3. Juni 2025,
San Vincente de la Barquera – Cades/Punto Arrudo 23,7 km
Unterkunft 32€ mit Verpflegung
Auch diese Nacht war mal wieder durchwachsen bis schlecht.
Teils lag es an den Ganzkörperschmerzen, teils an den Geräuschen und zum Teil an dem engen Hüttenschlafsack.
Aus Hygienegründen und wahrscheinlich aus Angst vor Bettwanzen durften wir in dieser Herberge nicht unseren eigenen Schlafsack benutzen. Es gab schmal geschnittene Hüttenschlafsäcke die unter der wärmeren Bettdecke benutzt werden sollten. Seit 2008 ist mir bewusst, das schmal geschnittene Schlafsäcke nichts für mich sind. Mir fehlt die Bewegungsfreiheit, ich kann nicht so liegen, wie es mir meine Muskelschmerzen abverlangen. Schei… auf die Vorschriften, die Hygiene etc. Ich klettere nach einiger Zeit aus dem Hüttenschlafsack raus und werfe die Bettdecke, ohne Nachdenken, wer sie alles schon benutzt hat (aber sie sehen und riechen sehr frisch) über mich.
Rücksichtnahme war 2 Mitpilgern auch nicht bekannt. Schon relativ früh habe ich mich in mein Bett gelegt, da ich einfach müde und kaputt war.
Im Schlafsaal sollte es eigentlich ruhig sein, zum Reden und zum Aufenthalt sind Küche, Wohnzimmer, Flure und Garten vorgesehen – so denkt man, oder so ist die unausgesprochene Regel.
Nicht nur ich lag schon im Bett – das erste Bett neben der Zimmertür und damit sichtbar für alle. Zwei osteuropäische Damen erzählten laut und planten ihren weiteren Weg und die folgenden Etappen. Mit lauten Diskussionen und Geschnatter wurde der ganze Raum unterhalten. Einmal stand ich auf und bat die Damen um Ruhe, was sie überhaupt nicht gut fanden, was sie mir auch mitteilten. Auf ein: pscht, shut up, Ruhe…, egal von wem, gab es keine Reaktion.
Irgendwann wurde es dann doch leiser, aber das Deckenlicht machten die Damen auch nach Beendigung ihrer Planung nicht aus.
Ich rang mit mir aufzustehen um das Licht zu löschen, ließ es aber bleiben. Wer auch immer, aber mit viel Abstand löschte irgendwer das Licht und es kehrte endgültig Ruhe ein.
Um 5 Uhr schaute ich das erste Mal auf den Wecker und drehte mich noch einmal um. Eine Stunde später schellte der erste Wecker und um 7 Uhr stand ich dann auch auf.
Ab 7.15 Uhr wird in der Albergue Frühstück angeboten und ich habe mich gestern bei meiner Ankunft dafür angemeldet. Eine Bar gibt es laut Erklärung heute auf dem Weg, aber sicher ist sicher.
Zum Frühstück bekommt jeder in der Küche gegen Vorlage, dass das Frühstück gebucht und bezahlt wurde, einen Teller mit 2 Scheiben Baguette; Marmelade und etwas Quark. Cornflakes, Müsli, Kaffee, Tee und Milch stehen zur Selbstbedienung bereit. Vor dem Toaster steht eine lange Schlange, es dauert, bis alle das Baguette getoastet haben. Wahrscheinlich ist es, wie meist, vom Vortag und ohne Rösten ist es zäh wie Gummi.
Aber warum eilen, draußen regnet es, es ist grau in grau und die Wettervorhersage von gestern stimmt nicht ganz. Angeblich soll es heute nur von 9 – 11 Uhr regnen.
Vielleicht ist der Regen, wenn er eher einsetzt, eher vorbei – vielleicht auch nicht. Aber da ich es nicht ändern kann, nehme ich es wie es kommt.
Gemeinsam beim Frühstück sitzend quatschen wir noch etwas über unsere Pläne, unseren Weg und das Leben im Allgemeinen.
Die meisten meiner Mitpilger werde ich nicht wieder treffen und, bis auf das belgische Ehepaar, habe ich alle nur einmal gesehen, nämlich hier in der Herberge.
Ich verabschiede mich beim Aufbruch von den Belgiern, wünsche einen Buen Camino und werfe meinen Regenumhang über. Ein letzter Blick vom Hügel auf das Meer, dann folge ich den Wegweisern. Die roten Wegweiser leiten zum Camino Leaniego, die gelben Pfeile den Camino del Norte. Die ca. ersten 7-8km läuft der Weg noch gemeinsam, dann trennen sich die Wege. Mein Weg führt nach Südwest, der andere Weg direkt nach Westen, immer in Nähe des Meeres.
Über eine kleine Landstraße geht es auf und ab. Von einigen höheren Hügeln kann ich noch das Meer erblicken, ich sehe auf die Rias, die momentan bei Ebbe kein Wasser führen. Über allem liegt ein Dunstschleier. Der Regen ist nicht stark, aber vorhanden. Mal nieselt und regnet es mehr, mal weniger.
