4.6.2025
Cades – Cicera, 17km (Unterkunft 8 Euro)
Und wieder eine Nacht in der ich nicht zur Ruhe kam. Warum komme ich nicht in den Schlaf, wo ich doch so erschöpft und müde bin und mich nach Schlaf sehne.
An Nebengeräuschen hat es heute nicht gelegen.
Um 6 Uhr, viel zu früh, stehe ich leise auf, nehme meine über dem Bett hängende Kleidung mit nach draußen und ziehe mich im Bad leise an.
Schlafsack und Rucksack packe ich später, wenn der Rest der Truppe wach wird, frühestens aber nach 7.00 Uhr zusammen.
7.00 Uhr ist ein Zeit, wo ich kein schlechtes Gewissen habe, wenn meine Mitpilger durch mich wach werden. Schlechtes Gewissen ist auch übertrieben zu sagen, ich wecke niemanden absichtlich. Aber diejenigen die noch schlafen, sollen diesen Schlaf und die daraus resultierende Energie für den Tag nutzen. Draußen ist es noch dunkel, viel zu früh für den Start und die heutige Etappe ist nicht so lang.
Nachdem ich in meiner Kleidung bin, gucke ich als erstes vor die Haustür. Wie ist das Wetter und ist vielleicht die Herbergskatze vor der Tür? Die Katze ist da und: tadadada, Trommelwirbel: es ist trocken! Ich sehe leichte Wolken in der Dämmerung, aber sie wirken nicht bedrohlich.
Ich nehme mir meinen beschrifteten Frühstücksteller, der Kaffee in der Thermoskanne ist nahezu kalt und erwärme ihn in der Mikrowelle. Ich sitze in der gemütlichen Sitzecke, frühstücke in aller Ruhe die 2 Scheiben Toast mit Marmelade, Cornflakes mit Milch gibt es auch, lege meine Beine noch eine Weile hoch und warte auf den „Tagesbeginn“.
Erik kommt auch aus dem Schlafzimmer gekrochen, braucht noch Zeit zum Erwachen und setzt sich still zu mir. Kurze Zeit später kriecht auch das spanische Pärchen aus den Federn. Zur Begrüßung gibt es ein Geburtstagsständchen für den Spanier, dessen Name ich vergessen und nie zuvor gehört habe. Gestern haben die 2 erzählt, dass sie das Geburtstagswochenende für den Camino Lebaniego benutzen und dass sie, angesichts des Ehrentages, heute ein Hotelzimmer in Cicera gebucht haben.
Ich verabschiede mich als erstes für heute von der Truppe, packe meinen Rucksack schnell zusammen und breche kurze Zeit später auf. Die ersten 500 Meter laufe ich den Weg, den ich gestern gekommen bin, zurück.
Es ist immer gut zu wissen, wo der Weg am nächsten Tag die Ortschaft verlässt, nicht jede Herberge liegt direkt am Weg.
Der Himmel ist klar, die Wolken steigen auf und im Sonnenaufgang sehe ich, dass es ein schöner Tag werden wird.
Ich folge dem Fluss vom Vortag weiter. Lag der Fluss heute morgen in der Höhe der Herberge, verschwindet er langsam unter mir. Der Fluss windet sich durch ein enges Tal, die Straße liegt im Hang und schlängelt sich mit jeder Windung.
Der Fluss ist immer rauschend zu hören, oftmals auch zu sehen, die kleine Straße ist leicht zu laufen, aber eng. Kurve für Kurve, Meter für Meter geht es aufwärts.
Es gibt keinen Fußstreifen, keinen Gehweg und oftmals ist die Straße mit ihren Kurven nicht überschaubar. Wie gut ist es da, dass man die heranbrausenden Autos hört. Laut Beschilderung gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 40km/h, was aber die Einheimischen nicht zu stören scheint. Immer wenn ich ein Auto höre, presse ich mich in die Leitplanke oder an den Berg um möglichst viel Abstand zu den Autos zu haben, die mich hinter der Kurve nicht sehen können. Da Schild: Achtung Pilger, macht auf sie keinen großen Eindruck.
