12. Juni 2025
Gradefes – Mansilla de las Mulas, 23,1km
private Albergue, 12€, Frühstück gegen Spende
Früh lag ich gestern Abend im Bett. Solange die Sonne noch auf unseren Balkon geschienen hat, haben Helene und ich draußen gesessen und von unserem Weg erzählt, Ildefonso kam irgendwann dazu. Die Wäsche ist sauber und getrocknet, morgen kann ich mit frischer Kleidung in Leon einlaufen.
Morgen komme ich schon in Leon an. Die 2 Wochen sind wie im Fluge vergangen.
Obwohl ich mich so vor der Herberge geekelt habe, habe ich endlich mal gut geschlafen. Meine weit geöffneten Fenster ließen noch einen Blick auf den schönen Sonnenuntergang zu, dann schlief ich ein. Ich habe extra wenig getrunken, ich möchte das Bad nicht öfter besuchen als nötig.
In der Nacht wurde ich kurz wach, es war richtig kalt, aber ich habe die Fenster nicht geschlossen. Morgens wurde ich endlich mal, mich erholt fühlend, wach. Nach wie vor war es sehr kühl, ich stand schnell auf, zog meine Jacke über das Shirt und verließ schnell die Herberge.
Helene läuft heute Richtung Cistierna, Ildefonso ist schon auf und davon. Er hat mich gestern gefragt wann wir aufstehen sollen und ich habe ihm gesagt, dass ich mir keinen Wecker stelle und nicht sagen kann, um wie viel Uhr ich die Etappe starte, aber ich bin mir sicher, wir sehen uns wieder, Lyanne startet von ihrem Hotel – es wird sich ergeben ob, wo und wann wir uns begegnen.
Der Weg führt hinter der Herberge weiter auf der Landstraße in die weiten Ebenen der Meseta. Inzwischen bin ich mir sicher in der Meseta zu sein, die Natur kommt mir so vertraut und bekannt vor, wobei die rötliche Farbe der Erde mich eher an die Via Plata erinnert. Bald führt der Weg von der Straße auf eine Piste und entfernt sich langsam von der Straße. Es ist noch flacher als gestern, Felder so weit mein Blick reicht. Langsam steigen die Temperaturen, aber es bleibt bedeckt.
Heute morgen wollte ich zur Sicherheit mein Navi für die heutige Etappe einrichten, aber das Handy hat sich nicht mit dem Netz verbunden, vielleicht geht es später. Man sieht und spürt, dass es in der Nacht geregnet haben muss, die Wege sind feucht, die Gräser nass. Schnell wird das Stück Socke dass aus dem Schuhschaft herausreicht nass.
Wieder gibt es wenig Abwechslung, manchmal sehe ich Störche, Vögel begleiten mich, der blühende Mohn in den weiten Feldern leuchtet überall. Auch heute gibt es Pappelhaine am Wegesrand. Irgendwann führt der Weg mich zurück auf eine Landstraße und in einem kleinen Dorf setze ich mich auf eine Bank.
Das trockene Brot, ich habe keine Lust mehr darauf, lasse ich im Rucksack und ich esse meine Salami und etwas Käse ohne Brot. Bislang habe ich heute nur einige wenige Autos in der Ferne gesehen, sonst noch niemanden.
Vom Dorf geht es wieder in die Pisten, auf offene, wasserführende Betonröhren sind in regelmäßigen Abständen, oder dort wo es nötig ist, gelbe Pfeile gepinselt.
Ein Vogel begleitet mich eine Weile. Er sitzt auf dem Wassertrog, komme ich näher, fliegt er ein Stück weiter, aber irgendwann schaffe ich es, den lustigen Gesellen zu fotografieren. Der Vogel schaut interessiert, nahe kommen darf ich nicht. Nach dem Foto fliegt er noch eine Weile parallel zu mir, als ob er auf mich warten oder begleiten will. Gibt es keine Wegweiser laufe ich geradeaus auf der Piste, die sich oftmals in den Feldern verzweigt oder um große Felder herumführt.
Mitten in den Feldern steht ein leeres Auto, wenig später treffe ich den Bauern, grüße und wandere weiter. Der Weg wird, mal wieder, enger, der Bewuchs höher und ich ahne, dass ich falsch sein könnte. Inzwischen ist meine Hose bis Mitte Oberschenkel, von der Feuchte der Gräser, durchnässt.
Ich packe mein Handy aus, inzwischen hat es sich mit dem Netz verbunden – und oh Wunder: ich scheine richtig zu sein. Dieser Weg wird in einigen hundert Metern auf einen anderen Weg führen. Mutig, stapfe ich durch das Grünzeug voran, aber irgendwann ist absolut kein Durchkommen mehr. Es geht nicht weiter. Ich schaue nach rechts und links, ob ich aus dem Gestrüpp entkommen kann, ob ich es umgehen kann, aber ich finde keine Lösung als mal wieder umzudrehen.
