Die Geschichte meines Jakobsweges

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Cremenes - Cistierna, 10.6.2025

 

10. Juni 2025

Cremenes – Cistierna, 16,7km

Albergue, 12€


Heute ist mein drittletzter Wandertag auf dem Camino Vadiniense, die Zeit vergeht wie im Flug. In drei Tagen komme ich in Mansilla de las Mulas an und bin damit auf dem Camino Frances.

Schon am späten Nachmittag war meine Wäsche in der Sonne wieder trocken, mein Tagessoll erfüllt und ich habe nichts mehr gemacht – aber in Cremenes gab es auch nichts zu tun oder zu besichtigen.

Morgens werde ich, wie immer nach einer durchwachsenen Nacht, gegen 6 Uhr wach.

Im gegenüberliegenden Aufenthaltsraum des Hotels ist ein Frühstück hergerichtet. Diese Mahlzeit wäre, zuhause, für mich ein Kaffeetrinken am Nachmittag. Auf dem Tisch stehen süße Plätzchen und Gebäck, dazu gibt es Kaffeekapseln für die Kaffeemaschine. Die Kekse kann ich nicht alle zum Frühstück essen, da sie aber im Gesamtpreis mit eingerechnet sind, packe ich sie für später ein. Wer weiß, wo es wieder was zu essen gibt.

Ildefonso hat vor dem Hotel auf mich gewartet und gemeinsam starten wir in den Tag. Einige Meter geht es den Weg, den ich gestern gekommen bin, zurück, dann bin ich wieder auf dem Weg.

Hoffentlich ist der Weg heute besser ausgeschildert als gestern.

Es geht weiter immer in größerer oder kleinerer Entfernung zum Rio Esla.

Links von mir sind die Berghänge, rechts ist der Fluss und vor mir läuft Ildefonso.

Absichtlich lasse ich mich etwas zurückfallen, aber ich glaube, dass mein Mitpilger verstanden hat, dass ich nicht nur in Gesellschaft laufen möchte.

Schnell bin ich von der Landstraße wieder auf Feldwegen, die sich teils durch breite Täler und Wiesen ziehen um sich mit der Zeit wieder zu verschmälern.

Auch heute bleibe ich regelmäßig stehen und schaue zurück, dorthin wo ich hergekommen bin und darauf wartend, dass die Sonne über die Berge blitzt.

Die Dämmerung ist immer so ein schöner Teil des Tages, die Vögel sind aktiv und singen laut und gleichzeitig heißen die Natur und ich den Tag in der Stille willkommen.

Es gibt nicht viele Wegweiser, aber die, die es gibt, sind oftmals stark zugewuchert. Nicht nur ich habe gestern den richtigen Abzweig verpasst, auch Ildefonso ist irgendwo vom Weg abgekommen. Mit seinen Stöcken schlägt er das hohe Gras an den Wegweisern hinunter, in der Hoffnung, dass nach uns kommende Pilger die Wegweiser besser finden. Aber nicht immer liegt es an dem hohen Gras, dass man sie übersieht. Manchmal stehen sie an ungünstigen Stellen, oder die Schrift auf dem Wegweiser steht auf der Rückseite, von wo man nicht kommt und die Beschriftung wahrnimmt. Ich verstehe es nicht.

Die Natur ist viel lieblicher als noch vor einigen Tagen. Der Fluss, die weiten Wiesen, es blüht und die Insekten tanzen um mich herum.

Irgendwann ist Ildefonso vor mir nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich habe ich zu viele Fotos gemacht, „getrödelt“ oder er ist mir eine Kurve voraus. Ich laufe in einer Fahrspur am Rande der Berge die durch eine hohe Wiese führt. Erst wird das Gras immer höher, die Ginsterbüsche kommen näher, aber der Weg ist eindeutig zu sehen und so laufe ich mal wieder zweifelnd, aber überzeugt, dass nirgends ein anderer Weg abgegangen ist, immer weiter. Der Ginster zerkratzt mir meine Unterschenkel, mit meinen Wanderstöcken halte ich das Gebüsch zur Seite. Der Weg wird immer unwegsamer, immer grüner und zugewucherter. Also packe ich doch mal wieder das Navi aus um festzustellen, dass ich nicht auf dem Weg bin. Zwar muss ich immer dem Fluss folgen und der Fluss läuft nicht weit von mir entfernt, aber es hätte nicht anders sein können, ich bin irgendwo mal wieder falsch gelaufen. Also drehe ich um, laufe ca. einen km auf dem grünen Weg zurück und zerkratze mir weiter meine Unterschenkel, ich blute aus den Schrammen. Als der Weg wieder etwas gangbarer und das Tal neben mir breiter wird, sagt mir ein Blick auf das Navi, dass der Weg ca. 200 Meter oberhalb von mir sein muss. Einen Verbindungsweg gibt es nicht, aber 200 Meter sind eine Distanz, die ich mich evtl. durch das Gelände schlagen könnte. Um mir die Umgebung besser anschauen zu können, schalte ich von der Wegekarte auf Satellitenbild um und ich sehe, dass ich mich überwiegend durch eine Wiese bergaufwärts schlagen muss. Vor und hinter der Wiese läuft nur ein schmaler Busch- und Baumsteifen.

