13. Juni 2025
Mansilla de las Mulas – Leon, 18,5km
Herberge, Donativo
Ich bin an meinem Ziel angekommen, aber mein Herz ist noch auf dem Weg und würde gerne noch eine Weile hier bleiben.
Dankbar für die gute und wunderbare Zeit kann ich nun auf die zurückliegenden Kilometer zurückblicken. Was würde ich darum geben weiter Richtung Santiago de Compostela zu laufen und gleichzeitig ist es schön, dass es morgen nach Hause geht.
Ich weiß, dass ich früher oder später wieder kommen werde.
Die Nacht mit 7 Mitpilgern im Zimmer war fürchterlich und mal wieder konnte ich nicht schlafen, der einzige Unterschied: für die letzte Nacht gäbe es diverse Gründe warum ich nicht schlafen konnte.
Abends wurden die zwei kleinen Fenster in unserem Zimmer geschlossen. Einmal habe ich sie noch geöffnet, aber ich verstehe auch, dass es evtl. im Bett nahe am Fenster kühl gewesen sein könnte. Abends sind die Temperaturen wieder rapide abgefallen. Im Zimmer war es unheimlich war, es war stickig und vor allem laut. Es wurde geschnarcht wie bei Weltmeistern, immer mal stand der eine oder die andere auf um zur Toilette zu gehen. Die Rucksäcke versperrten ein einfaches Durchkommen im Zimmer. Scheinbar alle, bis auf meine Wenigkeit, schliefen schnell ein, niemand wälzte sich im Bett hin und her. Froh darüber, dass irgendwer in der Nacht das Fenster wieder geöffnet hat muss ich irgendwann eingeschlafen sein.
Gegen 6.10 Uhr wurde ich wach und ich war die letzte die im Zimmer erwachte.
Alle kramten im Dunkeln umher und da niemand mehr im Bett lag, machte ich das Licht an – was nicht von allen wohlwollend akzeptiert wurde.
Wenn ich niemanden mit dem Deckenlicht wecken kann, wenn alle wach und aus dem Bett sind, warum soll es dann im Raum dunkel bleiben.
Das Aufräumen des Bettplatzes, das Einpacken aller Sachen die auf und neben dem Bett liegen ist bei Helligkeit so viel einfacher und vor allem: man sieht, ob alles eingepackt ist, oder noch am Bettende liegt.
Heute ist mein Geburtstag, heute bin ich 52 Jahre alt und heute werde ich in Leon ankommen. Wenn ich nachher in Leon bin habe ich in 14 Tagen 260 Kilometer (plus die Zusatzkilometer durch vom Weg abkommen) und fast 8000 Höhenmeter gelaufen. Die meisten Höhenmeter bin ich zwischen San Vincente de la Barquera und Riano gelaufen. Die Etappen davor und danach waren relativ flach.
Die ersten drei Tage auf dem Camino del Norte hätte ich mir sparen können. Hätte ich mich im Vorfeld mehr mit den Etappen auf dem Camino del Norte auseinander gesetzt, hätte ich gesehen, dass ich nur der Straße folge und dennoch war es nicht falsch mit den flachen Etappen zu starten.
In der Küche stehen die Hospitalieros und verteilen Kaffee und Tee, auf dem Tisch steht Brot, Marmelade, Müsli, Cornflakes und Haferflocken. Von meinen Mitpilgern werde ich gefragt, wie weit ich heute laufen werde und ich erzähle, dass ich meinen Weg heute beenden werde. Sie sind erstaunt, dass ich Leon zu meinem Ziel erklärt habe, aber ich erzähle auch, dass ich den Frances und einige andere Wege bereits gelaufen bin und kenne. Mein Weg war die Verrbindung vom del Norte zum Frances. Dieser Weg war letztendlich schon gestern zu Ende, aber Leon ist ein würdiger Abschluss. Des weiteren erwähne ich, dass heute mein Geburtstag ist, und es schön ist, das alte Lebensjahr auf dem Weg zu verabschieden und das neue Jahr willkommen zu heißen. Man singt mir ein Geburtstagsständchen. Anschließend räume ich meinem im Kühlschrank gelagerten Proviant in meinen Rucksack, verschenke noch 2 nicht gegessene Joghurts und mache mich auf den Weg. Eigentlich hätte ich gestern keine Vorräte mehr kaufen müssen. Ich bin mir sicher dass ich heute an vielen Bars vorbei laufen werde, und dennoch ist es gut, etwas Energie in essbarer Form dabei zu haben.
