Die Geschichte meines Jakobsweges:
Camino Francés: (Pamplona – Santiago de Compostela): Mai 2008 --- geschrieben Oktober 2010

Via de la Plata (Sevilla – Salamanca): April/Mai 2010 --- geschrieben Dezember 2010

Via de la Plata (Salamanca – Santiago – Muxia): April/Mai 2011 --- geschrieben Mai/Juni 2011

Camino del Norte: (Hondarribia – Gurriezo): Juni 2012 --- geschrieben Juli 2012

Camino Primitivo (Oviedo - Santiago de Compostela): Mai 2014 --- geschrieben Mai bis September 2014

Camino Ingles 2017 Camino Portugues 2022

Najera - Santo Dominogo de la Calzada

6. Mai 2008
Mein 6. Wandertag
Mir geht es so gut, ich habe bestens geschlafen und fühle mich ausgeruht und stark für den Tag!
Nachdem ich aufwache, bleibe ich in aller Ruhe im Bett liegen. Niemand sonst im Saal rührt sich und es ist relativ ruhig. Ich bin wieder sehr froh, ein Bett neben dem Fenster zu haben - irgendwann ist die Luft mit so vielen Personen in einem Zimmer verbraucht.
Nach dem Aufstehen esse ich noch schnell meinen Joghurt, der vom Vortag übrig geblieben ist, und dann machte ich mich auf den Weg.
Schon am frühen Morgen ist es heute warm. Ich freue mich. Bisher hat es nur einige Regentropfen am Nachmittag, außerhalb meiner Laufzeit, in Logrono gegeben. Gestern waren einige Wege etwas rutschig und matschig, aber ansonsten läuft alles super. Ich kann mich nicht beklagen.
Auf dem Weg treffe ich immer wieder bekannte Gesichter. Nicht alle Namen kenne ich dazu, aber ich fühle mich wohl unter diesen Personen.
Nach ca. 6 Kilometern komme ich an eine Bar und kehre dort zum Frühstück ein. Ich hätte vor Beginn meiner Reise niemals gedacht, dass ich mich über ein einfaches Frühstück so freuen könnte. Etwas Toast, Marmelade, ein Becher Kaffee. In der Bar treffe ich ein Ehepaar aus Lünen. Die Welt ist so klein - oder die ganze Welt ist auf dem Camino. Bin ich in Münster immer auf fragende Gesichter getroffen, wenn ich von meinem Vorhaben erzählt habe, so treffe ich hier ständig Pilger aus der Nähe meines Wohnortes. Ich habe schon Pilger aus Dülmen, Münster, Hamm, Lünen, Lingen etc. getroffen, aber nie jemanden in Münster der mich auf Anhieb mit meinem Camino-Wunsch verstanden hat.
Auf jeden Fall habe ich das Frühstück sehr genossen. Ich bin hier auf dem Weg mit so wenigem so glücklich. Warum ist das im Alltag nicht so? Jeder strebt nach mehr und noch mehr. Und eigentlich braucht man so wenig.
Hier wird jeder akzeptiert wie er ist. Es kommt auf die Person an, nicht auf die Kleidung. Die wahren Werte zählen, so kommt es mir vor. Bei dem wenigen was man im Rucksack hat, ist eine Modenschau auch nicht möglich. Jeder hat irgendein kleines Stück "Luxus" dabei. Ich einen Doppelstecker (so ein Quatsch, bisher gab es genügend Steckdosen für alle), andere einen Föhn oder etwas Schminke. Die Männer haben eher etwas Technik zusätzlich dabei.
Landschaftlich ist der Weg wieder wunderschön. Täglich laufe ich durch Kornfelder, aber ich finde es nicht langweilig. Die verschiedenen Grüntöne, die Hügel, teilweise Berge am Horizont, Blumen, Schmetterlinge, all das läßt in mir ein befriedigendes Gefühl aufsteigen. Ich kann mich an so vielen Kleinigkeiten erfreuen.





Getreide, Getreide, Getreide... Der Weg schlängelt sich durch die Felder, teilweise kann ich sehr weit sehen.
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 Die Sonne scheint, es ist wunderbar warm. Mein treuster Begleiter ist mein Schatten. Den ganzen Tag umgibt er mich. Irgendwann, von jetzt auf gleich, fühle ich mich total augelaugt. Ich bin fertig und kaputt, kann nicht mehr. Ich habe das Gefühl, dass mein Kreislauf nicht richtig mitmacht. Und wie es immer so kommt, ist niemand in der Nähe den ich kenne. Jetzt bräuchte ich jemanden zum Reden, der mich mitzieht. Aber ich bin ganz alleine auf weiter Flur und niemand ist da der mir beisteht, nur mein Schatten.

Irgendwann sehe ich Santo Domingo de la Calzada in der Ferne. Mit dem Ziel vor Augen geht es mir gleich wieder besser. Ich fühle mich so ausgelaugt und weiß gar nicht wieso. Der Weg war lauftechnisch super, ich habe keine Schmerzen, habe gut geschlafen und gegessen und dennoch bin ich total fertig. Als ich Santo Domingo de la Calzada sehe, könnte ich vor Begeisterung fast heulen, aber ich verkneife es mir noch. Eigentlich habe ich doch gar keinen Grund dazu, aber ich bin einfach erleichtert die Stadt zu sehen. Und so fällt es mir auch wieder etwas leichter die Umgebung zu genießen.  Alles ist so frisch, Berge, Sonne, alles ist so wie ich es mir gewünscht habe.






