe noch eine frische Garnitur Kleidung im Rucksack. Nach der Dusche gehe ich in die Altstadt zurück und lasse mich treiben.
Ich habe nicht erwartet, dass ich Lyanne, die in einem Hotel übernachtet, in dem Menschengetümmel finde und ich sehe sie auch nicht. Aber Lyanne hat nach meiner feuerroten Hose Ausschau gehalten und sie durch die Farbe im Menschenmeer gesehen und ruft mich. Wir fallen uns in die Arme, sie gratuliert mir zum Geburtstag und wir setzen uns gemeinsam zu einem späten Mittagessen in ein kleines Restaurant. Für Lyanne geht es von hier Richtung Camino Sanabres. Der Camino Sanabres ist ein Teil der Strecke, die für mich und viele andere die Via Plata ist, aber letztendlich ist der Sanabres die Wegführung die irgendwo hinter Zamora direkt nach Santiago führt und nicht nach Astorga auf den Camino Frances und von dort nach Santiago.
Wir kennen uns erst seit 4 Tagen, aber diese gemeinsamen 4 Tage waren bereichernd, wir haben gute Gespräche geführt und uns gut verstanden. Es war schön, nach den vielen Tagen wo es kaum eine Gesprächsmöglichkeit gab auch mal mit wem reden zu können, mit Ildefonso war die Verständigung sehr mühsam.
Nach unserer Mahlzeit lassen wir uns noch etwas treiben, danach verabschieden wir uns endgültig.
Ich laufe zur Herberge zurück, sitze draußen und lasse den Tag ruhig ausklingen derweil in Leon das Leben richtig beginnt. Es ist Freitagabend, es ist Wochenende und die Leoneser und auch viele Pilger wollen den milden Abend und die Stadt genießen. Mich wundert es, dass es so viele freie Betten in meiner Unterkunft gibt, aber viele möchten nicht schon um 22.00 Uhr zurück sein müssen, sie wollen feiern, sie wollen genießen und sich nicht einschränken. 2008 war das noch ganz anders. Ob es zeitgemäß ist, dass die städtischen und kirchlichen Unterkünfte so früh am Abend schließen kann man in Frage stellen, auf meinem ersten Weg hat das jeder als so hingenommen und es gab auch noch nicht die vielen privaten Herbergen die ihre eigenen Regeln aufstellen können. Mich hat es bisher nie gestört und ich hatte auf diesem Weg auch oftmals keine Unterkunftsalternativen.
Morgen könnte ich im Prinzip später aufstehen als auf meiner gesamten Reise, aber ich weiß, dass es mich nicht im Bett hält, wenn alle um mich herum aus den Federn kriechen.
Ich werde morgen vielleicht noch etwas liegen bleiben, dann werde ich meinen Rucksack ein letztes Mal packen, mir ein schönes Frühstück in einer Bäckerei oder Bar organisieren und dann werde ich die 20min zum Bahnhof laufen. Morgen Abend schlafe ich wieder in meinem eigenen Bett, mit meinen Katzen.
Auch wenn mein Herz gerne noch weiter laufen würde, ich muss nach Hause.
Ich freue mich auf meine Familie, auf mein Bett, meine Tiere.
Glücklich und dankbar meinen geplanten Weg geschafft zu haben, dankbar die Berge erlebt zu haben, dankbar dass mein Körper (wenn auch unterstützt von Medikamenten) so gut durchgehalten hat.
Ich werde den Weg, wie alle anderen Wege, in meinem Herzen behalten. Früher oder später werde ich wiederkommen, vielleicht zieht es mich auch zur Abwechslung nach Italien, die Via Francigena oder die Via Francesco würden mich auch reizen.
Aber bis dahin wird noch viel Zeit vergehen, aber mein Weg ist noch nicht zu Ende. Die Pläne für neue Wege reifen mit der Zeit, irgendwann ruft der oder ein Weg wieder nach mir und dann ist der richtige Zeitpunkt zum erneuten Start da.
Es waren wenige Begegnungen, aber diese kurzen Begegnungen waren intensiv.
Das Treffen mit dem belgischen Ehepaar in Cobreces und San Vincente hat mir viel bedeutet, das kurze Gespräch mit der jungen Frau die mich über 6 Kilometer vor San Vincente begleitet und auf den richtigen Weg zurück gebracht hat. Nathalie und ihr Partner, ebenso Erik mit denen ich gemeinsam auf dem Camino Lebaniego unterwegs war, Lyanne und mein manchmal etwas nerviger Schatten Ildefonso.
Es war schön, sie alle getroffen und kennengelernt zu haben.
Aber für dieses Jahr ist es erst einmal genug, mein Körper hat genug geleistet und irgendwie bin ich jetzt erst einmal wieder genug gelaufen.
Früher oder später wird der Ruf wieder in meinem Herzen anklopfen und ich werde ihm folgen, egal wohin, egal welcher Weg, aber ich werde den Weg gehen,
alles Andere ergibt die Zeit.
Gradefes - Mansilla de las Mulas, 12.06.2025
12. Juni 2025
Gradefes – Mansilla de las Mulas, 23,1km
private Albergue, 12€, Frühstück gegen Spende
Früh lag ich gestern Abend im Bett. Solange die Sonne noch auf unseren Balkon geschienen hat, haben Helene und ich draußen gesessen und von unserem Weg erzählt, Ildefonso kam irgendwann dazu. Die Wäsche ist sauber und getrocknet, morgen kann ich mit frischer Kleidung in Leon einlaufen.
Morgen komme ich schon in Leon an. Die 2 Wochen sind wie im Fluge vergangen.
Obwohl ich mich so vor der Herberge geekelt habe, habe ich endlich mal gut geschlafen. Meine weit geöffneten Fenster ließen noch einen Blick auf den schönen Sonnenuntergang zu, dann schlief ich ein. Ich habe extra wenig getrunken, ich möchte das Bad nicht öfter besuchen als nötig.
In der Nacht wurde ich kurz wach, es war richtig kalt, aber ich habe die Fenster nicht geschlossen. Morgens wurde ich endlich mal, mich erholt fühlend, wach. Nach wie vor war es sehr kühl, ich stand schnell auf, zog meine Jacke über das Shirt und verließ schnell die Herberge.
Helene läuft heute Richtung Cistierna, Ildefonso ist schon auf und davon. Er hat mich gestern gefragt wann wir aufstehen sollen und ich habe ihm gesagt, dass ich mir keinen Wecker stelle und nicht sagen kann, um wie viel Uhr ich die Etappe starte, aber ich bin mir sicher, wir sehen uns wieder, Lyanne startet von ihrem Hotel – es wird sich ergeben ob, wo und wann wir uns begegnen.
Der Weg führt hinter der Herberge weiter auf der Landstraße in die weiten Ebenen der Meseta. Inzwischen bin ich mir sicher in der Meseta zu sein, die Natur kommt mir so vertraut und bekannt vor, wobei die rötliche Farbe der Erde mich eher an die Via Plata erinnert. Bald führt der Weg von der Straße auf eine Piste und entfernt sich langsam von der Straße. Es ist noch flacher als gestern, Felder so weit mein Blick reicht. Langsam steigen die Temperaturen, aber es bleibt bedeckt.
Heute morgen wollte ich zur Sicherheit mein Navi für die heutige Etappe einrichten, aber das Handy hat sich nicht mit dem Netz verbunden, vielleicht geht es später. Man sieht und spürt, dass es in der Nacht geregnet haben muss, die Wege sind feucht, die Gräser nass. Schnell wird das Stück Socke dass aus dem Schuhschaft herausreicht nass.
Wieder gibt es wenig Abwechslung, manchmal sehe ich Störche, Vögel begleiten mich, der blühende Mohn in den weiten Feldern leuchtet überall. Auch heute gibt es Pappelhaine am Wegesrand. Irgendwann führt der Weg mich zurück auf eine Landstraße und in einem kleinen Dorf setze ich mich auf eine Bank.
Das trockene Brot, ich habe keine Lust mehr darauf, lasse ich im Rucksack und ich esse meine Salami und etwas Käse ohne Brot. Bislang habe ich heute nur einige wenige Autos in der Ferne gesehen, sonst noch niemanden.
Vom Dorf geht es wieder in die Pisten, auf offene, wasserführende Betonröhren sind in regelmäßigen Abständen, oder dort wo es nötig ist, gelbe Pfeile gepinselt.
Ein Vogel begleitet mich eine Weile. Er sitzt auf dem Wassertrog, komme ich näher, fliegt er ein Stück weiter, aber irgendwann schaffe ich es, den lustigen Gesellen zu fotografieren. Der Vogel schaut interessiert, nahe kommen darf ich nicht. Nach dem Foto fliegt er noch eine Weile parallel zu mir, als ob er auf mich warten oder begleiten will. Gibt es keine Wegweiser laufe ich geradeaus auf der Piste, die sich oftmals in den Feldern verzweigt oder um große Felder herumführt.
Mitten in den Feldern steht ein leeres Auto, wenig später treffe ich den Bauern, grüße und wandere weiter. Der Weg wird, mal wieder, enger, der Bewuchs höher und ich ahne, dass ich falsch sein könnte. Inzwischen ist meine Hose bis Mitte Oberschenkel, von der Feuchte der Gräser, durchnässt.