Nach mehreren Kilometern komme ich an der letzten Bar des Tages vorbei – ich dachte sie käme später. Eigentlich ist es für ein zweites Frühstück noch zu früh, andererseits weiß ich, dass es die nächsten 17/18 Kilometer nichts gibt.
Ich habe eine spanische Chorizo, etwas Baguette und Bananen im Rucksack, aber einen leckeren Kaffee, eine kurze Auszeit vom Regenponcho und ein letzter Plausch mit einigen Weggefährten ist auch immer nett.
Ich trinke einen frisch gepressten Orangensaft zum Croissant und Kaffee, treffe noch einmal auf die Belgier, die kurz hinter mir gestartet sind und lege meine Beine hoch. Diese elendigen Muskelschmerzen stören mich. Um meine Knie zu entlasten habe ich sie gestern vorsorglich getapt, so wie es mir meine Physiotherapeutin gezeigt hat. Ich hoffe damit, die Muskulatur leicht zu unterstützen und Knieschmerzen in den Bergen zu reduzieren.
Nach einem endgültigen „Buen Camino“ verabschiede ich mich auf den Camino Lebaniego, der kurze Zeit hinter der Bar vom Weg abzweigt.
Bislang bin ich nur Landstraße gelaufen, aber mit dem Abzweig auf „meinen“ Weg ändert sich die Wegbeschaffenheit. Von jetzt auf gleich geht es über schlammige Schotterwege mit Pfützen, es geht über Wiesenwege, es geht in die Natur hinein.
Mal nimmt der Regen zu, dann versiegt er fast gänzlich. Immer wieder ziehe ich das Regencape aus, lasse es griffbereit über meinem Rucksack hängen und ziehe es kurze Zeit später wieder an. Egal wie oft ich es schon geschrieben habe, wandern in Regenkleidung ist nicht das Nonplusultra. Es ist nur Regen, aber ich mag es nicht.
Hinter einem Dorf treffe ich an einem Sportplatz ein junges Kalb. Was macht man, wenn man ein Kalb findet, und die letzte Kuhherde eine ganze Weile zurück liegt? Wo gehört das Kalb hin? Es läuft vor mir den Weg lang und begleitet mich mehrere hundert Meter. Ich hoffe, der Besitzer findet es, oder das Kalb findet zu seiner Herde zurück.
Trotz dass das Wetter nicht berauschend ist, mache ich tolle Fotos. Regentropfen an und auf Pflanzen, Tropfen in Spinnennetzen – ich liebe diese Fotos und ein Fernblick ist nicht gegeben oder wirkt auf den Fotos nicht, da alles grau ist.
Nicht viel später komme ich an einen Fluss. Von diesem Wegabschnitt habe ich im Vorfeld viele Fotos gesehen und ich freue mich auf diesen Abschnitt.
Immer am Fluss lang geht es über kleine Wege, Kilometer für Kilometer. Mal führt der Weg über Holzbohlen, mal über Steinstufen, mal ist der Weg so schmal über dem abfallenden Ufer, das Sicherungsseile in den Fels geschlagen sind. Der Weg wird schmaler, der Fluss rauscht und beidseits vom Weg laufe ich in Felsen hinein.
An einigen Abschnitten fühle ich mich nicht sicher. Der Weg fällt direkt neben mir ab und unten fließt der Fluss. Manchmal ist der Weg steinig und durch den Regen rutschig, manchmal liegen viele einzelne Steine auf dem Weg und manchmal viel zu viel Laub vom Vorjahr. An einigen Stellen ist der schmale Weg von Gebüschen zugewuchert und ich lehne mich in das Gebüsch um von der Abbruchkante weg zu kommen. Kleine Wasserfälle, Fischreiher, mal rauscht es an engen Stellen lauter, an weiteren Flussläufen fließt das Wasser langsam und man hört es nicht.
Es ist nicht wirklich gefährlich, aber meine Gleichgewichtsstörungen blockieren meinen Kopf, die Angst zu fallen ist vorhanden und ich weiß nicht, wie viele Pilger hinter mir kommen. Ein spanisches Pärchen ist mal kurz vor mir, mal kurz hinter mir – nicht immer in Sichtweite.
Mehrfach treffe ich auf Seilbahnen mit Korb zum Übersetzen auf die andere Flussseite. Diese Seilbahnen sind nur für Fischer die ich immer mal wieder am und im Fluss sehe. Mal läuft der Weg direkt neben dem Fluss, mal geht es in kurzer Zeit hoch und ich schaue auf den Fluss unter mir. Biegung für Biegung nehme ich mit und ich finde diese 7km am Fluss wunderschön.
Wie schön wäre es, wenn die Sonne scheinen würde? Dann würde ich mich einfach auf einen Baumstamm oder an das Flussufer setzen und einfach nur die Natur, die Ruhe und den Moment genießen.