In Santo Domingo, der Stadt mit dem Hühnerwunder, steuer ich die erste Herberge an. Es ist erst 11 Uhr am Vormittag, aber für heute reicht es mir. Die Albergue ist in einem Zisterzienserkloster aus dem 17. Jahrhundert untergebracht. Es muß noch eine zweite Herberge etwas weiter im Ort geben, aber ich mag nicht mehr laufen. So setze ich mich auf die Straße vor der Herberge und warte auf die Öffnungszeit. Ich scheine recht flott zu laufen, ich bin die Nummer 2 in der Ankunftsschlange. Schnell wird die Warteschlange länger. Einige Pilger laufen an mir vorbei zur nächsten Herberge. In der anderen Herberge haben die Kathedralen-Hühner ihr Gehege. Dort werden die weißen Hühner gehalten, die in Santo Domingo verehrt werden. Alle 14 Tage werden die Hühner im Stall der Kathedrale ausgewechselt mit den Hühnern im Herbergsstall.
Kurze Zeit später kommen die Pilger wieder von der anderen Herberge zurück gelaufen. Diese Herberge ist schon voll belegt und hat keine Betten mehr. Completo - dass liest man häufig am späten Nachmittag, aber vormittags war es bisher immer problemlos möglich ein Bett zu bekommen.
Zum Warten habe ich wieder meine Schuhe ausgezogen, habe meine Sonnenmilch ausgepackt für ein Sonnenbad und stärke mich mit meinen trockenen Baguettresten vom Vortag. Mit etwas Chorizo und viel Wasser wird das trockene Brot wieder etwas schmackhafter.



Die Herberge ist uralt, das Mobiliar auch, aber egal - ich habe mein Bett und mehr wollte ich nicht. Es gibt ein uraltes kleines Badezimmer mit Badewanne und ein neueres, in dem auch die Türen zur Dusche etwas schief hängen, aber wenn ich meine Duschtür etwas anhebe, läßt sie sich schließen.
Die Herberge hat einen kleinen Garten, dort hänge ich meine Wäsche auf und begebe mich in die Stadt. Die Stadt hat nicht so sehr viel zu bieten. Es ziehen Wolken auf, aber die Sonne scheint. Mir wäre so nach einem netten Straßenkaffee, aber es gibt nur wie überall eine Bar. Sie sieht nicht sehr gemütlich aus, Dreck liegt überall vor dem Tresen und in Deutschland würde ich so einen Laden nicht betreten, aber hier ist das so normal.
Im der Bar lese ich meine Wegbeschreibung für den nächsten Tag, lege die Füße hoch und ruhe mich etwas aus. Als ich wieder auf die Straße trete, sehe ich entsetzt, dass die Wolken immer größer und dunkler geworden sind, und auf die Stadt zuziehen. Schnell laufe ich zu meiner Unterkunft und mit dem ersten Donnerschlag bin ich beim Wäscheständer. Meine Mitpilger sind schon eifrig dabei, die Wäsche zu retten - ich hätte mich nicht so beeilen müssen, aber es ist gut zurück zu sein. Ein kräftiger Regenschauer setzt ein und es kühlt richtig ab. Es wird kalt und ungemütlich. Ich ziehe alle meine Kleider übereinander, um wieder warm zu werden. In der Herbegsküche kochen Ivana und eine rothaarige Pilgerin aus England gemeinsam. Da sie viel zu viel gekocht haben, laden sie mich netterweise zum Essen ein. Es gibt Rührei mit Salat, Tomaten und Baguette. Während des Essens lade ich meine Akkus von der Kamera und mein Handy auf. Jetzt habe ich alles benutzt was in meinem Rucksack ist - nichts habe ich umsonst mit geschleppt, bis auf die zusammengefaltete Alu-Isomatte.
Nachdem der Regen aufgehört hat gehe ich noch einmal in die Stadt. In einer Kapelle gibt es eine Pilgermesse. Die Messe wird von alten gebückten Ordensschwestern gesungen. Die alten Ordensschwestern erinnern mich sehr an uns Pilger. Sie laufen humpelnd und gebeugt wie die Pilger, nur tragen sie keinen Rucksack und sind nicht so viele Kilometer an diesem Tag gelaufen. Nachwuchs scheint es auch in spanischen Klöstern wenig zu geben.
Um die Kathedrale zu besichtigen muß man 3,50 Euro Eintritt zahlen. Irgendwie möchte ich das nicht. Es kann doch nicht richtig sein, Eintritt für ein Gotteshaus zu bezahlen. So nutze ich den Abendgottesdienst um eine Sitzbesichtigung der Kirche zu machen und um den Gottesdienst beizuwohnen. Die Hähne krähen während der Predigt ständig, aber ganz selbstverständlich unterbricht der Priester die Predigt bis die Hähne das Krähen einstellen und dann geht es weiter. Plötzlich endet der Gottesdienst mit einem lauten Vivat-Schrei sämtlicher Gottesdienstbesucher. Obwohl ich evangelisch bin, bin ich häufig in katholischen Gottesdiensten. Aber was hier geschieht ist für mich ein Rätsel.









Es ist so kalt, dass ich am Abend mit Leggings, T-Shirt und Fleecepulli in´s Bett gehe. In dem alten Gemäuer ist keine Heizung im Zimmer. Was mich wundert ist, dass sogar im Kloster Frauen und Männer ein gemeinsames Zimmer bekommen. Ich hätte die Ordensschwesten für konservativer gehalten.


Mann kan mit so wenigem glücklich sein.

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