Die Geschichte meines Jakobsweges

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Cobreces - San Vincente de la Barquera 02.06.2025

 

2. Juni 2025

Cobreces – San Vincente de la Barquera


Und mal wieder eine überwiegend schlaflose Nacht. Ich verstehe es nicht, oder nur zum Teil. Ich bin müde, ich bin total erschöpft und ich finde nicht in den Schlaf.

An meinen zwei Mitpilgern im Zimmer liegt es nicht. Sie kommen eine Weile nach mir in unser Zimmer und legen sich leise und rücksichtsvoll hin. Kein Schnarchen, kein Wälzen, sie schlafen ganz ruhig.

Was ich aber feststelle ist, dass meine Matratze defekt ist. Nachmittags habe ich schon kurz zwecks Erholungspause auf dem Bett gelegen. Gespürt, dass die Sprungfedern aus der Matratze raus stechen habe ich nicht. Die Sprungfedern pieksen in meine Rippen, egal wie ich mich drehe und wende: ich spüre sie in jeder Lage. Lange versuche ich, trotz beschissener Matratze, in den Schlaf zu finden. Irgendwann beschließe ich, das Bett zu wechseln. Von den 12 Betten sind, mit mir, nur drei Betten belegt – warum soll ich mich durch die Nacht quälen?

Vielleicht hadere ich so lange mit dem Bettwechsel, weil es in dieser Herberge richtige Bettwäsche gibt. Pro Person ist eine Garnitur Wäsche vorgesehen, die Betten sind bei Ankunft schon bezogen. Mir ist irgendwann egal, ich nehme Kopfkissen und Decke und wandere in das nächste Etagenbett. Der liebe Gott soll es mir wohl verzeihen, dass ich mir mehr genommen habe, als mir zusteht.

Unbemerkt scheine ich eine Weile geschlummert zu haben, ich werde wach und höre Wasser rauschen. Ich hoffe einen Moment darauf, dass irgendwer schon am frühen Morgen duscht… Aber es bleibt ein Wunschgedanke. Draußen regnet es stark, es dämmert bereits und das Wetter entspricht der Wettervorhersage. Noch ist es zu früh zum Aufbruch. Da ich meine Mitschläfer nicht stören möchte, nehme ich meine Klamotten über dem Arm mit ins Badezimmer und kleide mich dort an. Danach gehe ich in den Speisesaal. Gestern Abend war das Frühstück schon eingedeckt, ob es morgens noch aufgestockt wird: keine Ahnung.

Auf dem Tisch steht das Geschirr und eine Thermoskanne mit nicht mehr heißem Kaffee. Cornflakes, Müsli, Milch, Kaffeepulver, Tee, Orangensaft, Muffins, Frühstückskekse und Obst mit Marmelade liegen bereit.

Ich stelle den Wasserkocher an und kurze Zeit später sitze ich alleine im riesengroßen Speisesaal der Jugendherberge. Absolute Stille, alles ist ruhig – ein komisches Gefühl.

Ich frühstücke, checke den Wetterbericht und was draußen in der Welt alles los ist.

Auf dem Camino lebt man in einer Art Blase. Man ist Teil der Welt und dennoch ist der Alltag so ganz anders. Man beschäftigt sich mit sich selbst und mit den, für einen momentan wichtigen Dingen wie Wetter, Weg, Übernachtung und Verpflegung. Nachrichten bekommt man vielleicht mit, wenn man Internet hat, wenn man gezielt danach schaut oder zufällig in einer Bar die Nachrichten über den Bildschirm flackern, was ich hier aber bislang nicht erlebt habe. Auf dem Camino Frances und der Via Plata liefen fast überall die Fernseher in den Bars – hier ist es, bislang, „ruhig“ in den Bars.

Nach meiner Mahlzeit stehe ich auf, gehe in den Schlafsaal und hole meine restlichen Dinge. Meine 2 Mitpilger sind wach und das belgische Ehepaar erscheint auch zum Frühstück. Es regnet nach wie vor und wie zu erwarten.

Gewohnheitsmäßig überprüfe ich vor Abmarsch meine am Rucksackhüftgurt befestigte Tasche auf Vollständigkeit (Handy, Fotoapparat und Portemonaie habe ich dort immer griffbereit) und stelle fest, dass mein Handy fehlt.

Es kann nicht weit weg sein, weil ich es beim Frühstück noch hatte, ich suche und suche. Der Hospitaliero versucht mich anzurufen, aber ich weiß, dass ich das Telefon auf lautlos gestellt habe. Weder im Bad, noch im Schlafsaal oder der Küche finde ich es. Meine Mitpilgerin findet das Handy irgendwo auf dem Boden und ist fast drauf getreten.

