Die Geschichte meines Jakobsweges

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Cistierna - Gradefes, 11.06.2025

 11. Juni 2025

Cistierna – Gradefes, 22,8km

Herberge 8 Euro


Wie in fast allen Nächten zuvor war auch diese Nacht mal wieder sehr durchwachsen. An Nebengeräuschen kann es im Einzelzimmer in einer Nebenstra0e eines kleines Dorfes auch nicht liegen, Schmerzen habe ich durch das Cortison, dass ich heute letztmals nehme auch nicht. Mit den Cortisontabletten habe ich mich an das Schema meines Neurologen gehalten, nur die letzten zwei Tabletten habe ich halbiert und die letzte halbe Tablette geviertelt um das Medikament auszuschleichen. Ich hätte es auch abrupt absetzen dürfen, aber ich wollte mich etwas sicherer fühlen, weil ich auch schon mal heftige Nebenwirkungen beim Absetzen vom Cortison hatte – auch wenn es sich dabei um wesentlich höhere Dosen gehandelt hat.

Nachdem ich um kurz nach 6 Uhr, wie immer, von alleine erwacht bin, stehe ich langsam auf, setze mich noch mit meinem Brot und einem Joghurt in den Aufenthaltsraum und mache mir in der Mikrowelle eine Tasse Wasser für meinen Kaffee heiß. Die Küchenzeile ist nicht wirklich schön, abgenutzt und alles was ich benutze spüle ich zuvor.

Bislang ist es die Unterkunft auf dem Weg in der ich mich am unwohlsten gefühlt habe, aber ich darf nicht vergessen, dass der Preis sehr günstig war.

Mit einsetzender Dämmerung laufe ich mal wieder los und der heutige Weg ist nicht sehr spektakulär, aber auch nicht hässlich. Ich habe das Gefühl, dass der Weg mich schon auf das Ende meiner Reise vorbereiten möchte.

Ich verlasse auf der Dorfstraße die Ortschaft und manchmal bin ich verwundert über die Wegführung. Ist es mir in den letzten Tagen öfter passiert, dass ich den Weg nicht gefunden habe, zeigt ein Wegweiser der in einer Kachel eingelassen ist nach links, geradeaus und rechts. Was soll ich von drei Richtungsangaben halten?

Da ich gestern Nachmittag durch den Ort geschlendert bin, weiß ich, wo weitere Wegweiser waren und laufe in die Richtung, die ich gestern ausgekundschaftet habe.

Erst folge ich, Ildefonso läuft in Sichtweite vor mir, der Straße, biege wenig später nach rechts in einen Feldweg ein, überquere eine Schiene und folge weiter dem Rio Esla.

Der Fluss läuft hier gemächlich und ruhig, aber es ist auch wesentlich flacher, die Berge sind beim Blick zurück nur noch in großer Weite zu sehen, es gibt keine engen Schluchten und kein Gefälle durch das der Fluss sich seinen Weg suchen muss.

Nach einigen Kilometern biege ich von der Straße ab und mein Weg führt nun über Kilometer durch einen zugewucherten Wiesenweg. In der Wiese fühlen sich die Insekten mehr als wohl. Von mir aufgescheuchte Fliegen, Mücken, Bremsen und Schmetterlinge umgeben mich. Der Duft nach Schweiß lockt die Viecher an, ich versuche die Insekten von mir fernzuhalten, habe aber keine Chance. Durch mein T-Shirt hindurch stechen die Bremsen auf mich ein, die Mücken ebenfalls, ich habe keine Chance gegen sie.

Seit Cistierna laufen Camino Olvidado und Camino Vadiniense auf einem Weg, irgendwann biegt der Camino Olvidado wieder von meiner Wegführung ab.

Der Wiesenweg führt durch eine Art Wald, rechts und links Bäume von mir, manchmal auch nur Büsche durch die ich auf die umgebenden Felder schauen kann.