Ich versuche es und biege 90 Grad nach rechts ab, laufe durch einige Bäume und stapfe eine Wiese bergauf. Über die Wiese lässt es sich gut laufen, dann quetsche ich mich durch einige Büsche, steige über Äste, hangel mich durch kleine Bäume und kletter über eine Mauer und ich erreiche meinen Weg. Das ging leichter als gedacht und hat mir etliche Meter zurücklaufen erspart. Ich laufe weiter auf einem Steinweg, der wenig später als Römerstraße ausgeschildert ist, bergauf. Der Weg ist breit, blaue Blumen leuchten am Wegesrand, lila Disteln und Mohn. Es geht aufwärts und ich sehe von hier oben, dass ich dem Fluss folge, aber ein gutes Stück höher. Diese Höhenunterschiede sieht man auf der Straßenkarte im Navi nicht. Man sieht, dass der Weg mehr oder weniger parallel zum Fluss läuft, mehr aber auch nicht.

Wahrscheinlich hat Ildefonso direkt den richtigen Weg gefunden und ist deshalb aus meinem Blickfeld entschwunden.

Erst laufe ich immer leicht aufwärts auf der alten Römerstraße, bleibe eine Weile in der Höhe, dann geht es wieder abwärts durch einen Wald, näher mich wieder dem Rio Duro und der Autostraße. Ich höre zwischendurch mal ein Auto und irgendwann läuft der Weg hinter Büschen parallel zur Straße und durch die Büsche kann ich eine Bar erkennen. Ich folge dem Weg noch etwas bis ich auf die Straße geführt werde und entscheide mich dazu, an der Straße zurück Richtung Bar zu laufen.

Die Bar hat geöffnet und ich gehe hinein, bestelle einen Kaffee und ein belegtes Brot mit Käse und erbitte einen Stempel für meine Credencial.

Ich bin alleine mit einem Einheimischen in der Bar und mache es mir bequem.

Das Käsebrot ist riesig und es ist nicht nur eine Scheibe Brot. Zu Brot und Käse gibt es Olivenöl statt Butter und eine pikante Tomatensauce.

Als ich gerade mein Brot verzehren möchte, geht die Tür auf und Ildefonso und Lyanne, die Autralierin die ich gestern das erste Mal in Cremens getroffen habe, kommen zur Tür hinein.

Wo kommt Ildefonso jetzt her? Er war doch eindeutig vor mir? Lyanne kann zufällig dazugestoßen sein, aber gesehen habe ich sie heute Morgen noch nicht.


Lyanne muss vor uns gestartet sein, denn Ildefonso der vor mir lief, hat sie irgendwo im Ginsterdickicht getroffen. Also habe nicht nur ich den Wegweiser, falls es ihn gegeben hat, übersehen, sondern meine 2 Mitpilger ebenfalls. Und es war eindeutig ein Trampelpfad, oder zugewucherte Fahrspur im Dickicht zu sehen. Scheinbar habe ich als erste die Wegführung in Frage gestellt und auf das Navi geschaut.

Ildefonso wartet vor der Bar, möchte nichts essen oder trinken, Lyanne setzt sich zu mir und ich lade sie auf einen Teil meines riesigen Käsebrotes ein.

Der Käse ist richtig lecker, pikant und würzig – das Brot knackig und frisch geröstet und nicht so gummiartig, wie die altbackenen Brote die ich oft im Rucksack dabei habe. Aber weder in Riano noch Cremens hatte ich die Möglichkeit einzukaufen und daher bin ich froh, diese Frühstückmöglichkeit gefunden zu haben, auch wenn ich dafür 200 Meter an der Straße zurücklaufen musste.

Lyanne erzählt von ihrem Camino. Sie macht jedes Jahr einen großen und langen Urlaub von 2,5-3 Monaten in Spanien und läuft in der Zeit mehrere Caminos.

