Mein dritter Wandertag
Die körperliche Erschöpfung durch das Wandern wirkt sich sehr positiv auf mein Schlafverhalten aus. Vielleicht habe ich mich auch etwas an den Schlafsack gewöhnt oder die Schlaftechnik mit Handtasche und Brillenetui im Schlafsack optimiert. Fakt ist, trotz diverser Nebengeräusche schlafe ich bestens. Das Schnarchen der Mitpilger höre ich durch das Ohropax, aber ich nehme es zur Kenntnis und drehe mich um. Inzwischen komme ich auch problemlos ohne Leiter in und aus dem oberen Etagenbett - ohne mich zu verrenken.
In der Herberge wird gegen einen kleinen Aufpreis Frühstück angeboten. Das Frühstück ist etwas dürftig für deutsche Verhältnisse - einige Zwieback mit Marmelade, Kekse und Kaffee, aber der Magen ist nicht leer und die Geste zählt.
Der Pilger dankt.
Am Stadtrand hinter Estella führt der Weg am Kloster Irache vorbei. Irache ist berühmt für seinen Weinbrunnen. An diesem Brunnen dürfen wir Pilger uns kostenlos Wein abzapfen. Auch Wasser kommt aus einer zweiten Leitung, aber der Weinkran wird deutlich öfter benutzt. Für mich ist es nichts, früh am morgen Wein zu trinken und ich fülle meine Flasche mit Wasser.
Am Kloster Irache treffe ich wieder auf Sergio, den Venezianer. Er läuft auch heute seinem vorgeschicktem Rucksack hinterher. Die Schwedinnen sind laufend unterwegs, aber auch ohne Gepäck.
Jeder muss für sich selbst entscheiden wie er den Weg läuft. Ich nehme es niemanden übel, wenn er sein Gepäck voraus schickt oder mal in den Bus steigt. Es gibt einige Mitpilger die schimpfen wie die Rohrspatzen, über das Laufverhalten anderer Pilger. Warum kann nicht jeder so laufen wie er es möchte? Nicht jeder kann den schweren Rucksack tragen, kann so weite Strecken gehen oder hat 6 Wochen Zeit um in kleinen Etappen den gesamten Weg zu laufen. Wir laufen alle die gleiche Wegstrecke, aber jeder läuft seinen eigenen Weg und erlebt ihn anders.
Die Natur verändert sich langsam.
Die Hügel werden sanfter und der Weg läßt sich gut gehen. Bislang habe ich heute keine anstrengenden Steigungen laufen müssen. Was mich heute etwas erschreckt ist die Vielzahl der Pilger.
Der Weg führt durch Felder und ist weit einzusehen. Wie Perlen auf einer Schnur reihen sich Pilger aneinander.
In Estella haben alle Mitpilger die ich gesprochen habe Los Arcos als Tagesziel angegeben. Wenn die Pilger die ich sehen kann, alle nach Los Arcos wollen, dürfte es schwer werden ein Bett zu bekommen. Aber davon lasse ich mich nicht treiben. Ich genieße wieder die Natur. Die Farben leuchten wunderschön in der Sonne. Auf einem kegelartigen Berg sieht man eine Burgruine. Schön wäre es, dort hinaufzusteigen, aber die Ruhe (gibt es überhaupt einen Weg dort hinauf?) habe ich dann doch nicht.
Der Weg führt mich an einem alten Maurenbrunnen vorbei. Die Bedeutung von diesem Brunnen kann ich nicht nachlesen, da ich keinen Reiseführer dabei habe.
Ich habe nur die Wegbeschreibungen dabei. Der Pilgerführer ist aus gewichtstechnischen Gründen zu Hause geblieben. So ein Quatsch, die wenigen Gramm hätten es nicht ausgemacht. Verlaufen kann man sich nicht auf dem Weg. Der Weg ist bestens ausgeschildert und notfalls läuft man den Karawanen nach.
So extrem wie heute war es noch an keinem anderen Wandertag. Aber vielleicht liegt es am Wochenende. Vielleicht machen sich einige Spanier in Wochenendetappen auf den Weg.
Irgendwo auf dem Weg treffe ich auch Ivana wieder. Sie sitzt am Wegesrand und legt gerade eine Pause ein. Sie humpelt schlimm, hat Blasen und Schmerzen beim Laufen.
Hinter einer Wegbiegung steht man plötzlich und fast unerwartet am Dorfeingang von Los Arcos. Aus meinem Herbergsverzeichnis habe ich mir für heute die Casa Austria rausgesucht. Hier möchte ich übernachten. Vor der noch geschlossenen Herberge stehen schon etliche Rucksäcke. Als erstes stelle ich gemeinsam mit Rudi und Heike meinen Rucksack in die Warteschlange und beginne dann die vor mir stehenden Rucksäcke zu zählen.
25 Rucksäcke stehen bereits in der Warteschlange, laut Herbergsführer dürfte es 42 Betten geben, also alles in Ordnung. Als erstes ziehe ich auf dem Boden sitzend meine Schuhe aus- und Trekkingsandalen an.
Es tut so gut Luft an die Füße zu bekommen. Rudi und Heike machen sich wieder verrückt, ob die Bettenangabe im Herbergsführer stimmt. Müssen die denn immer nur an die Betten denken? Wenn dort steht, dass es 42 Betten gibt, dann gibt es diese auch mindestens. Das Herbergsverzeichnis wird ständig aktualisiert.
Die Ankunft unterscheidet sich nicht von den anderen Tagen. Duschen, Waschen, Siesta. Inzwischen kann ich täglich gruselige, wirklich schlimme Füße sehen. Stolz werden Blut- oder sonstige Blasen und aufgescheuerte Stellen präsentiert. Meinen Füßen geht es gut. Keine Schmerzen, die Schuhe sitzen bestens, keine Blasen, kein Scheuern. Scheinbar eine gute Wahl.
Heute organisiere ich mir mein Abendessen in einem kleinen Dorfladen. Ich möchte nicht jeden Tag essen gehen. In Los Arcos gibt es nicht viel zu sehen und so verbringen wir den Nachmittag in der kleinen Herberge. Reden, essen, gemeinsam schweigen, Tagebuch schreiben und Füße hochlegen. Ich studiere mal wieder die nächste Tagesetappe und begebe mich nach der Information der Hospitalieros zur Pilgermesse. Angeblich soll diese eine halbe Stunde dauern. Die Kirche war nachmittags noch geschlossen, nun ist sie auf. Wieder eine sehr dunkle Kirche, aber mit schönem Kreuzgang.
Ich muß nicht alles verstehen und kann dabei viel Spaß haben.
Ich habe auf meinem Weg sehr viele Fotos gemacht. Für alle die an weiteren Fotos interessiert sind, habe ich jeweils mehrere Etappen zu einer Dia-Show zusammengestellt.
Clip 1: Pamplona - Los Arcos
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