Wie muss es meiner gehörlosen Freundin Sigrid auf ihren Pilgerwegen in solchen Situationen gegangen sein? Die Autos erst zu erahnen, wenn man sie sieht, lässt nur eine kurze Reaktionszeit zu.
In diesen Situationen bin ich immer froh um meine corallenfarbene Wanderhose und meinen orangen Rucksack.
Gerade jetzt, wo die anspruchsvolleren Etappen anstehen, habe ich für mich beschlossen, nur in der roten Hose zu laufen. Während der Etappe trage ich meine rote Hose die nach der Ankunft gewaschen oder notfalls nur gelüftet wird, am Nachmittag trage ich die beige Hose – so wie ich im Vorfeld aus Spaß schon gesagt habe: Falls ich verloren gehe – ihr müsst rechts und links des Weges nach einem leuchtenden Rot suchen!
Irgendwann führt die Straße wieder auf die Höhe des Flusses, der erste Hügel ist für heute morgen geschafft, aber es ist erst der Anfang.
Der Blick auf die höher werdenden Berge fasziniert mich. Gestern ging es nur manchmal langsam aufwärts, nicht immer hat man die langsame Steigung gespürt und in den Regenwolken auch nicht gesehen.
Jetzt weitet sich mit jedem Schritt der Blick auf die Berge die ich irgendwo vor mir liegend durch- und überschreiten werde.
Der Himmel ist blau, die Nebelfetzen steigen langsam auf, der Fluss rauscht neben mir und ich bin einfach glücklich. Nicht mehr weit vor mir liegt der erste steile Anstieg.
Zuvor durchlaufe ich noch ein 5-Häuser-Dorf, folge der Straße entlang grüner, saftiger Wiesen und erfreue mich an der Schönheit der Natur.
Hinter einer Biegung sehe ich das Dorf Lafuente mit seiner romanischen Kirche.
Inzwischen ist es angenehm warm von den Temperaturen geworden und ich umrunde die alte, romanische Kirche die überall ausgeschildert und erwähnt wurde, aber leider verschlossen ist. Die Kirche ist von einem schönen Kirchhof umschlossen und ich setze mich auf eine Mauer in die Sonne, lege die Beine hoch und genieße das Päuschen. Für ein zweites kleines Frühstück packe ich mein trockenes Brot aus, eine alte Scheibe Käse aus Vincente de la Barquera und etwas Chorizo habe ich auch noch. Immer das gleiche, trockenes Brot mit Belag. Dankbar, eine kleine Mahlzeit dabei zu haben, andererseits macht es nicht wirklich Appetit. Aber alles ist besser als nichts, auch in Lafuente gibt es keine Einkehrmöglichkeit, keine Tienda oder irgendwas.
Erik kommt ebenfalls an der kleinen Kirche an und setzt sich zu mir. Wir unterhalten uns kurz und ich breche vor ihm auf. So nett es ist Gesellschaft zu haben, so gern mag ich die Ruhe und die Einsamkeit. Spätestens in der Herberge werden wir den Rest des Tages gemeinsam verbringen.
Vom Kirchhof aus sehe ich, dass die Straße sich bald gabelt. Ein Sträßchen folgt dem Fluss im Tal, eine Straße geht bergauf und ich weiß, dass ich diese Straße nehmen muss. Einerseits wird im Reiseführer beschrieben, dass es nach Lafuente ordentlich ansteigt, andererseits kenne ich das Höhenprofil.
Ich biege in die sehr kleine Seitenstraße ab und der Anstieg beginnt sogleich.
Die Bewohner von Bergregionen müssen körperlich wirklich fit sein. Sie kennen es nicht anders und müssen diese Strecken täglich bewältigen – und sei es nur um im Dorf von A nach B zu kommen. Eine ältere Dame kommt mir langsam entgegen, etwas ein älterer Herr, alle zu Fuß.