Ich verlasse Mansilla de las Mulas im Sonnenaufgang, der Weg läuft heute mehr oder weniger auf einer breiten Piste neben der Straße.
Helene, die ich vor 2 Tagen in Cistierna getroffen habe, sagte mir, dass ich diese Etappe gut mit dem Bus fahren könnte, sie wäre hässlich – aber hässlich empfinde ich die Strecke nicht.
Alles um mich herum ist flach, in der Ferne sehe ich die Leoneser Berge und überalle, soweit das Auge blicken kann, wird Landwirtschaft betrieben. Es ist das typische Bild in der Meseta. Die Sonne steigt langsam über den Feldern empor und ich fühle mich gut und genieße jeden Schritt. Es sind meine letzten Kilometer.
Überall am Wegesrand finde ich Pilgersymbole, auf Häusern, Garagentoren, im Geländer, im Boden. Ein Wegweiser reiht sich an den nächsten, es geht durch kleine Orte. Auf den Kirchturmdächern und auf den Türmen sitzen die Storche, ein Nest neben dem anderen. In den Nestern sieht man Störche mit ihren Jungtieren.
Ich hätte es mir viel voller auf diesem Weg vorgestellt und empfinde es im Moment nicht voll. Vor und hinter mir laufen Pilger, mein Blick ist nie frei – aber ich empfinde es nicht als störend.
Ildefonso läuft in einem Trupp spanischer Herren an mir vorbei. Auch sein Weg endet heute in Leon, morgen fährt er mit dem Zug nach Madrid, seiner Heimatstadt.
Ursprünglich wollte ich heute nach meiner Ankunft mit dem Bus nach Santander zurück, denn ich habe einen Rückflug ab Santander gebucht, mein Bett in der Herberge ist reserviert. Bei meinen Recherchen in den letzten Tagen habe ich festgestellt, dass es wesentlich zeitaufwändiger und komplizierter ist mit dem Bus nach Santander zurückzufahren, anstatt direkt nach Madrid zu reisen.
Müsste ich heute schon den Bus nach Santander erreichen, würde mir keine Zeit für Leon bleiben, ich säße 5 Stunden im Bus und müsste mehrere Busse nacheinander nehmen – immer in der Hoffnung, dass die Busse pünktlich sind.
Meine Nacht in Santander wäre nur kurz, denn der erste Flug nach Madrid geht schon früh morgens, 2 Stunden vor Abflug müsste ich am Flughafen sein und vor allem: ich hätte fast 6 Stunden Aufenthalt in Madrid.
Mit dem Zug bin ich morgen früh in 1,5 Stunden von Leon in Madrid und mir bleibt Zeit Leon und meinen Tag zu genießen.
Den kurzen Flug von Santander nach Madrid konnte ich nicht mehr stornieren, aber er war nicht teuer und ist längstens bezahlt und es tut mir nicht weh den Flug zu verpassen. Das Ticket für den Schnellzug habe ich mir bereits in Riano über das Internet gebucht und einen Schlafplatz in Leon finde ich auch.
Meinen Weg innerlich revuepassierend, laufe ich ich leichten Schrittes voran. Nach 2 Stunden mache ich eine kleine Pause in einer Bäckerei, danach geht es weiter. Gefühlt bin ich heute inzwischen an mehr Einkehrmöglichkeiten vorbeigekommen als insgesamt in den letzten 2 Wochen, das ist der Unterschied zum Hauptweg.
Die Infrastruktur ist am Camino Frances, am Camino Portugues und am Camino del Norte gut ausgebaut, die weniger frequentierten Wege bieten wesentlich weniger Infrastruktur, aber dafür viele gute Seelen am Wegesrand. Wo erlebt man es, dass man im Seniorenheim verköstigt wird, dass fremde Menschen einem ein Frühstück zubereiten?
Immer auf einer gut begehbaren Piste geht es neben der Straße lang. Irgendwann geht es einen Hügel hoch und in ca. 4-5km Entfernung, etwas unterhalb gelegen kann ich Leon sehen. Auf einer Brücke muss ich die Straße überqueren und auf der Brücke lasse ich meinen Blick über die Stadt schweifen und meine Augen bleiben auf der Kathedrale im Häusermeer hängen. Noch ist die Kathedrale zwischen den vielen Häusern klein und ca. 1,5h Laufzeit von mir entfernt.