Ich packe mein Handy aus, inzwischen hat es sich mit dem Netz verbunden – und oh Wunder: ich scheine richtig zu sein. Dieser Weg wird in einigen hundert Metern auf einen anderen Weg führen. Mutig, stapfe ich durch das Grünzeug voran, aber irgendwann ist absolut kein Durchkommen mehr. Es geht nicht weiter. Ich schaue nach rechts und links, ob ich aus dem Gestrüpp entkommen kann, ob ich es umgehen kann, aber ich finde keine Lösung als mal wieder umzudrehen.
Nach einiger Zeit erreiche ich wieder den zuvor gegrüßten Bauern und er schaut mich fragend an. Er hätte mir vorhin schon sagen können, dass es dort nicht lang geht. Er weist mir einen Alternativweg und ich umrunde das riesige Feld in einer großen Schleife und stoße im Anschluss wieder auf Wegweiser. Mir haben bei dem vorherigen Weg nicht viele Meter gefehlt um wieder auf diesen Weg zu kommen, ich kann die Stelle wo ich umgekehrt bin, erkennen. Aber die Büsche waren irgendwann einfach zu dicht, wäre es nur eine Wiese gewesen, ich wäre drüber gelaufen.
Also folge ich dem Weg immer weiter. Alles sieht gleich aus, ich könnte meinen, dass ich hier heute schon gewesen bin, dem ist aber nicht so.
Irgendwann erreiche ich mal wieder eine Straße, ein Kloster ist in 200 Metern Entfernung ausgeschildert und auf dieses wurde auch in der Wegbeschreibung hingewiesen. Den Hügel hinauf erreiche ich das Kloster, aber es hat geschlossen.
Im Kloster Santo Torribio konnte ich keinen Stempel für meine Credencial bekommen, geschweige denn es besichtigen und auch dieses sehenswerte Kirchlein hat geschlossen.
Vor dem Kloster sehe ich den Rucksack von Ildefonso, er hat mich aber nicht gesehen und läuft zur Rückseite der Kirche. Ich schaue mir die Kirche mit seinen Bögen von außen an, laufe um die Kirche herum, treffe meinen Mitpilger aber nicht mehr. Als ich die Kirche umrundet habe, steht das Gepäck von Ildefonso immer noch an der gleichen Stelle, aber er ist nicht mehr zu sehen – weder vor noch hinter der Kirche.
Weiter geht es über Landstraßen und dann wieder Pisten, ich habe das Gefühl nicht vorwärts zu kommen, obwohl dem nicht so ist.
Ich laufe an einem weiteren Dorf vorbei und sehe ein Schild: Bar, 200 Meter.
Laut meiner Wegbeschreibung gibt es heute keine Bar in Wegesnähe, aber 200 Meter Umweg laufe ich gern. Ich erkenne die Bar, aber sie ist geschlossen. Ich muss nicht den gleichen Weg zurücklaufen, ich kann der Straße weiter folgen, sie kommt automatisch wieder auf die Route. Erstaunt sehe ich, dass ich wieder auf den Rio Duro zulaufe. Er fließt hinter den Bäumen und ich näher mich einer Staustufe. Im Fluss steht ein Storch, der durch mich aufschreckt und davon fliegt.
Ich mag Störche unheimlich gern, manchmal fahre ich zuhause mit dem Fahrrad in die Rieselfelder und schaue nach den wenigen Storchennestern die es dort gibt.
Nachdem ich den Fluss überquert habe, fließt der Fluss kanalisiert im Betonbett weiter. Ich deute den Wegweiser so, dass ich den Weg zur Straße hoch muss und komme auf dem Seitenstreifen einer viel befahrenen Straße heraus. Die Laster hupen mich an, es gibt nur wenig Platz zum Ausweichen und ich fühle mich auf dem Seitenstreifen nicht sicher. Ich drehe um, denn am parallel zum Fluss führt ebenfalls ein Betonweg in gleiche Richtung wie die Straße.
Auf dem Betonweg laufe ich nach einiger Zeit an einem Wegweiser vorbei, es sind nur noch vier Kilometer bis Mansilla de las Mulas.
Der Weg in die Stadt hinein ist relativ langweilig. Links von mir Nationalstraße, der Fluss und ich auf einem Betonweg. Kurz vor Mansilla de las Mulas finde ich einen Wegweiser nach dem Anderen, dabei laufe ich auf dem Fußweg neben der Straße.
Bin ich hier schon auf dem Camino Frances? So viele Wegweiser könnten das vermuten lassen – aber wenn es so wäre: wo sind die vielen Pilger?
Ich weiß nicht, wo sich beide Wege vereinen, ob wir aus der gleichen Richtung in die Stadt hineinlaufen oder von wo der Weg kommt.
Durch ein Stadttor laufe ich meiner Albergue entgegen. Die öffentliche Herberge wurde auf einem Straßenschild ausgeschildert, meine Herberge nicht. In welcher Richtung oder wo in der Stadt liegt diese? Da ich mir die Adresse nicht aufgeschrieben habe, kann ich mir den Weg nicht anzeigen lassen. Auf dem zentralen Platz des Ortes treffe ich auf ganz viele Menschen, ganz viele Pilger. Hier stoßen beide Wege aufeinander. Ich habe es geschafft, ich bin auf dem Camino Frances.
Aber: 2008 musste ich aufgrund einer Grippe einen Tag aussetzen und bin an einem Tag nur Kurzstrecke gelaufen um mich zu schonen. Um im Zeitplan zu bleiben bin ich diese Etappe damals nicht gelaufen und hole die fehlende Etappe morgen nach. Man erklärt mir den Weg zur Herberge, ich habe schon vor Monaten mein Bett reserviert. Die private Herberge ist mit 20 Betten klein und schnuckelig. Zwei Schlafräume, ein Küchenbereich, ein kleiner Außenbereich.
Die meisten Betten sind bereits belegt, überall stehen Rucksäcke eng an eng, es gibt nur 2 kleine Fenster. Fast alle kennen sich, für mich sind alle Gesichter fremd.
Ich ruhe mich etwas aus, komme mit einigen Pilgern ins Gespräch, von meinem Weg haben sie alle noch nie gehört. Aber ich kannte auf meinem ersten Weg auch nur die Namen der großen Strecken und „mein“ Weg ist kein eigenständiger Camino, sondern eine Verbindung zwischen zwei Wegen.
In der Bar nebenan gibt es den ersten richtigen Kaffee für heute, Ildefonso kommt zufällig vorbei und fragt mich, warum ich nicht in der öffentlichen Albergue übernachte.
Etwas später meldet sich Lyanne, sie wohnt in einer anderen privaten Albergue auf der Gegenseite meiner Albergue.
Wir treffen uns noch auf ein Getränk, erzählen noch etwas und vielleicht sehen wir uns morgen in Leon. Lyanne wird nicht nach Leon hineinlaufen. Sie fährt mit dem Bus, da sie die anstehende Etappe bereits kennt. Wir tauschen unsere Telefonnummern aus, alles andere überlassen wir dem Zufall. Nicht weit von meiner Unterkunft entfernt gibt es einen großen Supermarkt, so viel Auswahl habe ich seit fast zwei Wochen nicht gehabt. Die große Auswahl macht es aber auch schwerer: was soll ich nehmen?
Ich entscheide mich für ein Stück Empanada, etwas Obst und Cuajado. Diese „Joghurtart“ kannte ich bislang nicht, oder ich wusste nicht, dass das was ich schon mal als Dessert bekommen habe, Cuajado war. Cuajado ist fermentierte Milch, ist nicht so säuerlich wie Joghurt und aufgrund des hohen Wasseranteils der Milch sehr erfrischend. Gestern in Gradefes bekam ich im Altenheim diese Sorte und sie hat mir gut geschmeckt. In der Küche der Herberge setze ich mich zu den anderen Mitpilgern und esse mein Abendbrot. Einer spanische Herrentruppe lädt mich später zu ihren Nudeln ein, aber ich bin schon gesättigt. Das ist das, was mir an der Gemeinschaft der Pilger immer gefällt. Das Miteinander, egal ob man sich kennt oder nicht. Trotz allen Rummels um mich herum, ich kann die Atmosphäre genießen und ich finde es schade, dass mein Weg morgen zu Ende ist. Gut könnte ich mir vorstellen, jetzt noch weiter zu laufen. Meine Füße haben keine Probleme gemacht, nach dem und durch das Cortison bin ich schmerzfrei und kurz vor meiner Ankunft in Mansilla de las Mulas konnte ich in der Ferne die Leoneser Berge sehen. Die Etappen durch die Leoneser Berge haben mir damals so gut gefallen, besonders der Abstieg vom Cruz de Ferro bei Sonnenschein nach Ponferrada war wunderschön und so ganz anders als die Natur davor und danach.
Morgen geht es nach Leon. An meinem Geburtstag beende ich meine Reise und erreiche das mir gesetzte Ziel. Es ist gleichzeitig schön die Strecke geschafft zu haben und schade, nicht weiter laufen zu können.
Es ist nicht schlimm und war auch nie das Ziel auf diesem Weg, Santiago de Compostela zu erreichen. Aber gerne würde ich das Miteinander unter den Pilgern noch erleben. Die Einsamkeit war schön, der Weg ganz besonders, aber auch die gute Stimmung auf dem Weg würde ich noch gerne erleben.