Die Anreise von Australien ist weit, die Kinder erwachsen und ihr Ehemann stößt nach 7 Wochen Wanderzeit zu seiner Frau und macht dann mit ihr noch einige Wochenin Europa. Dieses Jahr stehen bei ihr noch ein Besuch an der Tour de France und Italien im Reiseplan. Laufen mag ihr Mann aber nicht.

Nach der Pause laufen wir zu dritt weiter. Einerseits laufen wir gemeinsam und dennoch jeder für sich. Mal laufen wir in Sichtweite zu einander, manchmal erzählend beieinander. Lyanne spricht etwas spanisch, so dass sie einiges von und an Ildefonso übersetzen kann.

Der Weg ist schön, schnell wird es wieder warm und wir folgen den gesamten Weg über dem Rio Esla. Der Weg hat heute nur wenige Höhenmeter, mal geht es am Fluss etwas aufwärts, mal abwärts.

Der Fluss ist wunderschön, manchmal laut rauschen und schnell fließend, dann wieder gemäßigt. Mal ist der Weg nur ein Trampelpfad, schmal und rutschig, mal breit und auf Fahrspuren zu laufen.

Wir kommen an einer alten Eisenerzmine vorbei, dass Wasser läuft fließt durch ein kleines Mühlrad. Am Wegesrand stehen Erläuterungen zur Mine und zu den alten Industrieanlagen, die es hier gegeben haben muss.

Da es inzwischen wieder sehr warm ist, tauche ich meinen Kopf und meinen Hut unter einen Brunnenstrahl in der Nähe der Mine und danach riechen Haare und Hut nach Metall. An einer wunderschönen Flussbiegung machen wir Fotos von uns und haben Spaß. Ich überlege, mich von meinen Mitpilgern zu verabschieden um einfach hier am Fluss, in der wunderschönen Natur, zu pausieren. Einfach am Fluss sitzen, die Sonne genießen und die Seele baumeln lassen. Einerseits ist die Idee schön, andererseits ist es auch schön in Gesellschaft zu laufen und sich dabei unterhalten zu können.

Da es schon Mittagszeit und heiß ist, entschließe ich mich dagegen und wir laufen gemeinsam weiter. An einer wackeligen Hängebrücke machen wir wieder einen kurzen Fotostopp. Heute ist ein Tag einfach zum Genießen. Schönes Wetter, nette Gesellschaft und wunderbare Natur.

Schon an der alten Eisenmine war ein Hinweisschild auf den Weg, der sich hier auch Industrieweg, nennt. Es geht an alten, verfallenen Industriebaracken am Fluss entlang, der Weg führt durch eine alte Brachlandschaft, der Weg ist zum Teil schwarz – vielleicht wurde hier auch Kohle verarbeitet oder ein anderes Erz abgebaut. Nicht immer ist die Wegführung eindeutig, aber heute schauen wir zu dritt nach Wegweisern oder auf unser Navi.

Über eine Brücke, die eindeutig mit Durchgang gesperrt markiert ist, geht es weiter. Auf der Brücke verlaufen Eisenbahngleise, aber den Gleisen sind wir zuvor schon gefolgt, es fährt keine Bahn mehr auf der Anlage. Wenn man eine Brücke sperrt, sollte eigentlich ein Alternativweg ausgeschildert sein, diesen gibt es aber nicht und laut Landkarte auch keine Brücke in direkter Nähe. Die Brücke ist stabil, sieht nicht gefährlich aus und am anderen Flussufer sehen wir den nächsten Wegweiser. Wir lassen uns nicht aufhalten und überschreiten die Brücke, folgen weiter den Eisenbahngleisen die manchmal unterbrochen sind und sehen Cisternia vor uns. Es ist nicht mehr weit und wir freuen uns, das Tagesziel zu erreichen.

Die Herberge öffnet erst um 14.00 Uhr und so kehren wir zu dritt in eine Bar am Ortsanfang ein pausieren bei ein bis zwei kühlen Getränken und warten, dass es 14.00 Uhr wird. Cistierna ist etwas „größer“, es gibt einen Supermarkt, den ich im Tagesverlauf noch einen Besuch abstatten werde.