Langsam laufe ich Schritt für Schritt den Berg hinauf, nicht ohne mich regelmäßig umzudrehen und den Blick ins Tal zu werfen.
Schnell komme ich bei der Steigung in die Höhe und kann sehen, welche Strecke ich schon wieder zurück gelegt habe.
Ich bin stolz auf meine Kondition und laufe ohne Pause aufwärts, was sich kurze Zeit später rächt. Von jetzt auf gleich habe ich das Gefühl nicht richtig atmen zu können, keine Luft zu kriegen.
Ich werde innerlich leicht unruhig, bleibe stehen und höre in mich und meinen Körper. Das Herz schlägt schnell und rhythmisch, die Atmung reguliert sich schnell wieder und das ist mir eine Lehre, besonders, als mir das gleiche noch einmal passiert.
Der erste heftige Anstieg und ich bin atemlos, dabei fangen die Bergetappen gerade erst an.
Danach laufe ich langsam und kleinschrittiger, bleibe öfter mal stehen um mich zu regenerieren und so komme ich gut voran. Ein ganzes Stück hinter mir sehe ich Erik in seinem leuchtenden Shirt die Straße erklimmen. Von Straße kann man inzwischen nicht mehr sprechen. Es ist ein Weg, aber betoniert und gut gehbar – zumindest vom Untergrund.
Oben am Berg sehe ich einen Bagger in Aktion und ich erahne, dass oben die Straße läuft – immer mal wieder höre ich Autos in der Ferne. Je näher ich komme, desto sicherer bin ich mir den Aufstieg geschafft zu haben. Und so wie ich es erahnt habe, ist es auch. Mein Weg biegt in die wenig befahrene, etwas größere Straße ab und folgt ihr über eine kurze Distanz.
Anschließend biege ich nach links ab, am Gatter hängt ein Hinweis auf das für die Gegend zuständige Taxiunternehmen. Sicher ist sicher, ich fotografiere die Telefonnummer, in der Hoffnung sie nicht zu brauchen.
Über einen schönen Naturweg geht es bergab. Wiese und Steine, Schotter, Wurzel – der Weg geht über verschiedene Untergründe. Ich höre Kuhglocken, ich erfreue mich am gewaltiger werdenden Panorama, an den Blumen, an der Sonne, an allem.
Meine Beine und Füße machen gut mit, die Schuhe sitzen perfekt, das Cortison tut seine Wirkung und schmerzfrei läuft es sich soviel leichter und beschwingter.
Natürlich besteht auch die Gefahr, dass man durch die Schmerzfreiheit schneller über seine eigenen Grenzen geht und diese nicht so gut wahrnimmt und man sich dadurch vielleicht unbemerkt schadet. Aber da ich diesen Weg gehen will, es nicht sehr viel Alternativetappen gibt (außer einen Tag Pause und damit passt kein gebuchtes Quartier mehr) muss ich ein Mittelding finden. Es muss sich für mich richtig anfühlen. Auf dem Weg liegt ein umgekippter Wegweiser der nicht eindeutig den Weg weist. Soll ich rechts oder links der Weggabelung folgen. Ich entscheide mich für links, sehe eine Weile keine neuen Wegweiser und bin erleichtert, endlich wieder auf einen gelben Pfeil zu stoßen.
Leider bewölkt es sich langsam wieder, aber ich weiß, ich bin bald am Tagesziel.
Hinter einer Kurve wird der Weg auf das Dorf Cicera frei, nur noch wenige Meter und ich bin im Zielort.
Es waren heute nur 17km, aber an einigen Stellen war die Steigung wirklich knackig, der Weg war schön, aber ich bin froh, heute nicht mehr weiter zu müssen. Der nächste Ort liegt noch über 10km und 2 Anstiege weit entfernt.
Cicera ist ein kleines Dorf, alte Häuschen, aber das Dorf hat Charme. Ich höre lautes Bienensummen und mein Blick fällt auf ein von Bienen umschwärmten Hauserker. Alles summt und brummt und ich erkenne einen großen Bienenstock.