Nicht wissend, wie es aus der Tasche fallen konnte und wann es passiert ist, packe ich es ein und marschiere los.

Gestern Nachmittag, als es für einen Moment aufklarte konnte ich,von der Herberge aus, das Meer sehen. Heute morgen lässt es sich nicht einmal erahnen. Bergab geht es Richtung Meer und nach kurzer Zeit bin ich erstmals auf dieser Reise, am Strand. Hochwasser ist noch nicht all zulange vorbei oder steht bevor. Über einen Holzbohlensteg geht es hinter dem Strand durch eine Wiese und dann wieder bergauf. Schnell entferne ich mich vom Strand und nach kurzer Zeit ist das Meer nicht mehr zu sehen und hören.

Nach nicht langer Zeit bin ich dann mal wieder an der Straße und laufe über Beton. Mal regnet es mehr, mal weniger, aber dafür durchgehend.

Viel ist mir heute nicht in Erinnerung geblieben. Ich wandere durch den Regen. In einem kleinen Dorf hängt an einer Kirche ein Hinweis auf eine Stempelstelle. Ich betrete die Kirche und erfreue mich an dem schönen Altarfenster. Neben der Kirchentür stehen zwei Stühle mit einem Stempeltisch. Ich ziehe mein Cape aus, packe meine Credencial für einen Stempel aus und setze mich für eine Pause an den kleinen Tisch und nehme mir den zweiten Stuhl und lege die Beine hoch.

Auch wenn es sich nicht gehört: ich bin schon wieder drei Stunden gewandert und packe in der Kirche einen trockenen Brotrest aus, übergieße ihn mit Wasser und freue mich einen Moment im trockenen zu sein.

Nachdem ich wieder aufgebrochen bin, merke ich nach 40-50 Metern, dass meine Stöcke fehlen. Schnell zurück zur Kirche und schon höre ich neben mir wieder mein begleitendes Klackern der Stöcke.

Auf Beton laufe ich eigentlich mit Gummipuffern auf den Stöcken, das ständige Klackern nervt mich oftmals – aber bei Regen rutschen die Gummipuffer auf den nassen Straßen und bieten weniger Sicherheit. Und so kommt es vor, dass ich manchmal öfter am Tag die Gummipuffer an- und abmontiere.

Ich laufe entlang kleiner Straßen, mache viele Fotos von Regentropfen auf Spinnennetzen, auf Blumen und Pflanzen und komme so nach Comillas.

Comillas ist eine touristisch geprägte kleine Stadt am Meer.

Das nasse Kopfsteinpflaster ist rutschig, die Kirche mit ihrem Marktplatz liegt etwas den Berg hinab und so schlitter ich zur Kirche, fühle mich unsicher und wackelig, das Kopfsteinpflaster hat tiefe und breite Rillen zwischen den Steinen.

Bevor ich eine Kaffeepause mache, besichtige ich die Kirche. Für Pilger ist der Kircheneintritt frei. Meine Credencial bekommt einen weiteren Stempel.

Am Altar singe ich für mich ein Lied – ich bin alleine in der Kirche – und mir kommen die Tränen. Ich denke an Papa… Er begleitet mich auf diesem Weg. Ein Schutzengel mehr, neben meinen verstorbenen Pilgerfreunden die über dem Weg schweben. Alois, Klaus, Hermann, Thomas und jetzt auch Papa…

Auf dem Marktplatz setze ich mich trotz Regen unter einen Sonnenschirm und genieße einen leckeren Kaffee mit einem Keks aus der Konditorei in der ich sitze.

Das Regencape wieder anzuziehen ist immer unangenehm, weil es von innen feucht ist. Aus Comillas heraus laufe ich an herrschaftlichen Gebäuden vorbei – eine schöne Stadt, aber ich schaue mir nur die Gebäude am Wegesrand an.

Irgendwo muss ich einen Wegweiser übersehen oder falsch gedeutet haben. Ich biege nach links in eine Landstraße ab, laufe bergauf und habe eine gute Sicht über die Rias, die Meeresarme die in das Land hineinführen. Jetzt ist es definitiv: wir haben Ebbe. Heute Morgen stand das Wasser kurz vor dem Strand in Cobreces, jetzt ist es weit draußen und die Meeresarme führen kaum Wasser. Ich folge ca. 800 – 900 Meter der Landstraße und frage mich, ob ich richtig bin. Zwar ist es so, dass wenn man dem Verlauf der Straße folgt nicht mehr als notwendige Wegweiser gibt, aber ich zweifel. Viele Pilger habe ich bislang nie gesehen, aber ich entferne mich wieder vom Meer und San Vincente de la Barquera liegt am Meer. Aber egal ob ich richtig oder falsch bin: es hat aufgehört zu regnen, die Sonne kommt zögernd durch.