Aber alles hat ein Ende und noch steht mir eine Etappe bevor.
Aus Sorge morgen kein Bett in Leon zu bekommen, reserviere ich mir noch ein Bett in einer privaten Herberge, stornieren kann ich es immer noch – denn eigentlich möchte ich dort übernachten wo ich damals schon war, in der einfachen Klosterherberge mitten im Herzen von Leon, unweit der Kathedrale.
Cistierna - Gradefes, 11.06.2025
11. Juni 2025
Cistierna – Gradefes, 22,8km
Herberge 8 Euro
Wie in fast allen Nächten zuvor war auch diese Nacht mal wieder sehr durchwachsen. An Nebengeräuschen kann es im Einzelzimmer in einer Nebenstra0e eines kleines Dorfes auch nicht liegen, Schmerzen habe ich durch das Cortison, dass ich heute letztmals nehme auch nicht. Mit den Cortisontabletten habe ich mich an das Schema meines Neurologen gehalten, nur die letzten zwei Tabletten habe ich halbiert und die letzte halbe Tablette geviertelt um das Medikament auszuschleichen. Ich hätte es auch abrupt absetzen dürfen, aber ich wollte mich etwas sicherer fühlen, weil ich auch schon mal heftige Nebenwirkungen beim Absetzen vom Cortison hatte – auch wenn es sich dabei um wesentlich höhere Dosen gehandelt hat.
Nachdem ich um kurz nach 6 Uhr, wie immer, von alleine erwacht bin, stehe ich langsam auf, setze mich noch mit meinem Brot und einem Joghurt in den Aufenthaltsraum und mache mir in der Mikrowelle eine Tasse Wasser für meinen Kaffee heiß. Die Küchenzeile ist nicht wirklich schön, abgenutzt und alles was ich benutze spüle ich zuvor.
Bislang ist es die Unterkunft auf dem Weg in der ich mich am unwohlsten gefühlt habe, aber ich darf nicht vergessen, dass der Preis sehr günstig war.
Mit einsetzender Dämmerung laufe ich mal wieder los und der heutige Weg ist nicht sehr spektakulär, aber auch nicht hässlich. Ich habe das Gefühl, dass der Weg mich schon auf das Ende meiner Reise vorbereiten möchte.
Ich verlasse auf der Dorfstraße die Ortschaft und manchmal bin ich verwundert über die Wegführung. Ist es mir in den letzten Tagen öfter passiert, dass ich den Weg nicht gefunden habe, zeigt ein Wegweiser der in einer Kachel eingelassen ist nach links, geradeaus und rechts. Was soll ich von drei Richtungsangaben halten?
Da ich gestern Nachmittag durch den Ort geschlendert bin, weiß ich, wo weitere Wegweiser waren und laufe in die Richtung, die ich gestern ausgekundschaftet habe.
Erst folge ich, Ildefonso läuft in Sichtweite vor mir, der Straße, biege wenig später nach rechts in einen Feldweg ein, überquere eine Schiene und folge weiter dem Rio Esla.
Der Fluss läuft hier gemächlich und ruhig, aber es ist auch wesentlich flacher, die Berge sind beim Blick zurück nur noch in großer Weite zu sehen, es gibt keine engen Schluchten und kein Gefälle durch das der Fluss sich seinen Weg suchen muss.
Nach einigen Kilometern biege ich von der Straße ab und mein Weg führt nun über Kilometer durch einen zugewucherten Wiesenweg. In der Wiese fühlen sich die Insekten mehr als wohl. Von mir aufgescheuchte Fliegen, Mücken, Bremsen und Schmetterlinge umgeben mich. Der Duft nach Schweiß lockt die Viecher an, ich versuche die Insekten von mir fernzuhalten, habe aber keine Chance. Durch mein T-Shirt hindurch stechen die Bremsen auf mich ein, die Mücken ebenfalls, ich habe keine Chance gegen sie.
Seit Cistierna laufen Camino Olvidado und Camino Vadiniense auf einem Weg, irgendwann biegt der Camino Olvidado wieder von meiner Wegführung ab.
Der Wiesenweg führt durch eine Art Wald, rechts und links Bäume von mir, manchmal auch nur Büsche durch die ich auf die umgebenden Felder schauen kann.
Verschiedene Wiesenwege werden durch einige Meter Landstraße unterbrochen oder überqueren die Landstraße um weiter durch die Wiesenwege zu führen.
Waren oftmals zuvor in den Naturwegen auch Fahrspuren von größeren Fahrzeugen zu sehen, sind hier keine Spuren zu sehen. Gemäht wird der Weg auch nicht und es ist nicht immer leicht zu laufen. Die langen Gräser vertuschen im Untergrund liegende Steine und Äste, Kuhlen sind nicht zu sehen und macht das Laufen zeitweise unangenehm und stolperig. An einer Landstraße biegt Ildefonso vor mir ab, aber der Weg ist eindeutig ausgeschildert. Ich überlege, ob ich Ildefonso einfach laufen lassen soll – vielleicht hat er sich etwas bei dem Abstecher gedacht – oder soll ich ihn zurückrufen. Meist hat er, wenn er in meiner Nähe lief, an fraglichen Stellen, oder an Stellen die er für eine Abkürzung hielt, auf mich gewartet oder mir seine Pläne erläutert.
Ich entscheide mich dafür, ihn zu rufen, und ihn auf den Fehler hinzuweisen, oder zu fragen, ob der Abstecher beabsichtigt ist.
Er ist verwundert, aber er ist froh, dass ich ihn auf seinen Fehler aufmerksam gemacht habe. Er ist wütend, auf die oftmals nicht so sichtbaren Wegweiser, wobei ich diesen eindeutig und gut sichtbar empfunden habe. Hat man seinen Blick aber auf dem Boden, schweift mit den Blicken in die Umgebung oder hängt in seinen Gedanken, kann es passieren, dass man an den Schildern (die oftmals unterschiedlich aussehen, sei es Pfeil, Kachel, türkis, auf Holztafeln…) vorbeiläuft.
Er schlägt mal wieder das Gras um den Wegweiser hinunter und läuft dann mit mir weiter.
Wir erreichen ein kleines Dorf und ich entscheide mich dazu, auf einer Holzbank zu pausieren. Heute ist es leicht schwül, der Himmel ist bedeckt, aber mir ist dennoch warm. Auf der Bank packe ich mein Wasser und meinen Pfirsich aus und verweile derweil mein Begleiter auf mich wartet.
Laut Dorfbevölkerung soll es in ca. 40-50min eine Einkehrmöglichkeit geben.
Vielleicht läuft es sich heute für mich anstrengender als gewohnt, trotz nicht vorhandener Steigung, weil die Landschaft relativ langweilig ist.
Weiter geht es über einsame Landstraßen durch Felder, entlang von Waldrändern und seichten Hügeln. Alles ist sehr ländlich, manche Blicke könnten mich glauben lassen, ich bin irgendwo in der Nähe vom Teutoburger Wald.
Ich habe das Gefühl, dass ich den Rand der Meseta erreicht habe. Die Meseta, von einigen gehasst, von anderen geliebt – eine große, ländlich geprägte Hochebene zwischen Burgos und Leon. Die Meseta habe ich auf meinem ersten Camino durchquert und auch ein Teil der Via Plata quert Ausläufer der Meseta.
Was mir auf jeden Fall gefällt sind die vielen Mohn- und Kornblumen.
Auf einer Piste geht es immer entlang von Wässerungssystemen durch die Felder, der Weg zieht sich in die Länge.
Auch wenn der Weg durch den Blick aufs Navi nicht kürzer wird, ich möchte wissen wie weit es noch ist – dabei stelle ich fest, dass ich nicht auf dem richtigen Weg bin. Wo der Weg offiziell abgebogen ist, ist mir ein Geheimnis, aber es spielt keine Rolle, weil viele Wege parallel durch die Felder führen, die Landstraße ist auch nicht weit entfernt und so laufe ich einfach weiter, stoße irgendwann wieder auf den offiziellen Weg. Wichtig ist für mich, dass die Richtung stimmt – ob ich nun von rechts oder von links auf den gleichen Acker schaue, spielt keine Rolle. Noch immer sind es 9 Kilometer, inzwischen ist der Himmel klarer, es gibt kaum Schatten und irgendwann setze ich mich im Schatten auf eine Betonröhre und packe mein trockenes Brot mal wieder aus.
Ich habe definitiv keine Lust mehr auf altes Brot, ich möchte ankommen und innerlich verabschiede ich mich langsam vom Weg.
Über die Pisten geht es weiter, Schritt für Schritt, ich komme an Pappelheinen vorbei, deren Anblick mir so bekannt vorkommt, die ich schon oft am Camino Frances durchlaufen bin. Eine Pappel neben der andere, der Abstand exakt gleich, aber ich weiß nach wie vor nicht, wozu diese kleinen, immer wiederkehrenden Anpflanzungen dienen. Mal klart es auf, mal ziehen Wolken auf und ich bin mir relativ sicher, auch weil die Luft heute drückend ist, dass es früher oder später noch regnen wird. Die Feldwege enden an einer kurvigen Landstraße und ich laufe die letzten 1-2km entlang der Straße und erreiche Gradefes.