Verschiedene Wiesenwege werden durch einige Meter Landstraße unterbrochen oder überqueren die Landstraße um weiter durch die Wiesenwege zu führen.

Waren oftmals zuvor in den Naturwegen auch Fahrspuren von größeren Fahrzeugen zu sehen, sind hier keine Spuren zu sehen. Gemäht wird der Weg auch nicht und es ist nicht immer leicht zu laufen. Die langen Gräser vertuschen im Untergrund liegende Steine und Äste, Kuhlen sind nicht zu sehen und macht das Laufen zeitweise unangenehm und stolperig. An einer Landstraße biegt Ildefonso vor mir ab, aber der Weg ist eindeutig ausgeschildert. Ich überlege, ob ich Ildefonso einfach laufen lassen soll – vielleicht hat er sich etwas bei dem Abstecher gedacht – oder soll ich ihn zurückrufen. Meist hat er, wenn er in meiner Nähe lief, an fraglichen Stellen, oder an Stellen die er für eine Abkürzung hielt, auf mich gewartet oder mir seine Pläne erläutert.

Ich entscheide mich dafür, ihn zu rufen, und ihn auf den Fehler hinzuweisen, oder zu fragen, ob der Abstecher beabsichtigt ist.

Er ist verwundert, aber er ist froh, dass ich ihn auf seinen Fehler aufmerksam gemacht habe. Er ist wütend, auf die oftmals nicht so sichtbaren Wegweiser, wobei ich diesen eindeutig und gut sichtbar empfunden habe. Hat man seinen Blick aber auf dem Boden, schweift mit den Blicken in die Umgebung oder hängt in seinen Gedanken, kann es passieren, dass man an den Schildern (die oftmals unterschiedlich aussehen, sei es Pfeil, Kachel, türkis, auf Holztafeln…) vorbeiläuft.

Er schlägt mal wieder das Gras um den Wegweiser hinunter und läuft dann mit mir weiter.

Wir erreichen ein kleines Dorf und ich entscheide mich dazu, auf einer Holzbank zu pausieren. Heute ist es leicht schwül, der Himmel ist bedeckt, aber mir ist dennoch warm. Auf der Bank packe ich mein Wasser und meinen Pfirsich aus und verweile derweil mein Begleiter auf mich wartet.

Laut Dorfbevölkerung soll es in ca. 40-50min eine Einkehrmöglichkeit geben.

Vielleicht läuft es sich heute für mich anstrengender als gewohnt, trotz nicht vorhandener Steigung, weil die Landschaft relativ langweilig ist.

Weiter geht es über einsame Landstraßen durch Felder, entlang von Waldrändern und seichten Hügeln. Alles ist sehr ländlich, manche Blicke könnten mich glauben lassen, ich bin irgendwo in der Nähe vom Teutoburger Wald.

Ich habe das Gefühl, dass ich den Rand der Meseta erreicht habe. Die Meseta, von einigen gehasst, von anderen geliebt – eine große, ländlich geprägte Hochebene zwischen Burgos und Leon. Die Meseta habe ich auf meinem ersten Camino durchquert und auch ein Teil der Via Plata quert Ausläufer der Meseta.

Was mir auf jeden Fall gefällt sind die vielen Mohn- und Kornblumen.

Auf einer Piste geht es immer entlang von Wässerungssystemen durch die Felder, der Weg zieht sich in die Länge.

Auch wenn der Weg durch den Blick aufs Navi nicht kürzer wird, ich möchte wissen wie weit es noch ist – dabei stelle ich fest, dass ich nicht auf dem richtigen Weg bin. Wo der Weg offiziell abgebogen ist, ist mir ein Geheimnis, aber es spielt keine Rolle, weil viele Wege parallel durch die Felder führen, die Landstraße ist auch nicht weit entfernt und so laufe ich einfach weiter, stoße irgendwann wieder auf den offiziellen Weg. Wichtig ist für mich, dass die Richtung stimmt – ob ich nun von rechts oder von links auf den gleichen Acker schaue, spielt keine Rolle. Noch immer sind es 9 Kilometer, inzwischen ist der Himmel klarer, es gibt kaum Schatten und irgendwann setze ich mich im Schatten auf eine Betonröhre und packe mein trockenes Brot mal wieder aus.