Die Herberge fällt mir durch ein großes Gemälde am Hausgiebel auf, aber ich erkenne es nicht als Herberge und laufe daran vorbei. Ich frage einen Dorfbewohner nach meiner Unterkunft und er schickt mich zu dem Haus zurück. Derweil ich an dem Haus vorbei gelaufen bin, ist auch Erik angekommen. Er ruft die Hospitaliera an und diese vertröstet uns auf einen späteren Zeitpunkt.
Gemeinsam beschließen wir in die Dorfbar zu gehen und statt eines späten Abendessens eine Mittagessen zu genießen. In der Bar gibt es ein Tellergericht mit Hausmannskost, einen Kaffee und eine kleine Nachspeise, wir lassen es uns gut gehen und laufen anschließend die kurze Distanz zur Herberge zurück.
Unsere Gastgeberin ist inzwischen eingetroffen, wir checken ein und erfahren, dass es neben uns keine weiteren Anmeldungen gibt. Die Herberge ist in einem alten Haus, aber es ist urig und gemütlich, aber leider auch kalt.
In Cicera gibt es einen schönen Aussichtspunkt, der gut 2,5km entfernt liegt und einen schönen Blick in die Picos geben soll. Nach unserer Ankunft und der Dusche ist es leider stark zugezogen und inzwischen regnet es wieder. Bei dem Wetter habe ich keine Lust zu einem Spaziergang und die Wolken verdecken die Berge wieder – ich würde nicht weit sehen können.
In der Herberge wird die Kleidung heute nicht trocknen, die Heizung geht nicht an, aber im Flur finde ich eine kleine, schwere Heizung die wir die Treppe hoch tragen. Im Flur gibt es keine Steckdose und ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass diese kleine Heizung die Kleidung trocknen könnte. Und siehe dar: die Heizung wird schnell heiß, die verschwitzte Wäsche trocknet schnell. Gut, dass wir nur zu zweit hier sind, sonst kämen wir mit der kleinen Wärmequelle nicht weit.
Nachmittags schreibe ich in der Bar mein Tagebuch und ich erfahre, dass gegen 16.00Uhr ein fahrender Tante-Emma-Laden zum Dorf kommt, die einzige Chance auf neuen Proviant.
Auf dem zentralen Dorfplatz warte ich auf den fahrenden Dorfhändler, decke mich mit Keksen, Obst und Joghurt und einer Wurst ein – Brot gibt es nicht.
Das spanische Pärchen ist inzwischen auch eingetroffen und ist direkt nach der Ankunft zum Aussichtspunkt gelaufen. Sie konnten den Ausblick noch genießen, zeigen uns ein Video davon und schwärmen von der Schönheit des Blickes auf die Picos.
Die Dorfhunde sind sehr nett, laufen frei durch das Dorf, aber ich habe sie mit ihren Besitzern beim Einkauf getroffen – ich habe keine Angst vor diesen großen, wuscheligen Hunden. Sie genießen mein Kraulen und ich genieße die Hundegesellschaft. Die einzige Möglichkeit im Dorf freies wlan zu bekommen ist vor der Bar und auf dem Marktplatz und so gehe ich zwischendurch noch zur geschlossenen Bar, setze mich davor und checke meine Nachrichten und ob es Neuigkeiten aus der weiten Welt gibt. Ohne diese Internetverbindung vor der Bar kann ich meine Mutter auch nicht anrufen, ich habe keine Verbindung.
Oftmals muss ich in der Ruhe der Natur an Papa denken, bald ist er schon ein Vierteljahr tot.
Abends werden wir anlässlich des Geburtstages von unserem Mitpilger in die Bar auf ein Getränk eingeladen, anschließend geht es durch den Nieselregen zur Herberge zurück. Draußen wird es abends schnell kalt, ich murmel mich in meinen warmen Schlafsack und bin froh, ihn dabei zu haben.
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