Am Orts/Dorfanfang liegt eine alte romanische Kirche, auf die schon mehrfach am Wegesrand hingewiesen wurde. Ich betrete die Kirche, freue mich über die Kühle und schaue mir das schlichte Kirchlein an, bevor ich die Dorfmitte erreiche. Aus der Ferne freue ich mich über Sonnenschirme, Tische und Stühle am Straßenrand – eindeutig ein Hinweis auf die Bar. Die Wirtin der Bar betreibt auch die Herberge und in der Bar bekommt man den Schlüssel für die Unterkunft.
Vor der Bar steht ein mir unbekannter Rucksack, in der Bar treffe ich auf eine niederländische Pilgerin. Wir setzen uns mit einem Getränk in den Schatten, Ildefonso kommt aus einer Seitenstraße und wenig später trudelt auch Lyanne ein, die sich zu uns setzt. Mein Mitpilger rennt, wie immer, schnellen Schrittes und von einer unsichtbaren Kraft angetrieben durch das Dorf.
Wie oft hat Ildefonso seit seiner Ankunft das Dorf schon umrundet?
Die Niederländerin heißt Helene und hat sich eine längere Auszeit genommen um ihr Leben zu durchdenken. Sie ist schon viele Wege während ihrer Auszeit durch Spanien gelaufen, u.a. die Via Plata und ist nun auf dem Weg zu Fuß zurück in die Niederlanden.
Die Wirtin teilt uns mit, dass sie bald schließt, dass es keine Einkaufsmöglichkeiten und keine Baröffnung für eine spätere Mahlzeit gibt. Alternativ gibt es aber ein Restaurant, ca- 1,5 – 2 Kilometer entfernt ist dem man ein Menue bekommen kann. Außerdem werden Pilger in dieser kleinen Ortschaft durch die örtliche Senioreneinrichtung verpflegt. Wir können uns im Altenheim melden und bekommen das dortige Mittagessen entweder eingepackt um es in der Herberge wieder aufzuwärmen, oder wir können es vor Ort essen. Außerdem würde uns der Koch die Speisekammer öffnen und wir könnten bei ihm „einkaufen“.
Wir drei Mädels entscheiden uns im Restaurant essen zu gehen. Helene und ich bringen erst unser Gepäck in die wenig entfernte Herberge, danach treffen wir uns wieder.
Schon mit Betreten der Herbere rieche ich schwarzen Schimmel. Es riecht muffig und feucht. Es gibt drei Zimmer in der Herberge, Ildefonso, Helene und ich nehmen jeweils ein Zimmer für uns. Das Bad ist oberhalb des Fensters schwarz vor Schimmel, in den anderen Räumen sieht man den Schimmel nicht, aber man riecht ihm. Die Herberge ist in der ersten Etage des Gebäudes, in den anderen Etagen wohnen Mieter. Wie können die hier wohnen, Schimmel ist gesundheitsschädlich.
Ich ekel mich, aber das Hotel ist ausgebucht, ich habe keine Möglichkeit die Unterkunft zu wechseln, die nächste Ortschaft ist weit weg. Wäre der Schimmel nicht, wäre die Herberge super, mehrere Balköne, eine schöne Küche, ordentliche Schlafzimmer…
Helene nimmt den Schimmel gelassener als ich. Mit Lyanne gehen wir zum Hotel in dem Lyanne übernachtet und setzen uns zum Essen hin. Nach dem vielen trockenen Brot freue ich mich über ein Stück Lachs mit Kartoffeln, etwas Salat und ein Eis zum Nachtisch. Als Getränk gibt es für mich Wasser, für die anderen Wein und das Menue kostet uns nur 15 Euro. Wir hätten es teurer erwartet, aber beim Tagesmenue bekommt man nie die Bestellkarte, es wird einem gesagt was es gibt und dann kann man wählen.
Derweil wir essen, erzählen und lachen, geht der große Regen los. Erst schüttet es, dann hagelt es große Eisklumpen. Wir sind froh, dass wir im trockenen sind, es gibt keine Zeitnot.
Nach einer Tasse Kaffee ist es irgendwann wieder trocken und wir verabschieden uns von Lyanne und gehen Richtung Seniorenheim. Wir fühlen uns etwas komisch, aber wir benötigen Proviant für morgen und eine Kleinigkeit für den Abend, vor Mansilla de las Mulas, meinem Etappenziel, wird es keine Einkehrmöglichkeit geben.
Im Seniorenheim werden wir freudig empfangen und wir werden zur Küche geführt.
Der Koch bietet uns das Mittagsmenue, Fisch mit Gemüse und Kartoffeln an. Da ich gerade aber warm gegessen habe, frage ich nach Alternativen. Ich bekomme gefüllte Pfirsiche, Joghurt, etwas Brot und Früchte zum Mitnehmen – alles hat mich nur 3 Euro gekostet. Die mit Huhn/Mayonaise gefüllten Pfirsiche werden eingeschweißt.
Die alten Leutchen haben großen Spaß an der blonden, groß und kräftig gewachsenen Niederländerin. Ich glaube, dass die Bewohnerin etwas dement ist, aber sie hat Spaß und beginnt mit Helene zu tanzen, derweil sie sie immer in ihre Wangen und Oberschenkel kneift. Es macht einfach Spaß und es ist ein besonderer Nachmittag in diesem Dorf. Nach einigen Tänzen verabschieden wir uns und gehen zur Herberge zurück.
Im Herberge gibt es eine Waschmaschine die nichts extra kostet und wir nutzen gemeinsam die Gelegenheit alles zu waschen, was man gerade nicht am Körper trägt. Inzwischen, nach dem großen Regen, ist die Luft wieder klar und heiß und auf dem Balkon wird die Wäsche schnell trocknen.
Derweil die Wäsche wäscht, nehme ich mein Tagebuch und gehe zur geschlossenen Bar zurück. Ich setze mich dort an den Tisch und die Bar, ist der einzige Ort im Dorf wo es wlan gibt. Das wlan nutze ich um meine Fotos von der Kamera aufs Handy zu laden um einige an meine Mutter zu senden. Ich fotografiere lieber mit der Kamera als mit dem Handy, auch wenn es fast 300 Gramm Extragewicht ist.
Ich zögere die Zeit hinaus um zur Herberge zurück zu gehen.
Dort angekommen setze ich mich auf den Balkon in die Sonne um dem Schimmel zu entkommen. Da ich alleine in dem Zimmer bin, reiße ich alle Fenster weit auf und blockiere sie mit Stühlen damit sie in der Nacht nicht unbemerkt zugehen.
Die Nacht wird kalt werden, abends kühlt es immer gut ab, aber ich friere lieber als das ich mehr als nötig vom Schimmel einatme.
Cremenes - Cistierna, 10.6.2025
10. Juni 2025
Cremenes – Cistierna, 16,7km
Albergue, 12€
Heute ist mein drittletzter Wandertag auf dem Camino Vadiniense, die Zeit vergeht wie im Flug. In drei Tagen komme ich in Mansilla de las Mulas an und bin damit auf dem Camino Frances.
Schon am späten Nachmittag war meine Wäsche in der Sonne wieder trocken, mein Tagessoll erfüllt und ich habe nichts mehr gemacht – aber in Cremenes gab es auch nichts zu tun oder zu besichtigen.
Morgens werde ich, wie immer nach einer durchwachsenen Nacht, gegen 6 Uhr wach.
Im gegenüberliegenden Aufenthaltsraum des Hotels ist ein Frühstück hergerichtet. Diese Mahlzeit wäre, zuhause, für mich ein Kaffeetrinken am Nachmittag. Auf dem Tisch stehen süße Plätzchen und Gebäck, dazu gibt es Kaffeekapseln für die Kaffeemaschine. Die Kekse kann ich nicht alle zum Frühstück essen, da sie aber im Gesamtpreis mit eingerechnet sind, packe ich sie für später ein. Wer weiß, wo es wieder was zu essen gibt.
Ildefonso hat vor dem Hotel auf mich gewartet und gemeinsam starten wir in den Tag. Einige Meter geht es den Weg, den ich gestern gekommen bin, zurück, dann bin ich wieder auf dem Weg.
Hoffentlich ist der Weg heute besser ausgeschildert als gestern.
Es geht weiter immer in größerer oder kleinerer Entfernung zum Rio Esla.
Links von mir sind die Berghänge, rechts ist der Fluss und vor mir läuft Ildefonso.
Absichtlich lasse ich mich etwas zurückfallen, aber ich glaube, dass mein Mitpilger verstanden hat, dass ich nicht nur in Gesellschaft laufen möchte.
Schnell bin ich von der Landstraße wieder auf Feldwegen, die sich teils durch breite Täler und Wiesen ziehen um sich mit der Zeit wieder zu verschmälern.
Auch heute bleibe ich regelmäßig stehen und schaue zurück, dorthin wo ich hergekommen bin und darauf wartend, dass die Sonne über die Berge blitzt.
Die Dämmerung ist immer so ein schöner Teil des Tages, die Vögel sind aktiv und singen laut und gleichzeitig heißen die Natur und ich den Tag in der Stille willkommen.