Ich habe definitiv keine Lust mehr auf altes Brot, ich möchte ankommen und innerlich verabschiede ich mich langsam vom Weg.

Über die Pisten geht es weiter, Schritt für Schritt, ich komme an Pappelheinen vorbei, deren Anblick mir so bekannt vorkommt, die ich schon oft am Camino Frances durchlaufen bin. Eine Pappel neben der andere, der Abstand exakt gleich, aber ich weiß nach wie vor nicht, wozu diese kleinen, immer wiederkehrenden Anpflanzungen dienen. Mal klart es auf, mal ziehen Wolken auf und ich bin mir relativ sicher, auch weil die Luft heute drückend ist, dass es früher oder später noch regnen wird. Die Feldwege enden an einer kurvigen Landstraße und ich laufe die letzten 1-2km entlang der Straße und erreiche Gradefes.

Am Orts/Dorfanfang liegt eine alte romanische Kirche, auf die schon mehrfach am Wegesrand hingewiesen wurde. Ich betrete die Kirche, freue mich über die Kühle und schaue mir das schlichte Kirchlein an, bevor ich die Dorfmitte erreiche. Aus der Ferne freue ich mich über Sonnenschirme, Tische und Stühle am Straßenrand – eindeutig ein Hinweis auf die Bar. Die Wirtin der Bar betreibt auch die Herberge und in der Bar bekommt man den Schlüssel für die Unterkunft.

Vor der Bar steht ein mir unbekannter Rucksack, in der Bar treffe ich auf eine niederländische Pilgerin. Wir setzen uns mit einem Getränk in den Schatten, Ildefonso kommt aus einer Seitenstraße und wenig später trudelt auch Lyanne ein, die sich zu uns setzt. Mein Mitpilger rennt, wie immer, schnellen Schrittes und von einer unsichtbaren Kraft angetrieben durch das Dorf.

Wie oft hat Ildefonso seit seiner Ankunft das Dorf schon umrundet?

Die Niederländerin heißt Helene und hat sich eine längere Auszeit genommen um ihr Leben zu durchdenken. Sie ist schon viele Wege während ihrer Auszeit durch Spanien gelaufen, u.a. die Via Plata und ist nun auf dem Weg zu Fuß zurück in die Niederlanden.

Die Wirtin teilt uns mit, dass sie bald schließt, dass es keine Einkaufsmöglichkeiten und keine Baröffnung für eine spätere Mahlzeit gibt. Alternativ gibt es aber ein Restaurant, ca- 1,5 – 2 Kilometer entfernt ist dem man ein Menue bekommen kann. Außerdem werden Pilger in dieser kleinen Ortschaft durch die örtliche Senioreneinrichtung verpflegt. Wir können uns im Altenheim melden und bekommen das dortige Mittagessen entweder eingepackt um es in der Herberge wieder aufzuwärmen, oder wir können es vor Ort essen. Außerdem würde uns der Koch die Speisekammer öffnen und wir könnten bei ihm „einkaufen“.

Wir drei Mädels entscheiden uns im Restaurant essen zu gehen. Helene und ich bringen erst unser Gepäck in die wenig entfernte Herberge, danach treffen wir uns wieder.

Schon mit Betreten der Herbere rieche ich schwarzen Schimmel. Es riecht muffig und feucht. Es gibt drei Zimmer in der Herberge, Ildefonso, Helene und ich nehmen jeweils ein Zimmer für uns. Das Bad ist oberhalb des Fensters schwarz vor Schimmel, in den anderen Räumen sieht man den Schimmel nicht, aber man riecht ihm. Die Herberge ist in der ersten Etage des Gebäudes, in den anderen Etagen wohnen Mieter. Wie können die hier wohnen, Schimmel ist gesundheitsschädlich.