Um kurz vor 14.00 verabschieden wir uns vorübergehend von Lyanne, sie hat sich in einer Pension eingebucht. Wir laufen zur Herberge und stellen fest, dass sie geschlossen ist. Ildefonso ruft den Hospitaliero an und wir warten im Schatten auf einer Bank vor der Herberge. Wer nicht erscheint, ist der Hospitaliero. Wir rufen noch ein weiteres Mal an und der Hospitaliero gibt an in der Herberge auf uns zu warten. In dem Gebäude vor dem wir warten, war die Herberge früher. Sie ist in ein anderes Gebäude verlegt worden. Also Rucksack auf und noch einmal 10min Fußweg zur Herberge. Dort, wo die Herberge heute liegt, waren wir vorhin schon einmal, der Weg führte an dem Gebäude vorbei, aber im ersten Moment haben wir keinen Hinweis auf die Herberge an der Tür gesehen und die Adresse die wir beide aus dem Netz hatten, ist nicht mehr aktuell.

In der zweiten Etage eines Hauses ist die kleine Herberge untergebracht. Die Unterkunft ist ausreichend, hat einen großen Aufenthaltsraum und zwei Schlafräume nach Geschlechtern getrennt. Wir bekommen beide einen Haustürschlüssel, bezahlen unseren Obulus, dann geht der Hospitaliero wieder.

Auf meinem Bett sind einige Stippen zu sehen, das Laken wurde scheinbar schon länger nicht gewaschen, aber zum Glück gibt es Einmalbettwäsche, so dass ich nicht mit dem Laken in Berührung komme.

Ildefonso fragt mich, ob ich mit ihm zusammen in der Herberge essen möchte, oder ob ich später in ein Restaurant gehe. Da ich gestern im Hotel gespeist habe, ist heute wieder Selbstversorgung angesagt, es gibt zwei Supermärkte.

Nachdem wir beide geduscht sind, die Wäsche hängt aus einem Fenster im Treppenhaus, gehen wir wieder in die Hitze hinaus um einzukaufen.

Wir kaufen beide für uns ein, essen dann gemeinsam in der Unterkunft. Brot, Joghurt und Obst – auf kochen habe ich keine Lust, die „Küche“ sieht ziemlich abgewrackt aus, wlan gibt es nicht,Telefonnetz auch nicht.

Ich pausiere auf meinem Bett und mache mich im Anschluss mit meinem Tagebuch, so wie jeden Tag, auf einen Dorfrundgang.

Ich bin etwas erstaunt, alle Bars die ich bei meiner Ankunft gesehen habe, sind geschlossen, Siesta. Ich laufe durch das ganze Dorf und finde ein Hotel mit Restaurant wo ich mich zum Schreiben hinsetzen möchte. Ichh darf nur den Kaffee trinken – den ich mir immer als Grund zum Hinsetzen und Schreiben bestelle – und werde dann rausgeschmissen, Siesta. Schade, ich dachte, in der Hotelbar könnte ich mir ins wlan einklinken und meiner Mutter einen kurzen Gruß senden, aber auch daraus wird nichts. Auf dem Weg zurück zur Herberge komme ich an einer kleinen Grünanlage am Rathaus vorbei und setze mich am Brunnen auf eine Bank im Schatten. Aus dem Rathaus ertönt Musik, Kinder gehen mit ihren Instrumenten in das Gebäude – es scheint die Musikschule zu sei.

Auf der Bank schreibe ich meinen Tagesbericht und ich stelle fest, dass es auf dieser kleinen Plaza wlan gibt. Also checke ich kurz meine Nachrichten, sende einen Gruß an meine Lieben und gehe irgendwann zur Herberge zurück.

Ich verstehe meinen Mitpilger nicht. Wie in allen Orten zuvor, läuft er wie von unsichtbaren Wesen getrieben, durch das Dorf. Den ganzen Nachmittag und frühen Abend läuft und läuft er, und wenn es die gleiche Runde um das Dorf 10 Mal läuft. Ich will nicht wissen, wie viele Kilometer er jeden Tag zusätzlich läuft. Eigentlich könnte er auch 2 Tagesetappen in einem laufen, anstatt am Mittag oder frühen Nachmittag schon anzukommen.

Bei einem späteren Rundgang durch das Dorf treffe ich Lyanne noch zufällig an der Plaza. Wir quatschen noch eine Runde bevor wir uns für heute voneinander verabschieden. Spätestens in der kleinen Ortschaft Gradefes, mein Tagesziel für Morgen, werden wir uns mit Sicherheit über den Weg laufen.

Ohne wlan, ohne Buch und Gesprächspartner ist ein langer Nachmittag und Abend alleine in der Herberge wirklich langweilig, gerade auch in Dörfern, in denen es nichts zu sehen gibt, für mich der größte Unterschied zu den Hauptwegen.

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