Es gibt nicht viele Wegweiser, aber die, die es gibt, sind oftmals stark zugewuchert. Nicht nur ich habe gestern den richtigen Abzweig verpasst, auch Ildefonso ist irgendwo vom Weg abgekommen. Mit seinen Stöcken schlägt er das hohe Gras an den Wegweisern hinunter, in der Hoffnung, dass nach uns kommende Pilger die Wegweiser besser finden. Aber nicht immer liegt es an dem hohen Gras, dass man sie übersieht. Manchmal stehen sie an ungünstigen Stellen, oder die Schrift auf dem Wegweiser steht auf der Rückseite, von wo man nicht kommt und die Beschriftung wahrnimmt. Ich verstehe es nicht.
Die Natur ist viel lieblicher als noch vor einigen Tagen. Der Fluss, die weiten Wiesen, es blüht und die Insekten tanzen um mich herum.
Irgendwann ist Ildefonso vor mir nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich habe ich zu viele Fotos gemacht, „getrödelt“ oder er ist mir eine Kurve voraus. Ich laufe in einer Fahrspur am Rande der Berge die durch eine hohe Wiese führt. Erst wird das Gras immer höher, die Ginsterbüsche kommen näher, aber der Weg ist eindeutig zu sehen und so laufe ich mal wieder zweifelnd, aber überzeugt, dass nirgends ein anderer Weg abgegangen ist, immer weiter. Der Ginster zerkratzt mir meine Unterschenkel, mit meinen Wanderstöcken halte ich das Gebüsch zur Seite. Der Weg wird immer unwegsamer, immer grüner und zugewucherter. Also packe ich doch mal wieder das Navi aus um festzustellen, dass ich nicht auf dem Weg bin. Zwar muss ich immer dem Fluss folgen und der Fluss läuft nicht weit von mir entfernt, aber es hätte nicht anders sein können, ich bin irgendwo mal wieder falsch gelaufen. Also drehe ich um, laufe ca. einen km auf dem grünen Weg zurück und zerkratze mir weiter meine Unterschenkel, ich blute aus den Schrammen. Als der Weg wieder etwas gangbarer und das Tal neben mir breiter wird, sagt mir ein Blick auf das Navi, dass der Weg ca. 200 Meter oberhalb von mir sein muss. Einen Verbindungsweg gibt es nicht, aber 200 Meter sind eine Distanz, die ich mich evtl. durch das Gelände schlagen könnte. Um mir die Umgebung besser anschauen zu können, schalte ich von der Wegekarte auf Satellitenbild um und ich sehe, dass ich mich überwiegend durch eine Wiese bergaufwärts schlagen muss. Vor und hinter der Wiese läuft nur ein schmaler Busch- und Baumsteifen.
Ich versuche es und biege 90 Grad nach rechts ab, laufe durch einige Bäume und stapfe eine Wiese bergauf. Über die Wiese lässt es sich gut laufen, dann quetsche ich mich durch einige Büsche, steige über Äste, hangel mich durch kleine Bäume und kletter über eine Mauer und ich erreiche meinen Weg. Das ging leichter als gedacht und hat mir etliche Meter zurücklaufen erspart. Ich laufe weiter auf einem Steinweg, der wenig später als Römerstraße ausgeschildert ist, bergauf. Der Weg ist breit, blaue Blumen leuchten am Wegesrand, lila Disteln und Mohn. Es geht aufwärts und ich sehe von hier oben, dass ich dem Fluss folge, aber ein gutes Stück höher. Diese Höhenunterschiede sieht man auf der Straßenkarte im Navi nicht. Man sieht, dass der Weg mehr oder weniger parallel zum Fluss läuft, mehr aber auch nicht.
Wahrscheinlich hat Ildefonso direkt den richtigen Weg gefunden und ist deshalb aus meinem Blickfeld entschwunden.
Erst laufe ich immer leicht aufwärts auf der alten Römerstraße, bleibe eine Weile in der Höhe, dann geht es wieder abwärts durch einen Wald, näher mich wieder dem Rio Duro und der Autostraße. Ich höre zwischendurch mal ein Auto und irgendwann läuft der Weg hinter Büschen parallel zur Straße und durch die Büsche kann ich eine Bar erkennen. Ich folge dem Weg noch etwas bis ich auf die Straße geführt werde und entscheide mich dazu, an der Straße zurück Richtung Bar zu laufen.
Die Bar hat geöffnet und ich gehe hinein, bestelle einen Kaffee und ein belegtes Brot mit Käse und erbitte einen Stempel für meine Credencial.
Ich bin alleine mit einem Einheimischen in der Bar und mache es mir bequem.
Das Käsebrot ist riesig und es ist nicht nur eine Scheibe Brot. Zu Brot und Käse gibt es Olivenöl statt Butter und eine pikante Tomatensauce.
Als ich gerade mein Brot verzehren möchte, geht die Tür auf und Ildefonso und Lyanne, die Autralierin die ich gestern das erste Mal in Cremens getroffen habe, kommen zur Tür hinein.
Wo kommt Ildefonso jetzt her? Er war doch eindeutig vor mir? Lyanne kann zufällig dazugestoßen sein, aber gesehen habe ich sie heute Morgen noch nicht.
Lyanne muss vor uns gestartet sein, denn Ildefonso der vor mir lief, hat sie irgendwo im Ginsterdickicht getroffen. Also habe nicht nur ich den Wegweiser, falls es ihn gegeben hat, übersehen, sondern meine 2 Mitpilger ebenfalls. Und es war eindeutig ein Trampelpfad, oder zugewucherte Fahrspur im Dickicht zu sehen. Scheinbar habe ich als erste die Wegführung in Frage gestellt und auf das Navi geschaut.
Ildefonso wartet vor der Bar, möchte nichts essen oder trinken, Lyanne setzt sich zu mir und ich lade sie auf einen Teil meines riesigen Käsebrotes ein.
Der Käse ist richtig lecker, pikant und würzig – das Brot knackig und frisch geröstet und nicht so gummiartig, wie die altbackenen Brote die ich oft im Rucksack dabei habe. Aber weder in Riano noch Cremens hatte ich die Möglichkeit einzukaufen und daher bin ich froh, diese Frühstückmöglichkeit gefunden zu haben, auch wenn ich dafür 200 Meter an der Straße zurücklaufen musste.
Lyanne erzählt von ihrem Camino. Sie macht jedes Jahr einen großen und langen Urlaub von 2,5-3 Monaten in Spanien und läuft in der Zeit mehrere Caminos.
Die Anreise von Australien ist weit, die Kinder erwachsen und ihr Ehemann stößt nach 7 Wochen Wanderzeit zu seiner Frau und macht dann mit ihr noch einige Wochenin Europa. Dieses Jahr stehen bei ihr noch ein Besuch an der Tour de France und Italien im Reiseplan. Laufen mag ihr Mann aber nicht.
Nach der Pause laufen wir zu dritt weiter. Einerseits laufen wir gemeinsam und dennoch jeder für sich. Mal laufen wir in Sichtweite zu einander, manchmal erzählend beieinander. Lyanne spricht etwas spanisch, so dass sie einiges von und an Ildefonso übersetzen kann.
Der Weg ist schön, schnell wird es wieder warm und wir folgen den gesamten Weg über dem Rio Esla. Der Weg hat heute nur wenige Höhenmeter, mal geht es am Fluss etwas aufwärts, mal abwärts.
Der Fluss ist wunderschön, manchmal laut rauschen und schnell fließend, dann wieder gemäßigt. Mal ist der Weg nur ein Trampelpfad, schmal und rutschig, mal breit und auf Fahrspuren zu laufen.
Wir kommen an einer alten Eisenerzmine vorbei, dass Wasser läuft fließt durch ein kleines Mühlrad. Am Wegesrand stehen Erläuterungen zur Mine und zu den alten Industrieanlagen, die es hier gegeben haben muss.
Da es inzwischen wieder sehr warm ist, tauche ich meinen Kopf und meinen Hut unter einen Brunnenstrahl in der Nähe der Mine und danach riechen Haare und Hut nach Metall. An einer wunderschönen Flussbiegung machen wir Fotos von uns und haben Spaß. Ich überlege, mich von meinen Mitpilgern zu verabschieden um einfach hier am Fluss, in der wunderschönen Natur, zu pausieren. Einfach am Fluss sitzen, die Sonne genießen und die Seele baumeln lassen. Einerseits ist die Idee schön, andererseits ist es auch schön in Gesellschaft zu laufen und sich dabei unterhalten zu können.
Da es schon Mittagszeit und heiß ist, entschließe ich mich dagegen und wir laufen gemeinsam weiter. An einer wackeligen Hängebrücke machen wir wieder einen kurzen Fotostopp. Heute ist ein Tag einfach zum Genießen. Schönes Wetter, nette Gesellschaft und wunderbare Natur.
Schon an der alten Eisenmine war ein Hinweisschild auf den Weg, der sich hier auch Industrieweg, nennt. Es geht an alten, verfallenen Industriebaracken am Fluss entlang, der Weg führt durch eine alte Brachlandschaft, der Weg ist zum Teil schwarz – vielleicht wurde hier auch Kohle verarbeitet oder ein anderes Erz abgebaut. Nicht immer ist die Wegführung eindeutig, aber heute schauen wir zu dritt nach Wegweisern oder auf unser Navi.