Ich ekel mich, aber das Hotel ist ausgebucht, ich habe keine Möglichkeit die Unterkunft zu wechseln, die nächste Ortschaft ist weit weg. Wäre der Schimmel nicht, wäre die Herberge super, mehrere Balköne, eine schöne Küche, ordentliche Schlafzimmer…

Helene nimmt den Schimmel gelassener als ich. Mit Lyanne gehen wir zum Hotel in dem Lyanne übernachtet und setzen uns zum Essen hin. Nach dem vielen trockenen Brot freue ich mich über ein Stück Lachs mit Kartoffeln, etwas Salat und ein Eis zum Nachtisch. Als Getränk gibt es für mich Wasser, für die anderen Wein und das Menue kostet uns nur 15 Euro. Wir hätten es teurer erwartet, aber beim Tagesmenue bekommt man nie die Bestellkarte, es wird einem gesagt was es gibt und dann kann man wählen.

Derweil wir essen, erzählen und lachen, geht der große Regen los. Erst schüttet es, dann hagelt es große Eisklumpen. Wir sind froh, dass wir im trockenen sind, es gibt keine Zeitnot.

Nach einer Tasse Kaffee ist es irgendwann wieder trocken und wir verabschieden uns von Lyanne und gehen Richtung Seniorenheim. Wir fühlen uns etwas komisch, aber wir benötigen Proviant für morgen und eine Kleinigkeit für den Abend, vor Mansilla de las Mulas, meinem Etappenziel, wird es keine Einkehrmöglichkeit geben.

Im Seniorenheim werden wir freudig empfangen und wir werden zur Küche geführt.

Der Koch bietet uns das Mittagsmenue, Fisch mit Gemüse und Kartoffeln an. Da ich gerade aber warm gegessen habe, frage ich nach Alternativen. Ich bekomme gefüllte Pfirsiche, Joghurt, etwas Brot und Früchte zum Mitnehmen – alles hat mich nur 3 Euro gekostet. Die mit Huhn/Mayonaise gefüllten Pfirsiche werden eingeschweißt.

Die alten Leutchen haben großen Spaß an der blonden, groß und kräftig gewachsenen Niederländerin. Ich glaube, dass die Bewohnerin etwas dement ist, aber sie hat Spaß und beginnt mit Helene zu tanzen, derweil sie sie immer in ihre Wangen und Oberschenkel kneift. Es macht einfach Spaß und es ist ein besonderer Nachmittag in diesem Dorf. Nach einigen Tänzen verabschieden wir uns und gehen zur Herberge zurück.

Im Herberge gibt es eine Waschmaschine die nichts extra kostet und wir nutzen gemeinsam die Gelegenheit alles zu waschen, was man gerade nicht am Körper trägt. Inzwischen, nach dem großen Regen, ist die Luft wieder klar und heiß und auf dem Balkon wird die Wäsche schnell trocknen.

Derweil die Wäsche wäscht, nehme ich mein Tagebuch und gehe zur geschlossenen Bar zurück. Ich setze mich dort an den Tisch und die Bar, ist der einzige Ort im Dorf wo es wlan gibt. Das wlan nutze ich um meine Fotos von der Kamera aufs Handy zu laden um einige an meine Mutter zu senden. Ich fotografiere lieber mit der Kamera als mit dem Handy, auch wenn es fast 300 Gramm Extragewicht ist.

Ich zögere die Zeit hinaus um zur Herberge zurück zu gehen.

Dort angekommen setze ich mich auf den Balkon in die Sonne um dem Schimmel zu entkommen. Da ich alleine in dem Zimmer bin, reiße ich alle Fenster weit auf und blockiere sie mit Stühlen damit sie in der Nacht nicht unbemerkt zugehen.

Die Nacht wird kalt werden, abends kühlt es immer gut ab, aber ich friere lieber als das ich mehr als nötig vom Schimmel einatme.

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