Ich weiß, dass ich bald die Entscheidung treffen muss. Laufe ich den ausgeschilderten Originalweg – weg vom Fluss. Oder nehme ich die Alternative: weiter am Fluss entlang, ein etwas kürzerer Weg, der von der Wegbeschaffenheit schlecht sein soll. Es soll matschig und rutschig sein und Wolfgang, von dem ich im Vorfeld Informationen zum Weg bekam, schrieb, dass er diesen Weg nie wieder gehen würde. Er ist bei gutem Wetter die Alternative gelaufen und ihm ist das Wasser von oben in die Schuhe geschwappt, er ist gestolpert, gerutscht und das hält mich ab.
Einige Einheimische die ich kurz zuvor getroffen und befragt habe, sagten, dass man diesen Weg nehmen könnte. Man solle aber immer mit den Stöcken vortasten, wie tief das Wasser ist und wie tief sich die Stöcke in den Schlamm rammen lassen.
Ich glaube, dass der Wegabschnitt wunderschön von der Natur ist, aber ich glaube nicht, dass ich auf diesem Weg bei Regen schneller vorankomme oder ihn genießen kann. Das spanische Pärchen treffe ich hinter einer Wegbiegung mit einem Angler im Gespräch. Dieser hat kurz zuvor am Wasserfall einen großen Lachs gefangen den er uns präsentiert. Der Lachs hat eine gewaltige Größe und ist sicherlich super lecker, aber den Kopf abhacken könnte ich nicht. Es widerspricht sich: Tiere essen ja, töten nein!
Die Spanier und ich tauschen uns aus und beraten am Fluss lang, oder über die Landstraße. Noch lasse ich es offen, noch biegt die Alternative nicht ab.
Wir laufen gemeinsam weiter, nach wie vor öffne und schließe ich regelmäßig mein Cape, das Wetter ist und bleibt unbeständig, die Wettervorhersage mit 2 Stunden Regen trifft absolut nicht zu.
Am Abzweig der Wegalternative laufe ich vorbei. Ich möchte aus dem Regen raus, ich möchte ankommen und ich möchte vor allem meine Gesundheit nicht riskieren. Das Risiko im Flussbett auszurutschen, zu stürzen ist es mir nicht wert. Auch wenn es nicht wirklich gefährlich, sondern wahrscheinlich eher nass und schlammig ist, entscheide ich mich für Sicherheit.
Auf kleinen Landstraßen geht es weiter auf und ab, es wird wärmer.
Kurz vor der Ankunft in Cades hört es endgültig für heute auf zu regnen. Kann ja auch nicht anders sein. 24Km im Regen und bei Ankunft ist es trocken. Cades ist es winziges Dorf ohne irgendetwas – was wir aber im Vorfeld wussten. Von Cades folgen wir den regulären Wegweisern und ca. 1,5km später sind wir an der Herberge. Die Herberge ist geschlossen, aber es hängt eine Telefonnummer an der Eingangstür. Derweil ich mir auf der Bank vor der Haustür die Schuhe ausziehe rufen die Spanier bei der Hospitaliera an und sie gibt uns den Code der Eingangstür. Eine Katze streicht um meine Beine und da wo eine Katze ist, kann es nur gut sein.
Die Unterkunft ist kein, nett und kuschelig. In der Küche stehen Thermoskannen zur Bedienung, Obst, Brot und Milch ist vorhanden zur Selbstbedienung.
Da ich mir sicher bin, dass die Kleidung bis morgen bei dem Wetter nicht trocknet, hänge ich sie nur zum Lüften auf. Nach einer Pause und einer Dusche bin ich wieder fit.
Eine junge Hospitaliera kommt etwas späte zur Herberge, ein junger deutscher Pilger (Erik, lebt und arbeitet in Valencia) ebenfalls, und das war es für heute. Wir sind zu viert auf diesem Wegabschnitt, andere Unterkünfte gibt es hier im Dorf nicht – viele andere Unterkunftsmöglichkeiten waren nicht vorhanden und die Etappe somit vorgegeben.
Die Hospitaliera bleibt bis zum Abend, kocht für uns und erklärt uns alles wissenswerte für den Folgetag. In der Herberge hängt eine gemalte Landkarte, in der aufgezeichnet ist, wo es (mit Umwegen) ggf. Apotheke und kleine Einkaufsmöglichkeiten gibt. Mir ist kalt, ich hänge mir eine Wolldecke über den Rücken und so klingt der Abend gemütlich mit einem lockeren Kennenlernen aus.
Das spanische Pärchen wandert nur den Lebaniego als Kurztripp und ist heute gestartet, Erik möchte – wie ich – bis Leon laufen, hat aber Fußprobleme und überlegt einen Tag zu pausieren. Mal sehen, wen ich morgen treffe, unser Trupp ist klein aber nett. Wir sind zu viert, gestern haben 14 Pilger in der Herberge übernachtet. Die Nacht ist ruhig, niemand schnarcht und für morgen früh steht für uns ein Frühstück bereit. Einkaufen kann man hier nichts und so ist es gut, dass für unsere Verpflegung gesorgt wird.
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