Über eine Brücke, die eindeutig mit Durchgang gesperrt markiert ist, geht es weiter. Auf der Brücke verlaufen Eisenbahngleise, aber den Gleisen sind wir zuvor schon gefolgt, es fährt keine Bahn mehr auf der Anlage. Wenn man eine Brücke sperrt, sollte eigentlich ein Alternativweg ausgeschildert sein, diesen gibt es aber nicht und laut Landkarte auch keine Brücke in direkter Nähe. Die Brücke ist stabil, sieht nicht gefährlich aus und am anderen Flussufer sehen wir den nächsten Wegweiser. Wir lassen uns nicht aufhalten und überschreiten die Brücke, folgen weiter den Eisenbahngleisen die manchmal unterbrochen sind und sehen Cisternia vor uns. Es ist nicht mehr weit und wir freuen uns, das Tagesziel zu erreichen.
Die Herberge öffnet erst um 14.00 Uhr und so kehren wir zu dritt in eine Bar am Ortsanfang ein pausieren bei ein bis zwei kühlen Getränken und warten, dass es 14.00 Uhr wird. Cistierna ist etwas „größer“, es gibt einen Supermarkt, den ich im Tagesverlauf noch einen Besuch abstatten werde.
Um kurz vor 14.00 verabschieden wir uns vorübergehend von Lyanne, sie hat sich in einer Pension eingebucht. Wir laufen zur Herberge und stellen fest, dass sie geschlossen ist. Ildefonso ruft den Hospitaliero an und wir warten im Schatten auf einer Bank vor der Herberge. Wer nicht erscheint, ist der Hospitaliero. Wir rufen noch ein weiteres Mal an und der Hospitaliero gibt an in der Herberge auf uns zu warten. In dem Gebäude vor dem wir warten, war die Herberge früher. Sie ist in ein anderes Gebäude verlegt worden. Also Rucksack auf und noch einmal 10min Fußweg zur Herberge. Dort, wo die Herberge heute liegt, waren wir vorhin schon einmal, der Weg führte an dem Gebäude vorbei, aber im ersten Moment haben wir keinen Hinweis auf die Herberge an der Tür gesehen und die Adresse die wir beide aus dem Netz hatten, ist nicht mehr aktuell.
In der zweiten Etage eines Hauses ist die kleine Herberge untergebracht. Die Unterkunft ist ausreichend, hat einen großen Aufenthaltsraum und zwei Schlafräume nach Geschlechtern getrennt. Wir bekommen beide einen Haustürschlüssel, bezahlen unseren Obulus, dann geht der Hospitaliero wieder.
Auf meinem Bett sind einige Stippen zu sehen, das Laken wurde scheinbar schon länger nicht gewaschen, aber zum Glück gibt es Einmalbettwäsche, so dass ich nicht mit dem Laken in Berührung komme.
Ildefonso fragt mich, ob ich mit ihm zusammen in der Herberge essen möchte, oder ob ich später in ein Restaurant gehe. Da ich gestern im Hotel gespeist habe, ist heute wieder Selbstversorgung angesagt, es gibt zwei Supermärkte.
Nachdem wir beide geduscht sind, die Wäsche hängt aus einem Fenster im Treppenhaus, gehen wir wieder in die Hitze hinaus um einzukaufen.
Wir kaufen beide für uns ein, essen dann gemeinsam in der Unterkunft. Brot, Joghurt und Obst – auf kochen habe ich keine Lust, die „Küche“ sieht ziemlich abgewrackt aus, wlan gibt es nicht,Telefonnetz auch nicht.
Ich pausiere auf meinem Bett und mache mich im Anschluss mit meinem Tagebuch, so wie jeden Tag, auf einen Dorfrundgang.
Ich bin etwas erstaunt, alle Bars die ich bei meiner Ankunft gesehen habe, sind geschlossen, Siesta. Ich laufe durch das ganze Dorf und finde ein Hotel mit Restaurant wo ich mich zum Schreiben hinsetzen möchte. Ichh darf nur den Kaffee trinken – den ich mir immer als Grund zum Hinsetzen und Schreiben bestelle – und werde dann rausgeschmissen, Siesta. Schade, ich dachte, in der Hotelbar könnte ich mir ins wlan einklinken und meiner Mutter einen kurzen Gruß senden, aber auch daraus wird nichts. Auf dem Weg zurück zur Herberge komme ich an einer kleinen Grünanlage am Rathaus vorbei und setze mich am Brunnen auf eine Bank im Schatten. Aus dem Rathaus ertönt Musik, Kinder gehen mit ihren Instrumenten in das Gebäude – es scheint die Musikschule zu sei.
Auf der Bank schreibe ich meinen Tagesbericht und ich stelle fest, dass es auf dieser kleinen Plaza wlan gibt. Also checke ich kurz meine Nachrichten, sende einen Gruß an meine Lieben und gehe irgendwann zur Herberge zurück.
Ich verstehe meinen Mitpilger nicht. Wie in allen Orten zuvor, läuft er wie von unsichtbaren Wesen getrieben, durch das Dorf. Den ganzen Nachmittag und frühen Abend läuft und läuft er, und wenn es die gleiche Runde um das Dorf 10 Mal läuft. Ich will nicht wissen, wie viele Kilometer er jeden Tag zusätzlich läuft. Eigentlich könnte er auch 2 Tagesetappen in einem laufen, anstatt am Mittag oder frühen Nachmittag schon anzukommen.
Bei einem späteren Rundgang durch das Dorf treffe ich Lyanne noch zufällig an der Plaza. Wir quatschen noch eine Runde bevor wir uns für heute voneinander verabschieden. Spätestens in der kleinen Ortschaft Gradefes, mein Tagesziel für Morgen, werden wir uns mit Sicherheit über den Weg laufen.
Ohne wlan, ohne Buch und Gesprächspartner ist ein langer Nachmittag und Abend alleine in der Herberge wirklich langweilig, gerade auch in Dörfern, in denen es nichts zu sehen gibt, für mich der größte Unterschied zu den Hauptwegen.
Riano - Cremens, 09.06.2025
9. Juni 2025
Riano – Cremenes, 19,7km
Hotel 40 Euro
Die Nacht war kalt, es waren nur wenige Grad über Null, aber mein Körper hat gestern so viel Wärme getankt und abgestrahlt, es war gut das Fenster offen gehabt zu haben.
Der Wecker von Ildefonso schellt um 6 Uhr, die Nacht ist mal wieder vorbei – ich hätte auch noch etwas liegen bleiben können. Aber wenn ich wach bin, dann kann ich auch aufstehen.
Zum Frühstück gibt es nichts Warmes, die Bar vom Campingplatz hat noch geschlossen, einen Wasserkocher gibt es auch nichts, es bleibt nur Leitungswasser und ein Stück Obst zum Frühstück.
Ich schulter meinen Rucksack und begebe mich auf den Weg. Da der Weg mich durch den Ort zurück führt, biege ich in viele Seitenstraßen ein. Hier gibt es diverse Hotels, da muss es doch eine Möglichkeit zum Frühstück geben.
Meine Frühstückssuche führt leider zu keinem Ergebnis, im ganzen Ort hat noch keine einzige Hotelbar geöffnet – ich hätte es nicht für möglich gehalten.
Also muss es auch ohne Frühstück gehen, aber ausgerechnet heute wäre mir wirklich danach. Ich fühle mich schlapp, körperlich müde und das Obst hebe ich mir lieber für später auf. Wenn die Wegbeschreibung und das Internet korrekt sind, gibt es erst in Cremenes, meinem heutigen Zielort was zu essen. Ich hätte gestern in einer Bar ein belegtes Brot für heute kaufen sollen. Auch wenn das Brot heute trocken gewesen wäre, besser als nichts. Aber ich kann mir jetzt noch so sehr ein Frühstück herbei wünschen, es wird nicht kommen.
Durch die Ortschaft bin ich schnell an der großen Brücke die über den Stausee führt. Der Anblick vom See ist phänomenal. Es dämmert, erstes Licht fällt über den See und lässt ihn in unterschiedlichen Farben leuchten, dazu Nebelschwaden und Schlieren über dem See. Wenn die Sonne heute erst einmal aus den Wolken und über die Bergspitzen kommt wird es wieder ein wunderschöner Tag werden.
Oft bleibe ich stehen, drehe mich um und schaue zurück. In der Ferne sind die Berge zu sehen über die ich gekommen bin. Einen großen Teil meines Weges habe ich inzwischen absolviert. Ich bin trotz aller körperlichen Beschwerden und Schmerzen bis hier hin gelaufen. Wenn ich überlege, dass ich über diese Berge gekommen bin, dann bin ich richtig stolz auf das, was ich bis hierher geschafft habe.
Ildefonso sehe ich nicht weit hinter mir auf der Brücke, auch er macht Fotos vom Sonnenaufgang.
Hinter der großen Brücke gäbe es eine Alternative durch die Berge, eine Alternative um die Straßenkilometer zu umgehen. Die Alternative soll anstrengender sein, wesentlich mehr Steigung haben und so schön es wäre abseits der Straße zu laufen: körperlich ist mir momentan nicht danach, außerdem liegen die Berge momentan noch komplett in den Wolken und viel Aussicht gäbe es wahrscheinlich nicht. Zudem die Frage, ob der Weg gekennzeichnet ist – dazu konnte ich keinen Antworten bekommen.