In diesem Moment bin ich glücklich, mich durchströmt ein Glücksgefühl und mir kommen einige Tränen in die Augen. Ich weiß, ich habe es geschafft, jetzt kann nichts mehr passieren, die letzten Kilometer schaffe ich auch noch.
An mir vorbeiziehende Pilger weise ich auf die Kathedrale hin, aber für sie ist diese Kathedrale nur eine von vielen, Leon nur ein weiterer Ort auf ihrer Reise, nicht aber das Ziel. Nimmt man sich an dieser Stelle keine Zeit, sieht man die Kathedrale zwischen den vielen Häusern nicht, aber ich habe Zeit. Es ist noch so früh, ich bin heute richtig schnell unterwegs.
Den Hügel abwärts laufe ich nach Leon ein und bin schnell in dem Straßenmeer am Stadtrand. Mich wundert es dass der Weg nach links führt, denn die Kathedrale lag rechts vor mir, aber ich werde sicher durch die Wegweiser in die Innenstadt geführt. 1,5km vor der Kathedrale gibt es eine Stempelstation an der die Pilger willkommen geheißen werden. Wir erhalten Stadtpläne zur Orientierung und einen Lutscher von den Pilgerfreunden der Stempelstelle. Jetzt ist es nicht mehr weit. Über eine Brücke, entlang viel befahrener Straßen werde ich in die Altstadt geleitet. Zuvor komme ich an der privaten Pilgerherberge vorbei in der ich mir vorsichtshalber ein Bett reserviert habe. Zuvor werde ich es aber in der Klosteralbergue versuchen in der ich 2008 übernachtet habe. Sie liegt unweit der Kathedrale und ich empfinde es als schön, an einem Ort von meinem ersten Pilgerweg zu übernachten, auch wenn die Herberge alt und in die Jahre gekommen ist. Um 11 Uhr erreiche ich mein Tagesziel, aber noch habe ich es nicht geschafft, ich bin noch nicht an der Kathedrale.
Seit Jahren habe ich nicht erlebt, dass die Rucksäcke in Reihenfolge der Ankunft vor der Herberge deponiert werden. Rucksack reiht sich an Rucksack, aber es sind höchstens 20 Pilger vor mir angekommen.
Die Herberge öffnet erst in einer Stunde und ich nutze die Zeit um zur Kathedrale zu laufen. In der Altstadt laufen viele Gassen kreuz und quer und nicht auf Anhieb finde ich die Kirche, ich kann sie nicht sehen. Ich frage mich durch und nach 10 Minuten öffnet sich der Blick auf die zentrale Plaza, auf die Kathedrale und den großen Schriftzug Leon auf dem Platz.
Ich bin am Ziel!
Noch ist die Plaza relativ menschenleer und ich gebe einem Spanier meine Kamera für ein Ankunftsfoto, danach gehe ich in die Kathedrale. Gut kann ich mich an die vielen farbenfrohen Fenster erinnern, und trotz der vielen Fenster ist es dunkel in der Kirche. Ich bestaune die Fenster, setze mich in die Kirchenbank und lasse zum Schluss meine Credencial stempeln.
Danach gehe ich zur Herberge zurück, verlaufe mich mal wieder im Straßengewirr und bin immer noch vor der Öffnung zurück.
Ab 12.00 Uhr werden wir eingelassen. Die Herberge im Kloster ist dunkel und alt, aber ich kann mich gut an sie erinnern. Es war damals wie heute die einzige Unterkunft, in der man nach Geschlechtern getrennt untergebracht wurde.
Wäsche wasche ich heute nicht mehr, morgen geht es nach Hause und ich habe noch eine frische Garnitur Kleidung im Rucksack. Nach der Dusche gehe ich in die Altstadt zurück und lasse mich treiben.
Ich habe nicht erwartet, dass ich Lyanne, die in einem Hotel übernachtet, in dem Menschengetümmel finde und ich sehe sie auch nicht. Aber Lyanne hat nach meiner feuerroten Hose Ausschau gehalten und sie durch die Farbe im Menschenmeer gesehen und ruft mich. Wir fallen uns in die Arme, sie gratuliert mir zum Geburtstag und wir setzen uns gemeinsam zu einem späten Mittagessen in ein kleines Restaurant. Für Lyanne geht es von hier Richtung Camino Sanabres. Der Camino Sanabres ist ein Teil der Strecke, die für mich und viele andere die Via Plata ist, aber letztendlich ist der Sanabres die Wegführung die irgendwo hinter Zamora direkt nach Santiago führt und nicht nach Astorga auf den Camino Frances und von dort nach Santiago.