Nach einiger Zeit erreiche ich wieder den zuvor gegrüßten Bauern und er schaut mich fragend an. Er hätte mir vorhin schon sagen können, dass es dort nicht lang geht. Er weist mir einen Alternativweg und ich umrunde das riesige Feld in einer großen Schleife und stoße im Anschluss wieder auf Wegweiser. Mir haben bei dem vorherigen Weg nicht viele Meter gefehlt um wieder auf diesen Weg zu kommen, ich kann die Stelle wo ich umgekehrt bin, erkennen. Aber die Büsche waren irgendwann einfach zu dicht, wäre es nur eine Wiese gewesen, ich wäre drüber gelaufen.
Also folge ich dem Weg immer weiter. Alles sieht gleich aus, ich könnte meinen, dass ich hier heute schon gewesen bin, dem ist aber nicht so.
Irgendwann erreiche ich mal wieder eine Straße, ein Kloster ist in 200 Metern Entfernung ausgeschildert und auf dieses wurde auch in der Wegbeschreibung hingewiesen. Den Hügel hinauf erreiche ich das Kloster, aber es hat geschlossen.
Im Kloster Santo Torribio konnte ich keinen Stempel für meine Credencial bekommen, geschweige denn es besichtigen und auch dieses sehenswerte Kirchlein hat geschlossen.
Vor dem Kloster sehe ich den Rucksack von Ildefonso, er hat mich aber nicht gesehen und läuft zur Rückseite der Kirche. Ich schaue mir die Kirche mit seinen Bögen von außen an, laufe um die Kirche herum, treffe meinen Mitpilger aber nicht mehr. Als ich die Kirche umrundet habe, steht das Gepäck von Ildefonso immer noch an der gleichen Stelle, aber er ist nicht mehr zu sehen – weder vor noch hinter der Kirche.
Weiter geht es über Landstraßen und dann wieder Pisten, ich habe das Gefühl nicht vorwärts zu kommen, obwohl dem nicht so ist.
Ich laufe an einem weiteren Dorf vorbei und sehe ein Schild: Bar, 200 Meter.
Laut meiner Wegbeschreibung gibt es heute keine Bar in Wegesnähe, aber 200 Meter Umweg laufe ich gern. Ich erkenne die Bar, aber sie ist geschlossen. Ich muss nicht den gleichen Weg zurücklaufen, ich kann der Straße weiter folgen, sie kommt automatisch wieder auf die Route. Erstaunt sehe ich, dass ich wieder auf den Rio Duro zulaufe. Er fließt hinter den Bäumen und ich näher mich einer Staustufe. Im Fluss steht ein Storch, der durch mich aufschreckt und davon fliegt.
Ich mag Störche unheimlich gern, manchmal fahre ich zuhause mit dem Fahrrad in die Rieselfelder und schaue nach den wenigen Storchennestern die es dort gibt.
Nachdem ich den Fluss überquert habe, fließt der Fluss kanalisiert im Betonbett weiter. Ich deute den Wegweiser so, dass ich den Weg zur Straße hoch muss und komme auf dem Seitenstreifen einer viel befahrenen Straße heraus. Die Laster hupen mich an, es gibt nur wenig Platz zum Ausweichen und ich fühle mich auf dem Seitenstreifen nicht sicher. Ich drehe um, denn am parallel zum Fluss führt ebenfalls ein Betonweg in gleiche Richtung wie die Straße.
Auf dem Betonweg laufe ich nach einiger Zeit an einem Wegweiser vorbei, es sind nur noch vier Kilometer bis Mansilla de las Mulas.
Der Weg in die Stadt hinein ist relativ langweilig. Links von mir Nationalstraße, der Fluss und ich auf einem Betonweg. Kurz vor Mansilla de las Mulas finde ich einen Wegweiser nach dem Anderen, dabei laufe ich auf dem Fußweg neben der Straße.
Bin ich hier schon auf dem Camino Frances? So viele Wegweiser könnten das vermuten lassen – aber wenn es so wäre: wo sind die vielen Pilger?
Ich weiß nicht, wo sich beide Wege vereinen, ob wir aus der gleichen Richtung in die Stadt hineinlaufen oder von wo der Weg kommt.
Durch ein Stadttor laufe ich meiner Albergue entgegen. Die öffentliche Herberge wurde auf einem Straßenschild ausgeschildert, meine Herberge nicht. In welcher Richtung oder wo in der Stadt liegt diese? Da ich mir die Adresse nicht aufgeschrieben habe, kann ich mir den Weg nicht anzeigen lassen. Auf dem zentralen Platz des Ortes treffe ich auf ganz viele Menschen, ganz viele Pilger. Hier stoßen beide Wege aufeinander. Ich habe es geschafft, ich bin auf dem Camino Frances.