Hinter der Brücke ändert sich die Landschaft komplett. Plötzlich laufe ich nur noch durch Nebel, weit schauen kann man nicht und in diesem Tal hängen die Wolken wesentlich tiefer als über dem offenen See. Den See kann ich, nachdem ich eine kleine Kapelle in einer Wiese (natürlich verschlossen) besucht habe, nicht mehr sehen und auch nicht hören.
Auch heute ist die Straße am frühen Morgen nur wenig befahren. Die Kapelle liegt malerisch am See, das Wasser glitzert, die Sonne steigt langsam hervor, aber über der Straße begleitet mich der Nebel eine ganze Weile.
Hinter der Bäumen muss ein Arm des Sees liegen. Das Vogelgezwitscher ist heute Morgen grandios, leider kann ich die Vogelstimmen nicht den Arten zuordnen.
7 Kilometer folge ich der Straße, manchmal sehe ich den See durch die Bäume, manchmal nicht.
Auch heute laufe ich absichtlich weit am Straßenrand, die wenigen Autos die mir entgegenkommen oder mich überholen sind rasant unterwegs. Das Tal dass ich durchwandere ist wesentlich enger, die Berge sind näher am Weg, aber mit der Zeit wird der Weg weiter.
Vor mir sehe ich eine Pferdekoppel und als ich mich dieser näher, sehe ich zwei riesige Hunde. Mir graut es vor ihnen, ich habe Respekt – aber ich habe inzwischen gelernt, die Stöcke beim Passieren der Hunde nicht einzusetzen.
An meinem ersten Wandertag mit Ildefonso, kurz hinter dem Kloster Santo Torribio konnte ein Hundebesitzer seine zwei Mastiffs kaum halten. Die Hunde knurrten und zogen den Besitzer in unsere Richtung und wir alle hatten Angst, dass die Hunde uns attackieren. Man rief uns zu, dass wir die Stöcker nicht benutzen sollen, die Hunde reagierten aggressiv auf sie.
Auch die zwei großen Hütehunde sind Mastiffs. Mit Angst und ganz viel Respekt laufe ich an der Herde und den Hunden vorbei um dann festzustellen, dass der Weg in Richtung Pferdekoppel abbiegt und auf der Rückseite der Wiese in die Richtung führt aus der ich gekommen bin.
Die Hunde kommen näher, interessieren sich für mich, folgen mir derweil ich ganz ruhig mit ihnen rede. Aber die Hunde folgen mir nur eine Weile und tun mir nichts. Erleichtert folge ich der Straße und wundere mich über die Richtung, denke mir aber nicht zu viel dabei, da sie auf ein nahes Dorf zuführt. In dem Dorf gibt es keine Bar und ich wundere mich nun doch, weil ich keinen Wegweiser mehr finde.
Sicherheitshalber packe ich mein Navi aus und natürlich: ich bin falsch, ich bin in Carande.
Vielleicht waren es 800 Meter oder auch etwas mehr, die ich falsch gelaufen bin.
In einem Garten sehe ich einen Dorfbewohner und frage nach dem Weg, aber der Mann kann mir keine Auskunft geben. Auf dem Navi finde ich auch keinen anderen Weg als den, den ich gekommen bin und drehe um.
Wieder muss ich an den Hunden vorbei und als ich diese passiere, sehe ich hinter einem Gebüsch einen Wegweiser, den ich aus der Ursprungsrichtung nicht sehen konnte. Jetzt geht es durch einen Wiesenweg hinein ins Grüne, einer der Hunde verfolgt mich über eine längere Wegstrecke. Inzwischen ist die Sonne höher gestiegen, die Nebelfetzen sind fast verflogen und hängen nur noch malerisch über den Berghängen.
Der Hund begleitet mich bis ich einen Bauern treffe. Diesen Bauern habe ich schon getroffen als ich nach Carande gelaufen bin, habe ihn gegrüßt, aber er hat mich nicht auf meinen Fehler hingewiesen. Mit meinem bruchstückhaftem spanisch rede ich kurz mit dem Bauern und laufe auf einem malerischen Wiesenweg weiter.
Inzwischen bin ich seit mehreren Stunden unterwegs und ich wünsche mir ein Frühstück herbei, wissend, dass es keine Einkehrmöglichkeit gibt.
Meine Beine sind leicht zitterig, ich habe noch einen zuckerigen abgepackten Minikuchen vom Frühstück in Portilla del Reina im Rucksack und esse diesen.
Mein Weg führt nach Horcadas, einem winzigen Dorf und im Dorf komme ich zufällig mit einer Frau ins Gespräch. Obwohl die Wegführung hier eindeutig ist, ruft sie mir aus einem Garten zu, dass ich gleich in die nächste Straße abbiegen muss.
Ich bedanke mich für den Hinweis und nutze die Gelegenheit nach einer Einkehr zu fragen. So wie es im Reiseführer steht, gibt es hier keine Bar, aber die Frau bietet mir an, mir ein Frühstück zuzubereiten. Ich freue mich, ich bin dankbar und glücklich über die Engel am Wegesrand und betrete ihren Garten. Im Garten steht ein kleiner Tisch und sie bittet mich Platz zu nehmen. Sie ruft ihrem Mann zu, dass sie Frühstücksbesuch haben, der Mann schaut verwundert und lässt seine Frau machen. Nur wenig später bringt sie mir einen großen Kaffee, etwas Brot mit Käse und Obst. Die Frau setzt sich zu mir und erzählt etwas und wir stellen fest, dass wir beide Krankenschwestern sind.
Um meine Pause und meinen Weg zu dokumentieren bitte ich die Dame, mir einen „Stempel“ in die Credencial zu schreiben. Ich male ein kleines Bild, die Frau unterschreibt und umarmt mich zum Abschied und wünscht mir einen guten Weg. Geld möchte sie nicht haben.
Diese Hilfsbereitschaft erlebt man nur oder wahrscheinlich überwiegend auf den ruhigen, wenig begangenen Wegen. Auf den Hauptrouten ist die Infrastruktur so gut, da kommt es nicht zu dieser Situation und man könnte sich auch nicht persönlich um tausende Pilger, die täglich in der Zeit zwischen April und Oktober vorbei kommen auf ihrem Weg nach Santiago de Compostella, kümmern.
Von Horcada aus geht es erst noch kurz über grüne Wiesenwege aus dem Dorf heraus und schnell bin ich wieder auf der mir inzwischen so bekannten Nationalstraße. Schritt für Schritt geht es voran, immer mal wieder habe ich schöne Blicke auf den See, die Berge sind nicht mehr so hoch wie in den letzten Tagen, Schnee habe ich schon länger nicht mehr gesehen.
Auch wenn man als Fußgänger auf der linken Straßenseite laufen sollte, wechsel ich zeitweise die Straßenseite um einen besseren Blick auf den See und das Seeufer zu haben. Am Ufer stehen einige Bäume im Wasser, es gibt viele Blumen und die Schmetterlinge flattern in der Sonne umher.
Ich sehe die Staumauer und damit das Ende des Sees in der Ferne und um viele Kurven geht es in diese Richtung.
Kurz vor der Staumauer führt die Straße in einen Tunnel und zum Glück gibt es hier einen höher gelegten Fußweg, so dass die Gefahr übersehen zu werden nicht besteht. Kurz vor Tunnelende biegt mein Weg – und es ist nur ein schmaler Fußweg in einer Extraröhre – nach links ab und ich komme auf der anderen Seite des Berges hinaus. Es geht auf einem Schotterweg der in eine Landstraße übergeht hinaus.
Hier ist der Blick in die Natur ganz anders. Die nicht mehr so hohen Berge sind lieblicher, weniger hoch, der Weg wunderschön. Überall flattern Bienen, Schmetterlinge und Libellen. Mehr als einmal habe ich plötzlich einen Schmetterling auf meinem Arm oder Oberkörper sitzen.
Neben meinem Weg plätschert ein kleiner Bach durch die Bäume, alles wirkt enger, grüner, aber wunderschön. Ich folge der kleinen Landstraße, am Wegesrand stehen Bildstöcke mit Motiven von Santiago auf seine Ross. Wegweiser sehe ich keine, aber wo keine Straße oder Weg abgeht, geht es geradeaus.
Ich genieße jeden Schritt, auch wenn es inzwischen sehr heiß ist. Immer am Bach entlang, es ist richtig heiß, ich habe mich schon zum zweiten Mal heute mit Sonnencreme eingecremt. Ich mag das Gefühl von Sonnencreme auf der Haut nicht. Mein Gefühl ist, dass die Sonnencreme die Haut daran hindert zu atmen, die Hände sind rutschig an den Handgriffen – aber ohne Sonnenschutz geht es nicht.
An einem Rastplatz am Bach mache ich eine kurze Pause und fühle mich gut. Keine Spur mehr von der morgendlichen Schlappheit. Meinen Kopf und meinen Hut halte ich unter eiskaltes Brunnenwasser und kurze Zeit später bin ich in einem kleinen Dorf. Wieder kein Wegweiser, niemand der mir Auskunft geben kann und so laufe ich geradeaus weiter. Der Weg wird zu einem Wiesenweg, es gibt ein Absperrseil und noch immer ahne ich nicht, dass ich falsch bin. Bis ich vor einem Absperrband stehe, auch dieses öffne ich und laufe ein Stück weiter bis nichts mehr geht.