Wir kennen uns erst seit 4 Tagen, aber diese gemeinsamen 4 Tage waren bereichernd, wir haben gute Gespräche geführt und uns gut verstanden. Es war schön, nach den vielen Tagen wo es kaum eine Gesprächsmöglichkeit gab auch mal mit wem reden zu können, mit Ildefonso war die Verständigung sehr mühsam.
Nach unserer Mahlzeit lassen wir uns noch etwas treiben, danach verabschieden wir uns endgültig.
Ich laufe zur Herberge zurück, sitze draußen und lasse den Tag ruhig ausklingen derweil in Leon das Leben richtig beginnt. Es ist Freitagabend, es ist Wochenende und die Leoneser und auch viele Pilger wollen den milden Abend und die Stadt genießen. Mich wundert es, dass es so viele freie Betten in meiner Unterkunft gibt, aber viele möchten nicht schon um 22.00 Uhr zurück sein müssen, sie wollen feiern, sie wollen genießen und sich nicht einschränken. 2008 war das noch ganz anders. Ob es zeitgemäß ist, dass die städtischen und kirchlichen Unterkünfte so früh am Abend schließen kann man in Frage stellen, auf meinem ersten Weg hat das jeder als so hingenommen und es gab auch noch nicht die vielen privaten Herbergen die ihre eigenen Regeln aufstellen können. Mich hat es bisher nie gestört und ich hatte auf diesem Weg auch oftmals keine Unterkunftsalternativen.
Morgen könnte ich im Prinzip später aufstehen als auf meiner gesamten Reise, aber ich weiß, dass es mich nicht im Bett hält, wenn alle um mich herum aus den Federn kriechen.
Ich werde morgen vielleicht noch etwas liegen bleiben, dann werde ich meinen Rucksack ein letztes Mal packen, mir ein schönes Frühstück in einer Bäckerei oder Bar organisieren und dann werde ich die 20min zum Bahnhof laufen. Morgen Abend schlafe ich wieder in meinem eigenen Bett, mit meinen Katzen.
Auch wenn mein Herz gerne noch weiter laufen würde, ich muss nach Hause.
Ich freue mich auf meine Familie, auf mein Bett, meine Tiere.
Glücklich und dankbar meinen geplanten Weg geschafft zu haben, dankbar die Berge erlebt zu haben, dankbar dass mein Körper (wenn auch unterstützt von Medikamenten) so gut durchgehalten hat.
Ich werde den Weg, wie alle anderen Wege, in meinem Herzen behalten. Früher oder später werde ich wiederkommen, vielleicht zieht es mich auch zur Abwechslung nach Italien, die Via Francigena oder die Via Francesco würden mich auch reizen.
Aber bis dahin wird noch viel Zeit vergehen, aber mein Weg ist noch nicht zu Ende. Die Pläne für neue Wege reifen mit der Zeit, irgendwann ruft der oder ein Weg wieder nach mir und dann ist der richtige Zeitpunkt zum erneuten Start da.
Es waren wenige Begegnungen, aber diese kurzen Begegnungen waren intensiv.
Das Treffen mit dem belgischen Ehepaar in Cobreces und San Vincente hat mir viel bedeutet, das kurze Gespräch mit der jungen Frau die mich über 6 Kilometer vor San Vincente begleitet und auf den richtigen Weg zurück gebracht hat. Nathalie und ihr Partner, ebenso Erik mit denen ich gemeinsam auf dem Camino Lebaniego unterwegs war, Lyanne und mein manchmal etwas nerviger Schatten Ildefonso.
Es war schön, sie alle getroffen und kennengelernt zu haben.
Aber für dieses Jahr ist es erst einmal genug, mein Körper hat genug geleistet und irgendwie bin ich jetzt erst einmal wieder genug gelaufen.
Früher oder später wird der Ruf wieder in meinem Herzen anklopfen und ich werde ihm folgen, egal wohin, egal welcher Weg, aber ich werde den Weg gehen,
alles Andere ergibt die Zeit.
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