Mir kommt eine Spaziergängerin entgegen und ich frage sie, ob ich richtig bin. Die junge Frau spricht gut englisch, klärt mich auf, dass ich falsch bin, und dass sie in die gleiche Richtung möchte, wie ich.

Leider habe ich den Namen von der jungen Frau vergessen. In sehr flottem Tempo laufen wir die nächste Stunde gemeinsam und führen sehr gute Gespräche. Meine vorübergehende Begleitung erzählt mir von ihrem Leben, davon, dass sie in der Kirche aktiv ist. Wir wortwörtlich von Gott und der Welt. Dabei werde ich auf Besonderheiten am Wegesrand hingewiesen und bekomme den Hinweis, die letzten Kilometer am Strand zu laufen. Der Wasserstand lässt es zu, dass man problemlos den Strand nehmen kann.

Gut gelaunt und dankbar für das tiefe, kurze Gespräch und einander getroffen zu haben, verabschieden wir uns mit einer Umarmung nach einer Stunde. Sie biegt ab, ich laufe weiter Richtung Strand und empfohlenen Weg.

Am Strand läuft es sich überwiegend gut. Der Sand ist hart, ich sacke nicht ein und auch das wovor ich immer Respekt habe: Sandkörner im Wanderschuh (könnte scheuern und Blasen begünstigen) tritt nicht ein. Manchmal muss ich einige Schritte durch Wasserpfützen laufen, einmal ist eine Pfütze tiefer als erwartet und mir schwappt das Wasser leicht in den Schuhschaft.

Ich genieße das Rauschen, beobachte das Meer und die Surfer. Einmal setze ich mich auf einen großen Stein, genieße die zaghafte Sonne und alles und nichts. Ich genieße einfach den Moment und das Glück unterwegs zu sein. Es braucht nicht viel zum Glück und dieses Gefühl habe ich so oft beim Wandern. Egal ob hier oder daheim im Wald. Die Natur hat so viel zu bieten und vielfach wird das Kleine nicht wahrgenommen. Der Stress und die Hektik des Alltages verbieten es vielen die Schönheit der Natur wahrzunehmen.

Vor mir, aber immer noch ein gutes Stück entfernt, liegen Häuser, ich sehe einen Steindamm, dahinter ein Schiff. Ich gehe davon aus, dass dieser Ort San Vincente de la Barquera ist.

Als ich an dem Steindamm ankomme, sehe ich, dass der Weg dahinter eine Hafeneinfahrt ist, eine Brücke gibt es nicht und der eigentliche Zielort liegt links von mir – hinter einer Bucht. Vielleicht hätte ich eher vom Strand weggemusst, aber der Weg am Strand war definitiv schön. Ich gehe vom Strand weg und umrunde die Bucht Richtung Brücke. Das Panorama vor mir kenne ich von den Bildern der Wegbeschreibung. Ich laufe mindestens einen Kilometer um die Bucht und stoße an der Brücke wieder auf Wegweiser und folge ihnen in die Stadt.

Natürlich, wie könnte es anders sein, liegt die Herberge oben neben den historischen Gebäuden auf dem Hügel.

In der Herberge bin ich angemeldet, ich habe eine Bettenreservierung. Obwohl ich so gut wie niemanden auf dem Weg gesehen habe, ist die Herberge relativ voll und füllt sich weiter im Verlauf des Nachmittages. Die Unterkunft ist touristisch und nicht explizit für Pilger und kann von allen gebucht werden. Die Unterkunft ist gemütlich, hat einen schönen Aufenthaltsraum in dem es morgen auch Frühstück gibt.

Nach dem üblichen Prozedere bei Ankunft lege ich mich kurz hin, danach gehe ich zurück in das Städtchen. Etwas Proviant auf Vorrat, Obst, Joghurt, Brot und einige Scheiben Käse als Abendessen besorge ich im Supermarkt.

In der Herberge schreibe ich mein Tagebuch, komme ins Gespräch mit meinen Mitbewohnern. Komischerweise habe ich noch keine deutsche Stimme gehört.

Abends gibt es von der Hospitaliera Erläuterungen zum Camino Lebaniego der morgen vom Camino del Norte abzweigt. Sie zeigt eine Abbildung mit Hinweisen wo es Einkaufsmöglichkeiten, Apotheken etc. gibt. Viele haben nicht vor, von hier aus dem Lebaniego zu folgen. Die meisten wollen auf dem del Norte bleiben, drei Mitpilger wollen dem Lebaniego folgen, aber nur als Alternativweg über das Kloster Santo Torribio und zurück zum del Norte.

In den nächsten drei Tagen werde ich evtl. noch Gesellschaft haben oder in der Unterkunft auf Mitpilger treffen. Was danach kommt, bleibt offen.

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