Aber: 2008 musste ich aufgrund einer Grippe einen Tag aussetzen und bin an einem Tag nur Kurzstrecke gelaufen um mich zu schonen. Um im Zeitplan zu bleiben bin ich diese Etappe damals nicht gelaufen und hole die fehlende Etappe morgen nach. Man erklärt mir den Weg zur Herberge, ich habe schon vor Monaten mein Bett reserviert. Die private Herberge ist mit 20 Betten klein und schnuckelig. Zwei Schlafräume, ein Küchenbereich, ein kleiner Außenbereich.
Die meisten Betten sind bereits belegt, überall stehen Rucksäcke eng an eng, es gibt nur 2 kleine Fenster. Fast alle kennen sich, für mich sind alle Gesichter fremd.
Ich ruhe mich etwas aus, komme mit einigen Pilgern ins Gespräch, von meinem Weg haben sie alle noch nie gehört. Aber ich kannte auf meinem ersten Weg auch nur die Namen der großen Strecken und „mein“ Weg ist kein eigenständiger Camino, sondern eine Verbindung zwischen zwei Wegen.
In der Bar nebenan gibt es den ersten richtigen Kaffee für heute, Ildefonso kommt zufällig vorbei und fragt mich, warum ich nicht in der öffentlichen Albergue übernachte.
Etwas später meldet sich Lyanne, sie wohnt in einer anderen privaten Albergue auf der Gegenseite meiner Albergue.
Wir treffen uns noch auf ein Getränk, erzählen noch etwas und vielleicht sehen wir uns morgen in Leon. Lyanne wird nicht nach Leon hineinlaufen. Sie fährt mit dem Bus, da sie die anstehende Etappe bereits kennt. Wir tauschen unsere Telefonnummern aus, alles andere überlassen wir dem Zufall. Nicht weit von meiner Unterkunft entfernt gibt es einen großen Supermarkt, so viel Auswahl habe ich seit fast zwei Wochen nicht gehabt. Die große Auswahl macht es aber auch schwerer: was soll ich nehmen?
Ich entscheide mich für ein Stück Empanada, etwas Obst und Cuajado. Diese „Joghurtart“ kannte ich bislang nicht, oder ich wusste nicht, dass das was ich schon mal als Dessert bekommen habe, Cuajado war. Cuajado ist fermentierte Milch, ist nicht so säuerlich wie Joghurt und aufgrund des hohen Wasseranteils der Milch sehr erfrischend. Gestern in Gradefes bekam ich im Altenheim diese Sorte und sie hat mir gut geschmeckt. In der Küche der Herberge setze ich mich zu den anderen Mitpilgern und esse mein Abendbrot. Einer spanische Herrentruppe lädt mich später zu ihren Nudeln ein, aber ich bin schon gesättigt. Das ist das, was mir an der Gemeinschaft der Pilger immer gefällt. Das Miteinander, egal ob man sich kennt oder nicht. Trotz allen Rummels um mich herum, ich kann die Atmosphäre genießen und ich finde es schade, dass mein Weg morgen zu Ende ist. Gut könnte ich mir vorstellen, jetzt noch weiter zu laufen. Meine Füße haben keine Probleme gemacht, nach dem und durch das Cortison bin ich schmerzfrei und kurz vor meiner Ankunft in Mansilla de las Mulas konnte ich in der Ferne die Leoneser Berge sehen. Die Etappen durch die Leoneser Berge haben mir damals so gut gefallen, besonders der Abstieg vom Cruz de Ferro bei Sonnenschein nach Ponferrada war wunderschön und so ganz anders als die Natur davor und danach.
Morgen geht es nach Leon. An meinem Geburtstag beende ich meine Reise und erreiche das mir gesetzte Ziel. Es ist gleichzeitig schön die Strecke geschafft zu haben und schade, nicht weiter laufen zu können.
Es ist nicht schlimm und war auch nie das Ziel auf diesem Weg, Santiago de Compostela zu erreichen. Aber gerne würde ich das Miteinander unter den Pilgern noch erleben. Die Einsamkeit war schön, der Weg ganz besonders, aber auch die gute Stimmung auf dem Weg würde ich noch gerne erleben.
Aber alles hat ein Ende und noch steht mir eine Etappe bevor.
Aus Sorge morgen kein Bett in Leon zu bekommen, reserviere ich mir noch ein Bett in einer privaten Herberge, stornieren kann ich es immer noch – denn eigentlich möchte ich dort übernachten wo ich damals schon war, in der einfachen Klosterherberge mitten im Herzen von Leon, unweit der Kathedrale.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen