Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

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Burgos - Hontanas

10. Mai 2008
Mein 10. Wandertag
Nach einer herrlichen Nacht sehe ich schon beim ersten Blick aus dem Fenster, dass es immer noch regnet. Die Wettervorhersage für den heutigen Tag habe ich nicht gesehen, aber es sieht nicht so aus, als ob der Regen sich schnell verziehen wird.
Aber was soll es. Ich bin seit gestern nachmittag stolzer Besitzer eines "Poncho de Peregrino" und werde ihn gleich anziehen. Die Regenhose streife ich auch noch über, so bin ich geschützt.
Ich bin froh, mich für Goretex-Wanderschuhe entschlossen zu haben, so muß ich mir keine Gedanken um nasse Füße machen. Ursprünglich wollte ich auf jeden Fall Vollleder-Wanderschuhe kaufen, da diese vom Fußklima besser wären, aber meine Hanwag-Banks saßen so optimal, dass ich mich doch anders entschieden habe. In Anbetracht des Wetters sicher die richtige Entscheidung.
Heute werde ich das erste Mal die Meseta betreten. Die Hochebene, die sich zwischen Burgos und Leon erstreckt. Immer wieder hört und liest man, dass die Meseta von den Pilgern geliebt oder gehasst wird. Ich hoffe auf ersteres - es wäre doch schade auf dem Weg so etwas wie Hass zu erleben.
Ich verlasse Burgos bei Regen und komme nach ca. 3 Kilometern an der großen Albergue außerhalb der Innenstadt vorbei. Es sieht nicht sehr ansprechend aus. Irgendwie wie eine Barackenstadt. Heute läuft Winfried immer in Sichtweite vor mir her. Die Wege sind sehr feucht mit vielen Pfützen, aber es geht, zu schlammig sind die Wege nicht. Auch heute bin ich wieder gut gelaunt auf meiner Regenwanderung. Es macht mir nichts aus. Gemeinsam laufen wir bis Trabadejos. Dort steuer ich die erste Bar zum Frühstück an, Winfried läuft weiter. In der Bar ist es furchtbar voll und laut. Schulkinder, Menschen auf dem Weg zur Arbeit, alte Leute am frühen Morgen. Aber egal die Bar ist trocken und mein Rucksack passte auch noch mit in´s Gedränge. In der Bar frühstücke ich mit einem leckeren Stück Kuchen und der obliatorischen Tasse Kaffee. Was ich hier zum Frühstück esse, würde mir zu Hause am morgen niemals auf den Tisch kommen. Aber hier gibt es nichts anderes, als den süßen Kram und es schmeckt himmlisch, da ich heute mal wieder komplett nüchtern gestartet bin. Die Kalorien braucht man bei der täglichen Belastung auch. Keine Ahnung wieviel Kalorien bei so einr Wanderung täglich verbraucht werden.
Von Trabadejos geht es weiter Richtung Hornillos. Die Pfützen werden im Dauerregen größer, die Wege weichen immer weiter auf und mit jedem Schritt sinke ich tiefer im Schlamm ein. Dennoch fällt mir das Laufen leicht. Meine Knieprobleme vom Vortag merke ich mit der Bandage nur noch relativ wenig. Gott sei´s gedankt! Trotz des Dauerregens ist der Weg voll. Keiner bleibt wegen des Wetters in der Herberge.




Auch Hornillos del Camino ist schnell erreicht. Auch dort kehre ich noch kurz in die Bar ein um mich aufzuwärmen. Trotz der Bewegung ist es mir kalt, auch wenn ich heute wirklich trocken bin unter dem Regenponcho. Nach kurzer Zeit breche ich wieder auf um die letzten 8 Kilometer nach Hontanas in Angriff zu nehmen. Nach einem kurzen flachen Aufstieg und einer Kurve glaube ich erstmals richtig in der Meseta zu sein. Vor mir erstreckt sich eine grüne, flache Ebene auf der nur Getreide angebaut wird. Ich kann kilometerweit schauen und merkwürdiger Weise sehe ich niemanden, absolut niemanden mehr vor mir. Wo sind meine Mitpilger denn jetzt wieder alle geblieben. Die können doch unmöglich alle noch in Hornillos kleiner Bar stecken. Es regnet, regnet und regnet. Inzwischen weiche ich den großen Pfützen nicht mehr aus, umlaufe diese nicht mehr, sondern gehe einfach geradeaus hindurch. Ein Umgehen der Pfützen bringt auch nichts, weil es sich um eine Riesenpfütze handelt. Praktisch der ganze Weg ist überschwemmt. So stapfe ich vor mich hin und stelle mir erstmals die Frage, was ich überhaupt mache. Was für einen Sinn hat diese Reise? Ich könnte doch jetzt schön bequem irgendwo im trockenen sitzen. Ich kann nicht mehr, Hontanas ist weit und breit nicht zu sehen, mir ist kalt und ich will für heute nur ankommen. Wäre wenigstens irgendwo ein Pilger der mich mitziehen würde - aber nein, es ist niemand zu sehen. Ich mache mir Gedanken, ob ich auf dem richtigen Weg bin, aber eigentlich kann ich nicht falsch sein. Die Wegführung war eindeutig und es geht nur geradeaus. Irgendwann kommt dann wieder ein gelber Pfeil und bestätigt mir auf dem richtigen Weg zu sein. Hontanas soll in einer kleinen Talsenke liegen und erst zu sehen sein, wenn man direkt davor steht.
Und tatsächlich... Eine kleine Kurve und ich sehe in einer Senke vor mir dieses winzige Dorf liegen.






Ich habe gedacht, dass dieses Dorf nicht existiert und plötzlich stehe ich davor. Vor lauter Erschöpfung und Erleichterung fange ich tatsächlich an zu heulen. Die Tränen, die ich mir die letzten Kilometer verkniffen habe, fließen nur noch so. Mein einziger Gedanke gilt einem Schlafplatz. Was mache ich, wenn es hier kein Bett für mich gibt. Ich kann nicht mehr, und ich kann heute nicht mehr weiterlaufen. Bis zur nächsten Albergue sind es wieder fast 10km. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf und ich steuer ohne Blick in´s Herbergsverzeichnis die erste Unterkunft an. Die private Albergue liegt über der Dorfkneipe und das Beste: es gibt ein Bett für mich. Die Zimmer sind schön. Ich bin erleichtert und die Tränen fließen immer noch. Alle gucken mich an, und irgendjemand sagt: "Du hast es geschafft, du bist hier. Jetzt ruh dich erst einmal aus und dann geht es dir wieder besser". Nicht nur ich komme heute in so einem Zustand hier an, alle anderen sind genauso fertig, und jeder zeigt es auf seine Art. Nach einer ausgiebigen heißen Dusche und einer Siesta bin ich wieder auf dem Damm. Die Herberge füllt sich, schnell sind die Betten belegt. Bei dem Sauwetter fällt das Wäschewaschen heute aus, es ist schon schwierig genug alle anderen Dinge wieder trocken zu bekommen. Zwischen den Etagenbetten werden Leinen gespannt und alles wird zum Lüften und Trocknen aufgehangen. Im Zimmer kann man vor lauter Wäscheleinen sich kaum noch bewegen.









Da sich die Herberge in der Dorfkneipe befindet, treffe ich hier auch, ohne nass zu werden alle bekannten Pilger wieder. Josef, Annemarie, Winfried, Horst, Timo, Stephan, Stefan und Michael....
Alle treffen irgendwann ein oder sind schon da. Es gibt auch in diesem Ort nichts zu tun, und so verbringen wir einen gemütlichen Regennachmittag. In der Albergue wird ein Pilgermenue angeboten. Da es sonst nichts zu kaufen gibt in diesem winzigen Dorf nehme ich das Angebot gerne war. Heute esse ich als Vorspeise erstmals Nudeln. Bisher habe ich mich immer für gesunden Salat entschieden, aber die Kohlenhydrate brauche ich heute und für den nächsten Tag.
Ich habe es geschafft. Trotz der widrigen Umstände bin ich heute 30 Kilometer gelaufen.

Man kann mehr als man glaubt.

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