Wieso warte ich so lange bis ich auf mein Navi schaue. Ich könnte es auch kontinuierlich laufen und mir den Weg ansagen lassen – aber das macht keinen Spaß und die ständigen Ansagen nerven. Es gehört nicht zum Pilgern, es stört die Ruhe.
Zum zweiten Mal muss ich heute feststellen, dass ich – auch wenn der Weg noch so schön war – völlig falsch bin. Ich bin in Remona – der Ort stand auch auf dem Kartenausschnitt im Reisebericht, aber der Ort liegt nicht am Weg.
Wieder gibt es keine Alternative als Abkürzung um zum Weg zurück zu kommen und dieses Mal bin ich bis hier her ca. 3-4 km falsch gelaufen.
Im Sauseschritt, ich habe noch etliche Kilometer vor mir, laufe ich den gleichen Weg zurück den ich gekommen bin. Mag sein, dass die Santiago Bildstöcke am Wegesrand stehen, vielleicht ist es auch Sankt Martin oder Donquischotte mit seinem Pferd, aber es ist nicht mein Weg, auch wenn diese Kilometer wunderschön und lieblich waren. Auch wenn es immer geradeaus zurück geht schaue ich regelmäßig auf mein Navi. Ich weiß nicht wo der Abzweig am Weg war und ich möchte ihn dieses Mal nicht verpassen oder weiter zurück laufen als nötig.
Gut, dass die heutige Distanz nur knapp 20km lang ist, mit meinen Extrakilometern komme ich heute geschätzt auf fast 30km und das bei der Hitze.
Nicht mehr weit entfernt vom Tunnel geht der eigentliche Weg in einer Kurve in einen Wiesenweg über. Laut Navi muss ich hier abbiegen, einen Wegweiser finde ich erst hundert Meter nach dem Abzweig.
Was macht das für einen Sinn, den Wegweiser hinter einem Abzweig aufzustellen? Oder vielleicht bin auch nur ich zu blöd den Weg zu finden.
Mit der spanischen Wegbeschreibung aus der Touristeninformation in Potes konnte ich nicht viel anfangen und habe sie in der Herberge zurück gelassen. Eine deutschsprachige Wegbeschreibung habe ich nicht. Alles Infos zum Weg habe ich von der spanischen Seite Gronze.com mit Infos zu allen Wegen. Reiseführer zu diesem Weg gibt es nicht, da es sich nur um einen Verbindungsweg und keinen eigenständigen/vollständigen Jakobsweg handelt.
Froh wieder auf dem richtigen Weg zu sein laufe ich zügig weiter. Von jetzt aus führt der Weg immer am Rio Esla entlang. Der Weg führt am Rande, nicht mehr so hoher Berge durch zugewucherte Gras- und Naturwege. Mal ist der Fluss laut, mal leise zu hören – je nachdem ober es durch eine Engstelle oder gemächlich in einem breiten Flussbett fließt.
Im Wiesenweg gibt es viele Insekten, alles schwirrt, auf die Mücken und Bremsen könnte ich gut verzichten. Der Weg läuft auf altem, historischen Römerpflaster, der Untergrund ist schief und uneben, aber der Weg ist eindeutig. Und weil ich inzwischen einfach nur noch ankommen möchte, vergewisser ich mich regelmäßig, aufgrund der nicht vorhandenen oder sichtbaren Wegweiser, ob ich wirklich richtig bin. Nach rechts kann kein Weg abgehen, da fließt der Fluss, links von mir sind die Felsen, da kann es auch nicht lang gehen.
Die Spanier sind sehr erfindungsreich, wenn es darum geht, Wiesen oder Wege abzusperren. Mal verschließt ein altes Lattenrost einen Weg, mal sind es Holzpaletten, hochkant aufgestellt, aber immer so, dass man die „Pforte“ öffnen kann.
Von dort wo ich nun wieder auf dem richtigen Weg angekommen bin, bis Cremenes sind es noch ca. 8-9km. So fertig wie ich inzwischen bin, so schön ist der Weg dennoch. Ich genieße es, durch die Wiesenwege zu laufen, den Blick auf dem Fluss zu haben, ich genieße das alte historische Pflaster, die Schönheit der Natur.
Einmal kommt mir sogar ein Wanderer entgegen, kaum zu glauben, denn Wanderer habe ich bislang nicht getroffen.
Irgendwann biegt der Feldweg auf eine kleine Landstraße ab und endlich sind dort mal wieder Wegweiser. Nein, nicht nur ein Wegweiser, gleich 3 Wegmarkierungen nebeneinander und nun wieder regelmäßig bis zum Ort.
Ich laufe an einer modernen Kapelle, mitten in der Einsamkeit, vorbei. Für mich passt dieser moderne Bau hier nicht hin, aber ich nehme an, dass es jetzt nicht mehr sehr weit sein kann. Kurze Zeit später wird der Blick auf Cremenes frei. Nur noch wenige Meter, einmal über die Brücke am Rio Esla und dann bin ich für heute endlich angekommen.
Cremens scheint ein Straßendorf zu sein. Es gibt nur einige Häuser entlang der Dorfstraße. Mein Hotel gehört zum angegliederten Restaurant und es ist sehr voll in der Bar. Man hat keine Zeit sich direkt um mich zu kümmern und so bestelle ich erst einmal ein kaltes Getränk. Herrlich, nach den vielen Kilometern und bei der Hitze, eine kalte Limonade.
Irgendwann hat man auch Zeit sich um mich zu kümmern. Der Wirt spricht kein englisch, ich kein spanisch und so verständigen wir uns über eine Übersetzungs-App.
So eine App habe ich mir auch am ersten Wandertag mit Ildefonso auf mein Handy geladen, damit wir uns zumindest bei wichtigen Dingen so verständigen können.
Mein Zimmer liegt in der ersten Etage, ich habe ein Bad mit Badewanne, von meinem Fenster könnte ich auf das Dach des Anbaus klettern. Das Fenster liegt im Schatten, der Anbau in der strahlenden Sonne.
Trotz der Hitze nehme ich ein Entspannungsbad und stelle fest, dass die Rückseite meiner Unterschenkel stark gerötet sind. Ich habe mir einen Sonnenbrand an den Beinen zugezogen. Das heiße Badewasser brennt auf dem Sonnenbrand.
Meine gewaschene Wäsche hänge ich teils ins Fenster, teils lege ich sie auf einem Handtuch ausgebreitet auf das Dach. Es herrscht kein Lüftchen, eigentlich dürfte die Wäsche nicht weg wehen. In der Hitze wird es auch nicht lange brauchen, bis die Wäsche trocken ist.
Frisch gebadet und geduscht gehe ich anschließend ins hauseigene Restaurant, einen Supermarkt gibt es auch hier nicht, zudem ist Feiertag, und auf trockenes Brot – auch wenn ich es hätte – habe ich keine Lust mehr. Erst gestern in Riano habe ich mir eine richtige Mahlzeit gegönnt, heute schon wieder, aber egal. Es ist mein drittes richtiges Essen innerhalb von 10 Tagen. Mir ist es lieber am frühen Nachmittag – was für die Spanier Mittagszeit ist – eine richtige Mahlzeit einzunehmen, als am späten Abend. Abends öffnen die Restaurants oftmals nicht vor 20 Uhr – es liegt an dem anderen Lebensrhythmus der Spanier.
Anschließend ruhe ich mich auf dem Bett liegend aus, später drehe ich noch eine Runde durch das Dorf.
Auf der Straße treffe ich Ildefonso der im gleichen Hotel schläft und hier hätte ich mir auch kein Zimmer mit ihm geteilt. Ich habe ein großes Doppelbett und keine einzelnen Betten. Ildefonso redet mit einer mir unbekannten Pilgerin die gerade mit dem Bus eingetroffen ist. Die Pilgerin kommt aus Australien, ist schon etliche Wege gelaufen und aufgrund einer Knieverletzung ist sie jetzt mit dem Bus gekommen.
Zuvor war sie auf der Tunnelroute unterwegs, möchte nach Leon und von dort aus weiter auf die Via de la Plata.
Heute schreibe ich mein Tagebuch auf dem Bett sitzend, in der Bar habe ich mir eine kleine Tüte mit salzigen Nüssen geholt. Ich habe heute soviel geschwitzt, ich habe das Gefühl Salz zu brauchen. Auf dem Weg verfliegen die Kalorien im Nu und so habe ich schon ein wenig Proviant für morgen.
Mit dem Wirt habe ich besprochen, dass mir morgen früh ein kleines Frühstück bereit gestellt wird. Also alles für heute geregelt, morgen geht es weiter und ich hoffe, dass ich mich nicht schon wieder verlaufe. Und dennoch: es ist gut ein Navigations-App zu haben, aber als ständig begleitende Stimme möchte ich diese nicht nutzen.
So lange wir auf dem Lebaniego waren, und der Camino Lebaniego als Wegvariante vom Camino del Norte ist stärker frequentiert als der Camino Vadiniense, gab es keine Probleme mit der Wegführung.
Seit dem ich auf dem Camino Vadiniense bin, sind die Wegweiser rar und ich etliche Extrakilometer gelaufen, heute waren es geschätzt mindestens 9 Kilometer Umweg oder Bonuskilometer. Der Weg war schön, die Bonuskilometer hätten nicht sein müssen, aber bis zu dem Zeitpunkt wo ich festgestellt habe, dass ich falsch bin, war die Strecke malerisch.